BFH XI. Senat
UStG § 4 Nr 14 Buchst a, PodG § 3, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst c, UStAE Abschn 4.14.4 Abs 11 S 1 Nr 10, UStG VZ 2012
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 04. February 2014, Az: 4 K 75/12
Leitsätze
1. Bei medizinisch indizierten fußpflegerischen Leistungen i.S. des § 3 PodG, die Podologen erbringen, handelt es sich um umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen, während "selbstindizierte" Behandlungen keine Heilbehandlungen sind.
2. Als Nachweis des therapeutischen Zwecks von Leistungen können nicht nur ärztliche Verordnungen in Form eines Kassen- oder Privatrezepts dienen, sondern auch andere Unterlagen, die zum therapeutischen Zweck eine vergleichbare Aussagekraft wie ärztliche Verordnungen haben und von Personen stammen, die zur Feststellung des therapeutischen Zwecks befähigt sind.
3. Der Nachweis des therapeutischen Zwecks einer Leistung muss grundsätzlich für jede Leistung gesondert erbracht werden.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GbR, betreibt medizinische Fußpflege durch ihre beiden Gesellschafterinnen (zwei zugelassene Podologinnen); die Leistungen umfassten das fachgerechte Schneiden der Nägel und das Entfernen der Hornhaut. Die Behandlungen erfolgten teilweise auf der Grundlage von ärztlichen Verordnungen und teilweise ohne Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers.
Die Klägerin, die ihre Leistungen ausnahmslos als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen ansah, reichte auf Anforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ‑‑FA‑‑) für die Monate Januar bis Mai 2012 Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein, in denen sie die Behandlungen ohne ärztliche Verordnung als umsatzsteuerpflichtig anmeldete, legte aber dagegen Einsprüche ein und machte geltend, die Umsätze seien ‑‑entgegen der vorab geäußerten Auffassung des FA‑‑ auch ohne ärztliche Verordnung umsatzsteuerfrei.
Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2012 als unbegründet zurück.
Im Laufe des Klageverfahrens legte die Klägerin dem Finanzgericht (FG) eine Einzelaufstellung ihrer Umsätze unter namentlicher Nennung der behandelten Patienten vor und ordnete diese Patienten je nach deren Vorerkrankungen folgenden 18 Kategorien zu: Bluter (Nr. 1), Chemotherapie (Nr. 2), Cortison (Nr. 3), Diabetes (Nr. 4), Durchblutungsstörungen/pAVK (Nr. 5), Hühneraugen (Nr. 6), Immunsuppressiv (Nr. 7), Marcumar (Nr. 8), Nagelpilz (Nr. 9), Neurodermitis (Nr. 10), Neuropathie/Polyneuropathie (Nr. 11), Rheuma (Nr. 12), Schuppenflechte (Nr. 13), Rollnägel (Nr. 14), Arthrose (Nr. 15), Hüftoperation (Nr. 16), pathologischer Zustand (Nr. 17), Prävention (Nr. 18).
Sie verwies zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei ihren Leistungen gegenüber diesen Kategorien zugeordneten Patienten um Heilbehandlungen gehandelt habe, u.a. auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten. Die Zuordnung der Patienten zu der jeweiligen "Risikogruppe" sei in ihrer Patientenkartei dokumentiert und für das FA jederzeit nachvollziehbar. Das FA teilte mit, dass von der Vorlage der Patientenkartei abgesehen werden könne.
