BFH XI. Senat
UStG § 20, UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst b, UStG § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst b, UStG § 20, UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 4 Nr 8 Buchst c, UStG § 4 Nr 8 Buchst c, UStG VZ 2005 , UStG VZ 2006 , UStG VZ 2007 , UStG § 10 Abs 1, UStG § 10 Abs 1
vorgehend FG Münster, 04. June 2014, Az: 5 K 411/12 U
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 5. Juni 2014 5 K 411/12 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater tätig. Er berechnete die Umsatzsteuer gemäß § 20 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nach vereinnahmten Entgelten.
Er erbrachte Beratungsleistungen an eine A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer sein Bruder ist. Leistungen führte er auch an eine B-GmbH aus, die später auf die A-GmbH verschmolzen wurde, und an seine Schwägerin. Seine Honorarforderungen trieb er in wesentlichen Teilen nicht bei. Zum 31. Dezember 2009 beliefen sich die Außenstände auf brutto 374.947,15 €.
Aufgrund einer Außenprüfung gelangte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) zu der Auffassung, der Kläger habe aus privaten Gründen von der Beitreibung der Forderungen abgesehen. Das FA nahm mit Änderungsbescheiden vom 18. März 2010 entsprechende Umsatzerhöhungen vor. Die in den Jahren 1994 bis 2003 begründeten Honorarforderungen berücksichtigte es als Umsätze des Jahres 2004, die in den Jahren 2004 bis 2007 (Streitjahre) entstandenen Honorarforderungen setzte es in dem jeweiligen Jahr ihrer Entstehung als Umsätze an. Den Einspruch des Klägers wies es mit Einspruchsentscheidung vom 17. März 2011 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA wegen Nichtzulassung der Revision. Es macht geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) stellt einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) dar. Infolgedessen muss zur Begründung einer auf diese Zulassungsgründe gestützten Nichtzulassungsbeschwerde eine bestimmte Rechtsfrage herausgestellt werden, die für den Rechtsstreit erheblich sein kann, und begründet werden, weshalb diese Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. Mai 2005 I B 186/04, BFH/NV 2005, 1620; vom 22. August 2011 III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043; vom 22. Juli 2014 XI B 29/14, BFH/NV 2014, 1780, Rz 25).
a) Das FA sieht es als klärungsbedürftig an, ob "in einem jahrelangen Verzicht auf Beitreibung einer Forderung gegenüber einer nahestehenden Person sogar über den Ablauf der zivilrechtlichen Verjährungsfrist hinaus unter Ausnutzung der Liquiditätsvorteile der Istversteuerung beim leistenden Unternehmer eine Vereinnahmung des Entgelts durch privat veranlasste Nichteinziehung der entstandenen Honorarforderung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG) [liegt] oder ... andernfalls die Nichteinziehung der Forderung zu einer unentgeltlichen Wertabgabe (§ 3 Abs. 9a Nr. 2 und § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG)" führt. Soweit ersichtlich sei bislang höchstrichterlich noch nicht die Frage entschieden, "ob allein durch Nichttätigwerden konkludent eine Entnahmehandlung ‑‑hier in Form der Entnahme einer Forderung‑‑ vorgenommen werden kann".
b) Die benannte Rechtsfrage bedarf keiner Klärung, weshalb eine Zulassung der Revision weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch zur Rechtsfortbildung in Betracht kommt.
aa) Mit Urteil vom 28. September 2000 V R 37/98 (BFH/NV 2001, 491) hat der BFH entschieden, dass der Verzicht eines Unternehmers auf eine Lieferforderung auch dann keine Vereinnahmung, sondern eine Kürzung des Entgelts darstellt, wenn der Unternehmer nicht in seiner Eigenschaft als Lieferant, sondern als Gesellschafter seines Schuldners zu dessen Gunsten verzichtet hat.
Weder hat das FA dargelegt noch ist ersichtlich, inwiefern ein gesellschaftsrechtlich begründeter Forderungsverzicht umsatzsteuerrechtlich anders zu beurteilen sein sollte als ‑‑wie das FA formuliert‑‑ "die bewusste Nichteinforderung von Entgelten aus privatem Anlass".
bb) Soweit das FA die angegriffenen Umsatzsteuerfestsetzungen alternativ mit einer "Entnahmehandlung - hier in Form der Entnahme einer Forderung" bzw. einer unentgeltlichen Wertabgabe begründet, trägt dies bereits deshalb nicht, weil die Übertragung einer auf Geld gerichteten Forderung nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfrei ist (vgl. z.B. auch BFH-Beschluss vom 15. Juli 1997 V B 122/96, BFH/NV 1998, 499, unter II.2.).
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2010 XI B 46/10, BFH/NV 2011, 448, Rz 4; vom 19. November 2013 XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373, Rz 11; vom 14. Januar 2014 III B 89/13, BFH/NV 2014, 521, Rz 2; vom 5. November 2014 X B 223/13, BFH/NV 2015, 202, Rz 4, jeweils m.w.N.).
b) Wie das FA in seiner Beschwerdebegründung ausführt, ist der betreffende Sachverhalt im Tatbestand des FG-Urteils wiedergegeben. Der Tatbestand enthält auch das Vorbringen des FA, dass eine Entnahme mit den entsprechenden umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen vorliege (Seite 6 oben).
Danach hat das FG den entscheidungserheblichen Sachverhalt erfasst und das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen.
c) In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils bringt das FG zum Ausdruck, dass das FA die Umsätze der Streitjahre zu Unrecht um die von ihm angenommenen Entnahmen erhöht hat. Wegen der in den Streitjahren neu begründeten Honorarforderungen stützt dies das FG darauf, dass dem Kläger die Ist-Versteuerung nach § 20 UStG gestattet war und der Kläger die betreffenden Honorare nicht vereinnahmt hat (unter II.). Wegen der bis zum 31. Dezember 2003 aufgelaufenen Honorarforderungen sei keine Rechtsgrundlage dafür ersichtlich, diese als Umsätze des Jahres 2004 anzusetzen (unter I.). Bezugnehmend auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 491 führt das FG aus, dass auch der vom FA angeführte ‑‑aus Sicht des FG-Senats zudem zweifelhafte‑‑ Forderungsverzicht nicht zu einer Besteuerung der Umsätze im Jahr 2004 führt.
Hierdurch hat das FG seiner Begründungspflicht genügt.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.