BFH I. Senat
EStG § 25 Abs 1, EStG § 46 Abs 3, EStG § 46 Abs 5, EStDV § 70, DBA CHE Art 15a Abs 1 S 1, GG Art 3 Abs 1, EStG VZ 2010 , DBA CHE Art 15a Abs 1 S 1, EStG § 38 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 17. April 2013, Az: 3 K 2356/12
Leitsätze
Die Härteausgleichsregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 sind aus Gleichbehandlungsgründen analog bei solchen Arbeitnehmern anzuwenden, die mit ihrem von einem ausländischen Arbeitgeber bezogenen Arbeitslohn im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und mangels Vornahme eines Lohnsteuerabzugs nicht gemäß § 46 EStG 2009, sondern nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen sind (Anschluss an BFH-Urteile vom 7. August 1959 VI 299/57 U, BFHE 69, 538, BStBl III 1959, 462, und vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, BFHE 167, 52, BStBl II 1992, 720, jeweils zu einem in der Schweiz beschäftigten Grenzgänger) .
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 18. April 2013 3 K 2356/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2010) im Inland wohnten und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war bei der in der Schweiz ansässigen X-AG nichtselbständig tätig. Er erzielte im Streitjahr einen "Bruttolohn total" in Höhe von 166.248 CHF. Die X-AG behielt vom Bruttolohn gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 2 und 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) ‑‑DBA-Schweiz 1971/1992‑‑ 4,5 % Quellensteuer ein und führte diese an die Eidgenössische Steuerverwaltung ab. Die Abführung erfolgte monatlich.
Die Klägerin erzielte aus ihrer in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit als Ärztin insgesamt einen Bruttoarbeitslohn von 67.415 €. Von diesen Einnahmen wurde Lohnsteuer von insgesamt 11.323 € einbehalten und an das zuständige Betriebsstättenfinanzamt abgeführt. Im Übrigen bezog die Klägerin noch Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 243 €.
Des Weiteren erzielten die Kläger gemeinsam je zur Hälfte Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 1.816,23 €. Diese Kapitalerträge unterlagen dem inländischen Steuerabzug. Es wurde jeweils Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten.
Gegen den für das Streitjahr ergangenen Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein und machten hierbei geltend, dass der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) zu Unrecht den erweiterten Härteausgleich gemäß § 46 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG 2009) i.V.m. § 70 der im Streitjahr geltenden Fassung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV 2000) nicht durchgeführt habe. Bei Anwendung des (erweiterten) Härteausgleichs vermindere sich das zu versteuernde Einkommen um 363 €. Damit konnten die Kläger jedoch nicht durchdringen, weil sich das FA auf eine Passage im sog. Grenzgängerhandbuch der baden-württembergischen Finanzverwaltung (dort Fach B Teil 3 Nummer 1 Tz 2) berief, wonach der Härteausgleich in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu gewähren sei. Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg vermochte keinen sachlichen Grund zu erkennen, den erweiterten Härteausgleich zu versagen (Urteil vom 18. April 2013 3 K 2356/12, Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1316).
Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
1. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden. Der Kläger unterlag mit seinen von der X-AG bezogenen Einkünften als Grenzgänger gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 im Inland der Be-steuerung. Die Tatsache, dass wegen des ausländischen Arbeit-gebers kein Lohnsteuerabzug durchgeführt wurde, steht der An-wendung der Härtefallregelung des § 46 Abs. 5 EStG 2009 i.V.m. § 70 EStDV 2000 nicht entgegen.
a) Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur bei Vorliegen der in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG 2009 aufgeführten besonderen Voraussetzungen durchgeführt. So ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 EStG 2009 etwa dann zu veranlagen, wenn die ‑‑um bestimmte Beträge ggf. zu vermindernde‑‑ positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 410 € beträgt. Liegen die besonderen Voraussetzungen nicht vor, dann unterbleibt eine Veranlagung (§ 25 Abs. 1 letzter Halbsatz EStG 2009).
In denjenigen Fällen, in denen nach § 46 Abs. 2 EStG 2009 die Veranlagung durchzuführen ist, ist gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 EStG 2009 ein Betrag in Höhe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, vom Einkommen abzuziehen, wenn diese Einkünfte insgesamt nicht mehr als 410 € betragen (sog. Härteausgleich). Betragen diese Einkünfte in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2009 mehr als 410 €, dann kann durch eine Rechtsverordnung die Besteuerung so gemildert werden, dass auf die volle Besteuerung dieser Einkünfte stufenweise übergeleitet wird (§ 46 Abs. 5 EStG 2009, sog. erweiterter Härteausgleich). Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber Gebrauch gemacht und zum Ausgleich von Härten in § 70 EStDV 2000 Folgendes geregelt: Betragen in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 des Gesetzes die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, insgesamt mehr als 410 €, so ist vom Einkommen der Betrag abzuziehen, um den die bezeichneten Einkünfte, vermindert um den auf sie entfallenden Altersentlastungsbetrag (§ 24a des Gesetzes) und den nach § 13 Abs. 3 des Gesetzes zu berücksichtigenden Betrag, niedriger als 820 € sind (Härteausgleichsbetrag). Der Härteausgleichsbetrag darf nicht höher sein als die nach Satz 1 verminderten Einkünfte.
