BFH VI. Senat
EStG § 33, EStDV § 64 Abs 1 Nr 1, EStDV § 64 Abs 1 Nr 2 Buchst b, EStG VZ 2010
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 30. September 2013, Az: 1 K 2747/12
Leitsätze
NV: Aufwendungen für Lerntherapie und Erziehungsberatung eines hochbegabten Kindes sind nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn das Kind im Zeitpunkt der betreffenden Therapiemaßnahme nicht erkrankt ist. Eine Hochbegabung als solche stellt keine Erkrankung dar.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Oktober 2013 1 K 2747/12 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2010) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Kläger stellten ihren am …. Juli 2000 geborenen Sohn L im Mai 2008 der Diplom-Psychologin N vor. N führte mit L zwei Intelligenztests durch, um Aufschluss über das Niveau und das Profil seines intellektuellen Leistungspotenzials zu erhalten. Die Kläger wollten hierdurch ausweislich der psychologischen Stellungnahme der N insbesondere eine Antwort auf die Frage erhalten, warum L in der Schule unkonzentriert sei und den Unterricht störe. N gelangte in ihrer psychologischen Stellungnahme vom …. Mai 2008 zu dem Ergebnis, dass bei L eine so genannte intellektuelle Hochbegabung (IQ >= 131) vorliege. Die Auffälligkeiten des L im schulischen Kontext durch "Stören" und "unkonzentriertes" Verhalten seien mit hoher Wahrscheinlichkeit als ein Teilaspekt der intellektuellen Hochbegabung anzusehen. L solle deshalb mit differenzierter, individueller Förderung innerhalb des Unterrichts bedacht werden, um weiteren negativen Entwicklungen auch hinsichtlich der Leistungsmotivation entgegenzuwirken. Das intellektuelle Potenzial von L solle in Zukunft durch anregende schulische und außerschulische Angebote stark unterstützt werden.
Die Heilpraktikerin T stellte in ihrem Bericht vom …. Mai 2008 über einen Unterrichtsbesuch in der Grundschulklasse des L fest, dass sich L durch "innere Emigration" verweigere. Die Verhaltensweisen, die er an den Tag lege, könnten auf eine Unterforderung hindeuten. Eine Konzentrationsstörung liege eindeutig nicht vor. L müsse stärker integriert und häufiger angesprochen werden. Er müsse positiv unterstützt werden und brauche mehr "positive Verstärkung". Da L außerhalb des schulischen Bereichs andere Verhaltensweisen zeige, müsse die Problemlösung in der Schule vollzogen werden.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger Fahrtkosten, Übernachtungskosten und Therapieaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen geltend, die ihnen durch drei Aufenthalte in X (Schweiz) zur Behandlung von L durch die Diplom-Psychologin Z entstanden seien.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erkannte die Aufwendungen bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr jedoch nicht als außergewöhnliche Belastungen an.
Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1881 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 1. Oktober 2013 1 K 2747/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten ‑‑ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung‑‑ dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Aufwendungen für Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427; vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; aus neuerer Zeit z.B. Senatsurteil vom 18. Juni 2015 VI R 68/14, BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803).
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227). Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind (Senatsurteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577).
Vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen, und solche, die auf einer medizinisch nicht indizierten Behandlung beruhen, zählen hingegen nicht zu den Krankheitskosten. Es handelt sich insoweit vielmehr um Aufwand, der nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entsteht, sondern auf einer freien Willensentschließung beruht und deshalb gemäß § 12 Nr. 1 EStG den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen ist (Senatsurteil vom 2. September 2010 VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119).
Der Steuerpflichtige hat die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch ‑‑SGB V‑‑) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (StVereinfG 2011) durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen. Für psychotherapeutische Behandlungen ist nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu erbringen.
Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitfall Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen ‑‑wie vorliegend‑‑ die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden. Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577).
b) Nach diesen Maßstäben kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben.
Das FG hat für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, dass bei L eine sog. Hochbegabung vorlag. Bei Vorliegen einer Hochbegabung können Aufwendungen für die Inanspruchnahme von Leistungen, die medizinisch indiziert sind, unmittelbare Krankheitskosten darstellen und deshalb nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sein (Senatsurteil vom 12. Mai 2011 VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783). Im Streitfall haben die Kläger die medizinische Indikation der von Z nach ihrem Vortrag erbrachten Therapieleistungen jedoch nicht nachgewiesen.
aa) Ärztliche Behandlungsleistungen hat Z gegenüber L nicht erbracht, da es sich bei Z nicht um eine Ärztin handelte.
