BFH VII. Senat
KN Pos 9021, KN Pos 6307, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1
vorgehend FG Hamburg, 12. November 2014, Az: 4 K 97/14
Leitsätze
1. NV: Die Voraussetzungen für die Einreihung einer Kniegelenkbandage in die Pos. 9021 ist durch den EuGH geklärt (vgl. Urteil vom 7. November 2002 C-260/00 bis C-263/00; EU:C:2002:637). Die Entscheidung des EuGH ist für die nationalen Gerichte bindend. Einer erneuten Klärung dieser Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren bedarf es nicht.
2. NV: Eine Divergenz zu anderen FG-Entscheidungen liegt nicht vor, wenn die Entscheidung u.a. auf unterschiedlichen Beschaffenheitsmerkmalen der Waren geschuldeten abweichenden Beweiswürdigungen beruhen.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 13. November 2014 4 K 97/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte insgesamt 3 520 Kartons einer Ware aus China ein, die sie mit zwei Einzelzollanmeldungen vom 28. Juni 2010 als "Vorrichtungen zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen, anderweit weder genannt noch inbegriffen; hier: Kniegelenkbandagen" der Unterpos. 9021 90 90 00 1 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den freien Verkehr anmeldete. Für die Einfuhren wurde zunächst nicht abschließend lediglich Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt. Aufgrund eines Einreihungsgutachtens des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung reihte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) die Waren in die Unterpos. 6307 90 10 00 0 KN ein und setzte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 13. September 2011 die Einfuhrabgaben abschließend fest, wobei zusätzlich Zoll in Höhe von 16.344,41 € nacherhoben wurde.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware sprächen für die vom HZA angenommene Einreihung. Welche Anforderungen an Kniebandagen des Kap. 90 bzw. der Pos. 9021 KN zu stellen seien, ergebe sich zum einen aus der ausweisenden Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 90 KN und zum anderen aus der Erläuterung zum Harmonisierten System (ErlHS) zur Pos. 9021 Rz 1. Nach der Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 90 KN gehörten in dieses Kapitel nicht Stützgürtel oder andere Stützvorrichtungen aus Spinnstoffen, deren Wirkung auf den Körperteil, der gestützt oder gehalten werden solle, sich ausschließlich aus ihrer Elastizität herleite. Ausdrücklich erwähnt seien in dieser Anmerkung Gelenkbandagen. Die ErlHS zur Pos. 9021 Rz 1 verweise auf die Anm. 6 zu Kap. 90 KN, wonach zur Pos. 9021 KN Apparate und Vorrichtungen zum Verhüten oder Korrigieren körperlicher Fehlbildungen oder zum Stützen oder Halten von Körperteilen oder Organen nach einer Krankheit, Operation oder Verletzung gehörten. Weiter listeten die ErlHS zur Pos. 9021 zahlreiche Beispiele für orthopädische Apparate und Vorrichtungen auf. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe diese Kriterien in seiner Rechtsprechung ausgelegt und präzisiert (vgl. EuGH-Urteil Lohmann und Medi Bayreuth vom 7. November 2002 C-260/00 bis C-263/00, EU:C:2002:637).