Das FG gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 590 veröffentlichten Urteil statt. Die Leistungen der Klägerin seien überwiegend gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei; die Umsatzsteuer auf die verbleibenden Umsätze werde gemäß der Regelung über die Besteuerung von Kleinunternehmern in § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht erhoben.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es macht geltend, eine Steuerbefreiung für Leistungen von Gesundheitsfachberufen komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn diese aufgrund einer Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt würden. Das deutsche Berufsrecht unterscheide zwischen Heilberufen, die eigenverantwortlich körperliche oder seelische Leiden behandeln dürften (Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut, Heilpraktiker) und den Gesundheitsfachberufen, die zur Krankenbehandlung grundsätzlich nur aufgrund ärztlicher Verordnung befugt seien. Die Ausbildung zum Podologen solle nach § 3 des Podologengesetzes ‑‑PodG‑‑ (BGBl I 2001, 3320) dazu befähigen, unter ärztlicher Anleitung oder auf ärztlicher Veranlassung medizinisch indizierte podologische Behandlungen durchzuführen. Führe ein Podologe derartige Behandlungen weder unter ärztlicher Aufsicht noch auf ärztliche Veranlassung durch, übe er damit nicht mehr den steuerlich begünstigten Beruf des Podologen aus.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie bringt vor, sie habe an der Prävention, Therapie und Rehabilitation von Fußerkrankungen mitgewirkt. Der Begriff der Heilbehandlung erfasse auch vorbeugende Leistungen. Sie habe fast ausschließlich Risikopatienten behandelt, bei denen das jeweilige Krankheitsbild aufgrund ärztlicher Diagnose festgestellt worden sei. Die von der Finanzverwaltung angebotene Alternative, sich ein Privatrezept ausstellen zu lassen, sei mit Kosten für den Patienten verbunden: Ärzte würden hierfür zwischen 10 € und 23 € pro Privatrezept, das nur für eine begrenzte Anzahl von Behandlungen ausgestellt werde, verlangen. Zudem sei die Ausstellung mit Wartezeiten in der Arztpraxis verbunden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FG hat zwar zu Recht angenommen, dass der Nachweis dafür, dass eine fußpflegerische Leistung eines Podologen therapeutischen Zwecken dient, nicht nur durch eine ärztliche Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts, sondern auch durch andere Unterlagen mit einer gleichwertigen Aussagekraft geführt werden kann. Allerdings hat das FG keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen, um beurteilen zu können, ob dies tatsächlich der Fall ist.
1. Die Vorentscheidung, die zu den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden für Januar bis Mai 2012 ergangen ist, ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil ihr nicht mehr wirksame Verwaltungsakte zugrunde liegen.
a) Der während des Revisionsverfahrens ergangene Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2012 vom 7. August 2014 hat die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide, über die das FG entschieden hat, ersetzt und ist gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. dazu z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; vom 5. Juni 2014 XI R 25/12, BFHE 245, 465, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2014, 743, Rz 26 ff., m.w.N.).
b) Damit liegen dem FG-Urteil mehrere in ihrer Wirkung suspendierte Bescheide zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 23. August 2007 V R 10/05, BFHE 217, 332, BFH/NV 2007, 2217, unter II.1.a; vom 12. Februar 2009 V R 61/06, BFHE 224, 467, BStBl II 2009, 828, unter II.1.; vom 10. November 2011 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, Rz 23 ff.; vom 11. Juli 2012 XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266, Rz 28, jeweils m.w.N.).
2. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG umsatzsteuerfrei sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. Diese Vorschrift setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um. Danach befreien die Mitgliedstaaten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) und Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL sind in gleicher Weise auszulegen; daher kann auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG weiterhin zur Auslegung herangezogen werden (vgl. EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-86/09 ‑‑Future Health Technologies‑‑, Slg. 2010, I-5215, UR 2010, 540, Rz 26 f.). § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist im Lichte dieser Bestimmungen richtlinienkonform auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, BFHE 201, 330, BStBl II 2003, 532; vom 1. April 2004 V R 54/98, BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681).
a) Der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff (vgl. EuGH-Urteile vom 20. November 2003 C-212/01 ‑‑Unterpertinger‑‑, Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111, Rz 35; vom 20. November 2003 C-307/01 ‑‑D' Ambrumenil‑‑, Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115, Rz 53) und umfasst Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 8. Juni 2006 C-106/05 ‑‑L.u.P.‑‑, Slg. 2006, I-5123, BFH/NV Beilage 2006, 442, Rz 27; BFH-Urteil vom 12. August 2004 V R 27/02, BFH/NV 2005, 583). Doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist (EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-262/08 ‑‑CopyGene‑‑, Slg. 2010, I-5053, UR 2010, 526, Rz 29).
