BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 17, FGO § 118 Abs 2, EStG VZ 2009
vorgehend FG Köln, 27. May 2013, Az: 15 K 259/12
Leitsätze
Erwerbsaufwand ist den Einkünften zuzurechnen, zu denen der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht. Die Übernahme einer Bürgschaft durch den Arbeitnehmer zu Gunsten seines in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft tätigen Arbeitgebers kann durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein. Ist der Arbeitnehmer mittelbar an der Gesellschaft beteiligt, kann die Übernahme der Bürgschaft auch im Gesellschaftsverhältnis zur Obergesellschaft gründen .
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 28. Mai 2013 15 K 259/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob Zahlungen aus der Inanspruchnahme aus Bürgschaften als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2010 am Stammkapital der C u. D GMBH (E), die im Bereich Automotiv tätig war, mit 50 % (25.000 €) beteiligt und als ihr Geschäftsführer tätig. Weiterer Geschäftsführer war Herr C. Der Kläger war für Betriebsleitung und Controlling zuständig. Mit weiterem Gesellschaftsvertrag vom 14. Februar 2006 beteiligte sich der Kläger am Stammkapital der neu gegründeten F GmbH mit 20 % (11.900 €) sowie an der gleichzeitig gegründeten F KG aA, an der die F GmbH voll haftender Gesellschafter war, mit zuletzt 5,71 % (240.000 €) unmittelbar am Grundkapital.
Am 14. Juni 2007 übernahm die F KG aA die G AG, die alleinige Gesellschafterin der A u. B GmbH (A & B) war. Herr H wurde Geschäftsführer der A & B und der Kläger übernahm die Vertriebsleitung innerhalb der A & B. Dabei stellte E der A & B die Arbeitsleistung des Klägers zur Verfügung; Grundlage war der am 2. April 2008 vereinbarte und bis zum 31. Dezember 2008 befristete "Dienstleistungsvertrag Interimsmanagement".
Am 5. Juni 2008 schlossen A & B und der Kläger einen Geschäftsführeranstellungsvertrag, mit dem der Kläger ab 1. Januar 2009 zum "Geschäftsführer-Vertrieb" berufen wurde. Der Kläger erhielt seitdem von der A & B ein Geschäftsführergehalt von monatlich 15.000 €.
Der A & B wurden nach Ausarbeitung eines Sanierungskonzepts zur notwendigen Kapitalausstattung seitens der Hausbanken Darlehen gewährt, nämlich ein Betriebsmitteldarlehen von 4 Mio. € und ein Kontokorrentkredit von 1 Mio. €, u.a. gesichert durch eine Landesbürgschaft. Voraussetzung der Landesbürgschaft war allerdings, dass sich auch die in der operativen Führungsebene tätigen Geschäftsführer, u.a. der Kläger, vorrangig gegenüber der Landesbürgschaft verbürgten. Dementsprechend verbürgte sich der Kläger am 25. September 2008 mit einem Betrag von 120.000 € und am 24. Oktober 2008 mit einem weiteren Betrag von 43.400 €.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2009 wurde das Insolvenzverfahren über die A & B eröffnet und der Insolvenzantrag auch für die F KG aA gestellt. Der Kläger leistete daraufhin nach Inanspruchnahme durch die Banken auf die Bürgschaft Zahlungen in Höhe von 120.000 € am 3. November 2009, 20.000 € am 27. Dezember 2010 und 23.400 € am 30. März 2011.
Der Kläger und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsbeklagte, machten in ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 2009 die Zahlungen in Höhe von 163.400 € bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb i.S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ließ im streitigen Einkommensteuerbescheid die Verluste aus der Bürgschaftsinanspruchnahme unberücksichtigt und wies den dagegen erhobenen Einspruch zurück, weil eine Verlustberücksichtigung bei der hier nur gegebenen mittelbaren Beteiligung ausscheide.
Mit der dagegen erhobenen Klage machten die Kläger geltend, dass die auf die Bürgschaften geleisteten Zahlungen von insgesamt 163.400 € als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen seien. Denn der Kläger habe sein erhebliches Geschäftsführergehalt nur deshalb sichern können, weil er entsprechende Bürgschaften für A & B abgegeben habe; nur dadurch habe er diesen Arbeitsplatz mit der versprochenen Gehaltszusage bekommen und halten können. Dementsprechend beantragten die Kläger, die im Streitjahr auf die Bürgschaft geleisteten 120.000 € bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 256 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG Köln vom 28. Mai 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung liegen solche Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Das ist der Fall, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall mit Urteil vom 16. November 2011 VI R 97/10 (BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343) entschieden hat, auch für nachträgliche Werbungskosten. Diese können entstehen, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses Aufwendungen im Zusammenhang mit demselben erbringen muss. Dann muss schon in dem Zeitpunkt, in dem der Grund für die Aufwendungen gelegt wurde, der dargestellte berufliche Zusammenhang bestehen.
