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Urteil vom 11. Februar 2015, I R 3/14

Einlagekonto: kein Direktzugriff, Bindung der Steuerbescheinigung - Verfassungsmäßigkeit von sog. materiellen Präklusionsbestimmungen

BFH I. Senat

KStG § 27 Abs 1 S 3, KStG § 27 Abs 1 S 5, KStG § 27 Abs 3, KStG § 27 Abs 5, GG Art 3 Abs 1, GG Art 14, AEUV Art 63, EUGrdRCh Art 17, KStG VZ 2009 , HGB § 272 Abs 2 Nr 4

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 27. November 2013, Az: 1 K 35/12

Leitsätze

1. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass ein Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto, d.h. dessen Minderung vor Auskehrung der ausschüttbaren Gewinne nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG, auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Leistung der Kapitalgesellschaft auf die Auflösung von Kapitalrücklagen zurückgeht (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. Ebenfalls ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG die Berichtigung oder erstmalige Erteilung einer Steuerbescheinigung ausgeschlossen ist, wenn entweder die Minderung des Eigenkapitals zu niedrig bescheinigt oder eine Steuerbescheinigung bis zur Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nicht erteilt worden ist (§ 27 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG). Die (fehlerhafte) Steuerbescheinigung ist deshalb der Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zugrunde zu legen .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28. November 2013  1 K 35/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

A. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Zum 31. Dezember 2008 belief sich das ihr gegenüber nach § 27 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) festgestellte steuerliche Einlagekonto (freie Kapitalrücklage) auf 25.565 € und ihr nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 ausschüttbarer Gewinn auf 8.001 €. Obgleich die Gesellschafterversammlung am 27. November 2009 beschlossen hatte, dass "die Kapitalrücklage ... aufgelöst und ... an den alleinigen Gesellschafter V zurückgezahlt" wird, hat die Klägerin am 29. Juli 2010 auf amtlichem Vordruck gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erklärt, ihr Einlagekonto zum 31. Dezember 2009 in unveränderter Höhe (25.565 €) festzustellen. Letzterem wurde mit Bescheid vom 9. September 2010 entsprochen. Der Bescheid steht ‑‑ebenso wie der am selben Tag ergangene Körperschaftsteuerbescheid 2009‑‑ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑).

  1. Mit Schreiben vom 30. November 2010 hat die Klägerin beantragt, den Feststellungsbescheid nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO dahin zu ändern, dass ihr Einlagekonto auf 0 € festgestellt wird. Dem Antrag ist eine an V erteilte Steuerbescheinigung beigefügt, die nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erst nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 9. September 2010 erstellt wurde und in der Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto in Höhe von 25.564 € ausgewiesen wurden. Der Änderungsantrag wurde vom FA mit Bescheid vom 27. Dezember 2010 abgelehnt. Da die Klägerin ‑‑trotz vorheriger Aufforderung‑‑ weder Kapitalertragsteuer einbehalten noch abgeführt hatte, wurde sie zudem mit Bescheid vom 13. Januar 2011 nach § 44 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002), § 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG 1995) ‑‑jeweils i.V.m. § 191 AO‑‑ als Haftungsschuldnerin über insgesamt 6.742,50 € (= 6.391 € [25 % x 25.565 €] zuzüglich 351,50 € [5,5 % x 6.391 €]) in Anspruch genommen.

  2. Die nach erfolglosem Einspruch gegen beide Bescheide erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 28. November 2013  1 K 35/12, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2014, 581).

  3. Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz, den Ablehnungsbescheid vom 27. Dezember 2010, den Haftungsbescheid vom 13. Januar 2011 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012 aufzuheben und das FA zu verpflichten, das steuerliche Einlagekonto auf den 31. Dezember 2009 unter Änderung des Bescheids vom 9. September 2011 in Höhe von 0 € festzustellen.

Entscheidungsgründe

B. Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass dem Antrag der Klägerin, das steuerliche Einlagekonto zum 31. Dezember 2009 auf 0 € festzustellen, nicht zu entsprechen (nachfolgend zu I.) und der Erlass des Haftungsbescheids vom 13. Januar 2011 nicht zu beanstanden ist (nachfolgend zu II.).