b) Dagegen sind Leistungen, die keinem therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen (vgl. EuGH-Urteil vom 14. September 2000 C-384/98 ‑‑D.‑‑, Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, Rz 18 f.; BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862).
c) Bei der Frage, ob eine Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, geht es um die Beurteilung einer medizinischen Frage, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind; die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist als solche für die Beurteilung, ob diese einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich (vgl. EuGH-Urteil vom 21. März 2013 C-91/12 ‑‑PFC Clinic‑‑, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2013, 458, UR 2013, 335, Rz 34 f.; s. dazu auch BFH-Beschluss vom 19. Juni 2013 V S 20/13, BFH/NV 2013, 1643, Rz 17). Der Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 XI B 54/11, BFH/NV 2012, 279, Rz 9; vom 8. April 2014 V B 38/13, BFH/NV 2014, 1106, Rz 10).
d) Außerdem muss der Leistungserbringer über einen beruflichen Befähigungsnachweis verfügen (vgl. dazu allgemein EuGH-Urteil vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04 ‑‑Solleveld u.a.‑‑, Slg. 2006, I-3617, BFH/NV Beilage 2006, 299; BFH-Urteile vom 12. August 2004 V R 18/02, BFHE 207, 381, BStBl II 2005, 227; vom 11. November 2004 V R 34/02, BFHE 208, 65, BStBl II 2005, 316).
Bei Tätigkeiten im Rahmen des seit 2002 bundesweit gesetzlich geregelten Berufs des Podologen führt bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung im Regelfall zu der erforderlichen Berufsqualifikation (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2013 V R 22/12, BFHE 240, 428, BStBl II 2014, 126, Rz 19 ff.; ebenso nunmehr Abschn. 4.14.4. Abs. 11 Satz 1 Nr. 10, Satz 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses).
3. Ausgehend davon hat das FG zu Recht angenommen, dass der erforderliche Nachweis, dass eine fußpflegerische Leistung eine Heilbehandlung ist, auch ohne ärztliche Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts geführt werden kann, wenn andere Unterlagen mit derselben Aussagekraft wie einer ärztlichen Verordnung vorgelegt werden, aus denen sich der therapeutische Zweck der Leistung ebenso eindeutig ergibt.
a) Der Gesetzgeber hat in § 3 PodG die Aufgabenstellung des Podologen sowie das Ausbildungsziel wie folgt definiert:
"Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu befähigen, durch Anwendung geeigneter Verfahren nach den anerkannten Regeln der Hygiene allgemeine und spezielle fußpflegerische Maßnahmen selbständig auszuführen, pathologische Veränderungen oder Symptome von Erkrankungen am Fuß, die eine ärztliche Abklärung erfordern, zu erkennen, unter ärztlicher Anleitung oder auf ärztliche Veranlassung medizinisch indizierte podologische Behandlungen durchzuführen und damit bei der Prävention, Therapie und Rehabilitation von Fußerkrankungen mitzuwirken (Ausbildungsziel)."
b) Zur Begründung hat der Gesetzgeber ausgeführt, Ziel sei es, an die Seite der Ärzte einen qualifizierten Podologen zu stellen, der insbesondere bei Patienten, bei denen podologische Behandlungen mit erheblichen Risiken verbunden sein können (wie. z.B. Patienten mit Durchblutungsstörungen, Diabetes, Blutkrankheiten oder besonderen Infektionsrisiken), wichtige Aufgaben in der Prävention, bei der Therapie und der Rehabilitation auf dem Gebiet der medizinischen Fußpflege übernimmt; daneben stehe bei "selbstindizierten Behandlungen" im Bereich der medizinischen Fußpflege ein erkennbar qualifizierter Beruf zur Verfügung (BRDrucks 672/00, S. 1, unter A.). Das Spektrum der medizinischen Fußpflegepraxen solle sich ‑‑orientiert am Ausbildungsziel des PodG‑‑ langfristig auf ein breit gefächertes Tätigkeitsfeld ausrichten, welches neben der "selbstindizierten Behandlung" zunehmend durch "medizinisch indizierte" Behandlungs- und Prophylaxemaßnahmen gekennzeichnet sei (BRDrucks 672/00, S. 8). Gerade eine fundierte Ausbildung versetze die Podologin oder den Podologen erst in die Lage, die Grenzen des Arbeitsbereichs zu erkennen, um dem Patienten auf Veranlassung des Arztes eine optimale Behandlung zukommen zu lassen (BRDrucks 672/00, S. 8). In Zukunft solle der Arzt für medizinisch indizierte podologische Maßnahmen der Prävention, Therapie und Rehabilitation auf einen Fachberuf zurückgreifen können, dessen Leistungsqualität durch eine geregelte Ausbildung und eine staatliche Anerkennung garantiert sei (BTDrucks 14/7107, S. 2). Mit der Untersagung der Verwendung der Bezeichnung "Medizinischer Fußpfleger" solle deutlich gemacht werden, dass nur Podologen medizinisch indizierte Fußpflege (podologische Behandlung auf ärztlicher Veranlassung) ausüben können (BRDrucks 672/00, S. 15, erster Absatz).
