BFH XI. Senat
FGO § 56 Abs 1, FGO § 56 Abs 2 S 1 Halbs 2, FGO § 120 Abs 2 S 1 Halbs 1, FGO § 120 Abs 2 S 3, FGO § 124 Abs 1, FGO § 126 Abs 1
vorgehend FG Hamburg, 22. October 2013, Az: 2 K 349/12
Leitsätze
NV: Ist eine technische Störung an einem Telefaxgerät bereits bekannt und weist das Sendeprotokoll auf Störungen bei der Versendung eines Telefaxschreibens hin, darf der Absender nicht einfach darauf vertrauen, das Schreiben werde den Empfänger schon leserlich erreicht haben .
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23. Oktober 2013 2 K 349/12 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) legte gegen das am 1. November 2013 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 23. Oktober 2013, das zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von ärztlichen Laborleistungen ergangen war, mit Telefaxschreiben vom 22. November 2013, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 25. November 2013, die vom FG zugelassene Revision ein.
Die Frist zur Begründung der Revision wurde vom Vorsitzenden des erkennenden Senats auf Antrag des FA bis zum 3. Februar 2014 verlängert.
Das FA übermittelte seine Revisionsbegründung vom 3. Februar 2014 am gleichen Tag mit Telefaxschreiben an den BFH. Die beim BFH eingegangene Telekopie war unvollständig und ohne Unterschrift; die Seiten 2, 3 und 8 sowie ‑‑die letzte Seite mit der Unterschrift‑‑ 13 fehlten.
Das unterzeichnete und vollständige Original der Revisionsbegründung vom 3. Februar 2014 ging (mit normaler Post) beim BFH am 6. Februar 2014 ein.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2014, dem FA zugestellt am 13. Februar 2014, machte die Vertreterin des Vorsitzenden des erkennenden Senats das FA darauf aufmerksam, dass die Revisionsbegründung am 3. Februar 2014 nur unvollständig und dem Erfordernis der Schriftlichkeit eines bestimmenden Schriftsatzes nicht genügend ohne Unterschrift dem BFH übermittelt worden sei. Zugleich wurde das FA darüber in Kenntnis gesetzt, dass das (vollständige) Original der unterzeichneten Revisionsbegründung vom 3. Februar 2014 erst am 6. Februar 2014, also nach Ablauf der bis zum 3. Februar 2014 verlängerten Revisionsbegründungsfrist, beim BFH eingegangen sei. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurde gleichfalls hingewiesen.
Hierauf beantragte das FA mit Schreiben vom 4. März 2014, Eingang beim BFH am 10. März 2014, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs bringt das FA vor, nach dem Sendebericht des verwendeten Telefaxgeräts vom 3. Februar 2014 14:59 Uhr sei die Sendung von 13 Seiten ‑‑was der Anzahl der Seiten der Revisionsbegründungsschrift entsprochen habe‑‑ an die Faxnummer … mit "OK" und dem Hinweis in der nächsten Zeile "Lesbarkeit evtl. beeinträchtigt auf Seite 02, 03, 08, 13" bestätigt worden. Die ‑‑nach § 62 Abs. 4 Satz 4 FGO zur Vertretung des FA vor dem BFH berechtigte‑‑ Unterzeichnerin der Revisionsbegründungsschrift habe den Sendebericht abgewartet und kontrolliert; sie sei davon ausgegangen, 13 Seiten vollständig an den BFH übermittelt zu haben, weil hinsichtlich der Übertragung ein "OK" auf dem Sendebericht abgedruckt gewesen sei. In Bezug auf den weiteren Hinweis im ausgedruckten Sendebericht, dass die Lesbarkeit bestimmter übermittelter Seiten evtl. beeinträchtigt sei, habe sie keine Veranlassung gesehen, die vollständige und ordnungsgemäße Übertragung des Schriftstücks in Frage zu stellen, da in der Vergangenheit trotz eines solchen Hinweises Telefaxschreiben vollständig und ohne Lesebeeinträchtigung übermittelt worden seien.
Die Fristversäumnis sei daher unverschuldet. Der Grund für die unvollständige Telefaxübermittlung der Revisionsbegründungs-schrift am 3. Februar 2014 sei eine technische Störung des Telefaxgeräts gewesen, dessen Ursache nicht (mehr) zu ermitteln sei. Aus dem Sendebericht habe sich nicht entnehmen lassen, dass, entgegen dem Hinweis auf die evtl. beeinträchtigte Lesbarkeit des übermittelten Telefaxes, die betreffenden Seiten gar nicht übermittelt worden seien.
Dem Schreiben vom 4. März 2014 waren zur Glaubhaftmachung des vom FA vorgebrachten Sachverhalts u.a. Kopien des Sendeberichts vom 3. Februar 2014 14:59 Uhr beigefügt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).
1. Das FA hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt.
a) Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist kann ‑‑wie hier‑‑ nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.
b) Diese verlängerte Frist lief im Streitfall am Montag, dem 3. Februar 2014, ab.
