ECLI:DE:BFH:2016:U.030816.XR35.15.0
BFH X. Senat
EStG § 10 Abs 1 Nr 3, EStG § 46 Abs 2 Nr 3, EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , BürgEntlG KV , AO § 175 Abs 1 Nr 2
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 15. October 2015, Az: 3 K 1087/14
Leitsätze
1. NV: Für die Verrechnung erstatteter Beiträge mit in dem Veranlagungszeitraum gezahlten Beiträgen zur Basiskranken- und Pflegeversicherung kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Beiträge im Jahr der Zahlung nur begrenzt steuerlich abziehen konnte.
2. NV: Der Rechtsgrund für die Erstattung ist in diesem Zusammenhang ebenfalls unerheblich.
3. NV: An der steuerlichen Behandlung eines Erstattungsüberhangs von Krankenversicherungsbeiträgen hat sich durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung nichts geändert.
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Oktober 2015 3 K 1087/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren 2010 und 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in diesen Jahren Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Renteneinkünfte. Er war bei der A-Krankenkasse (Krankenkasse) gesetzlich krankenversichert.
Im Jahr 2010 erstattete die Krankenkasse dem Kläger für die Jahre 2008 und 2009 zu viel gezahlte Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.329,64 €. Grund für die Erstattung gemäß § 231 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) war, dass der Kläger aufgrund des Zusammentreffens seiner unterschiedlichen Einkünfte über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus zu Beiträgen herangezogen worden war. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) kürzte demzufolge die Aufwendungen des Klägers für die Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) um den Erstattungsbetrag in Höhe von 1.329 €, so dass im Rahmen des Sonderausgabenabzugs zu berücksichtigende Versicherungsbeiträge (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Haftpflichtversicherung) in Höhe von insgesamt 4.612 € verblieben. Die durchzuführende Günstigerprüfung gemäß § 10 Abs. 4a EStG ergab, dass die Ermittlung der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage 2004 zu einem günstigeren Ergebnis führte. Der ursprüngliche Bescheid wurde aus hier nicht streitigen Gründen mit Bescheid vom 14. November 2011 geändert, der bestandskräftig wurde.
Im Jahr 2011 erstattete die Krankenkasse dem Kläger erneut Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, nunmehr für die Jahre 2005 bis 2011. Diese Erstattung beruhte darauf, dass der Kläger während der Ansparphase Beiträge zu einer Direktversicherung zum Teil selbstfinanziert hatte. Da nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. September 2010 1 BvR 1660/08 (Der Betrieb 2010, 2343) die darauf beruhenden Leistungen der Direktversicherung nicht in vollem Umfang mit Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung belegt werden durften, korrigierte die Krankenkasse die Beitragsberechnungen für die Jahre 2005 bis 2011 und wies eine Erstattung von insgesamt 7.354,08 € für diese Jahre aus.
Aufgrund der Heranziehung geringerer beitragspflichtiger Einkünfte wurden die Beitragsbemessungsgrenzen beim Kläger (überwiegend) wieder unterschritten, so dass die Krankenkasse insoweit gegen den Kläger einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.234,71 € hatte. Nach dessen Verrechnung erstattete die Krankenkasse dem Kläger im Jahr 2011 einen Betrag in Höhe von 6.124,23 €.
Das FA berücksichtigte für den Veranlagungszeitraum 2011 zunächst Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 4.076 € und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 591 €, von denen es jedoch einen Erstattungsbetrag in Höhe von 6.119 € ‑‑dies entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen den von der Krankenkasse im Jahr 2011 zu erstattenden Beiträgen in Höhe von 7.354,08 € und dem Erstattungsanspruch der Krankenkasse in Höhe von 1.234,71 €‑‑ in Abzug brachte. Damit wurden im Jahr 2011 keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge berücksichtigt.
Aufgrund des im Einkommensteuerbescheid 2011 berechneten Erstattungsüberhangs in Höhe von 1.452 € änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) und kürzte die dem Grunde nach als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung um die Beitragsrückerstattungen. Da ihm hierbei ein Additionsfehler unterlaufen war, korrigierte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 2010 mit Bescheid vom 20. Juni 2013 und reduzierte die abziehbaren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nunmehr um Erstattungen in Höhe von 2.781 €.
Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2011 sowie gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010 legten die Kläger Einspruch ein. Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor, die erstatteten Beträge dürften nicht im Jahr ihres Zuflusses, sondern müssten im jeweiligen Beitragsjahr berücksichtigt werden. Während des Einspruchsverfahrens teilte das FA den Klägern mit, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kürze ein Erstattungsüberhang den Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung, so dass im Streitfall der Erstattungsüberhang in Höhe von 1.452 €, der bislang in voller Höhe im Jahr 2010 berücksichtigt worden sei, anteilig auf die Jahre 2005 bis 2010 zu verteilen sei. Dementsprechend änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2010 und kürzte die dem Grunde nach als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung um Beitragsrückerstattungen in Höhe von 1.624 €. Der Betrag entspricht der Summe aus den im Einkommensteuerbescheid 2010 bereits berücksichtigten Erstattungen in Höhe von 1.329 € und dem für 2010 ermittelten anteiligen Erstattungsüberhang von 295 €. Im Übrigen wies das FA die Einsprüche zurück. Auch das Klageverfahren war ohne Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2016, 283).
Zur Begründung ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) und die Einspruchsentscheidung des FA vom 20. Dezember 2013 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 6. Februar 2013 und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 17. Dezember 2013 dergestalt zu ändern, dass die Erstattungszahlungen der Krankenkasse in Höhe von 6.119 € im Jahr 2011 sowie in Höhe von 1.329 € im Jahr 2010 nicht als verrechenbare Beiträge, sondern als Erstattungsbeträge sonstiger Zahlungen anerkannt werden, so dass ein Vorsorgeaufwand im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge im Jahr 2011 in beantragter und erklärter Höhe von 4.667 € und im Jahr 2010 in Höhe von 5.456 € berücksichtigt wird, hilfsweise
das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA vom 20. Dezember 2013 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 6. Februar 2013 und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 17. Dezember 2013 dergestalt zu ändern, dass der Vorsorgeaufwand in Bezug auf die Krankenversicherung im Jahr 2011 lediglich um 305,79 € und im Jahr 2010 lediglich um 1.181,16 € gekürzt wird.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Die im Jahr 2011 gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung waren mit den rückerstatteten Beträgen für die Jahre 2005 bis 2010 zu verrechnen (unter 1.). Ebenso war die Kürzung der im Jahr 2010 gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung um die im Jahr 2010 erstatteten Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 sowie den anteiligen Erstattungsüberhang aus dem Jahr 2011 rechtmäßig (unter 2.).
1. Das FA konnte die im Jahr 2011 geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung um die in diesem Jahr für die Jahre 2005 bis 2010 erstatteten Beiträge kürzen (unter a). Eine Gleichartigkeit der gezahlten und verrechneten Beiträge ist ‑‑entgegen der Auffassung der Kläger‑‑ gegeben (unter b). Die Verrechnung der im Jahr 2011 gezahlten Beiträge mit den erstatteten Beiträgen, die in den Jahren 2005 bis 2009 nur begrenzt abziehbar waren, widerspricht nicht der Entscheidung des BVerfG vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125, unter c).
a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind bestimmte im Einzelnen aufgeführte "Aufwendungen" als Sonderausgaben abziehbar. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" und aus dem Zweck des § 10 EStG, bestimmte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Privatausgaben vom Ab-zugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG auszunehmen, folgt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter II.3.a, m.w.N.; s. dazu auch BVerfG-Beschluss vom 18. Februar 1988 1 BvR 930/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1989, 271, unter 1.b).
aa) Bei den in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben, wie z.B. den Versicherungsbeiträgen oder der Kirchensteuer, steht häufig die endgültige Belastung im Zahlungsjahr noch nicht fest, weil dem Steuerpflichtigen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums Versicherungsbeiträge oder Kirchensteuern erstattet werden. In diesen Fällen sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis die erstatteten Beiträge mit den im Jahr der Erstattung gezahlten gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen, so dass nur der Saldo zum Abzug als Sonderausgaben verbleibt (zur Verrechnung von Beitragsrückerstattungen BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314, und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter 3.c; s. auch Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2015 H 10.1 Abs. 2).