Aus den Feststellungen des FG ergibt sich auch sonst keine medizinische Indikation der von Z nach dem Vortrag der Kläger erbrachten Leistungen. Nach dem von der Vorinstanz festgestellten Vorbringen der Kläger im Einspruchsverfahren betrafen die geltend gemachten Aufwendungen eine von Z durchgeführte Lerntherapie und Erziehungsberatung. Einzelheiten zu den von Z erbrachten Leistungen haben die Kläger jedoch nicht vorgetragen. Das FG hat auch sonst keine näheren Feststellungen dazu getroffen, was Gegenstand der von Z im Einzelnen erbrachten Therapieleistungen war.
Der Senat kann dennoch in der Sache selbst entscheiden. Das FG hat schon nicht festgestellt, dass bei L zum Zeitpunkt der von Z nach dem Vortrag der Kläger durchgeführten Therapiemaßnahmen im Streitjahr überhaupt eine Krankheit vorlag. Die Hochbegabung von L als solche stellt noch keine Krankheit dar. Das FG war selbst nicht der Auffassung, dass L im Zeitpunkt der betreffenden Therapiemaßnahmen bereits erkrankt war. Dies ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG auch nachvollziehbar und verstößt nicht gegen Denkgesetze. Denn weder aus dem Gutachten der Diplom-Psychologin N vom …. Mai 2008 noch aus dem Bericht der Heilpraktikerin T vom …. Mai 2008 ergab sich, dass L an einer Erkrankung litt. Das Vorliegen einer Konzentrationsstörung bei L schloss die T in ihrem Bericht sogar ausdrücklich aus. Die bei L beobachtete Verweigerungshaltung weist nach Ansicht der T vielmehr auf eine chronische Unterforderung hin, was noch getestet werden müsse. Eine schulische Unterforderung ist indes ebenfalls keine Erkrankung. Unterlagen aus dem Streitjahr, die den Eintritt einer Erkrankung des L bis zum …. Juli 2010, dem Tag der letzten von Z nach dem Vortrag der Kläger durchgeführten Therapiemaßnahme belegen, haben die Kläger ebenfalls nicht vorgelegt.
Das FG ging dementsprechend auch davon aus, dass die von Z durchgeführte Therapie der "Verhinderung einer Krankheit" des L gedient habe bzw. notwendig gewesen sei, "um die Gefahr einer seelischen Behinderung zu vermeiden". Hiernach handelte es sich bei den von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen nicht um echte Krankheitskosten, sondern allenfalls um gesundheitsfördernde Vorbeugeaufwendungen, die den gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen sind.
bb) Unterstellt man zugunsten der Kläger demgegenüber, dass die Aufwendungen für die Lerntherapie und die Erziehungsberatung echte Krankheitskosten darstellten, fehlt es jedenfalls am Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob es sich bei den Maßnahmen der Z um Heilmittel i.S. von § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV oder um eine psychotherapeutische Behandlung i.S. von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b EStDV handelte. Im ersten Fall fehlt es an der Verordnung eines Arztes oder eines Heilpraktikers, im zweiten Fall an einem amtsärztlichen Gutachten oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz können das Gutachten der Diplom-Psychologin N, die keine Ärztin ist, und der Bericht der Heilpraktikerin T weder die Verordnung eines Arztes oder eines Heilpraktikers noch ein amtsärztliches Gutachten oder die ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ersetzen.
Soweit das FG ausgeführt hat, die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV seien erfüllt, da die Heilpraktikerin T "eine Therapie für angezeigt" gehalten habe, ist dies rechtsfehlerhaft. Denn T hat in ihrem Bericht vom …. Mai 2008 keine Therapie verordnet, wie sich aus dem Inhalt des vom FG festgestellten Berichts eindeutig ergibt.
2. Da das angefochtene Urteil bereits aufgrund der vom FA erhobenen Sachrüge aufzuheben und die Klage abzuweisen ist, kann der Senat dahinstehen lassen, ob dem FG der vom FA gerügte Verfahrensfehler unterlaufen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.