BFH II. Senat
GrEStG § 16 Abs 1, AO § 227, AO § 240, AO § 37 Abs 1, AO § 37 Abs 2
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 22. January 2015, Az: 11 K 4059/12
Leitsätze
1. NV: Der Anspruch aus § 16 GrEStG auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung ist ein eigenständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der den ursprünglichen Steueranspruch unberührt lässt .
2. NV: Mit der wirksamen Erklärung des Rücktritts vom Kaufvertrag steht dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Aufhebung der festgesetzten Grunderwerbsteuer zu. Ab diesem Zeitpunkt ist auch die Einziehung der bereits verwirkten Säumniszuschläge unbillig .
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2015 11 K 4059/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt ‑‑FA‑‑) geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen, soweit sie überhaupt in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Weise dargelegt wurden, nicht vor.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
a) Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich bedeutsam, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist (BFH-Beschlüsse vom 21. April 2010 IV B 32/09, BFH/NV 2010, 1469; vom 26. Juni 2013 III B 5/13, BFH/NV 2013, 1386, Rz 3, und vom 16. September 2014 II B 52/14, BFH/NV 2015, 240, Rz 4). Eine Rechtsfrage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, wenn sie sich ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes beantworten lässt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu entscheiden ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2013 V B 58/13, BFH/NV 2014, 192, Rz 4, und vom 19. Februar 2014 II B 106/13, BFH/NV 2014, 901, Rz 9).
b) Es kann dahinstehen, ob das FA diese Voraussetzungen in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise schlüssig dargelegt hat. Jedenfalls sind die von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig.
Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der Erlass von Säumniszuschlägen nach § 227 der Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten ist, wenn deren Einziehung mit Rücksicht auf ihren Zweck nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2014 V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106, Rz 10, m.w.N.). Die Anwendung des § 227 AO auf entstandene Säumniszuschläge ist in den Fällen, in denen die Grunderwerbsteuer später nach § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) aufgehoben wird, nicht generell ausgeschlossen.
Die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ab welchem Zeitpunkt die Verwirkung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig sein kann, wenn die Festsetzung der Grunderwerbsteuer später nach § 16 Abs. 1 GrEStG aufgehoben wird, ist eindeutig und offensichtlich so zu entscheiden, wie sie das FG entschieden hat. Mit dem wirksam erklärten Rücktritt steht dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung zu. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der den ursprünglichen Steueranspruch unberührt lässt (BFH-Urteil vom 16. Januar 2002 II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 16 Rz 3; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 16 Rz 3, jeweils m.w.N.). Der Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung ist nicht Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs, sondern lediglich Verfahrensvoraussetzung für dessen Realisierung (Pahlke, a.a.O., § 16 Rz 135). Das FG hat zutreffend auf den Zeitpunkt der wirksamen Erklärung des Rücktritts vom Kaufvertrag abgestellt. Ab diesem Zeitpunkt stand der Klägerin und Beschwerdegegnerin ein Anspruch auf Aufhebung der festgesetzten Grunderwerbsteuer zu, so dass ab diesem Zeitpunkt die Einziehung der verwirkten Säumniszuschläge unbillig ist.
Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Rechtsfrage zuzulassen, ob sich bei Erstattungsansprüchen (§ 37 Abs. 2 AO) der Wegfall des rechtlichen Grundes aus dem materiellen Recht oder aus dem Verfahrensrecht ergibt (vgl. zum Streitstand Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 35). Wie vorstehend ausgeführt, handelt es sich bei dem Anspruch aus § 16 GrEStG um einen eigenständigen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO und nicht um einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1053; Pahlke, a.a.O., § 16 Rz 3; Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 16 Rz 16).
2. Das FA hat nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt, dass die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) wegen einer Abweichung des Urteils des FG von anderen Entscheidungen zuzulassen sei.
a) Die Zulassung der Revision aus diesem Grund setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (z.B. BFH-Beschluss vom 6. Februar 2014 II B 129/13, BFH/NV 2014, 708, Rz 14, m.w.N.). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten, genau bezeichneten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 2013 X B 135/12, BFH/NV 2014, 156, Rz 9, und in BFH/NV 2014, 708, Rz 15).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Das FA hat nicht dargelegt, dass das FG von dem BFH-Beschluss vom 14. Mai 2008 II B 49/07 (BFH/NV 2008, 1438) abgewichen ist. Diesem Beschluss lag ein anderer Sachverhalt zugrunde, denn anders als im Streitfall waren in dem Sachverhalt, der dem BFH-Beschluss zugrunde lag, keine Säumniszuschläge nach dem wirksam erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag angefallen. Nur diese sind aber streitig. Im Übrigen, d.h. für die bis zum Rücktritt verwirkten Säumniszuschläge, ist das FG ausdrücklich dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1438 gefolgt und hat dessen Rechtsgrundsatz, wonach die Erhebung bereits verwirkter Säumniszuschläge grundsätzlich nicht unbillig ist, wenn die Grunderwerbsteuerfestsetzung später aufgehoben wird, seiner Entscheidung zugrunde gelegt (Urteilsgründe S. 8).
Bereits nach dem eigenen Vortrag des FA ist das FG auch nicht von dem Urteil des Sächsischen FG vom 26. August 2009 4 K 183/08 abgewichen. Es hat vielmehr ‑‑wie das Sächsische FG‑‑ in einem mit dem Streitfall vergleichbaren Fall für den Erlass der verwirkten Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen auf das Entstehen des Anspruchs auf Aufhebung der Steuerfestsetzung durch Rücktritt vom Grundstückskaufvertrag und nicht auf den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung abgestellt.
Soweit das FG in früheren Entscheidungen eine andere Auffassung vertreten und den Erlass erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gewährt hatte, hat derselbe Senat des FG mit der angefochtenen Entscheidung offensichtlich seine eigene Rechtsauffassung geändert. In der Abweichung des FG von seinen eigenen früheren Entscheidungen liegt jedoch keine Divergenz, die eine Entscheidung des BFH erforderlich macht. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt nämlich voraus, dass das FG von einer Entscheidung eines anderen FG abgewichen ist (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 49; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 67). Dabei kann offenbleiben, ob auch eine divergierende Rechtsprechung verschiedener Senate desselben FG den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO begründen kann, denn im Streitfall wurden alle Entscheidungen von demselben Senat des FG getroffen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
4. Die Entscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne Angabe weiterer Gründe, insbesondere ohne Darstellung des Tatbestands.