bb) Eine solche Verrechnung im Erstattungsjahr ist jedoch dann nicht möglich, wenn in diesem Veranlagungszeitraum nicht genügend verrechenbare gleichartige Sonderausgaben zur Verfügung stehen, sei es, weil gar keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind oder weil die erstatteten Sonderausgaben höher sind als die gezahlten gleichartigen Sonderausgaben (vgl. Senatsurteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter 3.c). Die Verrechnung der erstatteten mit den gezahlten Sonderausgaben ist bei einem entstandenen Erstattungsüberhang damit im Jahr der Zahlung geboten, weil anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile einträten (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/04, BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058, unter II.1.).
Die Konsequenz dieser Ausnahme ist aber nicht, dass hierdurch der Grundsatz der vorrangigen Verrechnung im Erstattungsjahr durchbrochen würde und die gesamte Erstattung im Zahlungsjahr mit den dort geleisteten Sonderausgaben zu verrechnen wäre. Vielmehr mindert der Erstattungsüberhang ‑‑und nur dieser‑‑ über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO den Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr (s. Senatsentscheidungen in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, Rz 19, und vom 19. Januar 2010 X B 32/09, BFH/NV 2010, 1250, Rz 5).
cc) Das Vorbringen der Kläger, die von ihnen zu viel gezahlten Beiträge seien ohne Rechtsgrund geleistet worden, ist ohne Bedeutung. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung unerheblich (s. BFH-Urteil in BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058, Rz 13). Auch hat der erkennende Senat in der vergleichbaren Konstellation, in der Versicherungsbeiträge mangels bestehender Versicherungspflicht erstattet wurden, bereits entschieden, dass die erstatteten Beiträge (zunächst) mit den im Jahr der Erstattung gezahlten Beiträgen zu verrechnen sind (Senatsurteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, Rz 19).
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die notwendige wirtschaftliche Belastung von als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen mindert sich wegen einer Erstattung erst in dem Jahr, in dem sie dem Steuerpflichtigen tatsächlich dauerhaft zugeflossen ist. Dabei ist es unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage die Erstattung beruht und/oder ob sie materiell zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Krankenkasse davon ausgeht, die Erstattung stehe dem Versicherten auch tatsächlich zu (vgl. auch BFH-Urteile vom 26. November 2008 X R 24/08, BFH/NV 2009, 568, Rz 14, und vom 23. Februar 2005 XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304, Rz 13).
b) Voraussetzung für die im Erstattungsjahr vorzunehmende Verrechnung ist indes, dass es sich um gleichartige Sonderausgaben handelt (aa und bb). Die unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen der Sonderausgaben im Zahlungs- und Erstattungsjahr sind bei der Beurteilung der Gleichartigkeit unbeachtlich (unter cc bis ee).
aa) Die im Jahr 2011 erstatteten Krankenversicherungsbeiträge sind mit den von den Klägern in den Jahren 2005 bis 2010 gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen gleichartig, soweit sie auf die Basisabsicherung entfallen.
Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass sich die Gleichartigkeit der Sonderausgaben nach deren Sinn und Zweck sowie der wirtschaftlichen Bedeutung und den Auswirkungen für den Steuerpflichtigen richtet. Bei Versicherungsbeiträgen kommt es dabei auf die Funktion der Versicherung und das abgesicherte Risiko an (Urteil vom 21. Juli 2009 X R 32/07, BFHE 226, 67, BStBl II 2010, 38).
