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Beschluss vom 04. März 2015, X B 39/14

Korrektur eines Flüchtigkeitsfehlers; Teilnichtigkeit eines Bescheides bei Zusammenveranlagung

BFH X. Senat

AO § 44 Abs 1, AO § 119 Abs 1, AO § 125 Abs 4, AO § 129, AO § 155 Abs 3 S 1, AO § 157 Abs 1 S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 19. February 2014, Az: 1 K 1209/11

Leitsätze

1. NV: Da der Gesetzgeber mit der Berichtigungsvorschrift des § 129 AO der materiellen Gerechtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den Vorrang vor der Rechtssicherheit (Vertrauensschutz) eingeräumt hat, sind die Finanzbehörden grundsätzlich verpflichtet, bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Korrekturvorschrift Bescheide zu ändern.

2. NV: Die Bestimmtheitsanforderungen sind erfüllt, wenn ein Bescheid bei Zusammenveranlagung auch an den überlebenden Ehegatten adressiert ist, da ein solcher Bescheid zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte enthält.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Februar 2014  1 K 1209/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihr verstorbener Ehemann wurden im Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

  2. Obwohl sie ihrer Einkommensteuererklärung eine entsprechende Leistungsmitteilung der zuständigen Landesversicherungsanstalt beigefügt hatten, erfolgte die Einkommensteuerfestsetzung ohne den Ansatz der Leibrente des verstorbenen Ehemanns. Daneben wurden die Sonderausgaben gegenüber der Steuererklärung um 202 € gekürzt und deshalb nur der Sonderausgabenpauschbetrag berücksichtigt.

  3. Nach Erhalt der Rentenbezugsmitteilung änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Einkommensteuerfestsetzung durch Bescheid vom 24. November 2010. Diesen gab es gegenüber beiden Eheleuten bekannt, obwohl der Ehemann zwischenzeitlich verstorben war. Als Korrekturvorschrift berief sich das FA auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO).

  4. Den Einspruch der Klägerin wies das FA als unbegründet zurück. Es liege eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vor. Der Sachbearbeiter habe zwar die Kennziffer für die Rente des verstorbenen Ehemanns auf der Anlage R eingetragen, diese aber nicht in das EDV-System eingegeben. Der Änderungsbescheid sei gegenüber der Klägerin wirksam, obwohl dieser auch gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin bekanntgegeben worden sei. Die Adressierung an die Klägerin genüge den Bestimmtheitsanforderungen.

  5. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit des Änderungsbescheides und hilfsweise seine Aufhebung, da keine Änderungsvorschrift greife.

  6. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 20. Februar 2014  1 K 1209/11 insoweit als unbegründet ab. Es sah den Änderungsbescheid zwar in Bezug auf den verstorbenen Ehemann als nichtig an, nicht jedoch hinsichtlich der Klägerin. Der Klägerin gegenüber sei der Bescheid wirksam bekanntgegeben worden, da das FA diesen unabhängig vom nichtigen Teil, der allein den verstorbenen Ehegatten betreffe, habe erlassen können. Die Änderungsmöglichkeit nach § 129 AO habe aufgrund des vorliegenden Flüchtigkeitsfehlers des FA bestanden. Unerheblich sei, dass das FA zunächst eine andere Korrekturvorschrift genannt habe. Begründet sei die Klage nur, soweit Sonderausgaben in Höhe von weiteren 130 € nicht berücksichtigt worden seien.

  7. Die Klägerin verlangt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Rechtsfortbildung sowie Divergenz und Verfahrensmängeln.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin genannten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder der Sache nach nicht vor oder sind nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend vorgetragen worden.

  2. 1. Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 171). Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.).

  3. a) Soweit die Klägerin ‑‑in eine Rechtsfrage gekleidet‑‑ den Bundesfinanzhof (BFH) auffordert, die Richtigkeit der Rechtsauffassung des FG zu prüfen, ein Fehler des FA bei Erlass eines Verwaltungsakts, der auf einer pflichtwidrig unterlassenen Sachverhaltsaufklärung und der Unterstellung eines nicht vorliegenden Sachverhalts beruhe, könne im Einspruchsverfahren ‑‑nunmehr gestützt auf die Korrekturvorschrift des § 129 AO‑‑ geändert werden, stellt sie gerade keine abstrakte Rechtsfrage heraus. Vielmehr formuliert sie eine auf ihren Einzelfall bezogene, nicht als abstrakt, sondern als konkret zu bezeichnende Rechtsfrage. Sie stellt insoweit auch nicht dar, warum die Beantwortung dieser Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig sein soll. Eine grundsätzliche Bedeutung ist hierdurch nicht dargelegt.

