BFH VIII. Senat
EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr 6, EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr 6, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4, EStG § 4 Abs 4, EStG § 4 Abs 4, FGO § 136, FGO § 137, FGO § 155, ZPO § 554
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 26. October 2011, Az: 3 K 1849/09
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 27. Oktober 2011 3 K 1849/09 sowie die Anschlussrevision der Kläger werden als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen; die Kosten der Anschlussrevision tragen die Kläger.
Tatbestand
I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Klägerin ist nichtselbständig tätig in X.
Der Kläger war in den Streitjahren (2001 bis 2003) als Personalberater tätig. Seine Tätigkeit bestand vor allem in der Übernahme von vorbereitenden Tätigkeiten bei der Auswahl von qualifizierten Bewerbern für die jeweiligen Auftraggeber. Diese Tätigkeit übt der Kläger von einer Betriebsstätte im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in Y aus. Im 2. Obergeschoss des Hauses befindet sich auch die gemeinschaftliche Ehewohnung der Kläger. Eine weitere Wohnung im 1. Obergeschoss steht leer.
Neben der Tätigkeit als Personalberater war der Kläger in den Streitjahren außerdem als Dozent bzw. Prüfer an verschiedenen Bildungseinrichtungen in unterschiedlichen Orten tätig.
Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen für 2001, für 2002 und für 2003 machten die Kläger ‑‑ohne gesonderten Ausweis in der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)‑‑ Betriebsausgaben des Klägers für Fahrten zu den Bildungseinrichtungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen geltend.
Aufgrund einer Außenprüfung ging der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) davon aus, bei den Fahrten handele es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßigen Betriebsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG, so dass die Betriebsausgaben nur beschränkt abziehbar seien.
Gegen die entsprechenden Einkommensteueränderungsbescheide für 2001 bis 2003, die während des Einspruchsverfahrens aus anderen Gründen geändert und in dieser Fassung zum Gegenstand des Verfahrens geworden waren, erhoben die Kläger nach Zurückweisung des Einspruchs Klage, deren Gegenstand ‑‑nach mehreren Änderungen der angefochtenen Bescheide aus anderen Gründen‑‑ nur der Streit über die Berücksichtigung der Fahrtaufwendungen blieb.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG gerügt wird.
Das FA beantragt, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussrevision der Kläger zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, sowie im Wege der Anschlussrevision, dem FA unter Aufhebung der Kostenentscheidung des FG-Urteils die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die Anschlussrevision der Kläger ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.
1. Die Revision des FA ist zurückzuweisen, weil das FG zu Recht die angefochtenen Steuerbescheide unter Ansatz weiterer Fahrtkosten für die Dozententätigkeit des Klägers als Betriebsausgabe geändert hat. Denn die streitigen Fahrtaufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und den Bildungseinrichtungen sind nicht nur im Umfang der Entfernungspauschale nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, sondern nach Geschäftsreisegrundsätzen nach § 4 Abs. 4 EStG gewinnmindernd als Betriebsausgabe anzusetzen.
a) Steuerpflichtige, die ihren Gewinn ‑‑wie der Kläger‑‑ nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, können als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben absetzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG). Dabei dürfen ihre Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG nicht mindern, soweit nicht in den folgenden Sätzen der Vorschrift etwas anderes bestimmt ist. So bestimmt Satz 2 der Vorschrift, dass zur Abgeltung dieser Aufwendungen § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entsprechend anzuwenden ist; diese Regelung sieht in Bezug auf Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte vor, dass für jeden Arbeitstag, an dem der Steuerpflichtige die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte anzusetzen ist.
b) Die Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs für Aufwendungen im Zusammenhang mit Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG gilt auch für Steuerpflichtige, die als Unternehmer Gewinneinkünfte erzielen und Aufwendungen für Fahrten zwischen ihrer Wohnung und der Betriebsstätte ihres Auftraggebers haben.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem oder von dem aus er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers (BFH-Urteile vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, BFH/NV 1994, 701; vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41; vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279; vom 29. April 2014 VIII R 33/10, BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777). Der Betriebsstättenbegriff des § 12 der Abgabenordnung ist hingegen nicht maßgeblich (BFH-Urteile in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97; vom 18. September 1991 XI R 34/90, BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90).
