BFH II. Senat
GrEStG § 6a S 4, UStG § 2, AEUV Art 107 Abs 1, FGO § 122 Abs 2, GrEStG § 6a S 1 Halbs 1, UmwG § 1 Abs 1 Nr 1, UmwG § 1 Abs 1 Nr 2, UmwG § 1 Abs 1 Nr 3, UmwG § 123, UmwG § 124, GrEStG § 1 Abs 1 Nr 3, GrEStG § 1 Abs 4 Nr 2 Buchst b
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 08. July 2014, Az: 7 K 135/12
Leitsätze
Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten und zu der Frage, ob die Anwendung des § 6a GrEStG voraussetzt, dass der herrschende Rechtsträger ein Unternehmen i.S. des § 2 UStG ist, sowie zum möglichen Beihilfecharakter des § 6a GrEStG Stellung zu nehmen .
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird zum Beitritt aufgefordert.
Tatbestand
I.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 20. Mai 2010 wurde die ... GmbH (GmbH) auf die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ebenfalls eine GmbH, verschmolzen. Alleinige Gesellschafterin der beiden Gesellschaften war seit Jahrzehnten eine gemeinnützige Stiftung. Die Verschmelzung wurde am 6. Juli 2010 in das Handelsregister eingetragen. Mit der Verschmelzung ging eine Vielzahl von in verschiedenen Finanzamtsbezirken gelegenen Grundstücken auf die Klägerin über.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) stellte die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 des Grunderwerbsteuergesetzes in der im Jahr 2010 geltenden Fassung (GrEStG) gesondert fest. Die Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG gewährte das FA nicht, da die Stiftung kein Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Seiner Ansicht nach folgt weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Intention des Gesetzgebers eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 6a GrEStG auf herrschende Rechtsträger, die Unternehmen im Sinne des UStG sind. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1739 veröffentlicht.
Dagegen richtet sich die Revision des FA.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung. Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft die Auslegung des § 6a GrEStG und damit eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über Bundesrecht. Die Auslegung des § 6a GrEStG weist Schwierigkeiten von solchem Gewicht auf, dass dem Senat die Beitrittsaufforderung als sachgerecht erscheint. Das betrifft den Begriff des herrschenden Unternehmens, die Anwendung der Vor- und Nachbehaltensfristen des § 6a Satz 4 GrEStG in Verschmelzungsfällen sowie unionsrechtliche Fragestellungen.
1. Der durch die Verschmelzung bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH auf die Stiftung unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
2. Im vorliegenden Verfahren ist zu entscheiden, ob für diese Rechtsvorgänge die Steuer nach § 6a GrEStG nicht zu erheben ist.
a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) die Steuer nicht erhoben. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG betrifft die Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Vermögensübertragung.
Die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG setzt nach dem Wortlaut des § 6a Satz 3 GrEStG voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Der Begriff des Unternehmens ist in § 6a GrEStG nicht definiert. Es bedarf daher der Klärung, nach welchen Grundsätzen dieser Begriff zu bestimmen ist.
aa) Nach überwiegender Auffassung muss das herrschende Unternehmen Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein (so z.B. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19. Juni 2012, BStBl I 2012, 662, Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 6a Rz 53; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 6a Rz 11; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 6a Rz 43, jeweils m.w.N.). Unternehmer ist danach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig ist (§ 2 Abs. 1 UStG). Dabei wird unterschiedlich beurteilt, ob der herrschende Gesellschafter lediglich allgemein Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein muss (so Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2 der Erlasse in BStBl I 2012, 662; Hofmann, a.a.O., § 6a Rz 11) oder ob ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Tätigkeit und der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung bestehen muss, so dass die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich des herrschenden Unternehmens zugeordnet werden kann (so Viskorf in Boruttau, a.a.O., § 6a Rz 57; Pahlke, a.a.O., § 6a Rz 44; Weilbach, Grunderwerbsteuergesetz, Stand 10. Juni 2015, § 6a Rz 28).
bb) Gegen die Bestimmung des herrschenden Unternehmens nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben wird der im Wortlaut des § 6a GrEStG fehlende Verweis auf § 2 UStG angeführt (z.B. Behrens, Die Unternehmensbesteuerung 2010, 845, 846, und Deutsches Steuerrecht 2012, 2149, 2152; Schaflitzl/Götz, Der Betrieb 2011, 374).
