BFH XI. Senat
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 3, EStG § 62 Abs 1, EStG § 63 Abs 1 S 2, FGO § 118 Abs 2, EGRL 78/2000 , FGO § 76 Abs 1 S 2, EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011
vorgehend FG München, 13. November 2013, Az: 5 K 3573/11
Leitsätze
1. NV: Ein berufsspezifisches Praktikum auf einem Reiterhof kann nicht als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Nachweis fehlt, dass bei der Durchführung des Praktikums der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht .
2. NV: Ein Kindergeldanspruch besteht für ein volljähriges behindertes Kind, wenn der Grad der Behinderung 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände nachgewiesen sind, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint; bei einem unter frühkindlichen Autismus leidenden Kind kann dieser Nachweis u.a. durch ein Gutachten eines unabhängigen ärztlichen Sachverständigen geführt werden .
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 14. November 2013 5 K 3573/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Zeit von September 2010 bis November 2011 (Streitzeitraum) einen Anspruch auf Kindergeld betreffend ihre im Februar 1992 geborene Tochter X hat. Laut der Bescheinigung eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom …. April 2013 ist X seit dem Jahr 1996 bei ihm in fachärztlicher Behandlung. Diagnostisch handele es sich um eine Autismus-Spektrum-Störung. X weise einen Behinderungsgrad (GdB) von "50 bis 80" auf.
X besuchte bis einschließlich Juli 2008 die 9. Klasse an der …-Schule in Z. Sie war von der Schulpflicht befreit und leistete kein Berufsvorbereitungsjahr ab. Nach Angaben der Klägerin strebt X den Beruf der von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. ‑‑dem Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht‑‑ geprüften Pferdepflegerin an. Nach der entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsordnung ist Voraussetzung für einen Antrag auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst und zur Prüfung u.a. der Nachweis einer ca. zweijährigen hauptberuflichen Tätigkeit im Umgang mit und der Pflege von Pferden in einem Reit- oder Zuchtbetrieb oder der Nachweis einer mindestens dreijährigen nebenberuflichen Tätigkeit.
Die Prüfung umfasst die Prüfungsfächer Pflege/Fütterung des Pferdes, Stallarbeiten, Stallhygiene und –einrichtung, Sattelzeugpflege, Sattelung und Zäumung, Longieren, Veterinärkunde, Beschlaglehre, Verladen und Transportieren von Pferden sowie berufsständisches Wissen (Arbeitsrecht, Versicherungswesen, Unfallverhütung). Ein vom bayerischen Reit- und Fahrverband e.V. (BRFV) vom 21. bis 30. November 2011 geplanter Vorbereitungslehrgang mit Prüfung wurde aufgrund zu geringer Teilnehmerzahl abgesagt. In den Jahren 2012 und 2013 wurde vom BRFV weder ein Vorbereitungslehrgang noch eine Prüfung angeboten.
Im Streitzeitraum war X bei der zuständigen Stelle der Bundesagentur für Arbeit weder als Arbeit suchend noch als Ausbildungsplatz suchend gemeldet. Mit Schreiben vom 21. Februar 2008 teilte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin mit, dass ein einjähriges Praktikum zur Vorbereitung einer beruflichen Tätigkeit als Tierpfleger oder Tierwirt in der von der Klägerin geplanten Art und Weise nicht gefördert werden könne. Seit September 2008 ist X unentgeltlich als Praktikantin auf einem Reiterhof tätig. Nach dem Vertrag vom 3. August 2008 erfolgt das Praktikum zum Zweck des Erwerbs von Fähigkeiten und Kenntnissen im Bereich Pferdepflege und Pferdehaltung. X verfügte im Streitzeitraum über keinerlei Einnahmen, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
Aus Bestätigungen einer Psychologin vom 8. Januar 2009 und 3. September 2010 im Zusammenhang mit der Befreiung von der Schulpflicht ist zu entnehmen, dass X auf dem Reiterhof im Gegensatz zur Schule in der Lage ist, mit allen Personen zu sprechen, gezielt Auskunft zu erteilen oder über Gegebenheiten zu berichten.