  1. I. Die gegen die Ablehnung des Änderungsantrags gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO erhobene Verpflichtungsklage (§ 101 FGO; dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18. April 2005 IV B 90/03, BFH/NV 2005, 1817) ist zwar auf den Wegfall des steuerlichen Einlagekontos und damit auf einen Umstand gerichtet, der die gegenüber der Klägerin festzusetzende Körperschaftsteuer unverändert lässt. Gleichwohl ist sie in ihren eigenen Rechten berührt und damit nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt, da, wie auch der Streitfall zeigt, eine zu hohe Feststellung des Eigenkapitalkontos die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Schuldnerin der zu beurteilenden Leistungen (Auskehrungen) ‑‑sog. Vergütungsschuldnerin‑‑ dem Risiko der Haftungsinanspruchnahme aussetzt (Senatsurteil vom 30. Januar 2013 I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560). Der Antrag bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

  2. 1. Der Klageantrag zielt darauf ab, das steuerliche Einlagekonto ungeachtet des zum 31. Dezember 2008 ermittelten ausschüttbaren Gewinns in Höhe von 8.001 € zum 31. Dezember 2009 auf 0 € festzustellen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4) ‑‑KStG 2002 n.F.‑‑ mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital das steuerliche Einlagekonto unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung aber nur, soweit sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen (Einlagenrückgewähr). Nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 n.F. gilt als ausschüttbarer Gewinn das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos. Diese Voraussetzungen werden nicht erfüllt.

  3. a) Der Senat hat zum Zusammenspiel dieser Vorschriften entschieden, dass es sich bei dem steuerlichen Einlagekonto um eine reine Rechengröße handelt. Das Konto weist deshalb ohne Bindung an das Handelsrecht die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen aus und dient im Falle der Vermögensauskehrung, d.h. der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Leistungen i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F., der Identifizierung der beim Gesellschafter nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002 nicht steuerpflichtigen Einlagenrückgewähr sowie deren Separierung von den nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 grundsätzlich steuerpflichtigen Kapitalerträgen (Senatsurteile vom 6. Oktober 2009 I R 24/08, BFH/NV 2010, 248; in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560). Auch hat der Senat bereits erkannt, dass der Gesetzgeber sich mit § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. für eine steuerrechtlich eigenständige Differenzrechnung entschieden hat, nach der der auf das Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelte ausschüttbare Gewinn selbst dann als vorrangig ausgekehrt gilt, wenn die Leistung der Kapitalgesellschaft auf die Auflösung von Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs zurückgeht; auch in diesem Fall kann deshalb ‑‑im Einklang mit dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 16/2710, S. 32)‑‑ ein Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto, d.h. dessen Minderung vor Auskehrung der ausschüttbaren Gewinne, nicht in Betracht kommen (Senatsurteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560; ebenso zu § 27 Abs. 1 KStG 2002 (a.F.) Senatsurteil vom 9. Juni 2010 I R 43/09, BFH/NV 2010, 2117).

  4. b) Für den Streitfall folgt aus diesen Zusammenhängen, dass die Klage schon aus materiell-rechtlicher Sicht ‑‑nämlich mit Rücksicht auf die in § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. festgeschriebene Verwendungsreihenfolge der Vermögensauskehrung‑‑ in dem Umfang keinen Erfolg haben kann, in welchem sie auf eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos zielt, die bezogen auf den 31. Dezember 2008 den um den ausschüttbaren Gewinn (8.001 €) gekürzten Bestand des Einlagekontos (hier: 25.565 € abzügl. 8.001 € = 17.564 €) überschreitet. Dem Antrag der Klägerin, das Einlagekonto vorrangig zu kürzen, könnte demnach selbst dann nicht entsprochen werden, wenn ‑‑wie im Streitfall nach dem Erlass des Feststellungsbescheids vom 9. September 2010 geschehen‑‑ die überhöhte Eigenkapitalminderung in einer unzutreffenden Bescheinigung nach 27 Abs. 3 KStG 2002 a.F./n.F. ausgewiesen wird, da in einem solchen Fall nach § 27 Abs. 5 Satz 4 ff. KStG 2002 n.F. entweder die Steuerbescheinigung zu berichtigen ist oder die Kapitalgesellschaft als Haftungsschuldnerin für die nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer einzutreten hat.