cc) Zweifel an der Maßgeblichkeit des umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensbegriffs könnten sich auch aus der Zielrichtung des § 6a GrEStG ergeben, dessen Auslegung sich am Verschonungszweck dieser Regelung auszurichten hat (zum Zweck der Regelung vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, BTDrucks 17/147, S. 10). Es erscheint beispielsweise fraglich, welche sachlichen Gründe es rechtfertigen könnten, dass bei der Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere (ein Rechtsvorgang, der gemäß Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der Erlasse in BStBl I 2012, 662, nach § 6a GrEStG begünstigt sein kann) die Grunderwerbsteuer gegen den übernehmenden Rechtsträger nur deshalb festzusetzen ist, weil der Alleingesellschafter beider Tochtergesellschaften nicht Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist. Dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern und Wachstumshemmnisse zu beseitigen, eine solche Unterscheidung, die auch zu einem Eingriff in den Wettbewerb führen kann, begründen könnte, ist jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar.
dd) Aus der zur Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vertretenen Auffassung, wonach herrschendes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift jeder Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein kann und diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, wenn die Anteile am erwerbenden Unternehmen zum Privatvermögen einer natürlichen Person gehören (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 20. März 1974 II R 185/66, BFHE 113, 306, BStBl II 1974, 769; ebenso z.B. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 1052; Hofmann, a.a.O., § 1 Rz 176), können keine Rückschlüsse für die Auslegung desselben Begriffs in § 6a GrEStG gezogen werden. Dem BFH-Urteil in BFHE 113, 306, BStBl II 1974, 769 lag die Fassung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 29. März 1940 ‑‑GrEStG 1940‑‑ (RGBl I 1940, 585) zugrunde. Von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 wurden nur "Unternehmen im Sinn des § 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes" erfasst. Auf eine entsprechende gesetzliche Anknüpfung des Unternehmensbegriffs an das UStG in der seit dem 1. Januar 1983 geltenden Neufassung des § 1 Abs. 3 GrEStG hat der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich verzichtet (vgl. Gesetzesentwurf zum Grunderwerbsteuergesetz, BTDrucks 9/251, S. 16).
ee) Aus der Definition des abhängigen Unternehmens in § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG lässt sich ebenfalls nicht herleiten, dass § 6a GrEStG nur auf Unternehmen im Sinne des UStG Anwendung findet. Die Vorschrift definiert, unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person als abhängig i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG gilt. Danach gilt eine juristische Person, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist, als abhängiges Unternehmen. Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG knüpft zwar an § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an. Dies rechtfertigt es, bei der Auslegung des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG die für § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG geltenden Grundsätze heranzuziehen (vgl. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 1058). § 6a Satz 4 GrEStG definiert die Abhängigkeit von Gesellschaften jedoch anders als § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG und gilt zudem nicht nur für juristische Personen, sondern auch für Personengesellschaften. Danach gilt eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor und nach dem Rechtsvorgang mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist, als abhängig. Auf das Bestehen einer Organschaft kommt es nicht an. Das spricht dafür, den Begriff des abhängigen Unternehmens in § 6a GrEStG anders auszulegen als in § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG. Dabei wird auch zu beachten sein, dass es sich bei § 1 Abs. 3 GrEStG um einen steuerbegründenden Tatbestand und bei § 6a GrEStG um eine Steuerbegünstigung handelt.
b) Das zum Beitritt aufgeforderte Bundesministerium der Finanzen (BMF) wird um Stellungnahme gebeten, auf welche herrschenden Rechtsträger seiner Auffassung nach § 6a GrEStG anwendbar sein soll. Sollte sich der Anwendungsbereich des § 6a GrEStG nicht auf Unternehmen im Sinne des UStG beschränken, sondern auch einen Rechtsträger wie im Streitfall erfassen, wird sich zudem die bislang zwischen den Beteiligten unstreitige Frage stellen, ob die Ansicht der Finanzverwaltung, dass die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere ein nach § 6a GrEStG begünstigter Rechtsvorgang sein kann (vgl. oben II.2.a cc), mit dem Wortlaut des § 6a GrEStG vereinbar ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beitrittsaufforderungsbeschluss vom 25. November 2015 II R 62/14 verwiesen.
3. In unionsrechtlicher Hinsicht wird zudem zu prüfen sein, ob es sich bei § 6a GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) handelt. Das BMF wird gebeten mitzuteilen, ob ein beihilferechtliches Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde und welches Ergebnis dieses ggf. hatte, oder andernfalls zu der Frage des Vorliegens einer Beihilfe Stellung zu nehmen.