Ausgehend von diesen Grundsätzen komme eine Einreihung in die Pos. 9021 KN nicht in Betracht. Insbesondere könne die Bandage nicht mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsehe, an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden, um sie von gewöhnlichen Waren zu unterscheiden. Die beiden überwiegend nicht elastischen Klettverschlussbänder und die drei elastischen Klettverschlussbänder dienten der Fixierung und Stabilisierung der Bandage. Daneben hätten die Klettverschlüsse nicht nur Bedeutung für die Anpassung des Kompressionsgrades, sondern auch für den Komfort, und ermöglichten den Einsatz unabhängig von der Beindicke. In den Klettverschlüssen könne jedoch kein besonderer Mechanismus gesehen werden, der eine Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden eines Patienten ermögliche (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. August 2010 VII B 71/10, BFH/NV 2011, 321). Es sehe sich in seiner Auffassung auch durch die Verordnung (EG) Nr. 834/95 der Kommission vom 12. April 1995 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 84/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1966/2003 der Kommission vom 7. November 2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 834/95 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 290/35) und die nationalen Entscheidungen und Hinweise zu den Pos. 6307 bzw. 9021 KN bestätigt. Den Urteilen des Hessischen FG vom 18. September 2003 7 K 4003/02 (nicht veröffentlicht ‑‑n.v.‑‑) und des Niedersächsischen FG vom 10. September 2009 16 K 180/07 (n.v.) habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Sofern das FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 9. Februar 2009 6 K 1699/07 Z (n.v.) eine Sprunggelenkbandage in die Pos. 9021 KN eingereiht habe, sei dem nicht zu folgen, weil Klettverschlüsse nicht als besonderer Mechanismus im hier maßgeblichen Sinne angesehen werden könnten.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob das Einordnungskriterium "besonderer Mechanismus" nur auf solche Mechanismen beschränkt sei, die ausschließlich der Anpassung einer Bandage an die Funktionsschäden des Patienten dienten. Insofern sei das FG von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen. Darüber hinaus habe das FG seiner Entscheidung eine vom Urteil des Niedersächsischen FG vom 10. September 2009 16 K 180/07 (n.v.) und des FG Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 2009 6 K 1699/07 Z (n.v.) abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung des FG habe das Niedersächsische FG den vom EuGH geforderten besonderen Mechanismus bejaht, obwohl sowohl das Material als auch die Zuggurte zusätzliche Aufgaben, nämlich die Fixierung der Bandage am jeweiligen Körperteil, gehabt hätten. Entsprechendes gelte auch für die Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Weder ist die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch liegt eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO vor.
1. Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.; vom 16. Juli 1999 IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom 8. Juli 2014 VII B 129/13, BFH/NV 2014, 1776). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 2014 X B 142/13, BFH/NV 2014, 899, und in BFH/NV 2014, 1776). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 1776).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt. In seinem Urteil Lohmann und Medi Bayreuth (EU:C:2002:637) hat der EuGH ausgeführt, dass zur Pos. 9021 KN Waren wie Handgelenkbandagen, Rückenstützgurte, Ellbogenspangen und Kniebandagen gehören, wenn diese Waren Kennzeichen aufweisen, die sie von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Gürteln und Bandagen unterscheiden, insbesondere aufgrund der verwendeten Materialien, ihrer Funktionsweise oder ihrer Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden der Patienten, wobei die Anpassung im Stadium der Herstellung der Ware oder auch, bei vorgefertigten Waren, später, insbesondere bei ihrem Einsatz mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsieht, durch einen Arzt oder den Patienten selbst erfolgen kann. Entscheidend ist demnach, dass die zu tarifierenden Bandagen besondere Merkmale aufweisen, die sie mit hinreichender Prägnanz von herkömmlichen Bandagen unterscheiden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 321).
Dagegen lässt sich der Entscheidung des EuGH nicht entnehmen, dass ein "besonderer Mechanismus" nur dann vorliegt, wenn er ausschließlich der Anpassung einer Bandage an die Funktionsschäden des Patienten dient und nicht zugleich auch andere Funktionen erfüllt. Dies ergibt sich daraus, dass die Anpassung an Funktionsschäden auch (erst) beim Einsatz der Ware mit Hilfe besonderer Mechanismen erfolgen kann (Rz 41). Infolgedessen ist nicht ausgeschlossen, dass der besondere Mechanismus auch anderen Zwecken wie z.B. der Befestigung am Körper dient. Die Entscheidung des EuGH ist für die nationalen Gerichte bindend, weshalb es einer erneuten Klärung dieser Rechtsfragen in einem Revisionsverfahren nicht bedarf.