  4. b) In der BFH-Rechtsprechung ist darüber hinaus geklärt ‑‑dies verkennt die Klägerin‑‑, dass die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, verpflichtet ist, die Sache in vollem Umfang erneut zu überprüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Daraus folgt, dass diese nicht an die von dem Einspruchsführer gestellten Anträge gebunden ist und daher die ihr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterlaufenen Fehler berichtigen kann (so schon BFH-Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561, unter III.2.a, m.w.N.). Folglich ist das FA berechtigt, insbesondere die Begründung für eine Änderung auf eine andere ‑‑nun als anwendbar erkannte‑‑ Korrekturvorschrift zu stützen.

  5. 2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

  6. Eine solche Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO setzt voraus, dass über bisher ungeklärte Rechtsfragen "zur Fortbildung des Rechts" zu entscheiden ist. Dieser Zulassungsgrund konkretisiert den der Nr. 1 (BFH-Beschluss vom 10. November 2010 VIII B 159/09, BFH/NV 2011, 300). Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen (Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 165/10, BFH/NV 2011, 985). Ein diesen Vorgaben genügendes Vorbringen der Klägerin fehlt.

  7. 3. Auch eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist nicht geboten.

  8. Eine solche Zulassung der Revision wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2014 X B 181/13, BFH/NV 2014, 523, m.w.N.). Des Weiteren ist darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt oder um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2013 X B 135/12, BFH/NV 2014, 156).

  9. a) Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass die Klägerin dem angefochtenen Urteil des FG einen "Rechtssatz" entnimmt. So stellt sie ausgehend von den BFH-Urteilen vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10 (BFH/NV 2012, 694), vom 16. Januar 1964 V 94/61 U (BFHE 78, 389, BStBl III 1964, 149) und vom 17. März 1970 II 65/63 (BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598) lediglich die ihrer Ansicht nach vorliegende Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des FG dar, was allerdings nicht zur Revisionszulassung führen kann (dazu unter 5.).

  10. b) Zudem divergiert das FG-Urteil zu keiner von der Klägerin genannten Entscheidung des BFH.

  11. aa) Soweit die Klägerin auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 694 eingeht und eine fehlerhafte Beachtung der dortigen Grundsätze zu erkennen meint, ist ihre Einschätzung falsch. Wie in dieser Entscheidung verlangt, hat das FG zutreffend gesehen, dass eine offenbare Unrichtigkeit auch dann vorliegen kann, wenn der Veranlagungsbeamte Daten versehentlich nicht in ein Computerprogramm eingibt. Dieser Fehler ist hiernach dann "offenbar", wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das FG auf Seite 11 seines Urteils im Rahmen seiner Würdigung dargelegt, weshalb es von einer solchen offenbaren Unrichtigkeit nach Lage der Akten ausgegangen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Außerachtlassung der Rentenbezüge des Klägers etwa auf einem Rechtsirrtum des Sachbearbeiters oder einem Ermittlungsdefizit beruhen könnte, hat es nicht angenommen. Diese tatsächliche Würdigung der Umstände des Streitfalls durch das FG, an die der Senat revisionsrechtlich grundsätzlich nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, vermag keine Divergenzrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO begründen.

  12. bb) Soweit die Klägerin unter Nennung der BFH-Urteile in BFHE 78, 389, BStBl III 1964, 149 und in BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598 auf die aus ihrer Sicht vorliegende Aufklärungspflichtverletzung des FA abstellt, zeigt sie lediglich die aus ihrer Sicht vorliegende Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils auf, da das FG diese nicht richtig gewertet habe. Eine Divergenz in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage liegt insoweit nicht vor.

  13. cc) Die Revision ist auch nicht deshalb wegen Divergenz zuzulassen, weil das FG keine Nichtigkeitsfeststellung getroffen hat, was aus Sicht der Klägerin einen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) darstelle und deshalb verfassungswidrig sei. Insoweit fehlt es bereits an einem entsprechend substantiierten Vortrag der Klägerin. Auch bleibt unklar, welche Artikel des GG betroffen sein sollen.