Mit Bescheid vom …. Mai 2011 lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für X ab März 2010 mit der Begründung ab, dass das Praktikum auf dem Reiterhof nicht als Berufsausbildung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anerkannt werden könne. X könne auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als Kind berücksichtigt werden, da mangels Zustimmung zu einer Untersuchung durch den Amtsarzt der Bundesagentur für Arbeit nicht feststellbar sei, ob sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Im Einspruchsverfahren änderte die Familienkasse den Bescheid vom 31. Mai 2011 mit Bescheid vom 24. November 2011 insoweit, als sie nunmehr Kindergeld für den Zeitraum März bis August 2010 festsetzte, weil nachgewiesen sei, dass für die Ausbildung zur Pferdepflegerin im Vorfeld eine zweijährige berufliche Tätigkeit im Umgang mit Pferden vorausgesetzt werde. Der Einspruch blieb im Übrigen in der Einspruchsentscheidung vom 28. November 2011 ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die anschließend erhobene Klage als unbegründet ab. Ein Kindergeldanspruch für X ergebe sich nicht aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, weil nicht feststehe, dass X für einen Beruf ausgebildet werde. Auch die Voraussetzungen von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG seien nicht gegeben, weil weder dargelegt noch nachgewiesen sei, dass X eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen könne. Schließlich habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, weil nicht nachgewiesen sei, dass X wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1410 veröffentlicht.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das FG habe zu Unrecht einen Kindergeldanspruch der Klägerin nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verneint. Denn der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits geklärt, dass auch berufsspezifische Praktika genügten, um die Voraussetzungen dieses Kindergeldanspruchs zu erfüllen (BFH-Urteil vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423). Mit der Nichterhebung der von der Klägerin hierzu angebotenen Beweise und der Unterlassung der entsprechend gebotenen Hinweise habe das FG gegen seine ihm obliegende Aufklärungspflicht verstoßen.
Ferner habe das FG im Hinblick auf die Behinderung von X auch zu Unrecht das Bestehen des Kindergeldanspruchs nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG verneint. Das von der Klägerin vorgelegte "Gutachten" von Herrn Prof. Dr. Y und die mit den vorgelegten empirischen Untersuchungen des faktischen Arbeitsmarktes belegte Feststellung, dass nur 5 bis 6 % des genannten Personenkreises auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten, gingen nämlich über die von der Verwaltung und der Rechtsprechung verlangte Darlegung, dass eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheine, weit hinaus. Auch insoweit habe das FG gegen seine ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verstoßen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 28. November 2011 und den Ablehnungsbescheid vom 31. Mai 2011 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 24. November 2011 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für den Zeitraum September 2010 bis November 2011 Kindergeld festzusetzen,
hilfsweise, die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des FG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FG hat zu Recht den Anspruch der Klägerin auf Kindergeld verneint.
1. Die Entscheidung des FG, dass ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ausscheidet, weil X nicht für einen Beruf ausgebildet wurde, ist zutreffend.
a) In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, unter II.1.a, Rz 9; in BFH/NV 2010, 1423, Rz 18). Hierzu zählen auch berufsspezifische Praktika, z.B. ein Anwaltspraktikum eines Jurastudenten (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) oder eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung gegen geringe Entlohnung absolvieren (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706).
Voraussetzung in diesen Fällen ist, dass der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 1423, Rz 18, m.w.N.).
b) Das FG ist bei seiner Entscheidung von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung aller Umstände des Streitfalls mit dem Ergebnis, dass die von X in der Zeit von September 2008 bis 2013 ausgeübte Praktikantentätigkeit auf dem Reiterhof nicht als Ausbildungsmaßnahme in diesem Sinne angesehen werden könne, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand und bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).
aa) Das FG hat hierzu ausgeführt, dass Voraussetzung für einen Antrag auf Zulassung zum Vorbereitungslehrgang und zur Prüfung zum Pferdepfleger zwar u.a. der Nachweis einer ca. zweijährigen hauptberuflichen Tätigkeit im Umgang mit und der Pflege von Pferden in einem Reit- oder Zuchtbetrieb oder der Nachweis einer mindestens dreijährigen nebenberuflichen Tätigkeit sei.