b) Ausgangspunkt der Härtefallregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 ist danach die in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2009 enthaltene 410 €-Grenze für "Nebeneinkünfte" eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitslohn als "Haupteinkunftsquelle" bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren der Besteuerung unterworfen wurde. Wird die Grenze unterschritten, dann findet eine dem Vereinfachungszweck des Lohnsteuerabzugsverfahrens zuwiderlaufende Pflichtveranlagung des Arbeitnehmers nicht allein deshalb statt, um die geringfügigen Nebeneinkünfte der an sich gebotenen Besteuerung zuführen zu können. Dadurch werden die Nebeneinkünfte dieses Arbeitnehmers bis zur "Freigrenze" von 410 € im Ergebnis von der Besteuerung freigestellt. § 46 Abs. 3 EStG 2009 überträgt diese "Freigrenze" der Sache nach auf die Veranlagungsfälle des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG 2009 und sorgt damit für die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer: Auch wenn eine Veranlagung aus den in § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG 2009 genannten Gründen erfolgen muss, bleiben Nebeneinkünfte unterhalb von 410 € steuerlich unberücksichtigt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21. Februar 2003 VI R 74/00, BFHE 201, 300, BStBl II 2003, 496). Der erweiterte Härteausgleich ergänzt das Entlastungskonzept, indem er die bei einem geringfügigen Überschreiten der "Freigrenze" drohende sprunghafte Mehrbelastung des Arbeitnehmers in einer Übergangszone bis 820 € stufenweise abmildert.
c) Ebenfalls aus Gleichbehandlungsgründen sind die steuerlichen Vergünstigungen, die der einfache und der erweiterte Härteausgleich gewähren, auch solchen Arbeitnehmern zuzugestehen, die mit ihrem von einem ausländischen Arbeitgeber bezogenen Arbeitslohn im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und mangels Vornahme eines Lohnsteuerabzugs nicht gemäß § 46 EStG 2009, sondern nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen sind. Denn es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, diesen Arbeitnehmern den Härteausgleich zu versagen, der ihnen ohne Weiteres zugestanden hätte, wenn sie bei einem inländischen Arbeitgeber beschäftigt gewesen wären (BFH-Urteile vom 7. August 1959 VI 299/57 U, BFHE 69, 538, BStBl III 1959, 462; vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, BFHE 167, 52, BStBl II 1992, 720, jeweils zu einem in der Schweiz beschäftigten Grenzgänger).
Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Dass diese zur Rechtslage nach dem früher geltenden DBA-Schweiz 1971 ergangen ist, ist unerheblich. Denn im Abkommensrecht hat sich hinsichtlich der Grenzgängerbesteuerung nichts geändert, was für die Frage der analogen Anwendung des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 von Bedeutung sein könnte.
2. Nach diesen Grundsätzen ist vom Einkommen der Kläger ein Härteausgleichsbetrag abzuziehen.
a) Beim Kläger wurde im Hinblick auf seine Einkünfte aus seiner Grenzgängertätigkeit zutreffend kein Lohnsteuerabzug vorgenommen, weil sein ausländischer Arbeitgeber hierzu nicht verpflichtet war (§ 38 Abs. 1 EStG 2009). Daher ist der Kläger zwar nicht gemäß § 46 Abs. 2 EStG 2009, wohl aber nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen. Die Härteausgleichsregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 sind in diesem Fall analog anzuwenden (BFH-Urteile in BFHE 69, 538, BStBl III 1959, 462, und in BFHE 167, 52, BStBl II 1992, 720).
b) Die Grenzgängereinkünfte des Klägers können entgegen der Auffassung der Revision nicht i.S. des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 i.V.m. § 70 Satz 1 EStDV 2000 als "einkommensteuerpflichtige Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist" (nicht lohnversteuerte Nebeneinkünfte), qualifiziert werden und führen im Ergebnis daher auch nicht zu einem (deutlichen) Überschreiten der dort genannten Betragsgrenzen von 410 € und 820 €. Denn es liegt in der Konsequenz der analogen Anwendung der Härteausgleichsregelungen auf Grenzgängerfälle, dass der in der Schweiz erzielte und im Inland besteuerte Arbeitslohn so behandelt wird, als wäre er aus einem inländischen Beschäftigungsverhältnis unter Vornahme des Lohnsteuerabzugs bezogen worden (lohnversteuerte Haupteinkünfte). Mit diesem Verständnis wird das Gleichbehandlungsziel, das von den Härteausgleichsregelungen verfolgt wird, entgegen der vom FA in der Revisionsbegründung geäußerten Auffassung nicht verfehlt, sondern für Grenzgänger gerade erst erreicht. Ein sachlicher Grund, Grenzgängern im Unterschied zu Inlandsbeschäftigten die materiellen Steuervergünstigungen des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 vorzuenthalten, kann weder dem Abkommensrecht noch den nationalen Steuervorschriften entnommen werden. Auch das FA vermag keinen solchen Grund zu benennen. Sein Hinweis, dass im Streitfall im Hinblick auf den lohnversteuerten Arbeitslohn der Klägerin ein Veranlagungstatbestand nach § 46 Abs. 2 EStG 2009 gegeben sei, ändert an der gleichheitsrechtlichen Problematik nichts. Denn selbst wenn eine Veranlagungspflicht gemäß § 46 Abs. 2 EStG 2009 gegeben sein sollte, so spricht doch nichts dafür, den Klägern materielle Steuervergünstigungen vorzuenthalten, die ihnen ohne Weiteres zustünden, wenn der "ganze Fall in Deutschland spielen" würde.
3. Von einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat gemäß § 126a Satz 3 FGO ab.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.