BFH II. Senat
GrEStG § 8 Abs 1, GrEStG § 9 Abs 1 Nr 1, BGB § 278, FGO § 76 Abs 1 S 2, FGO § 76 Abs 1 S 3
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 08. December 2014, Az: 4 K 1324/12
Leitsätze
NV: Die Verpflichtung des Erwerbers, das im Zeitpunkt des Erwerbs noch unbebaute Grundstück alsbald nach den gestalterischen Vorgaben der Veräußererseite zu bebauen, reicht für sich allein nicht aus um anzunehmen, dass der Erwerber das Grundstück im bebauten Zustand erwirbt. Hinzukommen muss, dass das vom Erwerber mit der Bebauung beauftragte Bauunternehmen in diesem Zeitpunkt zur Veräußererseite gehörte.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Dezember 2014 4 K 1324/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Ehemann beabsichtigten, ein Grundstück der Stadtwerke-AG (AG) zu kaufen.
Entsprechend den Vorgaben der AG konnten die Eheleute das Grundstück zunächst nur reservieren und mussten vor Abschluss des Kaufvertrags einen Bauvorschlag erstellen lassen, der neben dem Bebauungsplan auch den Anforderungen eines Gestaltungshandbuchs entsprach. Nachdem dies geschehen war und die von der AG eingesetzte Lenkungsgruppe den Bauvorschlag genehmigt hatte, wurde der Kaufvertrag am 20. Mai 2009 geschlossen. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug insgesamt 165.000 €.
Die Eheleute verpflichteten sich im Kaufvertrag, unverzüglich nach Besitzübergang und Erteilung der Baugenehmigung bzw. Freigabe des Bauvorhabens auf dem Grundstück mit der Errichtung der Bauwerke und Nebenanlagen entsprechend den von der Lenkungsgruppe genehmigten und mit Prüfvermerk versehenen Plänen nebst Flächenberechnungen zu beginnen und diese innerhalb von 24 Monaten in einem Zuge bezugsfertig zu erstellen. Eine Verpflichtung, ein bestimmtes Unternehmen mit der Errichtung des Gebäudes zu beauftragen, enthielt der Kaufvertrag nicht.
Am 22. Juni 2009 schlossen die Eheleute mit der von ihnen ausgewählten Baufirma einen Bauerrichtungsvertrag zu einem Festpreis von 298.075 € ab. Der Vertrag war von der Baufirma bereits am 30. April 2009 ausgefertigt und unterschrieben worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) nahm an, dass das Grundstück nach den Grundsätzen über den einheitlichen Erwerbsgegenstand in bebautem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs gewesen sei, und bezog die Bauerrichtungskosten anteilig in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer mit ein. Das FA setzte demgemäß mit Bescheid vom 22. Juli 2009 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 8.103 € fest.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Entscheidungsfreiheit der Eheleute hinsichtlich der Fortführung des bereits projektierten Bauvorhabens sei beim Abschluss des Kaufvertrags aufgrund rechtlicher und faktischer Zwänge stark eingeschränkt gewesen. Der AG sei die rechtliche und tatsächliche Kontrolle hinsichtlich der baulichen Ausgestaltung verblieben. Obwohl die AG zivilrechtlich nicht zur Herstellung des Gebäudes verpflichtet gewesen sei, sei die Bebauung noch in ihrer Sphäre erfolgt. Sie habe die Herstellungsverpflichtung im Rahmen des umfangreichen Vertragsgefüges auf die Eheleute "delegiert". Unerheblich sei auch, dass die Eheleute den Architekten und das Bauunternehmen ausgewählt hätten.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Das FG habe zu Unrecht bereits eine vermeintliche Kontrolle tatsächlicher und rechtlicher Art der AG bezüglich der Herstellung des Gebäudes im Grundstückskaufvertrag genügen lassen, um die Baukosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen. Es habe verkannt, dass ausschließlich die Eheleute als Erwerber vertraglich eine Bauverpflichtung übernommen hätten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 22. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2012 dahingehend zu ändern, dass die Grunderwerbsteuer auf 2.887 € herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Das FG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu Unrecht entschieden, dass die anteiligen Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen sind. Die vom Erwerber eines Grundstücks zivilrechtlich übernommene Verpflichtung, das Grundstück zu bebauen und dabei bestimmte gestalterische Vorgaben des Grundstücksveräußerers einzuhalten, genügt nicht für die Annahme eines einheitlichen Erwerbsgegenstands "bebautes Grundstück". Die auf der Veräußererseite handelnden Personen müssen zur Veränderung des körperlichen Zustands des Grundstücks verpflichtet sein.
a) Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. März 2015 II R 9/14, BFHE 249, 323, BStBl II 2015, 660, Rz 11, m.w.N.).
aa) Auf der Veräußererseite können auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist insoweit, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die auf der Veräußererseite auftretenden Personen entweder personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind oder aufgrund von (nicht notwendigerweise vertraglichen) Abreden auf den Abschluss sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch der Verträge, die der Bebauung des Grundstücks dienen, hinwirken (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 II R 54/12, BFH/NV 2014, 1403, Rz 11, m.w.N.).
