BFH VII. Senat
AO § 251 Abs 2, InsO § 35, InsO § 38, InsO § 55, InsO § 96 Abs 1, EStG § 36 Abs 2, EStG § 36 Abs 4, EStG VZ 2007 , EStG § 37 Abs 1 S 2, AO § 226, AO § 218 Abs 2, AEAO § 251 Nr 9.1.1
vorgehend FG München, 06. May 2014, Az: 9 K 2072/13
Tenor
Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 7. Mai 2014 9 K 2072/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Februar 2007 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des A eröffnet und ‑‑nach Abberufung des zwischenzeitlich bestellten Rechtsanwalts B‑‑ der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt worden.
Für den weiterhin selbstständig tätigen Insolvenzschuldner A wurden in 2007 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einkommensteuer-Vorauszahlungen geleistet, davon für das I. Quartal am 7. März 2007 7.360,72 € Einkommensteuer (ESt) und 386,96 € Solidaritätszuschlag (SolZ). Am 30. Oktober 2008 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) einen an den Insolvenzverwalter adressierten Einkommensteuerbescheid 2007. Darin wurden Einkünfte aus selbstständiger Arbeit des A in Höhe von 132.560 € zu Grunde gelegt, ESt in Höhe von 41.711 € nebst SolZ in Höhe von 2.180,25 € festgesetzt und im Abrechnungsteil (u.a.) die gesamten Vorauszahlungsbeträge für das Jahr 2007 in Höhe von 32.570,72 € auf die ESt und in Höhe von 1.673,96 € auf den SolZ abgezogen. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde zurückgenommen und der Erlass eines Abrechnungsbescheids beantragt.
Aus dem Abrechnungsbescheid vom 23. Februar 2009, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, ergibt sich:
ESt
SolZ
Jahreseinkommensteuer
41.711,00 €
2.180,25 €
Anrechenbare Quellensteuern:
Kapitalertragsteuer
17,00 €
3,76 €
Zinsabschlagsteuer
53,00 €
0,00 €
Anrechenbare Vorauszahlungen
32.570,72 €
1.673,96 €
Verbleibende einheitliche Steuerschuld
9.070,72 €
502,53 €
Im Einspruchsverfahren teilte das FA die Gesamteinkünfte auf die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (71.326 € = 53,81 %) und nach Eröffnung (61.234 € = 46,19 %) auf, sowie dem entsprechend die festgesetzten Jahresabgaben. Danach ergab sich folgende Berechnung
zur ESt:Summe
Insolvenzforderung
Masseforderung
Einkünfte
132.560,00 €
71.326,00 €
61.234,00 €
Steuer
41.641,00 €
22.402,85 €
19.238,15 €
abzüglich Vorauszahlungen
32.570,72 €
0,00 €
32.570,72 €
Zwischensumme
9.070,28 €
22.402,85 €
-13.332,57 €
Ausgleich
0,00 €
-13.332,57 €
+13.332,57 €
Ergebnis
9.070,28 €
9.070,28 €
0,00 €
Anmeldung zur Tabelle somit 9.070,28 €
und zum SolZ:Summe
Insolvenzforderung
Masseforderung
Einkünfte
132.560,00 €
71.326,00 €
61.234,00 €
Steuer
2.176,49 €
1.170,95 €
1.005,54 €
abzüglich Vorauszahlungen
1.673,96 €
0,00 €
1.673,96 €
Zwischensumme
502,53 €
1.170,95 €
-668,42 €
Ausgleich
0,00 €
-668,42 €
+668,42 €
Ergebnis
502,53 €
502,53 €
0,00 €
Anmeldung zur Tabelle somit 502,53 €.
Die festzusetzende Steuer sei den insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen im Verhältnis der Einkünfte aus den unterschiedlichen Vermögensbereichen zu der Summe der Einkünfte zuzuordnen. Vorauszahlungen und Steueranrechnungsbeträge würden bei dem insolvenzrechtlichen Vermögensbereich berücksichtigt, aus dem sie geleistet worden seien. Steuererstattungsansprüche entstünden im Zeitpunkt der Entrichtung der Vorauszahlungen bzw. des Einbehalts der Steuerabzugsbeträge unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Veranlagungszeitraums die geschuldete Steuer geringer sei als die Summe aus geleisteten Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen. Die sich für den Bereich Insolvenzmasse ergebende Erstattung werde mit den sich ergebenden Nachzahlungsbeträgen verrechnet, wobei die Verrechnung zuerst mit der Insolvenzforderung erfolge.