  5. c) Soweit die Klägerin gegen die Versagung des vorrangigen Zugriffs auf das steuerliche Einlagekonto verfassungsrechtliche Bedenken geltend macht, hat der Senat diese bereits in seinem Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 für den Sachverhalt der unterjährigen Mehrung des Kontos verworfen. Er hat ausgeführt, dass die Versagung des Direktzugriffs auch unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, weil sie in sachgerechter Weise durch Erfordernisse eines praktikablen Verwaltungsvollzugs getragen werde. Dabei hat der Senat insbesondere gewürdigt, dass mit § 27 Abs. 8 KStG 2002 n.F. die Regelungen zum steuerlichen Einlagekonto auf Sachverhalte im Ausland ausgedehnt worden sind; die Anerkennung einer Einlagenrückgewähr nach Maßgabe der handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften hätte demnach die Überprüfung der ausländischen Rechtsordnungen darauf hin nach sich gezogen, ob nach den jeweils einschlägigen Normen ein solcher Direktzugriff eröffnet wird und ob die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen gewahrt wurden. Das sollte vermieden werden. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber (vgl. BTDrucks 16/2710, S. 31, 32) gerade mit Rücksicht hierauf im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und zur Vermeidung von Gestaltungen den Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto verwehrt und sich für eine rein steuerrechtliche Differenzrechnung entschieden hat.

  6. aa) Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon abzurücken. Er kann sich nicht der Ansicht der Klägerin anschließen, dass die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. deshalb Art. 3 GG verletze, weil sie die Rückgewähr von Kapitalrücklagen den Gewinnausschüttungen gleichstelle und damit wesentlich ungleiche Sachverhalte gleich behandle (vgl. hierzu z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 7. Mai 2013  2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377); vielmehr ist der Gesetzgeber auch unter diesem Gesichtspunkt berechtigt, zur Bewältigung einer Vielzahl von Verwaltungsvorgängen typisierende Anordnungen zu treffen und damit die Umstände des Einzelfalls zu vernachlässigen (z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. April 2011  1 BvR 1765/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2011, 812). Zu berücksichtigen ist zudem, dass ‑‑soweit auf den nämlichen Stichtag ein ausschüttbarer Gewinn neben das steuerliche Einlagekonto tritt‑‑ die einzelne, an den Gesellschafter erbrachte Leistung (Beteiligungsertrag) sich nicht in einem gegenständlichen Sinne als Einlagenrückgewähr identifizieren lasse; jede Verwendungsreihenfolge kann ‑‑worauf der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 2010, 248 hingewiesen hat‑‑ nur einen gedanklichen Zusammenhang zu den einzelnen Bestandteilen der Rücklagen (Gewinnrücklagen, Kapitalrücklagen, unter Umständen Gewinnvortrag) und der Auskehrung herstellen (gl.A. G. Frotscher in Frotscher/ Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 27 KStG Rz 19: keine strenge Nämlichkeit; vgl. zum Anrechnungsverfahren auch Senatsurteil vom 10. Juni 2009 I R 10/09, BFHE 225, 384, BStBl II 2009, 974). So gesehen dient die steuerrechtliche Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 KStG 2002 neben den Belangen der Praktikabilität zugleich der einheitlichen und damit gleichheitsgerechten Handhabung einer zumindest nicht eindeutig entscheidbaren Zuordnungsfrage.

  7. bb) Anderes ergibt sich nicht aus dem Verweis der Klägerin darauf, dass das Nennkapital ohne vorherige Minderung des ausschüttbaren Gewinns an die Gesellschafter ausgekehrt werden kann (vgl. zu deren Behandlung z.B. Gosch/Heger, KStG, 2. Aufl., § 27 Rz 9, § 28 Rz 21b, m.w.N.). Zwar wird das Nennkapital im Gegensatz zu den sonstigen Einlagen des Gesellschafters nicht im steuerlichen Einlagekonto erfasst und untersteht es deshalb auch nicht der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 KStG 2002. Stattdessen ist es nach Maßgabe der Regelungen in § 28 Abs. 2 KStG 2002 (einschließlich derjenigen zum Sonderausweis) im Falle seiner Herabsetzung dem Einlagekonto gutzuschreiben und bei Rückzahlung unmittelbar von diesem abzuziehen (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 21. Oktober 2014 I R 31/13, BFHE 247, 531). Gleichwohl kann der Senat hierin keinen Gleichheitsverstoß erkennen, da, wie im Schrifttum zutreffend angemerkt, das ins Handelsregister einzutragende Nennkapital regelmäßig durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag eindeutig festgelegt und seine Änderung besonderen (Form-)Vorschriften unterworfen ist (vgl. zur GmbH §§ 58 ff. des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Daraus folgt, dass auch die Auskehr des herabgesetzten Nennkapitals sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zumindest im Regelfall zweifelsfrei identifiziert werden kann (zutreffend G. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 5a; Berninghaus in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 27 KStG Rz 27). Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Entscheidung zugunsten einer praxistauglichen steuerrechtlichen Verwendungsreihenfolge die Rückzahlung von Nennkapital aus der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 ausnimmt.