Die am 3. Februar 2014, dem letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist, beim BFH eingegangene Revisionsbegründung des FA vom gleichen Tag war unvollständig. Sie genügte vor allem mangels Unterschrift der Schriftform nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht und war daher zur Fristwahrung nicht geeignet (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1994 X R 236/93, BFH/NV 1995, 702; ferner BFH-Beschlüsse vom 1. April 2008 X B 19/08, Zeitschrift für Steuern und Recht ‑‑ZSteu‑‑ 2008, R501; vom 2. Dezember 2008 I R 48/08, ZSteu 2009, R246; vom 9. Januar 2012 I B 66/11, BFH/NV 2012, 957, jeweils m.w.N.).
Die vollständige und unterschriebene Revisionsbegründung vom 3. Februar 2014 ging jedoch erst am Donnerstag, dem 6. Februar 2014, mithin nach Fristablauf, beim BFH ein.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann dem FA nicht gewährt werden, denn es lässt sich nicht feststellen, dass es an dem Fristversäumnis unverschuldet verhindert war.
a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589; vom 15. Dezember 2011 II R 16/11, BFH/NV 2012, 593; vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, jeweils m.w.N.).
b) Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das FA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 7. November 1995 VII R 34/94, BFH/NV 1996, 343; vom 12. September 2005 VII R 10/05, BFHE 210, 227, BStBl II 2005, 880; vom 11. Mai 2010 XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834; vom 15. Dezember 2010 IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809; vom 6. November 2012 VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397, jeweils m.w.N.). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten steht demnach dem eigenen Verschulden des FA gleich (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 397, m.w.N.).
c) Die vom FA geltend gemachten Gründe für die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist schließen sein Verschulden i.S. von § 56 Abs. 1 FGO nicht aus.
aa) Jedes Verschulden ‑‑also auch eine einfache Fahrlässigkeit‑‑ schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 15. November 2012 XI B 70/12, BFH/NV 2013, 401; vom 17. Juli 2014 XI B 8/14, BFH/NV 2014, 1760). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis verschuldet war (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 1760; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. April 2014 VI ZB 1/13, Monatsschrift für Deutsches Recht 2014, 674, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2014, 1252, jeweils m.w.N.).
bb) Danach kommt die beantragte Wiedereinsetzung nicht in Betracht.
(1) Die Löschung einer Ausschlussfrist aus dem Fristenkontrollbuch erfordert bei der Versendung eines ‑‑wie hier die Revisionsbegründungsschrift vom 3. Februar 2014 betreffend‑‑ fristwahrenden Schriftsatzes mittels Telekopie, dass ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftstücks belegt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818).
Ein solcher Einzelnachweis liegt hier nicht vor. Denn nach dem eigenen Vorbringen des FA war dem ausgedruckten Sendebericht vom 3. Februar 2014 14:59 Uhr der Hinweis "Lesbarkeit evtl. beeinträchtigt auf Seite 02, 03, 08, 13" zu entnehmen. Danach konnte von einem Einzelnachweis über die ordnungsgemäße Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift vom 3. Februar 2014 selbst dann nicht ausgegangen werden, wenn ‑‑wie hier‑‑ der Sendebericht im Übrigen die Übertragung sämtlicher Seiten des zu übermittelnden Schreibens vermeintlich bestätigt.
(2) Nachdem im Sendebericht vom 3. Februar 2014 14:59 Uhr darauf hingewiesen worden war, dass die Lesbarkeit der vom FA übermittelten Revisionsbegründungsschrift, insbesondere auch die der letzten Seite mit der Unterschrift, evtl. beeinträchtigt ist, bestand konkrete Veranlassung, der Sache nachzugehen und zu prüfen, ob der abgesandte fristwahrende Schriftsatz dem BFH leserlich zugegangen war. Das FA hätte, was am Montag, dem 3. Februar 2014, um 14:59 Uhr möglich und zumutbar gewesen wäre, durch entsprechende fernmündliche Rückfrage sich Klarheit darüber verschaffen müssen, ob die Revisionsbegründungsschrift fristwahrend übertragen worden ist, um ggf. hierauf innerhalb der noch nicht abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist mit weiteren Übertragungsversuchen oder der Übermittlung von einem anderen Telefaxgerät aus reagieren zu können (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 18. Februar 2004 I R 45/03, BFH/NV 2004, 1108).
(3) Im Streitfall kommt hinzu, dass nach Darstellung des FA die technische Störung am Sendegerät bereits bekannt war. Das FA konnte angesichts dessen nicht (einfach) darauf vertrauen, das fristwahrende Schriftstück werde, wie es in der Vergangenheit trotz der Hinweise auf eine teilweise beeinträchtigte Lesbarkeit der übermittelten Schriftstücke der Fall war, ihren Empfänger, den BFH, schon leserlich erreicht haben. Es ist wie von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern im Rahmen ihres ordnungsmäßigen Bürobetriebs auch von der Finanzverwaltung zu erwarten, dass sie bei einer bereits bekannten Störung eines Sendegeräts in ihrer Verantwortungssphäre beizeiten von sich aus tätig wird, um die vollständige und ordnungsgemäße Übertragung eines fristwahrenden Schriftstücks sicherzustellen (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1108). Das ist hier nicht geschehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.