BFH III. Senat
EStG § 64 Abs 3, EStG VZ 2012
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 12. January 2015, Az: 8 K 6396/12
Leitsätze
NV: Lebt das Kind nicht im Haushalt eines Kindergeldberechtigten, steht das Kindergeld demjenigen zu, der den laufenden Barunterhalt leistet. Nachträglich erbrachte Unterhaltsleistungen wirken sich auf die Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 3 EStG nicht aus. Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es grundsätzlich nicht an .
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2015 8 K 6396/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Mai 2012 bis November 2012.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater des am …. April 1994 geborenen Sohnes B, der seit Mai 2008 in einer Jugendeinrichtung untergebracht ist. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) gewährte seit 1998 B's Mutter Kindergeld, das zumindest seit Juni 2008 an das Bezirksamt C unter Berufung auf § 94 Abs. 3 des Achten Sozialgesetzbuchs ausgezahlt wurde.
Mit Bescheid vom 5. September 2011 erhielt der Kläger auf seinen Kindergeldantrag vom Juni 2010, in dem er angegeben hatte, einen monatlichen Kostenbeitrag für B in Höhe von 525 € zu zahlen, Kindergeld für B ab Juni 2008.
Nachdem das Bezirksamt der Familienkasse mitgeteilt hatte, dass die Mutter einen Kostenbeitrag in Höhe von 250 € und der Kläger seit August 2010 keine Kostenbeiträge mehr geleistet habe, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 25. April 2012 die Kindergeldfestsetzung ab August 2010 auf.
Hiergegen erhob der Kläger am 8. Mai 2012 Sprungklage, die das Finanzgericht (FG) zur weiteren Entscheidung an die Familienkasse zurückgab.
Die Familienkasse erließ aufgrund erneuter Prüfung am 12. November 2012 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a der Abgabenordnung geänderten Verwaltungsakt; mit diesem hob sie die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger erst ab Mai 2012 nach § 70 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und wies im Übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Mutter vorrangig kindergeldberechtigt gewesen sei, da sie in Höhe von 250 € einen Kostenbeitrag, der Kläger hingegen keinen Kostenbeitrag und keine Unterhaltszahlungen geleistet habe.
Mit seiner dagegen gerichteten Klage trug der Kläger vor, bei den Leistungen der Mutter müsse das Kindergeld abgezogen werden, so dass er ‑‑wie aus dem Bescheid des Bezirksamtes C vom 14. November 2012 hervorgehe‑‑ ab Mai 2012 den höheren Kostenbeitrag in Höhe von 185 € zu zahlen habe. Dieser Betrag sei in einer Einmalzahlung am 27. Mai 2013 entrichtet worden. Es dürfe in einem Rechtsstaat nicht nachteilig sein, dass er gegen den Kostenbeitragsbescheid zunächst Rechtsmittel eingelegt habe. Die öffentlich-rechtliche Kostenbeteiligung sei zudem nicht mit nachträglichem Unterhalt zu vergleichen. Aufgrund B's vollstationärer Unterbringung entfalle vielmehr die Unterhaltsverpflichtung. Zufällige zeitliche Verzögerungen im Verwaltungsverfahren über die Festsetzung des richtigen Kostenbeitrages dürften keinen Einfluss auf die Festsetzung des Kindergeldes haben. Darüber hinaus hätte die Familienkasse berücksichtigen müssen, dass er ‑‑der Kläger‑‑ aufgrund einer erhöhten Zahlung von Kostenbeiträgen bis August 2010 im Ergebnis für die folgenden Monate Vorauszahlungen geleistet habe.
Die Klage blieb erfolglos. Zur Begründung führte das FG aus, der Kläger habe für den Streitzeitraum (Mai 2012 bis November 2012) keine laufenden Geldzahlungen erbracht. Zwar sei der Kostenbeitrag als Äquivalent zur Unterhaltsrente anzusehen. Nachträglich nicht zeitnah erbrachte Leistungen seien aber nicht zu berücksichtigen.
Dagegen macht der Kläger im Revisionsverfahren geltend, dass sein Widerspruch gegen den vom Jugendamt nachweislich falsch berechneten Kostenbeitrag und die daraufhin gewährte Aussetzung der Vollziehung nicht zu einem Verlust des Kindergeldanspruchs führen dürften. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 6. Dezember 2006 XII ZR 197/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2007, 377) sei ein Rückgriff des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr mittels übergegangenen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs, sondern nur noch durch Erhebung eines öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrags möglich. Der für den Streitzeitraum geltende Kostenbeitragsbescheid sei erst am 14. November 2012 ergangen. Gegen diesen fehlerhaften Kostenbescheid habe er am 4. Dezember 2012 Widerspruch eingelegt. Das Verfahren sei im Mai 2013 beendet worden und habe zu einer Nachzahlung von 1.295 € geführt, also erheblich weniger als die im Juni 2012 erhaltene Rückerstattung, die als Vorauszahlung hätte angesehen werden können. Jedenfalls könne das Verhalten des Jugendamtes nicht dazu führen, dass er seinen Kindergeldanspruch verliere, nur weil er den Kostenbeitrag erst nach Erteilung eines rechtskräftigen Bescheids geleistet habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und ihm Kindergeld für seinen Sohn für den Zeitraum Mai 2012 bis November 2012 zu bewilligen.Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger leistete im Streitzeitraum für seinen nicht im Haushalt eines Kindergeldberechtigten aufgenommenen Sohn B keine Unterhaltsrente i.S. von § 64 Abs. 3 EStG. Dagegen leistete B’s Mutter als weitere Kindergeldberechtigte laufend Unterhalt.