Auf die dagegen erhobene Klage, die der Kläger zusammengefasst damit begründete, dass die nach Insolvenzeröffnung gezahlten Einkommensteuervorauszahlungen wegen des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) ausschließlich mit nach Insolvenzeröffnung entstandenen Einkünften zu verrechnen seien, hat das Finanzgericht (FG) unter Änderung des Abrechnungsbescheids dem Kläger einen Erstattungsanspruch in Höhe von 5.943,69 € ESt 2007 und in Höhe von 279,94 € SolZ 2007 zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Bei der Verrechnung der Vorauszahlungen sei zu berücksichtigen, ob sie vor der Insolvenzeröffnung entstanden seien und damit zu den Insolvenzforderungen gehörten oder nach Insolvenzeröffnung mit der Folge, dass sie zu den Masseverbindlichkeiten zu rechnen seien. Die nach Insolvenzeröffnung entstandenen Vorauszahlungen zählten zu den Masseverbindlichkeiten. Da maßgeblich für die Entstehung der Vorauszahlungen jeweils der Beginn des Quartals sei, zähle die Vorauszahlung des I. Quartals, die am 1. Januar entstanden sei, zu den Insolvenzforderungen, während die späteren Zahlungen zu den Masseverbindlichkeiten zu rechnen seien. Demgemäß berechne sich die Erstattung:
ESt
Summe
Insolvenzforderung
Masseforderung
ESt
41.711,00 €
23.444,69 €
19.266,31 €
abzüglich Vorauszahlungen
32.570,72 €
7.360,72 €
25.210,00 €
Ergebnis
15.083,97 €
5.943,69 €
SolZ
Summe
Insolvenzforderung
Masseforderung
SolZ
2.180,25 €
1.173,19 €
1.007,06 €
abzüglich Vorauszahlungen
1.673,96 €
386,96 €
1.287,00 €
Ergebnis
786,23 €
279,94 €
Mit seiner Revision macht das FA geltend, ein Erstattungsanspruch scheide aus, da im Streitfall die geschuldete Steuer höher als die geleisteten Vorauszahlungen sei. Auch unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlich gebotenen Aufteilung der Steuerschuld in Vermögensbereiche vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei die Entstehung des Erstattungsanspruchs immer von der Festsetzung der Jahressteuer abhängig. Deshalb sei es nicht möglich, dass sich für einen Vermögensbereich eine Erstattung und für einen anderen Vermögensbereich eine Nachzahlung ergebe. Vielmehr sei die sich aus dem Bereich der Insolvenzmasse ergebende Erstattung mit dem verbleibenden Nachzahlungsanspruch zu verrechnen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er meint, die Rechtsauffassung des FA wie auch das angefochtene Urteil beruhten auf einer fehlerhaften Anwendung der insolvenzrechtlichen Normen, insbesondere des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Einkommensteuervorauszahlungen für 2007 seien erst nach Insolvenzeröffnung geleistet worden. Die Erstattungsansprüche aus diesen Vorauszahlungen seien damit ebenfalls erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, das FA sei also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden mit der Folge, dass die Aufrechnung mit vor Insolvenzeröffnung entstandenen Steuerforderungen unzulässig sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht nicht dadurch, dass es die Klage nicht dem Antrag des FA entsprechend vollumfänglich abgewiesen, sondern dem Kläger einen Erstattungsanspruch zu Gunsten der Insolvenzmasse zugesprochen hat, obwohl die Jahressteuerschuld höher war als die gezahlten Vorauszahlungen.
Wie der Senat im Urteil vom 24. Februar 2015 VII R 27/14 (BFHE 248, 518) auf die Revision des Klägers ausgeführt hat, waren die sämtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entrichteten Vorauszahlungen in Höhe des nach der ‑‑vom Kläger nicht angefochtenen‑‑ Anrechnung auf die nachinsolvenzliche Steuerforderung verbliebenen Überschusses gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes zur Insolvenzmasse zurückzuzahlen. Einer Aufrechnung des FA mit seiner Insolvenzforderung gegen diesen Erstattungsbetrag steht nach dieser Entscheidung das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf jene Entscheidung verwiesen.
Zur Begründung seiner abweichenden Auffassung, es könne den verbliebenen Überschuss zur Anrechnung auf seine Insolvenzforderung verwenden, beruft sich das FA auf den Anwendungserlass zur Abgabenordnung § 251 Nr. 9.1.1 viertletzter Absatz. Dort heißt es: "Aufgrund der Verteilung einer einheitlichen Steuerschuld ist es nicht möglich, dass sich für einen Vermögensbereich eine Erstattung und für einen anderen Vermögensbereich eine Nachzahlung ergibt. Die sich auch für den Bereich Insolvenzmasse ergebende Erstattung wird daher mit den sich ergebenden Nachzahlungsbeträgen verrechnet, wobei die Verrechnung zuerst mit der Insolvenzforderung erfolgt."
Diese Ausführungen gehen ohne Begründung über das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO hinweg. Gerade aus der vom FA nicht infrage gestellten Verteilung der "einheitlichen Steuerschuld" in zwei Vermögensbereiche ergibt sich im Streitfall ein Erstattungsbetrag des Vermögensbereichs Insolvenzmasse, weil sein Ursprung, nämlich die Entrichtung der Vorauszahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in eben diesem Vermögensbereich liegt. Gerade für diese Konstellation hat der Gesetzgeber das Aufrechnungsverbot verhängt.
Nach alledem hat das FG dem uneingeschränkten Klageabweisungsantrag des FA zu Recht nicht stattgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.