ECLI:DE:BFH:2016:B.260816.VIB95.15.0
BFH VI. Senat
EGRL 88/2003 Art 6 Buchst b, EGRL 104/93 Art 6 Nr 2, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 34 Abs 1 S 1, EStG § 34 Abs 2 Nr 4, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, EStG VZ 2013
vorgehend FG Münster, 26. August 2015, Az: 6 K 1788/14 E
Leitsätze
NV: Ausgleichszahlungen, die der Dienstherr anstelle des vorrangig zu gewährenden Freizeitausgleichs für unionsrechtswidrig zu viel geleisteten Dienst an Berufsfeuerwehrleute leistet, sind als Arbeitslohn für mehrjährige Tätigkeit ermäßigt zu besteuern .
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 27. August 2015 6 K 1788/14 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Feuerwehrbeamter bei der Berufsfeuerwehr der Stadt H beschäftigt und erzielt aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑).
Im Jahr 2013 erhielt er von der Stadt H, seinem Dienstherrn, Ausgleichszahlungen für über mehrere Jahre rechtswidrig zu viel geleisteten Dienst in Höhe von 8.525,10 € aus Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ‑‑Richtlinie 2003/88/EG‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 299, 9) und Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ‑‑Richtlinie 93/104/EG‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 307, 18). Danach darf die durchschnittliche Arbeitszeit des Beamten pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten.
Für die Ausgleichszahlungen führte der Dienstherr Lohnsteuer ab. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) berücksichtigte den Betrag als nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernden Arbeitslohn für mehrere Jahre und setzte die Einkommensteuer 2013 entsprechend fest.
Einspruch und Klage gegen den Einkommensteuerbescheid blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger habe die von seinem Dienstherrn geleistete Zahlung als Ausgleich für die über das zulässige Maß hinaus zur Verfügung gestellte Arbeitskraft erhalten. Er habe letztlich eine Entschädigung für die Umwandlung des vorrangigen Anspruchs auf Freizeitausgleich in einen individuellen Anspruch auf Geld empfangen, die zum Arbeitslohn gehöre.
Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) sowie zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 20. Januar 2016 VI B 61/15, BFH/NV 2016, 747, m.w.N.).
b) Der Kläger hat mit seiner Beschwerde keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufgeworfen.
Er hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob die einem Arbeitnehmer für unionsrechtswidrig geleistete Zuvielarbeit gezahlte Entschädigung, die nur wegen schuldhafter Verletzung der Arbeitgeberpflichten gezahlt worden sei und auf die wegen Überschreitung der höchstzulässigen Arbeitszeit und/ oder Verjährung kein Anspruch bestehe, als Surrogat eines allein in Betracht kommenden Anspruchs auf Freizeitausgleich keine steuerpflichtige Einnahme, sondern nicht steuerbarer Schadensersatz ist. Diese Rechtsfrage ist jedoch nicht klärungsbedürftig.
aa) Zu den ‑‑der Einkommensteuer unterliegenden‑‑ Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und die dem Arbeitnehmer für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst zufließen. Nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Februar 2013 VI R 58/11, BFHE 240, 345, BStBl II 2013, 642, m.w.N.) werden Bezüge oder Vorteile für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind und sich bei objektiver Betrachtung als ein Entgelt "für" eine Leistung darstellen, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Das ist der Fall, wenn der Vorteil mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und sich die Leistung im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. Urteile vom 19. November 2015 VI R 47/14, BFHE 252, 124, BStBl II 2016, 301, und vom 23. April 2009 VI R 39/08, BFHE 224, 571, BStBl II 2009, 668, m.w.N.). Die Zuwendung muss also einen Entlohnungscharakter aufweisen (Senatsurteil vom 17. Juli 2014 VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl II 2015, 41), d.h. eine Erfüllungsleistung im Rahmen des bisherigen Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Dienstherrn darstellen.