  8. cc) Die Klägerin wendet weiter ein, die vorrangige Auskehr der ausschüttbaren Gewinne gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 greife in Fällen eines Gesellschafterbeschlusses zur Rückzahlung von Kapitalrücklagen in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht ihres Gesellschafters (V) ein, weil bei diesem fiktive Beträge besteuert würden, die keiner Einkunftsart zugeordnet werden könnten. Der Erwägung ist nicht beizupflichten, weil § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Reihung der Vermögensauskehr anordnet. Deshalb erübrigen sich auch Ausführungen dazu, ob und in welcher Hinsicht sich die Klägerin als Haftungsschuldnerin auf eine Verletzung von Grundrechten des Vergütungsgläubigers berufen kann (vgl. hierzu auch BVerfG-Beschluss vom 22. Januar 2014  1 BvR 891/13, HFR 2014, 440).

  9. dd) Die Versagung des Direktzugriffs auf das steuerliche Einlagekonto verstößt schließlich nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ‑‑ABlEG‑‑ 2002, Nr. C-325, 1; heute Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ‑‑AEUV‑‑, Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2008, Nr. C-115, 47) sowie Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‑‑EUGrdRCh‑‑ (ABlEG 2000, Nr. C-364, 1). Angesichts des Umstands, dass vorliegend die Vermögensauskehrung einer inländischen Kapitalgesellschaft an einen im Inland wohnhaften Anteilseigner zu beurteilen ist und zudem die Verwendungsregel des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG n.F. auch für Ausschüttungen an (EU-)ausländische Gesellschafter greift, ist weder der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit noch derjenige der Niederlassungsfreiheit berührt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG n.F. in das nach Art. 17 EUGrdRCh garantierte Eigentumsrecht eingreifen könnte. Zum einen hat die inzwischen überarbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABlEU 2007, Nr. C-303, 1, BGBl II 2008, 1165) erst mit der Neufassung des Art. 6 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) durch Art. 1 Nr. 8 des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Dezember 2007 (ABlEU 2007, Nr. C-306, 1, BGBl II 2008, 1039), der für Deutschland am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist (Bekanntmachung vom 13. November 2009, BGBl II 2009, 1223), rechtliche Verbindlichkeit erlangt hat (BFH-Urteil vom 19. Juni 2013 II R 10/12, BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746, m.w.N.). Zum anderen ist zweifelhaft, ob die Erhebung von Abgaben überhaupt in den Schutzbereich des Art. 17 EUGrdRCh fällt (Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl., Art. 17 Rz 22; Ismer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einführung zum EStG Rz 406, m.w.N.). Vor allem aber ist eine Verletzung des Eigentumsrechts gemäß Art. 17 EUGrdRCh jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Grundrechte der Charta nach Art. 6 Abs. 1 EUV gemäß den Bestimmungen des Titels VII auszulegen sind und Art. 51 Abs. 1 EUGrdRCh den Anwendungsbereich der Charta auf die Durchführung des Rechts der Europäischen Union beschränkt (BVerfG-Urteil vom 24. April 2013  1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Åkerberg Fransson vom 26. Februar 2013 C-617/10, EU:C:2013:105, HFR 2013, 464; BFH-Urteil in BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746; Streinz/Michl, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 51 GR-Charta Rz 7 f., jeweils m.w.N.). Er erfasst demgemäß auch nicht die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F.