Im Streitfall habe das Praktikum von X einerseits im September 2010 bereits zwei Jahre angedauert, andererseits hätten sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es sich bei der Tätigkeit als Praktikantin lediglich um eine nebenberufliche Tätigkeit gehandelt habe. Die Klägerin habe trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts nicht nachgewiesen, dass bei dem Praktikum im Streitzeitraum der Ausbildungscharakter im Vordergrund gestanden habe. Die Bestätigung der Besitzerin des Reiterhofs vom 30. April 2013 treffe keine Aussage über die konkrete Tätigkeit von X im Streitzeitraum, geschweige denn über konkrete Ausbildungsinhalte in dieser Tätigkeit. Vielmehr werde lediglich bestätigt, dass X in den ersten zwei Jahren, also von September 2008 bis August 2010, in die Fütterung und Pflege der Tiere sowie in Arbeiten im Stall und auf den Koppeln unterwiesen worden sei und gegenwärtig, also im Jahr 2013, gefordert sei, im Team mitzuarbeiten. Seit ca. einem Jahr, also etwa seit April 2012, helfe sie bei Therapiestunden für Kinder. Zudem trainiere sie derzeit, also im Jahr 2013, intensiv das Longieren der Pferde. Die beabsichtigte Heranführung an theoretische Fachkenntnisse beziehe sich gleichfalls nicht auf den Streitzeitraum.
Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen X konkret im Streitzeitraum vermittelt worden seien. Vielmehr habe sie sich auf eine Aufzählung von Ausbildungsinhalten beschränkt, ohne zu erläutern, wann diese vermittelt worden seien. Dabei enthalte die Aufzählung etliche Ausbildungsinhalte, die nach der Bestätigung vom 30. April 2013 bereits in den ersten zwei Jahren Gegenstand des Praktikums gewesen seien (Fütterung und Pflege der Tiere, Arbeiten im Stall und auf den Koppeln).
bb) Diese tatsächliche Würdigung des FG ist möglich, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Sie ist deshalb für den BFH als Revisionsgericht bindend i.S. von § 118 Abs. 2 FGO, auch wenn sie nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 1423, Rz 19).
Insbesondere der von der Klägerin in diesem Zusammenhang behauptete Verfahrensfehler des Übergehens von Beweisanträgen ist schon nicht in zulässiger Weise gerügt. Die bloße Behauptung, das FG hätte eine beantragte Beweisaufnahme durchführen müssen, genügt zur Darlegung der unterlassenen Beweisaufnahme nicht, wenn der fachkundig vertretene Beteiligte ‑‑wie hier die Klägerin‑‑ auf die mündliche Verhandlung verzichtet und damit zu erkennen gegeben hat, dass er selbst eine Beweisaufnahme, die eine mündliche Verhandlung voraussetzt, nicht für erforderlich hält (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. November 2009 X B 209/08, BFH/NV 2010, 458). Zudem hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz im finanzgerichtlichen Verfahren vom 4. November 2013 ausdrücklich auf die Einvernahme der angebotenen Zeuginnen verzichtet.
2. Das FG hat ferner zutreffend entschieden, dass der Klägerin auch kein Kindergeld gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zusteht, weil die entsprechenden Voraussetzungen nicht nachgewiesen sind.
a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
b) Nach der Rechtsprechung des BFH ‑‑z.B. Urteile vom 9. Februar 2012 III R 5/08 (BFHE 236, 396, BStBl II 2012, 891, Rz 14) und vom 28. Mai 2013 XI R 44/11 (BFH/NV 2013, 1409, Rz 14)‑‑ ist ein Mensch behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch ‑‑SGB IX‑‑). Der Nachweis der Behinderung kann dabei nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form wie beispielsweise durch Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens erbracht werden (BFH-Urteile vom 9. Februar 2012 III R 47/08, BFH/NV 2012, 939, Rz 16; in BFH/NV 2013, 1409, Rz 14).
aa) Ein Anscheinsbeweis reicht indessen nicht aus. Das FG soll dabei im Regelfall zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme der behandelnden Ärzte als Zeugen gewinnen (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 939, Rz 16; BFH-Beschluss vom 30. November 2005 III B 117/05, BFH/NV 2006, 540, unter II.1.a, Rz 14).
bb) Ferner muss die Behinderung nach den gesamten Umständen des Einzelfalls für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ursächlich sein.
Dem Kind muss es daher objektiv unmöglich sein, seinen (gesamten) Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten (BFH-Urteil vom 15. März 2012 III R 29/09, BFHE 237, 68, BStBl II 2012, 892, Rz 11, m.w.N.).
Die Ursächlichkeit der Behinderung kann grundsätzlich angenommen werden, wenn der GdB 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (BFH-Urteile vom 16. April 2002 VIII R 62/99, BFHE 198, 567, BStBl II 2002, 738, und vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057).