Dies zugrunde gelegt, bestehen keine Zweifel, dass im Streitfall die erstatteten mit den gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG verrechnet werden können. Sie entfallen auf Vertragsleistungen, die ‑‑mit Ausnahme der auf das Krankengeld entfallenden Beitragsanteile‑‑ in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB V vergleichbar sind (s. hierzu auch Stöcker in Bordewin/Brandt, § 10 EStG Rz 596).
bb) Das Vorbringen der Kläger, den ‑‑nicht geschuldeten‑‑ Beiträgen habe keine Gegenleistung in Form von besseren und erweiterten Krankenversicherungsleistungen gegenüber gestanden, so dass sie keine (verrechenbaren) Beiträge, sondern lediglich "beitragsähnliche" oder "sonstige" Zahlungen seien, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Aspekt, durch die zu Unrecht erhobenen und später erstatteten Beiträge werde der Versicherungsschutz nicht verbessert, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 entschieden hat. In dem dortigen Sachverhalt ging es um Sozialversicherungsbeiträge, die einem Gesellschafter-Geschäftsführer mangels Sozialversicherungspflicht erstattet worden waren. Auch diese Beitragserstattungen konnten verrechnet werden, obwohl die zu Unrecht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge kein Versicherungsverhältnis begründeten und nicht dazu berechtigten, Sozialversicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. Reiserer/Schulte, Betriebs-Berater 1995, 2162, unter II.4.a; Brinkmeier, GmbH-StB 1998, 338).
cc) Die unterschiedliche steuerliche Entlastung der Krankenversicherungsbeiträge in den Jahren 2005 bis 2009 einerseits und im Streitjahr 2011 andererseits führt zu keinem anderen Ergebnis.
(1) Bereits in seinem Urteil in BFHE 226, 67, BStBl II 2010, 38 hat der erkennende Senat bei der Prüfung der Gleichartigkeit der Sonderausgaben die steuerlichen Auswirkungen unberücksichtigt gelassen. In seinem Beschluss in BFH/NV 2010, 1250 hat er explizit ausgeführt, dass die Verrechnung im Erstattungsjahr nicht davon abhängt, ob sie auch im Zahlungsjahr möglich gewesen wäre oder wie sich der Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr ausgewirkt habe. Er hat ausdrücklich die Rechtsansicht abgelehnt, die Verrechnung im Erstattungsjahr setze umgekehrt eine steuerliche Auswirkung des Sonderausgabenabzugs im Zahlungsjahr voraus, da dadurch zu Unrecht die Verrechnungsmöglichkeit mit der steuerlichen Auswirkung gleichgesetzt werde (Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1250, Rz 7).
(2) Die Senatsrechtsprechung kann demzufolge in bestimmten Fällen dazu führen, dass gezahlte Sonderausgaben sich steuerlich nicht auswirken, obwohl eine tatsächliche und endgültige wirtschaftliche Belastung vorliegt. Andererseits kann in anderen Fällen die vorrangige Verrechnung im Erstattungsjahr auch bewirken, dass Erstattungen von Sonderausgaben im Ergebnis steuerlich unbeachtlich sind, obwohl die frühere Zahlung der Sonderausgaben zu einer Steuerminderung geführt hat. Daraus hat der Senat geschlossen, dass die Verrechnungsmethode unter systematischen Gesichtspunkten zu Gunsten und zu Lasten der Steuerpflichtigen belastungsneutral sei (Beschluss in BFH/NV 2010, 1250, Rz 8 ff.). Dieser Grundsatz muss ebenfalls gelten, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.
Dabei macht es keinen Unterschied, wenn die Änderung ‑‑wie im Streitfall‑‑ darin besteht, dass Sonderausgaben nicht mehr beschränkt, sondern unbeschränkt abziehbar sind oder eine bislang bestehende unbeschränkte Abziehbarkeit beschränkt wird. So kann sich die Berücksichtigung der erstatteten Sonderausgaben im Erstattungs- und nicht im Zahlungsjahr für den Steuerpflichtigen, wie der Streitfall zeigt, zwar negativ auswirken, wenn ein Teil der Sonderausgaben im Zahlungsjahr nicht abziehbar war. Andererseits wäre die Verrechnung im Erstattungsjahr bei einem in diesem Jahr nunmehr gesetzlich eingeschränkten Sonderausgabenabzug für den Steuerpflichtigen positiv.
