BFH V. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 96 Abs 2, FGO § 90 Abs 1 S 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 19. April 2015, Az: 16 K 299/14
Leitsätze
1. NV: Aus der Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs folgt, dass das FG auf einen Kläger, der sein verspätetes Erscheinen wegen einer nicht vorhersehbaren Störung der Verkehrslage telefonisch angekündigt hat, wartet .
2. NV: Kündigt der Kläger einen Verspätungszeitraum an (hier: "etwa 15 Minuten"), verletzt das FG seine Wartepflicht nicht, wenn es keine weitere Nachricht vom Kläger erhält und nach 20 Minuten mit der Sitzung fortfährt .
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. April 2015 16 K 299/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Streitig ist, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf die Steuerfreiheit eines Grundstückskaufvertrages aufgrund eines geänderten notariellen Vertrages verzichtet hat.
Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2015 kündigte der Kläger an, den geänderten, eine Optionserklärung enthaltenden notariellen Vertrag bis zum 19. März 2015 vorzulegen. Nachdem der Kläger mit am 19. März 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ergänzend mitgeteilt hatte, es sei wegen einer Grippeerkrankung nicht möglich gewesen, den abgeänderten notariellen Vertrag innerhalb der Frist vorzulegen, beantragte dieser Fristverlängerung bis zum 26. März 2015. Da der Berichterstatter dieses Schreiben so verstand, dass die Beurkundung bereits stattgefunden hatte und nur noch die Übersendung fehlte, setzte das Finanzgericht (FG) mit Verfügung vom 20. März 2015, per Fax bekanntgegeben am 23. März 2015, dem Kläger eine Ausschlussfrist nach § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage des Vertrages innerhalb von drei Tagen bis zum 26. März 2015. Am Tage des Fristablaufs teilte der Kläger mit, dass der notarielle Termin nicht habe stattfinden können und beantragte weitere Fristverlängerung bis zum 2. April 2015, was das FG ablehnte.
Nach Übertragung auf den Einzelrichter lud das FG am 27. März 2015 zum Termin am 20. April 2015 um 10:00 Uhr. In der um 10:04 Uhr begonnenen Sitzung teilte der Einzelrichter laut Sitzungsprotokoll mit, der Bevollmächtigte habe "im Vorfeld" telefonisch erklärt, dass er sich "etwa eine viertel Stunde" verspäten werde. Daraufhin unterbrach der Einzelrichter die Sitzung bis 10:20 Uhr, die er nach Wiedereröffnung und Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten um 10:25 Uhr schloss mit dem Hinweis, am Ende des Sitzungstages werde eine Entscheidung verkündet. Um 10:28 Uhr wurde die Sitzung wiedereröffnet und ein klageabweisendes Urteil verkündet. Als Ende der Sitzung ist im Sitzungsprotokoll 10:29 Uhr vermerkt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerdeschrift des Klägers in Form einer Sachverhaltsschilderung legt der Senat so aus, dass er die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 des Grundgesetzes) begehrt. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
1. Die Garantie des rechtlichen Gehörs gebietet, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 1976 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 369; vom 21. April 1982 2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305, 310, und vom 11. Februar 1987 1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228, 233). Dieser Pflicht des Gerichts zur Gewährung des rechtlichen Gehörs entspricht die Obliegenheit der klagenden Partei, im Zeitpunkt des festgesetzten Termins bei Gericht zu erscheinen.
Erscheint der Kläger im Zeitpunkt des festgesetzten Termins nicht zur mündlichen Verhandlung und hat das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, ob und wann der Kläger zum Termin erscheinen werde, liegt es im Ermessen des Vorsitzenden, ob er noch eine gewisse Zeit abwartet oder im Hinblick auf die Terminslage die Verhandlung eröffnet (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 25. September 1990 IX R 207/87, BFH/NV 1991, 397). Hat der unpünktliche Beteiligte jedoch sein Erscheinen vor Gericht ausdrücklich angekündigt und vor der Verhandlung telefonisch auf eine unverschuldete geringe Verspätung hingewiesen, folgt aus der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts, dass es zur Gewährung des rechtlichen Gehörs eine angemessene Zeit wartet (BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 2005 II B 3/05, BFH/NV 2006, 605 bei unfallbedingtem Verkehrsstau; vom 29. August 2008 X S 27/08 (PKH), juris; vom 22. Januar 2009 X B 114/08, juris). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt dann z.B. vor, wenn das FG bereits 10 Minuten nach dem Termin die Verhandlung eröffnet und nach 3 Minuten sein Urteil verkündet (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 605). Allerdings wird das dem Vorsitzenden zustehende Ermessen nicht verletzt, wenn der Kläger einen Verspätungszeitraum ankündigt und bei Überschreitung des Zeitraums keine weitere Nachricht beim FG eingeht (so für einen angekündigten Verspätungszeitraum von 10 Minuten und Wiedereröffnung der Verhandlung durch den Vorsitzenden nach 19 Minuten BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 397).
2. Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor. Der Einzelrichter hat im Hinblick auf die vor der Eröffnung telefonisch angekündigte Verspätung wegen der Verkehrslage um "etwa 15 Minuten" bei der für 10:00 Uhr terminierten Sache bis 10:20 Uhr zugewartet, ohne eine weitere Nachricht zu erhalten, um dann die Sitzung um 10:25 Uhr zu schließen und um 10:28 Uhr nach Wiedereröffnung sein Urteil zu verkünden. Hält der Beteiligte den von ihm selbst angekündigten Verspätungszeitraum ("etwa 15 Minuten") nicht ein, wäre es auch angesichts der derzeitigen Möglichkeiten der Telekommunikation zumutbar gewesen, sein Eintreffen weiter zu konkretisieren, anstatt das Gericht auf unabsehbare Zeit warten zu lassen.
Im Übrigen ist nach dem Sitzungsprotokoll das Ende der Sitzung um 10:29 Uhr ohne weitere Vorkommnisse vermerkt, sodass an der Behauptung des Klägers, er sei um 10:28 Uhr eingetroffen, Zweifel bestehen. Schließlich fehlt es auch an einer schlüssigen Darstellung des Klägers dazu, dass die Verspätung auf einer unverschuldeten, nicht vorhersehbaren unüblichen Störung der Verkehrslage beruht und nicht darauf, dass die seit langem bekannte Änderung des notariellen Vertrages gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes erst "in letzter Minute" kurz vor der für 10:00 Uhr terminierten Sitzung am Sitzungstage um 9:30 Uhr geschlossen wurde.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.