BFH III. Senat
InvZulG § 2 Abs 2 Nr 1, InvZulG § 2 Abs 1
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 28. January 2014, Az: 2 K 951/13
Leitsätze
1. NV: Das FG darf eine fehlerhafte Einordnung des Betriebs durch die Statistikämter nicht übernehmen .
2. NV: Die Gewinnung von Methan zur Verstromung und Wärmegewinnung durch Vergärung von Klärschlamm und Bioabfall ist kein Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen im Sinne der Unterklasse 37.20.5 der Klassifikation der Wirtschaftszweige 1993 und gehört daher nicht zum verarbeitenden Gewerbe .
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 29. Januar 2014 2 K 951/13 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Streitig ist die Gewährung einer Investitionszulage.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Biogasanlage. Sie nimmt entgeltlich Klärschlamm und Bioabfall an und vergärt sie in einem Biogasreaktor. Das dabei gewonnene Methan wird zur Verstromung und Wärmegewinnung genutzt. Die verbleibenden Reste werden als Ersatzbrennstoff weiterveräußert.
Die Klägerin reichte für die Jahre 2000 und 2001 Anträge auf Investitionszulage ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte zunächst für das Jahr 2000 eine Investitionszulage von 16.756,57 € und für 2001 eine Zulage von 25.660,21 € fest. Die Bescheide standen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung). Aufgrund der Ergebnisse einer Außenprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen und deshalb nicht anspruchsberechtigt sei. Es erließ geänderte Bescheide, in denen die Investitionszulage für 2000 und 2001 auf 0 € festgesetzt wurde. Der gegen die geänderten Bescheide eingelegte Einspruch wurde zurückgewiesen.
Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Klägerin dem verarbeitenden Gewerbe angehöre. Zur Begründung führte es aus, soweit eine Zuordnung eines Betriebes zu der von dem Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ) durch ein Statistisches Landesamt vorliege, sei dieser zu folgen, wenn sie nicht offensichtlich unzutreffend sei. Im Streitfall habe das Statistische Landesamt im Februar 2005 die Klägerin dem verarbeitenden Gewerbe nach Ziffer 37.20.5 WZ 2003 zugeordnet und diese Zuordnung sei nicht offensichtlich unzutreffend. Die Annahme von Klärschlamm und Abfällen sei keine von der Verarbeitung getrennte Tätigkeit, die zu einer Mischtätigkeit der Klägerin führen würde. Die Klägerin beziehe Klärschlamm und Abfälle nicht wie eine Deponie, sondern zur Weiterverarbeitung. Insofern sei es unerheblich, dass die Entgelte für die Annahme von Klärschlamm und Abfällen die Einnahmen aus Stromeinspeisung und Wärmegewinnung überstiegen.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht als Recycling-, sondern als Entsorgungsbetrieb anzusehen. Dies ergebe sich auch aus der Definition des Recyclings in § 3 Abs. 25 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG). Das FG müsse die Zulagenberechtigung vollumfänglich prüfen und dürfe sich nicht auf eine Evidenzkontrolle beschränken.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Begrifflichkeit des KrWG sei für das Investitionszulagenrecht nicht maßgeblich. Recycling liege immer dann vor, wenn es zu einer Zirkulation von Wertstoffen zwischen Produktion und Konsum unter Einbeziehung von Verwertungs- und Verwendungskreisläufen komme. Die Einschätzung des FG beruhe nicht nur auf einer Evidenzkontrolle, sondern auf einer vollumfänglichen Prüfung der Zuordnung durch das Statistische Landesamt. Die Annahme von Klärschlamm und Abfällen sei keine eigenständige Tätigkeit, sondern diene der Erzeugung von Strom und Wärme. Es handele sich um einen einheitlichen Produktionsprozess.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999 sind begünstigte Investitionen die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die mindestens fünf Jahre in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes verbleiben, sofern weitere, hier nicht streitige Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich nach der WZ. Der Gesetzgeber hat die Maßgeblichkeit der WZ zwar erstmals durch § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet. Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes richtet sich im Investitionszulagenrecht aber auch für frühere Gesetzesfassungen nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1, unter B.I.3.; Senatsurteile vom 22. September 2011 III R 64/08, BFHE 236, 168, BStBl II 2012, 358, Rz 12 ff.; vom 22. Dezember 2011 III R 1/10, BFH/NV 2012, 1654, Rz 10 ff.; vom 26. Juli 2012 III R 43/11, BFH/NV 2013, 86, Rz 13), im Streitfall also nach der WZ 1993.