a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Werbungskosten bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Stehen die Aufwendungen zu mehreren Einkunftsarten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, entscheidet nach ständiger Rechtsprechung der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang. Danach sind Aufwendungen der Einkunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt. Das entspricht den Rechtsgrundsätzen, die auch für die Frage heranzuziehen sind, ob eine Zuwendung des Arbeitgebers auf dem Arbeitsverhältnis oder auf anderen Rechtsbeziehungen gründet (ständige Rechtsprechung, Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 7. Dezember 2005 I R 34/05, BFH/NV 2006, 1068; vom 5. April 2006 IX R 111/00, BFHE 213, 341, BStBl II 2006, 654; Senatsbeschluss vom 28. Juni 2007 VI B 23/07, BFH/NV 2007, 1870; Senatsurteil vom 25. November 2010 VI R 34/08, BFHE 232, 86, BStBl II 2012, 24; zuletzt Senatsurteile vom 10. April 2014 VI R 57/13, BFHE 245, 330, BStBl II 2014, 850; in BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343; Schneider, Der Betrieb 2006, Beilage Nr. 6, S. 51 ff.; jeweils m.w.N.).
b) Diese Rechtsgrundsätze hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Frage, ob Bürgschaftsverluste durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind, konkretisiert. Ist der Arbeitnehmer zugleich als Gesellschafter an seiner in Form einer Kapitalgesellschaft betriebenen Arbeitgeberin beteiligt, spricht umso mehr für eine innere wirtschaftliche Verbindung zu den Einkünften aus Kapitalvermögen und damit für nachträgliche Anschaffungskosten der GmbH-Beteiligung, je höher die Beteiligung des Gesellschafter-Geschäftsführers ist (Senatsurteile vom 17. Juli 1992 VI R 125/88, BFHE 169, 148, BStBl II 1993, 111; in BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343; jeweils m.w.N.). Denn ein fremder, nicht mit dem Arbeitgeber durch eine Kapitalbeteiligung verbundener Arbeitnehmer wird nur in Ausnahmefällen bereit sein, zu Gunsten seines offenbar gefährdeten Arbeitsplatzes das Risiko einer Bürgschaft zu übernehmen. Umgekehrt bedeutet dies zugleich, dass bei einem an der Gesellschaft in nur sehr geringem Umfang beteiligten Arbeitnehmer, der eine Bürgschaft für seinen Arbeitgeber übernimmt, dies als Indiz dafür gilt, dass diese Bürgschaftsübernahme durch das Arbeitsverhältnis veranlasst ist. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer an der Gesellschaft überhaupt nicht beteiligt ist und durch die Bürgschaftsübernahme ‑‑anders als etwa bei einem dem Arbeitgeber gewährten verzinslichen Darlehen‑‑ keine weiteren Einkünfte erzielt und dementsprechend damit ausschließlich seine Lohneinkünfte zu sichern und zu erhalten sucht.
Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitgeber noch nicht gesellschaftsrechtlich beteiligt ist, aber eine solche Beteiligung anstrebt (dazu Senatsurteil vom 8. Juli 2015 VI R 77/14, BFHE 250, 518), oder wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitgeber zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar gesellschaftsrechtlich beteiligt ist. Denn so, wie ein Erwerbsaufwand durch eine zunächst nur angestrebte künftige Beteiligung gesellschaftsrechtlich veranlasst sein kann, kann dieser auch durch eine mittelbare Beteiligung veranlasst sein, etwa um die unmittelbare Beteiligung finanziell zu stärken.
c) Die Frage, zu welchen Einkünften im Ergebnis der engere wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht, entscheidet sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH aufgrund einer insbesondere der Tatsacheninstanz obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Diese ist revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn die Tatsachenwürdigung verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Würdigung nicht gegen Denkgesetze verstößt oder Erfahrungssätze verletzt (Senatsurteile in BFHE 245, 330, BStBl II 2014, 850; in BFHE 232, 86, BStBl II 2012, 24; BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 2005 IX B 169/03, BFH/NV 2005, 1057; vom 6. August 2003 IX B 44/03, BFH/NV 2003, 1604; vom 28. Januar 2003 VI B 161/00, BFH/NV 2003, 793).