  14. c) Das finanzgerichtliche Urteil leidet nicht unter einem schwerwiegenden Rechtsfehler, so dass die Revision auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO)zuzulassen ist.

  15. aa) Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes liegen vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ‑‑d.h. greifbar gesetzeswidrig‑‑ ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wieder hergestellt werden kann. Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt und auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (Senatsentscheidung vom 22. August 2012 X B 155/11, BFH/NV 2012, 2015). Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift aufzuführen.

  16. bb) Eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der Entscheidung läge nicht schon vor, wenn das FG ‑‑aus Sicht der Klägerin‑‑ die unter II.3.a aufgeführten Entscheidungen des BFH falsch angewandt hätte. Grundsätze der finanzgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Revisionsverfahren entzogen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533).

  17. Gravierende Fehler sind aus Sicht des Senats auch nicht erkennbar.

  18. (1) Das FG hat vielmehr nachvollziehbar geschildert, auf Grund welcher tatsächlichen Umstände es von einem Flüchtigkeitsfehler des Bearbeiters und damit von einer offenbaren Unrichtigkeit ausgeht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit einzelne Länderfinanzverwaltungen für die Anwendung des § 129 AO Verwaltungsverfügungen erlassen haben. Denn diese können das Ermessen des FA bei der hier vorliegenden offenbaren Unrichtigkeit nicht einschränken. Vielmehr sind die Finanzbehörden grundsätzlich verpflichtet, Steueransprüche, die sich aus den eine Steuerschuld begründenden Tatbeständen ergeben, gegenüber dem Steuerpflichtigen geltend zu machen bzw. entsprechende Feststellungs- oder Messbescheide zu erlassen, um dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu genügen. Mit der Berichtigungsvorschrift des § 129 AO hat der Gesetzgeber unter ganz bestimmten Voraussetzungen der materiellen Gerechtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den Vorrang vor der Rechtssicherheit (Vertrauensschutz) eingeräumt (so schon BFH-Urteil vom 28. Oktober 1992 II R 111/89, BFH/NV 1993, 637).

  19. (2) Zutreffend sind die Ausführungen des FG zur fehlenden Nichtigkeit des an die Klägerin adressierten Einkommensteueränderungsbescheides. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann wurden im Streitjahr zusammen veranlagt. Folglich kann die Steuerschuld, die sie als Gesamtschuldner nach § 44 Abs. 1 AO trifft, ihnen gegenüber in einem zusammengefassten Bescheid nach § 155 Abs. 3 Satz 1 AO geltend gemacht werden. Dieser bzw. auch Änderungsbescheide können nach dem Tod eines der Ehegatten gegenüber dem überlebenden Ehegatten und dem Erben des verstorbenen Ehegatten erlassen werden. Da ein in Form des § 155 Abs. 3 AO ergangener Zusammenveranlagungsbescheid zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte enthält, die (weiterhin) ein unterschiedliches (verfahrens-)rechtliches Schicksal haben können (vgl. nur BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 82/84, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545, unter II.1.a bb), genügt es den Bestimmtheitsanforderungen der §§ 119 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 2 AO, wenn der Bescheid, der an den überlebenden Ehegatten gerichtet ist, auch an ihn adressiert ist. Es ist unerheblich, soweit die Steuerfestsetzung des überlebenden Ehegatten betroffen ist, ob der andere Ehegatte, dessen Name ebenfalls verwendet wird, noch lebt oder nicht (so auch BFH-Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95, BFH/NV 1998, 1455). Ohne Bedeutung für die Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin ist dann auch, ob der gegen den verstorbenen Ehegatten gerichtete Änderungsbescheid wirksam bekanntgegeben wurde oder gar als nichtig anzusehen ist. Eine Nichtigkeitserklärung des gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheides hat das FG deshalb zu Recht als unbegründet angesehen.

  20. 4. Sofern die Klägerin mit ihrem Vorbringen Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügt, können diese nicht zur Zulassung der Revision führen. Weder ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs substantiiert dargelegt worden noch liegt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) vor. Es ist auch kein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 FGO) gegeben.

  21. a) Soweit die Klägerin die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, fehlt es bereits an einem entsprechend substantiierten Vortrag.

  22. Zwar hat das Gericht im Rahmen des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es muss seine Entscheidung begründen und daraus muss erkennbar sein, dass das Gericht sich mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auseinandergesetzt hat (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 15. April 1980  2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste (vgl. dazu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Es darf das Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. November 2014 X B 223/13, BFH/NV 2015, 202, m.w.N.).