2. Die ordnungsgemäße Erhebung einer Divergenzrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitet und gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 2002 II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482, und vom 11. September 2003 X B 103/02, BFH/NV 2004, 180).
a) Entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde hat das FG in seinem Urteil keinen von der EuGH-Entscheidung Lohmann und Medi Bayreuth (EU:C:2002:637) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr hat es die vom EuGH entwickelten Einreihungskriterien auf den Seiten 10 und 11 seiner Entscheidung zusammengefasst und sich damit die Rechtsansicht des EuGH zu eigen gemacht. In diesem Zusammenhang hat das FG nicht festgestellt, dass ein besonderer Mechanismus, der eine Anpassung des Produkts an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten ermöglicht, nur dann vorliegt, wenn mit diesem Mechanismus nicht auch andere Zwecke erfüllt werden.
Vielmehr hat das FG ausgehend von den Grundsätzen der genannten EuGH-Entscheidung die festgestellten Merkmale der Kniegelenkbandage beurteilt und ist zu der tatrichterlichen Überzeugung gelangt, dass ein besonderer Mechanismus im oben genannten Sinne nicht vorliege, weil die Klettverschlüsse überwiegend anderen Zwecken als der Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten dienten, nämlich der Fixierung und Stabilisierung der Bandage. Darüber hinaus ermöglichten die Klettverschlüsse, den Druck, den die Bandage auf das Gelenk ausübe, zu justieren. Ferner machten diese die Bandage für Beine unterschiedlicher Dicke geeignet und erleichterten das Anlegen. Diese Eigenschaften hat das FG gewürdigt und im Ergebnis nicht als ausreichend angesehen, um das Vorliegen eines besonderen Mechanismus im Sinne der oben genannten EuGH-Rechtsprechung zu bejahen.
An diese tatsächlichen Feststellungen des FG wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Sofern die Beschwerde dahin verstanden werden könnte, dass sie sich gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richtet, könnte eine derartige Einwendung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall ‑‑so sie denn vorliegen‑‑ rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (vgl. BFH-Beschluss vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102), und zwar auch dann nicht, wenn sich die vom FG vermeintlich falsch beantwortete Rechtsfrage in einer größeren Anzahl vergleichbarer Fälle ebenfalls stellen kann. Denn Rechtsanwendung ist Subsumtion des Sachverhalts unter die Rechtsnorm, die dem Tatrichter übertragene Würdigung der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. BFH-Beschluss vom 13. Mai 2013 VII B 146/12, BFH/NV 2013, 1429).
Eine Ausnahme hiervon kommt nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist. Das ist im Streitfall nicht erkennbar und wird von der Klägerin nicht behauptet. Eine darüber hinausgehende Ausweitung der Zulassungsgründe ist der BFH-Rechtsprechung nicht zu entnehmen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 2011 X B 85/11, BFH/NV 2012, 749; in BFH/NV 2013, 1429).
b) Das FG ist in seinem Urteil auch nicht von Entscheidungen anderer FG abgewichen.
Das Niedersächsische FG hat in seinem Urteil vom 10. September 2009 16 K 180/07 (n.v.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 11. Februar 2010 VII B 234/09, BFH/NV 2010, 1139) einen besonderen Mechanismus, der eine Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten ermöglicht, nicht, wovon die Klägerin auszugehen scheint, allein in dem komprimierenden Material bzw. in dessen Elastizität gesehen. Vielmehr hat es festgestellt, dass sich die Wirkung der dort zu beurteilenden Kniegelenkbandage nicht ausschließlich aus ihrer Elastizität herleite, sondern die Kompression durch eine kniescheibenumgreifende Silikonpelotte verstärkt werde. Soweit das Niedersächsische FG in der genannten Entscheidung eine Einreihung in die Pos. 9021 KN bejaht, handelt es sich dabei um eine ‑‑nicht zuletzt den unterschiedlichen Beschaffenheitsmerkmalen der Waren geschuldete‑‑ abweichende Beweiswürdigung, die nicht zur behaupteten Divergenz führt.
Aus demselben Grund liegt auch keine Divergenz zum Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 2009 6 K 1699/07 Z vor, in dem die unelastischen Teile einer Sprunggelenkbandage und nicht ausschließlich die Elastizität der Ware als für deren Stützwirkung maßgeblich angesehen worden sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.