Auf dieser Grundlage ist nach dem BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 701 die Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG auf Aufwendungen eines freiberuflichen EDV-Dozenten für Fahrten anzuwenden, die er vom Ort seines häuslichen Arbeitszimmers zu den für die Lehrtätigkeit ‑‑von dem Träger der Lehrveranstaltung‑‑ zur Verfügung gestellten Gebäuden unternommen hat. Dies gilt nach dieser Entscheidung unabhängig von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Rechtsprechung zu ständig wechselnden Einsatzstellen auch auf die Fälle des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1987 IV R 180/85, BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334; bestätigt mit BFH-Urteil vom 15. April 1993 IV R 5/92, BFH/NV 1993, 719) selbst bei mehreren Tätigkeiten eines Unternehmers, wenn sie alle in einem eng umgrenzten Gebiet wie einer einzigen (Groß-)Stadt ausgeübt werden (vgl. BFH-Urteile vom 2. November 1984 VI R 38/83, BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139, m.w.N.; VI R 143/83, BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266).
bb) Im Übrigen gelten aber für solche Fahrtaufwendungen zu mehreren Tätigkeitsstätten im Zusammenhang mit der Erzielung von Gewinneinkünften ‑‑wie im Streitfall bei der Erzielung von Einkünften aus selbständiger Arbeit‑‑ die für die Einsatzwechseltätigkeit von Arbeitnehmern entwickelten Ausnahmen von der Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, sofern die Tätigkeit des Unternehmers der Tätigkeit von Arbeitnehmern ‑‑entsprechend der früheren Terminologie‑‑ als solche an ständig wechselnden Einsatzstellen entspricht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334; in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97; in BFH/NV 1994, 701; in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777; in BFH/NV 1997, 279).
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht angesichts der in unterschiedlichen Orten belegenen Unterrichtsstätten die Abziehbarkeit der Fahrtaufwendungen nach Geschäftsreisegrundsätzen bejaht.
aa) Die Fahrten des Klägers im Rahmen seiner Dozententätigkeit sind zwar solche zwischen seiner Wohnung und der jeweiligen Bildungseinrichtung als Betriebsstätte. Denn das in seinem (ausschließlich mit seiner Familie bewohnten) Wohnhaus unterhaltene Büro kann mit Blick auf die außerhalb des Büros auszuübende Dozententätigkeit keine Betriebsstätte sein (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 701; in BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777).
Des Weiteren erfüllen die jeweils zur Ausübung der Lehrtätigkeit aufgesuchten Bildungseinrichtungen nach den oben (II.1.b aa) dargestellten Maßstäben die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte.
bb) Auf die Fahrten zwischen der Wohnung des Klägers und den jeweiligen Bildungseinrichtungen hat das FG aber zutreffend die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Kosten für Fahrten von Arbeitnehmern zu ständig wechselnden Einsatzstellen entsprechend angewendet (vgl. BFH-Urteile in BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334; in BFH/NV 1994, 701, m.w.N.), weil die verschiedenen Einsatzstellen nicht innerhalb eines in sich geschlossenen, nicht weit auseinandergezogenen und überschaubaren Gebiets, sondern sehr weit auseinander in unterschiedlichen Städten liegen (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139; vom 10. Mai 1985 VI R 157/81, BFHE 144, 46, BStBl II 1985, 595; zu Fällen fehlender hinreichenden Entfernung BFH-Urteil in BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97; in BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334 - Entfernung von nur 25 km; ebenso BFH-Urteil vom 23. Oktober 2014 III R 19/13, BFH/NV 2015, 555).
2. Die Anschlussrevision der Kläger ist nach § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Zwar durften die Kläger mit ihrer Anschlussrevision ausschließlich die Entscheidung des FG über den Kostenpunkt zum Gegenstand des Verfahrens machen, nachdem das FA gegen die Entscheidung in der Hauptsache Revision eingelegt hat (BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 218/78, BFHE 128, 314, BStBl II 1979, 741, m.w.N.).
Ihr Einwand, die Kostenentscheidung beruhe auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung der §§ 136 und 137 FGO, ist indessen unbegründet.
Mit Blick auf den für das Gerichtskostenrecht geltenden Grundsatz der Kosteneinheit (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juni 2006 7 C 14/05, Deutsches Verwaltungsblatt 2006, 1243; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 136 Rz 34, m.w.N.) hat das FG zu Recht im Rahmen des ihm insoweit zustehenden und im Streitfall auch tatsächlich ausgeübten Ermessens eine einheitliche Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 136 FGO unter Einbeziehung der von den Klägern im Laufe des Verfahrens vorgenommenen Einschränkungen ihres Klagebegehrens sowie unter Berücksichtigung verspäteten Vortrags nach § 137 FGO (z.B. Vorlage von Nachweisen über Schuldzinsen erst im Klageverfahren) getroffen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.