  10. ee) Angesichts dieser Zusammenhänge und ihrer verfassungsrechtlichen sowie unionsrechtlichen Würdigung besteht keine Veranlassung, wie von der Klägerin aber angeregt, nach einem Verfahrensbeitritt des Bundesministeriums der Finanzen (§ 122 FGO) die Anzahl der Feststellungen des Einlagekontos sowie den Anteil der Gesellschaftereinlagen bundesweit zu ermitteln.

  11. 2. Dem Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheids vom 9. September 2010 ist auch nicht in dem Umfang zu entsprechen, in dem er auf eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos um den nach vorrangiger Verrechnung des ausschüttbaren Gewinns verbleibenden Betrag (hier: Minderung um 25.565 € abzüglich 8.001 € = 17.564 €) gerichtet ist. Zwar würde eine solche Kürzung der materiell-rechtlichen Verwendungsreihenfolge des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. entsprechen. Sie ist jedoch angesichts der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 27 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 bis 3 KStG 2002 n.F. ausgeschlossen.

  12. a) Nach § 27 Abs. 3 KStG 2002 a.F./n.F. hat eine Kapitalgesellschaft im Falle von Abgängen aus dem steuerlichen Einlagekonto gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. ‑‑ggf. neben der "allgemeinen" Kapitalertragsteuerbescheinigung (§ 45a Abs. 2 EStG 2002)‑‑ nach amtlichen Muster ihrem Anteileigner als Adressat der Erklärung (Senatsurteil in BFHE 247, 531) namentlich und unter Angabe seiner Wohnanschrift die Höhe sowie den Zahltag der Leistungen, die das steuerliche Einlagekonto gemindert haben, zu bescheinigen. Wird dem nicht oder nur unzutreffend genügt, unterscheidet § 27 Abs. 5 KStG 2002 n.F. danach, ob die Kürzung des Einlagebetrags überhöht oder zu niedrig bescheinigt worden ist. In ersterem Falle eröffnet § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG n.F. zwar die Möglichkeit, die Steuerbescheinigung zu berichtigen; erweist sich dies jedoch beispielsweise mit Rücksicht auf die Verhältnisse bei Publikumsgesellschaften als nicht praxistauglich, sieht § 27 Abs. 3 Satz 4 KStG 2002 n.F. eine verschuldensunabhängige Haftung der Kapitalgesellschaft für die (aufgrund der überhöht bescheinigten Minderung des Einlagekontos) zu Unrecht nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer mit der Folge vor, dass auch im Falle der Haftungsinanspruchnahme die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos anzupassen ist (§ 27 Abs. 3 Satz 6 KStG 2002 n.F.). Wird hingegen der Abgang aus dem Einlagekonto zu niedrig bescheinigt, schreibt § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG 2002 n.F. die Verwendung der Eigenkapitalteile gemäß der Bescheinigung fest, so dass diese zugleich der Feststellung des Einlagekontos zugrunde zu legen ist (z.B. Blümich/ Oellerich, § 27 KStG Rz 61); eine Berichtigung der Bescheinigung ist nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. ausgeschlossen. Ergänzend hierzu gilt nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG 2002 n.F. für den Sachverhalt, dass bis zum Tag der erstmaligen Feststellung nach § 27 Abs. 2 KStG 2002 n.F. keine Steuerbescheinigung gemäß § 27 Abs. 3 KStG 2002 n.F. erteilt worden ist, der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit 0 € bescheinigt; auch hier ist nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. eine Korrektur der Steuerbescheinigung (nämlich in Form ihrer erstmaligen Erteilung) ausgeschlossen (vgl. zu allem ‑‑einschließlich der abweichenden Rechtslage gemäß § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 a.F.‑‑ Senatsurteile in BFHE 247, 531; in BFHE 225, 384, BStBl II 2009, 974; Senatsbeschluss vom 3. Februar 2010 I B 32/09, BFH/NV 2010, 1128).