Anhaltspunkte für Abreden der Veräußererseite können z.B. ein gemeinsamer Vermarktungsprospekt oder ein gemeinsamer Internetauftritt des Grundstücksveräußerers und des Bauunternehmens bzw. der für sie handelnden Personen sein. Eine Abrede kann auch anzunehmen sein, wenn der Grundstücksveräußerer dem Erwerber Bauunternehmen benennt, die bereits Interesse an der Bebauung des zu veräußernden Grundstücks oder bei einem größeren Baugebiet der zu veräußernden Grundstücke bekundet haben und/oder den baurechtlichen Vorschriften entsprechende Haustypen für das Grundstück anbieten können. Nicht ausreichend ist insoweit der allgemeine Hinweis auf in der näheren Umgebung tätige Bauunternehmer, die noch nicht mit der möglichen Bebauung der zur Veräußerung bestimmten Grundstücke befasst waren. Eine Abrede auf der Veräußererseite muss für den Erwerber nicht erkennbar sein. Es ist ausreichend, wenn sie anhand äußerer Merkmale objektiv festgestellt werden kann (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1403, Rz 13, m.w.N.). Ob eine Abrede auf der Veräußererseite vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die Tatsachen, die die Einbeziehung der Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer rechtfertigen, trägt das Finanzamt.
bb) Ein beim Abschluss des Kaufvertrags unbebautes Grundstück kann nur dann in bebautem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs sein, wenn der Veräußerer oder ein zur Veräußererseite gehörender Dritter zivilrechtlich zur Gebäudeerrichtung verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 2002 II R 16/00, BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, unter II.1.a; vom 27. Oktober 2004 II R 12/03, BFHE 208, 51, BStBl II 2005, 220, unter II.1.a; vom 27. November 2013 II R 56/12, BFHE 243, 415, BStBl II 2014, 534, Rz 12, und in BFHE 249, 323, BStBl II 2015, 660, Rz 15, jeweils m.w.N.).
Eine im Grundstückskaufvertrag übernommene zivilrechtliche Bauverpflichtung des Erwerbers gegenüber dem Veräußerer ist für die Annahme einer Herstellungspflicht auf der Veräußererseite nicht ausreichend. Hierbei handelt es sich lediglich um eine eigennützige Leistung des Erwerbers, die keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks darstellt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, unter II.2.a, m.w.N.). Ein "Delegieren" einer dem Veräußerer obliegenden Herstellungspflicht auf den Erwerber mit der Folge, dass die Herstellung des Gebäudes der Sphäre des Veräußerers zuzurechnen ist, kann in der Übernahme einer Bauverpflichtung durch den Erwerber nicht gesehen werden. Bei einem gegenseitigen Vertrag kann sich der jeweilige Vertragspartner zur Erfüllung der ihm obliegenden Verbindlichkeiten dritter Personen bedienen. Er kann jedoch die ihm obliegenden Verbindlichkeiten nicht auf seinen Vertragspartner "delegieren", dem gegenüber er die Erfüllung der Verbindlichkeit schuldet (Rechtsgedanke des § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, vgl. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl., § 278 Rz 7). Der Erwerber ist insoweit nicht der "verlängerte Arm" der Veräußererseite. Allein die Bindung des Erwerbers an eine bestimmte bauliche Gestaltung ("Wie" der Bebauung) reicht für sich genommen ebenfalls nicht aus, wenn diese nicht gegenüber der zur Gebäudeerrichtung verpflichteten Veräußererseite besteht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 308, BStBl II 2002, 431, unter II.1.a). Auch ein Eigeninteresse der Veräußererseite daran, dass die Bebauung des erworbenen Grundstücks zeitnah und in der gestalterisch durch sie vorgegebenen Weise (etwa durch ein in den Grundstückskaufvertrag einbezogenes Gestaltungshandbuch) erfolgt, führt nicht zu einer der Veräußererseite zuzurechnenden zivilrechtlichen Herstellungspflicht.
cc) Fehlt es an einer Herstellungsverpflichtung der Veräußererseite, unterliegt eine etwaige vom Erwerber geschuldete Vergütung für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem vom Erwerber selbst herzustellenden Gebäude, die Lieferung beweglicher Gegenstände (z.B. Baumaterialien) oder die Bereitstellung von Planungsunterlagen nicht der Grunderwerbsteuer. Dies gilt auch dann, wenn die Veräußererseite das Grundstück sowie die sonstigen Dienst- und Sachleistungen einheitlich angeboten hatte.
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das FG auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin das Grundstück anteilig im bebauten Zustand erworben habe und die Bauerrichtungskosten anteilig in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen seien. Nach den Feststellungen des FG war die AG zivilrechtlich nicht zur Herstellung des Gebäudes verpflichtet. Dass die von den Eheleuten ausgewählte Baufirma beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags zur Veräußererseite gehört habe, geht aus den Feststellungen nicht hervor. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ‑‑ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass die zivilrechtliche Herstellungsverpflichtung des Veräußerers auf den Grundstückserwerber "delegiert" werden könne‑‑ keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Baufirma beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags zur Veräußererseite gehörte. Dies wird es im zweiten Rechtszug nachzuholen haben. Die Beteiligten sind dabei gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 und 3 FGO heranzuziehen. Kommt das FG zu dem Ergebnis, dass die Baufirma im maßgebenden Zeitpunkt zur Veräußererseite gehörte, ist Gegenstand des Erwerbs der Klägerin das anteilige, bebaute Grundstück; denn die Baufirma hatte den Eheleuten die Bebauung des Grundstücks bereits vor Abschluss des Kaufvertrags durch Unterzeichnung des Bauerrichtungsvertrags zu einem feststehenden Preis angeboten. Dementsprechend sind die anteiligen Bauerrichtungskosten Teil der Gegenleistung, die der Bemessung der Grunderwerbsteuer zugrunde zu legen ist. Die Klage ist dann abzuweisen. Andernfalls ist der Klage stattzugeben. Die dem FA obliegende Feststellungslast (objektive Beweislast) ist zu beachten.
3. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.