1. Nach § 64 Abs. 1 EStG wird das Kindergeld nur an einen Kindergeldberechtigten gezahlt. Leben die Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, so können sie nach § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG untereinander den Berechtigten bestimmen. Lebt das Kind nicht im Haushalt beider Eltern oder eines Elternteils, sondern in einem eigenen Haushalt, so ist gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG kindergeldberechtigt, wer dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt. Zahlt keiner der beiden Elternteile eine Unterhaltsrente, so können sie gemeinsam einen Berechtigten bestimmen; kommt keine Einigung zustande, so bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten (§ 64 Abs. 3 Sätze 3 und 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 EStG).
a) Der Begriff der Unterhaltsrente i.S. von § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG orientiert sich am Begriff der Geldrente i.S. von § 1612 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Hiernach ist Unterhalt durch Entrichtung einer monatlich im Voraus zu zahlenden Geldrente zu gewähren. Unterhaltsrente ist der laufende Barunterhalt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934, sowie BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2004 VIII B 253/04, BFH/NV 2005, 346). Nachträglich erbrachte Unterhaltsleistungen wirken sich auf die Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 3 EStG nicht aus (Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2005 III B 107/05, BFH/NV 2006, 549; ebenso Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 64 EStG Rz 16; Felix in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 64 Rz D 3; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 64 Rz 151; zweifelnd Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 35. Aufl., § 64 Rz 8). Es ist grundsätzlich zu fordern, dass der Unterhalt sowohl für als auch in dem Zeitraum geleistet wird, für den das Kindergeld begehrt wird (Senatsurteil vom 5. November 2015 III R 57/13, BFHE 252, 108, Rz 12).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger im Streitzeitraum Mai 2012 bis November 2012 keinen laufenden Unterhalt gezahlt.
Die von ihm nachträglich im Mai 2013 geleisteten Zahlungen betrafen zwar seine Verpflichtung, für den Streitzeitraum einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 185 € zu zahlen, sie stellen aber aufgrund der erheblich verspäteten Zahlung keinen laufenden Unterhalt in dem Zeitraum dar, für den der Kläger das Kindergeld begehrt.
aa) Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es vorliegend nicht darauf an, ob er ohne eigenes Verschulden einen Kostenbeitrag für den Streitzeitraum zunächst nicht geleistet hat, weil der Kostenbeitragsbescheid für die Zeit ab Mai 2012 erst im November 2012 erlassen wurde. Denn auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es nicht an (Senatsurteile vom 15. Juli 2010 III R 89/09, BFHE 231, 52, BStBl II 2013, 695, Rz 16; vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753; vom 9. Februar 2009 III R 37/07, BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928; vom 17. Dezember 2008 III R 6/07, BFHE 224, 228, BStBl II 2009, 926). Selbst wenn der Kläger vor Erlass eines (rechtskräftigen) Kostenbescheids nicht verpflichtet sein sollte, einen Kostenbeitrag an das Bezirksamt zu zahlen, würde dies nichts daran ändern, dass er als Unterhaltsverpflichteter im Streitzeitraum tatsächlich keinen laufenden Unterhalt gezahlt hat.
bb) Soweit der Kläger geltend macht, er habe im Juni 2012 eine Rückerstattung zu Unrecht geleisteter Kostenbeiträge erhalten, so dass diese als Vorauszahlungen für den Streitzeitraum zu werten seien, fehlt es auch insoweit an einer laufenden Unterhaltsrente für den Streitzeitraum. Denn zum einen hat der Kläger den (nachträglich festgestellten) zu hohen Kostenbeitrag nicht für die Zeit ab Mai 2012 und auch nicht im Streitzeitraum geleistet, zum anderen ist ihm der Betrag vollständig zurückerstattet worden.
c) Die Kindsmutter hat hingegen nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im und für den Streitzeitraum einen Kostenbeitrag und damit eine Unterhaltsrente i.S. von § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG für die vollstationäre Unterbringung des Kindes an das Bezirksamt geleistet, so dass es keiner Berechtigtenbestimmung gemäß § 64 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG bedurfte. Nichts anderes gilt, wenn man bei dem als Unterhaltsrente zu beurteilenden Kostenbeitrag der Mutter in Höhe von 250 € die Kindergeldzahlung (184 €) außer Betracht lassen würde (vgl. Senatsurteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184). Denn dann verbliebe noch immer eine von der Mutter gezahlte Unterhaltsrente von monatlich 66 €.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.