  13. b) Da im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Klägerin bis zum Tag der Bekanntgabe des Bescheids vom 9. September 2010 über die unveränderte Feststellung des Einlagekontos zum 31. Dezember 2009 (25.565 €) ihrem Anteilseigner (V) keine Steuerbescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG 2002 a.F./n.F. erteilt hat, ist nach den wiedergegebenen Bestimmungen des § 27 Abs. 5 Satz 1 bis 3 KStG 2002 n.F. von einer Minderung des Einlagekontos aufgrund der Ausschüttungen des Jahres 2009 um 0 € auszugehen (Satz 2) und die hiermit verbundene Verwendungsfiktion (Gewinnausschüttung) der Feststellung des Einlagekontos zum Ende des Jahrs 2009 zugrunde zu legen. Soweit die Klägerin hiergegen einwendet, die Feststellung des Einlagekontos beruhe auf einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO kann dem nicht gefolgt werden. Sie lässt außer Acht, dass die Feststellung des Einlagekontos nicht (offenbar) unrichtig ist, sondern ‑‑im Gegenteil‑‑ den rechtlichen Vorgaben des § 27 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 KStG 2002 n.F. entspricht, nach denen die fehlende ebenso wie eine zu geringe Bescheinigung Bindungswirkung für den Feststellungsbescheid nach § 27 Abs. 2 KStG 2002 n.F. entfaltet; auch kann die unterbliebene Bescheinigung der Einlagenrückgewähr nach Erlass des ersten Feststellungsbescheids selbst dann nicht mehr nachgeholt werden, wenn die Bescheinigung aus Versehen nicht erteilt worden ist (zutreffend G. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 88d; Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 27 KStG Rz 215; Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 27 Rz 294; Blümich/ Oellerich, § 27 KStG Rz 62; Berninghaus in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 27 KStG Rz 124; Gosch/Heger, a.a.O., § 27 Rz 46 a.E.). Der Senat kann der Klägerin ferner nicht darin folgen, dass das FA vor Erlass des Bescheids vom 9. September 2010 verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin auf die vorstehenden Regelungszusammenhänge hinzuweisen. Die Klägerin lässt insoweit unberücksichtigt, dass die Bestimmungen des § 27 Abs. 5 Satz 1 bis 3 KStG 2002 n.F. sowohl tatbestandlich als auch mit Rücksicht auf ihre Rechtsfolgen eindeutig gefasst sind. Auch ist für den Senat nicht ersichtlich, was die Klägerin ‑‑sieht man von ihrer fehlerhaften Erklärung zur Feststellung des Einlagekontos ab‑‑ daran gehindert haben sollte, ihrem Gesellschafter rechtzeitig ‑‑nämlich vor der Bekanntgabe des Bescheids vom 9. September 2010‑‑ eine zutreffende Steuerbescheinigung über die Höhe der durch die Ausschüttungen des Vorjahrs (2009) veranlassten Einlagenrückgewähr zu erteilen.

  14. c) Entgegen ihrer Auffassung wird die Klägerin durch die Regelung des § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F., nach der die Berichtigung oder erstmalige Erteilung einer Steuerbescheinigung ausgeschlossen ist, wenn entweder die Minderung des Einlagekontos zu niedrig bescheinigt oder eine Steuerbescheinigung bis zur Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nicht erteilt worden ist (§ 27 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG 2002 n.F.), nicht in ihren Grundrechten verletzt. Zwar handelt es sich bei der Vorschrift des § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. um eine sog. materielle Präklusionsbestimmung, die eine spätere Korrektur der Steuerbescheinigung und die hierdurch ausgelöste Verwendungsbestimmung der Eigenkapitalteile ausschließt. Jedoch sind auch solche Bestimmungen dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie ‑‑woran, wie ausgeführt, vorliegend kein Zweifel besteht‑‑ hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und der angeordneten Rechtsfolge hinreichend klar gefasst und die Vorschriften zudem vom Gesetzgeber unter Berücksichtigung seiner Einschätzungsprärogative zur Verfolgung eines rechtlich zulässigen Zwecks geschaffen worden sind und in ihrer Ausgestaltung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten (ständige Rechtsprechung; vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 20. Januar 2014  3 B 40/13, Pharma Recht 2014, 161; BVerwG-Urteil vom 10. Dezember 2013  8 C 25/12, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2014, 1237). Auch die beiden zuletzt genannten Erfordernisse werden durch § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. gewahrt (gl.A. Zimmermann, EFG 2014, 583; Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 12).

