BFH XI. Senat
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 3, GG Art 3 Abs 1, GG Art 6 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, EStG § 32 Abs 4 S 2
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 22. September 2014, Az: 11 K 419/13
Leitsätze
NV: Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht, aufgrund der Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei ein behindertes Kind ab 1.1.2012 im Wege verfassungskonformer Auslegung auch dann gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als Kind zu berücksichtigen, wenn es in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, sind Darlegungen dazu erforderlich, warum der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG seinen Gestaltungsspielraum überschritten haben soll und warum die Gewährung des Kindergelds nicht mehr davon abhängig gemacht werden darf, dass das Existenzminimum des Kindes nicht durch eigene Einkünfte und Bezüge gedeckt ist .
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 23. September 2014 11 K 419/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Vater des im Dezember 1988 geborenen Sohnes X. Aufgrund eines Unfalls, der sich nach Ende der Berufsausbildung des X zum Straßenbauer ereignet hat, ist X schwerbehindert (Grad der Behinderung: 50). Im Streitzeitraum (Januar bis Oktober 2012) bezog X eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Den Antrag des Klägers, ihm Kindergeld für den Streitzeitraum zu gewähren, lehnte die frühere Beklagte (Familienkasse) mit der Begründung ab, X sei aufgrund der erhaltenen Rente in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger geltend machte, X sei (auch) ein nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigendes, ausbildungsplatzsuchendes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, und außerdem sei es verfassungswidrig, nach Wegfall des Grenzbetrags (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. bis zum 31. Dezember 2011) den Kindergeldanspruch behinderter Kinder von der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt abhängig zu machen, ab.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 V B 36/13, BFH/NV 2014, 680; vom 3. Februar 2014 VI B 111/13, BFH/NV 2014, 696; vom 18. Juli 2014 XI B 37/14, BFH/NV 2014, 1779).
b) Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingehen, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Mai 2008 VII B 118/07, BFH/NV 2008, 1440; vom 21. Mai 2013 III B 59/12, BFH/NV 2013, 1447). Hat der BFH die Rechtsfrage noch nicht entschieden, muss der Beschwerdeführer darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2013, 1447; vom 22. Juli 2014 XI B 29/14, BFH/NV 2014, 1780). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde ‑‑wie hier‑‑ verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 9. April 2014 III B 143/13, BFH/NV 2014, 1083; vom 9. April 2014 XI B 128/13, BFH/NV 2014, 1224).
2. Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auch den Fall umfasse, dass eine Berufsausbildung deshalb nicht begonnen werden kann, weil das ausbildungswillige Kind wegen einer Behinderung, die seine Leistungsfähigkeit erheblich einschränkt, keinen Ausbildungsplatz finden kann, ist im Streitfall nicht klärbar.
a) Dabei kann sowohl offen bleiben, ob der Senat der Auffassung des FG unter 1. seiner Gründe in vollem Umfang folgen könnte. Ebenso bedarf keiner Prüfung, ob die tatsächlichen Feststellungen des FG, das weder festgestellt hat, welcher Art die Behinderung des X ist, noch festgestellt hat, welche Ausbildung X anstrebt, seine Würdigung unter 1. der Gründe tragen könnten, X finde aufgrund seiner Behinderung keinen Ausbildungsplatz.
b) Die Entscheidung des Streitfalls hängt nämlich aus anderen Gründen nicht von der Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Frage ab. Jedenfalls kommt im Streitfall eine Berücksichtigung des X als ausbildungsplatzsuchendes Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG schon deshalb nicht in Betracht, weil hierfür nach ständiger Rechtsprechung des BFH erforderlich ist, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juni 2008 III R 66/05, BFHE 222, 343, BStBl II 2009, 1005, und vom 22. September 2011 III R 30/08, BFHE 235, 327, BStBl II 2012, 411). Das Bemühen um einen Ausbildungsplatz ist glaubhaft zu machen (BFH-Urteile vom 22. September 2011 III R 35/08, BFH/NV 2012, 232; vom 26. August 2014 XI R 14/12, BFH/NV 2015, 322). Dies ist vorliegend nicht geschehen und wird vom Kläger auch nicht behauptet, so dass schon aus diesem Grund keine Berücksichtigung des X gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG möglich ist.
3. Mit dem Hinweis, es sei grundsätzlich bedeutsam, ob § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG im Wege verfassungskonformer Auslegung so zu interpretieren sei, dass körperlich behinderte Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und aufgrund 100%iger Erwerbsminderung nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, als kindergeldberechtigte Kinder zu berücksichtigen sind, ohne dass es im Einzelfall darauf ankommt, ob Einkommen oder sonstige Bezüge die Unterhaltsbedürftigkeit ausschließen, hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt.
a) Der Kläger hat sich zunächst nicht mit der zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung (FG des Saarlands, Urteil vom 13. November 2013 2 K 1224/13, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2014, 658; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 8. April 2014 4 K 1218/12, EFG 2014, 1492), die dieselbe Auffassung wie die Vorentscheidung vertreten, befasst.
b) Weiter hat sich der Kläger nicht mit der in der Vorentscheidung und dem Urteil des FG des Saarlands in EFG 2014, 658 angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander gesetzt.
aa) Dazu hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG beim Kindergeld, soweit es als Sozialleistung zu den Maßnahmen der darreichenden Verwaltung gehört, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht; bei der Überprüfung eines Gesetzes auf Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (vgl. BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV Beilage 2005, 33, unter C.II.3.a, m.w.N.; s. auch BVerfG-Beschluss vom 6. April 2011 1 BvR 1765/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2011, 812, unter IV.2.a).
bb) Weiter bestand Anlass für eine solche Erörterung, weil es verfassungsgemäß ist, die Gewährung des Kindergelds davon abhängig zu machen, dass das Existenzminimum des Kindes nicht durch eigene Einkünfte und Bezüge gedeckt ist (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2010 2 BvR 2122/09, HFR 2010, 1109, unter II.1.). Das Kindergeld dient dazu, die wirtschaftliche Belastung, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht, auszugleichen (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 2009 III R 37/07, BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928, unter II.3.a; Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Februar 2009 B 10 Kg 2/07 R, Sozialrecht 4-5870 § 1 Nr. 2, juris, Rz 26). Der Anspruch auf Kindergeld entfällt, wenn das behinderte Kind auf elterliche Unterstützung nicht mehr angewiesen ist (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79, unter II.4.a).
cc) Zudem hätte der Kläger dem Umstand Beachtung schenken müssen, dass auch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. eine (widerlegbare) Vermutung aufstellt, dass das Kind (erst) nach Abschluss der Erstausbildung in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten (BTDrucks 17/5125, S. 41, linke Spalte, unten), und eine Änderung der Regelungen für behinderte Kinder nicht beabsichtigt war (a.a.O., rechte Spalte, a.E.).
c) Angesichts dessen hätte der Kläger begründen müssen, wieso in seiner Person eine verfassungswidrige Benachteiligung gegenüber Eltern nicht behinderter Kinder vorliegen soll, obwohl diese in vergleichbarer Situation ebenfalls kein Kindergeld erhalten. Eltern nicht behinderter Kinder, die das 21. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, ‑‑wie X‑‑ keinen Ausbildungsplatz haben, sich ‑‑wie X‑‑ nicht in einer Übergangszeit befinden, und sich ‑‑wie X‑‑ nicht um einen Ausbildungsplatz bemühen, erhalten ‑‑wie der Kläger‑‑ ebenfalls kein Kindergeld.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.