Die Belastungsneutralität zeigt sich entsprechend auch in den Fällen, in denen Sonderausgaben nachzuzahlen sind und sich die steuerliche Abziehbarkeit zwischenzeitlich geändert hat.
dd) Eine andere Beurteilung ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht daraus, dass durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16. Juli 2009 (BGBl I 2009, 1959) die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen zur Absicherung der Krankheitskosten neu geregelt wurde und die Beiträge für die Basisabsicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ab dem Streitjahr 2010 unbegrenzt abziehbar sind, während die Aufwendungen für eine zusätzliche Krankheitsabsicherung nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG berücksichtigt werden können (im Ergebnis ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 2013 13 K 3456/12 E, EFG 2014, 260, unter II.2.b dd; Schmidt/Heinicke, EStG, 35. Aufl., § 10 Rz 7; a.A. Niedersächsisches FG, Urteil vom 18. Dezember 2013 4 K 139/13, EFG 2014, 832, Rz 25 ff., Revision X R 6/14; FG Köln, Urteil vom 6. Februar 2014 10 K 2042/12, EFG 2014, 906, Rz 18, Revision X R 22/14; wohl auch FG Düsseldorf, Urteil vom 6. Juni 2014 1 K 2873/13 E, EFG 2014, 1789, Rz 27).
(1) Der Gesetzgeber hat erkennbar lediglich den Umfang der Abziehbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge ‑‑den Vorgaben des BVerfG in BVerfGE 120, 125 folgend‑‑ verbessern, nicht aber die Systematik der Verrechnung von Sonderausgaben verändern wollen. Dies zeigt bereits die Gesetzesbegründung, in der ausdrücklich ausgeführt wird, dass die im Veranlagungszeitraum erstatteten Beiträge für eine existenznotwendige Krankenversorgung die abziehbaren Beiträge minderten, weil insoweit eine Belastung der steuerpflichtigen Person nicht gegeben sei (BTDrucks 16/12254, S. 22).
(2) Dem Gesetzeswortlaut ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine Verrechnung von erstatteten Beiträgen, die im Zahlungsjahr nur beschränkt steuerlich abziehbar waren, mit den nunmehr unbeschränkt berücksichtigungsfähigen Beiträgen zu Basiskranken- und Pflegepflichtversicherungen ausnahmsweise nicht möglich sein soll. Eine dementsprechende Regelung wäre aber erforderlich gewesen.
(3) Der Wille des Gesetzgebers, bereits im Jahr 2010 Beitragsrückerstattungen mit den gezahlten Beiträgen zu verrechnen, zeigt sich zudem in dem durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung geschaffenen Pflichtveranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG, der bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2010 gilt. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer keine ungerechtfertigten Vorteile haben, wenn den im Lohnsteuerabzugsverfahren pauschal berücksichtigten Beiträgen für eine Kranken- und gesetzliche Pflegeversicherung keine Aufwendungen in entsprechender Höhe gegenüberstehen. Bei der Einkommensteuerveranlagung werden dann nur die tatsächlichen Versicherungsbeiträge berücksichtigt. Einer der Anwendungsfälle des § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG sind die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aufgeführten Beitragsrückerstattungen (BTDrucks 16/12254, S. 27). Hätte der Gesetzgeber die Erstattungen der bis 2009 nur begrenzt abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge hiervon ausnehmen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Gesetzesregelung bedurft. Eine solche fehlt indes.
ee) Die Gleichartigkeit der Krankenversicherungsbeiträge der Jahre 2009 und 2010 ist nicht deswegen zu verneinen, weil es der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 10 Abs. 4b EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 abgelehnt hat, Erstattungsüberhänge bei den nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG anzusetzenden Krankenversicherungsbeiträgen mit den nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG zu berücksichtigenden Beiträgen zu verrechnen, wie dies noch im Gesetzentwurf vorgesehen war (vgl. BTDrucks 17/5125, S. 37).