  15. aa) Auszugehen ist hierbei davon, dass die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002, nach der Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehören, soweit für diese das steuerliche Einlagekonto i.S. des § 27 KStG 2002 n.F. als verwendet gilt, tatbestandlich an die im Bescheid nach § 27 Abs. 2 KStG 2002 n.F. ausgewiesenen Bestände des steuerlichen Einlagekontos anknüpft. Die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos entfaltet auch für die Besteuerung der Anteilseigner materiell-rechtliche Bindungswirkung (Senatsurteil vom 19. Mai 2010 I R 51/09, BFHE 230, 128, BStBl II 2014, 937); eine geänderte Feststellung führt deshalb als rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AO zu einer entsprechenden Anpassung der Veranlagung des Anteilseigners (Senatsurteil vom 29. Januar 2015 I R 70/13, BFHE 249, 118). Da aber der Bescheid zur Feststellung des Einlagekontos nicht gegenüber dem Anteilseigner, sondern gegenüber der Kapitalgesellschaft als Inhaltsadressatin ergeht, kommt der Steuerbescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG 2002 n.F. ersichtlich die Aufgabe zu, die durch die Feststellung des Einlagekontos bestimmte Korrespondenz beider Besteuerungsebenen verfahrensrechtlich abzusichern. Die dem Anteilseigner erteilte und von ihm im Veranlagungsverfahren vorgelegte Bescheinigung (§ 27 Abs. 3 KStG 2002 n.F.) erbringt deshalb den Beweis, dass der bescheinigte Betrag ausgeschüttet wurde und in dem ausgewiesenen Umfang aus dem steuerlichen Einlagekonto stammt; die bloße Behauptung, die Bescheinigung sei falsch, ist nach der Rechtsprechung des Senats nicht geeignet, diesen Beweis zu erschüttern (Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1128).

  16. bb) Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass der Gesetzgeber mit seinem Anliegen, die Besteuerung des Anteilseigners an der Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nach Maßgabe der gegenüber der Kapitalgesellschaft zu treffenden Feststellungen auszurichten und damit beide Besteuerungsebenen zu verklammern, ein im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung (betreffend die verfassungsrechtlichen Erfordernisse für eine materielle Präklusionsvorschrift) zulässiges Ziel verfolgt. Auch ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Ermessens den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt hätte. Die Bindung des Feststellungsbescheids an die dem Anteilseigner bis zur Feststellung des Einlagekontos erteilte Steuerbescheinigung (§ 27 Abs. 3 KStG 2002 n.F.) ist nicht nur als geeignet, sondern auch als erforderlich anzusehen, da ‑‑wie der Senat bereits zu der vergleichbaren Regelung des § 54 Abs. 10a Satz 2 KStG 1999 entschieden hat‑‑ insbesondere bei Gesellschaften mit einem größeren Kreis von an verschiedenen in- und ausländischen Orten wohnenden (ansässigen) Anteilseignern ein nachträglicher Austausch der Bescheinigungen nicht praktikabel wäre (Senatsurteil vom 26. September 2007 I R 8/07, BFHE 219, 105, BStBl II 2008, 387; vgl. auch § 45a Abs. 5 EStG 2002) und zudem eine nachträgliche Berichtigung oder ‑‑in den Fällen des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG 2002 n.F.‑‑ die erstmalige Erteilung der Steuerbescheinigung das anzuerkennende Interesse an einer möglichst verfahrenssicheren Abstimmung der Besteuerungsebenen beeinträchtigen kann (zutreffend Antweiler in Ernst & Young, a.a.O., § 27 Rz 291 a.E.). Es liegt innerhalb des dem Gesetzgeber zukommenden Ermessens, im Interesse einer einheitlichen Handhabung ‑‑und damit im Einklang mit seinem Grundanliegen nach praktikablen Regelungen‑‑ nicht zwischen Publikumsgesellschaften und kleineren Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Gegen eine solche Unterscheidung sprechen vor allem die erkennbaren Schwierigkeiten bei der Bestimmung abstrakter und tragfähiger Abgrenzungsmerkmale, mittels derer die Übereinstimmung von Steuerbescheinigung und festgestelltem Einlagekonto bei "kleineren Unternehmen" ohne Präklusionsbestimmungen sichergestellt werden könnten; auch bedürfte es bei einer solchen differenzierenden Lösung Regelungen für den Fall, dass sich der Umfang der Geschäftstätigkeit der Kapitalgesellschaft und/oder ihre Beteiligungsverhältnisse im Zeitverlauf ändern. Die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung ist verhältnismäßig. Hierbei ist auch zu würdigen, dass jedenfalls dann, wenn die Kapitalgesellschaft ‑‑wie im Streitfall‑‑ erkennt, dass sie Leistungen i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. erbringt, die fehlerhafte Bescheinigung ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen ist (zu nachträglich festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen s. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 27 KStG Rz 214; Oberfinanzdirektion Münster, Verfügung vom 27. November 2009, Deutsches Steuerrecht 2010, 225). Hinzu kommt, dass eine zu niedrige Bescheinigung der Einlagenrückgewähr in Verbindung mit der Präklusionsvorschrift des § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. (auch) aus Sicht der Kapitalgesellschaft als Haftungsschuldnerin für die einzubehaltende Kapitalertragsteuer insofern nicht mit einer endgültigen Rechtsbeeinträchtigung verbunden sein muss, als die erhöhte Feststellung des Einlagekontos den ausschüttbaren Gewinn mindert (§ 27 Abs. 5 Satz 5 KStG 2002 n.F.) und damit für zukünftige Ausschüttungen (beispielsweise von zukünftig erzielten Gewinnen) im Rahmen der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. die (kompensatorische) Möglichkeit einer nicht kapitalertragsteuerpflichtigen Einlagenrückgewähr eröffnet wird.

