Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Decisions
of the Federal Fiscal Court

Decisions online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Beschluss vom 06. September 2016, V B 52/16

Umsatzsteuer: Uneinbringlichkeit des Entgelts aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

ECLI:DE:BFH:2016:B.060916.VB52.16.0

BFH V. Senat

UStG § 17 Abs 2 Nr 1, InsO § 38, InsO § 55, EGRL 112/2006 Art 63, EGRL 112/2006 Art 90, EGRL 112/2006 Art 273 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, UStG VZ 2007

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 17. February 2016, Az: 11 K 11033/14

Leitsätze

1. NV: Die Rechtsprechung, wonach das Entgelt für eine Leistung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers uneinbringlich wird, verstößt weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 MwStSystRL (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. NV: Ist eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet eine die Gerichte bindende Selbstbindung der Verwaltung grundsätzlich aus .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18. Februar 2016 11 K 11033/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Bauunternehmers. Das Insolvenzverfahren wurde 2005 eröffnet. Im Streitjahr (2007) buchte er Forderungen in Höhe von ... € aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als uneinbringlich aus. Entsprechend setzte er in seiner Umsatzsteuer-Jahreserklärung ... € wegen Änderung der Bemessungsgrundlage ab. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) der Umsatzsteuererklärung zunächst zugestimmt hatte, erließ es später einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2007, in dem es eine Änderung der Bemessungsgrundlage ablehnte, da die Forderungen bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (im Jahr 2005) uneinbringlich geworden seien. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Die Klage wies das Finanzgericht (FG) unter Bezugnahme auf die Senatsurteile vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 (BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996), vom 24. September 2014 V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506) ab.

  2. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde ist unbegründet.

  2. 1. Die Sache ist nicht grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Denn die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) i.S. des FG–Urteils geklärt (grundlegend Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996). Mit der dagegen geäußerten Kritik hat sich der BFH in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt und sie für nicht durchgreifend erachtet. Danach verstößt die durch das Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 begründete Rechtsprechung zur Uneinbringlichkeit weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ‑‑Mehrwertsteuersystemrichtlinie‑‑ (MwStSystRL) ‑‑zuletzt BFH-Urteil vom 1. März 2016 XI R 21/14 (BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756, Rz 28 ff.)‑‑. Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) besteht insofern nicht (Senatsurteile vom 24. November 2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 54, und in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f.; Senatsbeschluss vom 11. März 2014 V B 61/13, BFH/NV 2014, 920). Der Kläger trägt keine neuen Gesichtspunkte vor, die eine nochmalige Prüfung und Entscheidung gebieten.

  3. Das Beschwerdevorbringen wiederholt großteils die Kritik von Roth (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2014, 309 ‑‑311 f.‑‑) an dem Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996. Diese Kritik hat der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f. zurückgewiesen. Dem hat sich nunmehr auch der XI. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756 angeschlossen.

  4. Soweit die Beschwerde weitergehende Erwägungen anstellt, ergibt sich daraus jedenfalls kein Klärungsbedarf.

  5. a) Das Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 und die Folgeentscheidungen überschreiten nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine solche Überschreitung angenommen, wenn richterrechtlich ein gesetzlich nicht vorgesehenes insolvenzrechtliches Rangvorrecht geschaffen wird (BVerfG-Beschluss vom 19. Oktober 1983  2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182). Die Grundsätze des Senatsurteils in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 beeinflussen auch die Verwirklichung von Umsatzsteueransprüchen in Insolvenzfällen. Der Senat hat aber kein neues Rangvorrecht eingeführt. Er hat vielmehr darüber entschieden, wann ein Umsatzsteueranspruch i.S. von §§ 38 und 55 der Insolvenzordnung (InsO) begründet ist, und damit über eine der insolvenzrechtlichen Forderungsrangfolge vorgreifliche steuerrechtliche Frage (Senatsurteil vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1.).

  6. b) Die Anwendung der Grundsätze dieses Senatsurteils im Streitfall ist auch nicht durch den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ausgeschlossen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014 X R 42/13, BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519, Rz 42; s.a. Senatsurteil vom 23. April 2015 V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106, Rz 12, jeweils m.w.N.). Ist ‑‑wie im Streitfall‑‑ eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet daher eine die Gerichte bindende Selbstbindung grundsätzlich aus.

  7. c) Die Rechtsprechung verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die Beschwerde enthält keine durchgreifenden Einwendungen gegen die diesbezüglichen Erwägungen des Senatsurteils in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f. Danach beruht auch die Ausnahme vom Grundsatz der Sollbesteuerung (Art. 63 MwStSystRL) auf der zutreffenden Anwendung von Unionsrecht (Art. 90 MwStSystRL).

  8. Nach Art. 273 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Der EuGH hat bereits entschieden, dass dies besondere Maßgaben für die Besteuerung in Insolvenzfällen einschließt und den Mitgliedstaaten dabei ein gewisser Spielraum zusteht (EuGH-Urteil Degano Trasporti vom 7. April 2016 C-546/14, EU:C:2016:206). Er hat damit die Rechtsprechung des Senats in dem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 38 bestätigt.

  9. 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.

  10. a) Das FG ist nicht von dem BFH-Urteil des VII. Senats vom 25. Juli 2012 VII R 29/11 (BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) abgewichen. Dieses Urteil betraf einen Abrechnungsbescheid und damit schon einen andersartigen Sachverhalt als im Streitfall, in dem eine Steuerfestsetzung streitig ist (vgl. Senatsurteil vom 8. März 2012 V R 24/11, BFHE 236, 274, BStBl II 2012, 466, Rz 39 ff.). Zudem hat der BFH in diesem Urteil die hier strittige Frage, ob Forderungen des Insolvenzschuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) werden, ausdrücklich offengelassen (BFH-Urteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36, Rz 20 f.).

  11. b) Es besteht auch keine Abweichung von dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 2. April 2014  7 K 7337/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2014, 1427). Ist ein vom Beschwerdeführer als Divergenzentscheidung bezeichnetes Urteil des FG im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision bereits durch den BFH aufgehoben worden, liegt keine Divergenz vor (BFH-Beschluss vom 17. April 2014 III B 146/13, BFH/NV 2014, 1080). So verhält es sich im Streitfall. Das Urteil des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2014, 1427 wurde durch das BFH-Urteil in BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756 aufgehoben.

  12. 3. Im Übrigen sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

  13. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Print Page