Dagegen liegt Arbeitslohn nicht vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Schaden ersetzt, den dieser infolge einer Verletzung arbeitsrechtlicher (Fürsorge-)Pflichten oder einer unerlaubten Handlung des Arbeitgebers z.B. an einem materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgut erlitten hat. Denn damit werden nicht die Dienste des Arbeitnehmers vergütet, sondern ein vom Arbeitgeber verursachter Schaden ausgeglichen (Senatsurteile vom 20. September 1996 VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl II 1997, 144; vom 24. Mai 2000 VI R 17/96, BFHE 192, 293, BStBl II 2000, 584).
bb) Gemäß Art. 6 Buchst. b Richtlinie 2003/88/EG bzw. der gleichlautenden Vorgängerbestimmung des Art. 6 Nr. 2 Richtlinie 93/104/EG darf für den Kläger die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten. Für die von ihm über die zulässige Höchstarbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit kann er nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Fuß vom 25. November 2010 C-429/09 (EU:C:2010:717, Rz 35, 49 ff., 62, 72, 93 ff.) einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend machen und Ersatz des durch den Verstoß gegen die unionsrechtliche Vorschrift entstandenen Schadens verlangen. Der Schadensersatz darf nach den Ausführungen des EuGH unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung gewährt werden (s. hierzu auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 26. Juli 2012 2 C 70/11, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2012, 1472).
Nach der Rechtsprechung des BVerwG wird die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sichergestellt, indem die rechtswidrig zuviel geleisteten Arbeitsstunden in vollem Umfang ausgeglichen werden. Der Bereitschaftsdienst darf dabei nicht geringer gewichtet werden als sonstige Dienstzeiten, um einen Wertungswiderspruch zu den Normzielen des europäischen Arbeitszeitrechts zu vermeiden (BVerwG-Urteil vom 29. September 2011 2 C 32/10, BVerwGE 140, 351, m.w.N.).
cc) Für einen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht fehlt es im Hinblick auf rechtswidrig zuviel geleistete Arbeit an einem zu ersetzenden Schaden. Zusätzlicher Dienst eines Beamten ist kein Schaden i.S. des allgemeinen Schadensersatzrechts. Für beamtenrechtliche Schadensersatzansprüche ist der Schadensbegriff maßgebend, der auch den §§ 249 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zugrunde liegt (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BVerwG-Urteil vom 28. Mai 2003 2 C 28/02, Deutsches Verwaltungsblatt 2003, 1552, Rz 17, m.w.N.). Danach ist mangels besonderer Vorschriften Geldersatz nur bei einem Vermögensschaden, nicht bei einem immateriellen Schaden zu leisten. Der Aufwand von Zeit und Arbeitskraft zur Leistung des zusätzlichen Dienstes und der damit verbundene Verlust von Freizeit als solche sind kein durch Geld zu ersetzender materieller Schaden (ebenso Urteile des Bundesgerichtshofs vom 29. April 1977 V ZR 236/74, BGHZ 69, 34, und vom 22. November 1988 VI ZR 126/88, BGHZ 106, 28). Der nach dem Urteil des EuGH zu leistende "Ersatz des entstandenen Schadens" ist demnach als Ausgleichszahlung für rechtswidrig zuviel geleistete Arbeit zu sehen. Die Zahlung ist Gegenleistung für die in der Vergangenheit zu viel geleisteten Dienste des Arbeitnehmers und damit ‑‑wenn die Leistungen über mehrere Jahre hinweg erbracht wurden‑‑ ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG (so auch Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14. Juni 2016 IX R 2/16, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Die Verjährung des Anspruchs steht dem Entlohnungscharakter und der Erfüllungswirkung der Zahlung nicht entgegen (s. auch § 214 Abs. 2 BGB). Dies unterliegt keinem Zweifel und ist damit nicht grundsätzlich klärungsbedürftig i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
2. Aus den gleichen Gründen ist die Revision nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen, da es sich bei dem Erfordernis einer Revisionsentscheidung zur Rechtsfortbildung um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 22. August 2011 III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.