§ 10 Abs. 4b des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) regelt erstmals gesetzlich die Behandlung von Erstattungsüberhängen bei Sonderausgaben, wobei der Gesetzgeber erkennbar von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verrechnung der Erstattungen und Zahlungen von gleichartigen Sonderausgaben im Zahlungsveranlagungszeitraum ausgegangen ist (vgl. dazu BTDrucks 17/5125, S. 37; ebenso Blümich/Hutter, § 10 EStG Rz 33). Aus den ‑‑teilweise‑‑ neu normierten und auch bei den einzelnen Sonderausgaben unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Erstattungsüberhängen, mit denen der durch sie verursachte Aufwand ab 2012 "weitgehend" vermieden werden sollte (BTDrucks 17/5125, S. 37), kann indes nicht geschlossen werden, dass hierdurch die Kriterien zur Prüfung der Gleichartigkeit von Sonderausgaben grundlegend geändert werden sollten.
c) Die im Jahr 2010 vom FA vorgenommene Verrechnung der er-statteten mit den geleisteten Beiträgen steht auch nicht im Widerspruch zu den Aussagen des BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 120, 125. Danach ist es mit den Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, wenn der Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung nicht ausreichend erfasst, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten.
Das BVerfG geht in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur möglichen Verrechnung gleichartiger Sonderausgaben ein, sie wird von ihm vielmehr vorausgesetzt. Diese Rechtsprechung beruht ‑‑wie unter II.1. dargestellt‑‑ darauf, dass Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug die endgültige wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen ist. Dies war vom BVerfG auch bereits vorher anerkannt worden (vgl. z.B. Beschluss in HFR 1989, 271, unter 1.b).
Wenn das BVerfG unter dieser Prämisse in seinem Beschluss in BVerfGE 120, 125 die verfassungsrechtliche Vorgabe macht, ab dem Jahr 2010 müssten die Kranken- und Pflegeversicherungskosten steuerlich berücksichtigt werden, die den verfassungsrechtlich gebotenen Basisschutz gewährleisten, können damit nur die Aufwendungen gemeint sein, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich wirtschaftlich endgültig belastet ist. Eine solche wirtschaftliche Belastung liegt zunächst zwar in den Beitragszahlungen, sie wird aber um die verrechneten gleichartigen Beitragsrückerstattungen reduziert. Diese tatsächliche Belastung ist ‑‑entsprechend den Vorgaben des BVerfG‑‑ vollständig steuerlich abziehbar.
2. Die im Jahr 2010 gezahlten Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung konnten sowohl um die in diesem Jahr erstatteten Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 (unter a) als auch um den anteiligen Erstattungsüberhang aus dem Jahr 2011 (unter b) gekürzt werden.
a) Zunächst weisen FG und FA zu Recht darauf hin, dass § 351 Abs. 1 AO der von den Klägern begehrten Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 in Bezug auf die in diesem Jahr erstatteten Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 entgegensteht. Der streitgegenständliche Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2013, in dem die als Sonderausgaben abziehbaren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um erstattete Beiträge in Höhe von insgesamt 1.624 € (= Erstattung für die Jahre 2008 und 2009 von 1.329 € und der auf das Jahr 2010 entfallende Erstattungsüberhang von 295 €) gekürzt wurden, änderte den bereits bestandskräftigen Bescheid vom 14. November 2011, durch den die als Sonderausgaben abziehbaren Beiträge bereits um die von der Krankenkasse für die Jahre 2008 und 2009 erstatteten Beiträge in Höhe von 1.329 € gemindert worden waren.
Aber selbst wenn ein bestandskräftiger Bescheid nicht vorgelegen hätte, wäre die Verrechnung der im Jahr 2010 erstatteten Beiträge aus den unter II.1. dargestellten Gründen nicht zu beanstanden gewesen.
b) Die weitere Minderung der im Jahr 2010 gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um den anteiligen Erstattungsüberhang in Höhe von 295 € ist rechtmäßig. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach in dem Fall, in dem im Jahr der Erstattung die erstatteten die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben übersteigen (sog. Erstattungsüberhang), der Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses zu korrigieren ist (vgl. Entscheidungen in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95; in BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058; vom 8. September 2004 XI R 28/04, BFH/NV 2005, 321; in BFH/NV 2005, 1304; in BFH/NV 2009, 568; vom 21. Februar 2013 X B 110/11, BFH/NV 2013, 1060). Hieran hat sich auch durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung nichts geändert.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.