  23. Inwieweit das FG seine diesbezügliche Pflicht verletzt haben soll, bleibt unklar, da die Klägerin lediglich schlagwortartig darauf verweist, das Gericht habe ihr während der mündlichen Verhandlung kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt.

  24. b) Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO macht Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 2005 X B 86/05, BFH/NV 2006, 118, unter 2.a, und vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, unter II.2.d).

  25. Zwar macht die Klägerin geltend, das FG hätte die Akte ‑‑gemeint ist anscheinend die Festsetzungsakte in Papierform‑‑ beiziehen müssen, doch erläutert sie nicht, inwieweit das FG von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können. Entscheidend ist nämlich für das FG nicht, ob die Papierakte bereits bei der Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung im November 2010 vorgelegen hat. Das FG stellt auf Seite 11 seines Urteils nach Lage der ihm vorliegenden Akten vielmehr darauf ab, dass der Sachbearbeiter die auf der Anlage R noch fehlende Kennziffer eingetragen und den Rentenbezug als Dauertatbestand gespeichert, die erklärten Renteneinkünfte aber nicht erfasst hatte. Dies wertet es ‑‑aus Sicht des Senats gut vertretbar‑‑ als Flüchtigkeitsfehler, nämlich als schlichtes Übersehen erklärter Einkünfte.

  26. Unerheblich ist vorliegend, ob der Veranlagungssachbearbeiter des FA einen Prüfhinweis nicht beachtet hat. Eine Feststellung des FG, dass ein solcher ‑‑im Jahr 2010 üblicher‑‑ Prüfhinweis bereits im Jahr 2006 verwandt worden ist, findet sich im Urteil nicht. Da die Klägerin die Feststellungen im FG-Urteil insoweit nicht mit einer Verfahrensrüge angreift, binden diese (fehlenden) Feststellungen den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO, so dass davon auszugehen ist, dass kein entsprechender Prüfhinweis ausgeworfen worden ist. Entscheidender Veranlagungszeitraum in Bezug auf die Berichtigungsmöglichkeit bleibt, dies verkennt die Klägerin, allein das Jahr 2006, in dem die (Erst-)Veranlagung vorgenommen worden ist, und nicht das Jahr 2010 als Jahr des Erlasses des Änderungsbescheides.

  27. c) Soweit die Klägerin rügt, die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen neuen Erkenntnisse seien vom FG unberücksichtigt geblieben, liegt ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten nicht vor.

  28. aa) Zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (Senatsbeschluss vom 22. November 2013 X B 114/13, BFH/NV 2014, 346, unter II.1.a, m.w.N.).

  29. bb) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO rügt und dabei anscheinend darauf abstellt, das FG habe unberücksichtigt gelassen, dass das FA zunächst eine Korrektur ohne Hinzuziehung der Papierakte vorgenommen habe, macht sie geltend, das FG hätte im Rahmen seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung nicht zu ihren Gunsten die Fehlerhaftigkeit der Korrekturprüfung durch das FA berücksichtigt. Anders als von ihr angenommen, wendet sie sich damit allein gegen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Hierin liegt jedoch nicht eine Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern einer falschen materiellen Rechtsanwendung, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige BFH-Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2013 X B 21/12, BFH/NV 2013, 759, m.w.N.).

  30. d) Soweit die Klägerin auf eine mögliche fehlerhafte Sachverhaltsdarstellung im FG-Urteil abstellt, kann sie diese im vorliegenden Verfahren nicht rügen. Vielmehr muss die Klägerin dies durch einen fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) geltend machen (Senatsbeschluss vom 10. August 2011 X B 100/10, BFH/NV 2011, 2098, unter 2.b). Einen solchen Antrag hat die Klägerin jedoch nicht gestellt.

  31. 5. Letztlich erschöpft sich die gesamte Beschwerdebegründung ‑‑trotz vordergründiger Heranziehung der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO‑‑ darin, die materiell-rechtlichen Fehler des FG-Urteils aus Sicht der Klägerin aufzuzeigen, womit allerdings die Zulassung der Revision nicht erreicht werden kann (vgl. auch Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 X B 164/12, BFH/NV 2013, 694, m.w.N.).

  32. 6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

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