  17. cc) Eine andere verfassungsrechtliche Würdigung ist nicht deshalb geboten, weil im Falle einer überhöht bescheinigten Einlagenrückgewähr die Bescheinigung nach § 27 Abs. 5 Satz 5 KStG 2002 n.F. berichtigt werden kann. Zum einen dienen die Vorschriften des § 27 Abs. 5 Satz 4 bis 6 KStG 2002 n.F. der Missbrauchsvermeidung und damit einem eigenständigen Zweck; sie wollen verhindern, dass durch Ausstellen einer bewusst fehlerhaften Bescheinigung eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos erreicht und damit der Anfall steuerpflichtiger Einkünfte in Verbindung mit dem Einbehalt von Kapitalertragsteuer umgangen werden kann (BTDrucks 16/3369, S. 8). Zum anderen besteht nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG 2002 n.F. die Möglichkeit, die auf den überhöht bescheinigten Betrag entfallende Kapitalertragsteuer im Wege der Haftungsinanspruchnahme geltend zu machen und damit von einer Bescheinigungsberichtigung abzusehen. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass auch hierin ‑‑d.h. in dem Rückgriff auf die verschuldensunabhängige Haftungsschuldnerschaft der Kapitalgesellschaft‑‑ ein im Sinne des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) sachlicher Grund dafür zu sehen ist, im Falle einer zu niedrigen Bescheinigung der Leistungen aus dem Einlagekonto eine Korrektur der Steuerbescheinigung nicht vorzusehen (Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 131).

  18. II. Der Vorinstanz ist schließlich ebenso darin zu folgen, dass die Klägerin ihre Pflichten zum Einbehalt sowie zur Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer i.S. von § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002 (i.V.m. § 1 Abs. 2 SolZG 1995) grob fahrlässig verletzt hat und deshalb der Erlass des Haftungsbescheids vom 13. Januar 2011 nicht zu beanstanden ist (§ 191 AO). Die Klägerin hat nicht nur die Verwendungsregel des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. unberücksichtigt gelassen, sondern darüber hinaus eine fehlerhafte Erklärung zur Feststellung des Einlagekontos abgegeben und ‑‑trotz der eindeutigen Regelungen des § 27 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 n.F. sowie des ausdrücklichen Hinweises in der ihrer Körperschaftsteuererklärung 2009 beigefügten Anlage WA auf die "ausgestellten Steuerbescheinigungen"(dort Zeile 20a)‑‑ die Präklusionswirkung des Feststellungsbescheids vom 9. September 2010 nicht beachtet. Gründe, die diese Versäumnisse sowie die hiernach rechtswidrige Nichtabführung der Kapitalertragsteuer entschuldigen könnten, sind auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Vorbringens der Klägerin nicht erkennbar.

  19. III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 2 FGO.

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