In einem Rechtsstreit über die Frage, ob ein Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe gehört, hat das FG die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen. Bei der Einordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten kann es dabei auf das Expertenwissen der Statistikämter zurückgreifen. Die Entscheidungsbefugnis liegt aber in jedem Fall beim Gericht, das eine fehlerhafte statistische Einordnung nicht übernehmen darf (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 129, 1, unter B.I.4.; Senatsurteile in BFHE 236, 168, BStBl II 2012, 358, Rz 16; in BFH/NV 2012, 1654, Rz 14; in der Sache ebenso Senatsurteil in BFH/NV 2013, 86, Rz 14). Die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes) schließt die Bindung der FG an eine fehlerhafte Einordnung durch die Statistikämter aus (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 129, 1, unter B.I.2.c).
3. Die Klägerin gehörte im Streitzeitraum nicht zum verarbeitenden Gewerbe. Sie übte insbesondere kein Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen (Unterklasse 37.20.5 WZ 1993) aus.
a) Diese Unterklasse umfasst die Verarbeitung von sonstigen nichtmetallischen Altmaterialien, Reststoffen sowie gebrauchten und ungebrauchten nichtmetallischen Erzeugnissen zu Sekundärrohstoffen. Kennzeichnend hierfür ist, dass der Input aus sortierten oder unsortierten Altmaterialien und Reststoffen besteht, in jedem Fall aber ungeeignet für die weitere direkte Verwendung in einem industriellen Verarbeitungsprozess ist, während der Output für die weitere Verarbeitung aufbereitet wurde und dann als Zwischenerzeugnis gilt. Hierfür ist ein mechanischer oder chemischer Verarbeitungsprozess erforderlich (Klassifikation der Wirtschaftszweige 1993 mit Erläuterungen, 2. unveränderter Nachdruck, S. 273). Entscheidend für die Annahme eines Recyclings ist, ob das hergestellte Erzeugnis dazu bestimmt ist, in einem industriellen Herstellungsprozess dahingehend weiter verwendet zu werden, dass es in einem neuen Produkt aufgeht bzw. zu dessen Bestandteil wird (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2013 VII R 25/11, BFHE 242, 372, Rz 17, zu der WZ 2003). Auf die Vorschriften des deutschen Abfallwirtschaftsrechts und die hierzu ergangene Rechtsprechung nationaler Verwaltungsgerichte kommt es hingegen nicht an (Senatsbeschluss vom 4. März 2013 III B 124/12, BFH/NV 2013, 986, Rz 9).
b) Die Vergärung von Klärschlamm und Bioabfall ist kein Recycling im vorgenannten Sinn. Das dabei gewonnene Methan ist gerade nicht als Zwischenerzeugnis zur weiteren Verarbeitung zu einem neuen Produkt, sondern zur Verbrennung bestimmt. Es wird nicht das Methan selbst, sondern nur die durch die Verbrennung freigesetzte Energie genutzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 242, 372, Rz 18; BFH-Beschluss vom 14. November 2013 VII B 170/13, BFH/NV 2014, 387, Rz 12; FG Hamburg, Urteil vom 23. März 2015 4 K 90/13, nicht veröffentlicht, jeweils zu WZ 2003). Das Gleiche gilt für die Reststoffe als Ersatzbrennstoff.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.