Im Zusammenhang mit einem arbeitslosen behinderten Kind hat der BFH entschieden, dass die Behinderung nicht die alleinige Ursache dafür sein muss, dass das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; die erhebliche Mitursächlichkeit der Behinderung ist insoweit ausreichend (BFH-Urteile in BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057, unter II.1.c, Rz 21; in BFHE 237, 68, BStBl II 2012, 892, Rz 11).
c) Im Streitfall ist das FG bei der gebotenen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung, dass die Klägerin die insoweit erforderlichen Nachweise nicht erbracht hat, begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken und bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).
aa) Das FG hat zutreffend hervorgehoben, dass die Klägerin durch Vorlage der Bescheinigung eines Facharztes nachgewiesen habe, dass der GdB bei X "50 bis 80" beträgt. Es hat zutreffend angenommen, dass sich aus der Diagnose "frühkindlicher Autismus" das Vorliegen der Behinderung bereits im Streitzeitraum ergibt. Das FG hat sich ferner ausreichend im Einzelnen mit allen ihm hierzu vorgelegten Unterlagen auseinandergesetzt (vgl. S. 15 des FG-Urteils) und schließlich entscheidend darauf abgestellt, dass es mangels Zustimmung der Klägerin zur Untersuchung des Kindes durch einen gerichtlich beauftragten ärztlichen Sachverständigen dem FG nicht möglich gewesen sei, zusätzliche Erkenntnisse über die Fähigkeit des Kindes, sich durch Erwerbstätigkeit selbst zu unterhalten, zu gewinnen. Dies entspricht den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteile in BFHE 198, 567, BStBl II 2002, 738; in BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057), wonach neben dem GdB weitere besondere Umstände vorliegen müssen, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes als ausgeschlossen erscheint.
bb) Diese Sachverhaltswürdigung bindet den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO, weil sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze und Denkgesetze verstößt und zudem möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 29. April 2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842; in BFH/NV 2013, 1409, Rz 15).
(1) Die von der Klägerin behaupteten Verfahrensfehler sind schon nicht in zulässiger Weise gerügt (vgl. oben unter II.1.b bb). Zudem hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz im finanzgerichtlichen Verfahren vom …. November 2013 eine Untersuchung der Tochter verweigert.
(2) Im Übrigen hat das FG zu Recht hervorgehoben, dass die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 FGO ihre Grenze in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten findet. Wie bereits aufgezeigt, bedarf es für die Annahme eines im Streitfall denkbaren Kindergeldanspruchs nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG neben der unstreitig bestehenden Behinderung weiterer Umstände, die belegen, dass L außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
3. Soweit das FG das Bestehen eines etwaigen Kindergeldanspruchs nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG verneint hat, ist die Klägerin dem mit ihrer Revision nicht entgegen getreten.
Die Entscheidung des FG, dass die Klägerin weder konkret dargelegt, noch nachgewiesen habe, wo und wann sich X im Streitzeitraum um einen Ausbildungsplatz bemüht habe, begegnet auch insoweit keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
4. Dem gefundenen Ergebnis stehen auch nicht die von der Klägerin im Rahmen von Art. 3 des Grundgesetzes genannten Regelungen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention ‑‑BRK‑‑) oder der von ihr hierzu zitierten Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 2. Dezember 2000 Nr. L 303, S. 16, ‑‑Richtlinie 2000/78/EG‑‑) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zum Diskriminierungsverbot (EuGH-Urteile HK Danmark vom 11. April 2013 C-335/11 und C-337/11, EU:C:2013:222, Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht 2013, 415; Asociatia Accept vom 25. April 2013 C-81/12, EU:C:2013:275, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2013, 469) entgegen.
Die Klägerin hat insoweit lediglich in allgemein gehaltener Form ausgeführt, diese von ihr benannten Regelungen müssten zu einer "Beweislastumkehr" führen, so dass ihr das begehrte Kindergeld zustehe, solange nicht die Familienkasse nachgewiesen habe, dass die Voraussetzungen der möglichen Kindergeldtatbestände nicht erfüllt seien. Diese behauptete Rechtsfolge lässt sich weder den von ihr genannten Regelwerken der BRK oder der Richtlinie 2000/78/EG noch der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH entnehmen. Vielmehr handelt es sich bei der der Klägerin obliegenden Mitwirkungspflicht im Rahmen von § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO um eine allgemeine verfahrensrechtliche Regelung, der keine behinderungsbedingte Diskriminierung innewohnt. Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass z.B. eine Begutachtung von X durch einen gerichtlich beauftragten ärztlichen Sachverständigen, die das FG angeregt hatte, wegen der Behinderung von X unverhältnismäßig oder unzumutbar wäre.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
6. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 FGO).