2. Daran gemessen ist die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat die vorgenannten Rechtsgrundsätze beachtet und ist im Rahmen seiner weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze verstoßenden Gesamtwürdigung zu dem möglichen und in sich schlüssigen Ergebnis gelangt, dass die Übernahme der Bürgschaft durch den Kläger in Zusammenhang mit dessen Beruf und dessen Arbeitnehmerstellung bei der A & B gestanden hat.
a) Das FG hat diese Würdigung insbesondere darauf gestützt, dass die Darlehen nur mit einer Landesbürgschaft zu erhalten gewesen seien, das Land sich aber nur zu einer Bürgschaft bereit erklärt hätte, wenn auch der Kläger eine solche Bürgschaft abgegeben hätte. Damit hingen wiederum dessen erhebliche Gehalts- und Tantiemezahlungen als Geschäftsführer von der Bürgschaftsübernahme ab.
b) Die dagegen von der Revision geltend gemachten Einwendungen greifen im Ergebnis nicht durch.
aa) Das FA lässt im Rahmen seiner gegen die Würdigung des FG gerichteten Einwendungen weitgehend unbeachtet, dass im Streitfall der Kläger an der A & B, für die er als Geschäftsführer nichtselbständig tätig gewesen war, nicht beteiligt war. Dementsprechend geht schon grundsätzlich der Einwand des FA fehl, dass ein fremder, nicht mit dem Arbeitgeber durch eine Kapitalbeteiligung verbundener Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen bereit sei, zu Gunsten seines offenbar gefährdeten Arbeitsplatzes das Risiko einer Bürgschaft zu übernehmen. Da der Kläger kein Gesellschafter-Geschäftsführer war, kann sich das FA auch nicht darauf berufen, dass der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen habe, aufgrund welcher besonderen Umstände er in erster Linie nicht wegen der Beteiligung, sondern wegen seines Arbeitsverhältnisses die Bürgschaft übernommen habe.
Entsprechendes gilt für die Frage, welche Konsequenzen sich im Falle einer Weigerung zur Übernahme von Verlusten für den betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführer ergeben hätten. Denn auch diese Kontrollüberlegung gründet auf der Annahme, dass die in ihrer einkommensteuerrechtlichen Behandlung streitigen Aufwendungen nicht nur durch Lohneinkünfte, sondern auch durch Einkünfte aus § 17 EStG veranlasst sein könnten.
bb) Zutreffend weist das FA zwar darauf hin, dass eine mittelbare Beteiligung nicht per se unbedeutend sei; denn der Umfang der mittelbaren Beteiligung wird bei der Frage, inwieweit eine qualifizierte Beteiligung i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vorliegt, eingerechnet. Eine Zuordnung zu den Einkünften aus § 17 EStG, die den Veranlassungszusammenhang zu den Lohneinkünften zwingend verdrängte, ergibt sich daraus gleichwohl nicht. Denn § 17 EStG erfasst nur Einkünfte aus der Veräußerung einer unmittelbaren Beteiligung.
Der Würdigung des FG, einen vorrangigen Veranlassungszusammenhang mit den Lohneinkünften zu sehen, steht auch nicht der Einwand des FA entgegen, dass sich der Kläger durch seine Bürgschaftsübernahme eine zukunftsträchtige Fortführung dieser Firmen versprochen habe. Denn eine zukunftsträchtige Fortführung der Firmen sichert naturgemäß auch die nichtselbständige Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer und seine daraus erzielten Einkünfte i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG.
cc) Entgegen der Auffassung der Revision hat das FG auch nicht die Rechtsgrundsätze des Senatsurteils in BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343 irrig dahingehend verstanden, dass ein konkreter Veranlassungszusammenhang zu den Lohneinkünften entbehrlich wäre. Es hat vielmehr den Sachverhalt lediglich abweichend von der Auffassung des FA derart gewürdigt, dass im Streitfall der Veranlassungszusammenhang zu den Lohneinkünften nicht durch die nur mittelbare Beteiligung verdrängt werde. Mit Blick auf die nur geringen unmittelbaren Beteiligungen des Klägers an der F GmbH und an der F KG aA beinhaltet diese Würdigung keinen Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze. Insbesondere gestattet der Sachverhalt entgegen der Auffassung des FA nicht ausschließlich die Würdigung, dass der Kläger die Bürgschaft vorrangig deshalb übernommen habe, um ein allein auf der Vermögensebene liegendes Engagement abzusichern, indem er über seine mittelbare Beteiligung an der A & B der F GmbH sowie der F KG aA einen verdeckten Vorteil hatte zukommen lassen. Dies gilt unabhängig davon, dass die Übernahme von eigenkapitalersetzenden Bürgschaften für eine Gesellschaft, an welcher der Anteilseigner nur mittelbar beteiligt ist, regelmäßig nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der unmittelbaren wesentlichen Beteiligung führt (BFH-Urteil vom 4. März 2008 IX R 78/06, BFHE 220, 446, BStBl II 2008, 575, unter II.2.b).
c) Im Ergebnis widerspricht damit das Urteil des FG nicht dem Grundsatz, dass Aufwendungen der Einkunftsart zuzurechnen sind, zu der sie die engere Beziehung haben. Denn es ist nichts dazu festgestellt, dass die einkommensteuerrechtlich unerhebliche mittelbare Gesellschafterstellung des Klägers gegenüber dessen gegenwärtig ausgeübter mit konkreten Einkünften verbundener nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführer der A & B in einem vorrangigen Veranlassungszusammenhang zur Bürgschaftsübernahme gestanden hätte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.