c) Aus der Systematik des § 3 PodG und den genannten Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass hinsichtlich der Leistungen der Podologen zu differenzieren ist: Sie erbringen einerseits "selbstindizierte" Behandlungen, bei denen sich der Patient dafür entscheidet, einen Podologen in Anspruch zu nehmen, und außerdem "medizinisch indizierte" Behandlungen, bei denen die Leistung unter ärztlicher Anleitung oder auf ärztliche Veranlassung erfolgt. Als Zwischenstufe besteht die Leistung des Podologen außerdem darin, (z.B. bei Vornahme selbstindizierter Maßnahmen) pathologische Veränderungen oder Symptome von Erkrankungen am Fuß zu erkennen, die eine ärztliche Abklärung erfordern (und nach erfolgter ärztlicher Abklärung ggf. eine medizinisch indizierte Leistung auf Veranlassung des Arztes nach sich ziehen können).
d) Bei "medizinisch indizierten" Leistungen i.S. des § 3 PodG handelt es sich um Heilbehandlungen, während "selbstindizierte Behandlungen" keine Heilbehandlungen sind.
aa) Zwar wirken ‑‑wie die Klägerin zutreffend geltend macht‑‑ nach dem Wortlaut des § 3 PodG Podologen mit allen von ihnen erbrachten Leistungen, also auch den "selbstindizierten Behandlungen" i.S. des § 3 Alt. 1 PodG, bei der Prävention, Therapie und Rehabilitation von Fußerkrankungen mit.
bb) Allerdings handelt es sich ‑‑insoweit entgegen der Auffassung der Klägerin und des FG‑‑ sowohl beim Schneiden der Fußnägel als auch beim Entfernen der Hornhaut um Leistungen, die nicht nur therapeutischen, sondern auch anderen Zwecken (nämlich der allgemeinen Körperpflege oder kosmetischen Zwecken) dienen können.
Deshalb müssen zur zutreffenden Abgrenzung der steuerfreien und steuerpflichtigen Leistungen von Podologen grundsätzlich für jeden einzelnen Leistungsempfänger von dazu befähigtem Fachpersonal medizinische Feststellungen zum Zweck der Leistung getroffen werden (vgl. EuGH-Urteil ‑‑PFC Clinic‑‑ in HFR 2013, 458, UR 2013, 335, Rz 34 f.). Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des PodG im Jahr 2001 davon ausgegangen ist, dass ein Viertel der an Diabetes erkrankten Personen an behandlungsbedürftigen Veränderungen am Fuß leiden (BRDrucks 672/00, S. 9), also drei Viertel nicht. Dies zu beurteilen ist Aufgabe des behandelnden Arztes oder Heilpraktikers.
cc) Selbstindizierte Behandlungen i.S. des § 3 Alt. 1 PodG scheiden danach als steuerfreie Heilbehandlungen von Podologen aus; denn die rein subjektive Vorstellung des Patienten vom Zweck der Leistung ist als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich (vgl. EuGH-Urteil ‑‑PFC Clinic‑‑ in HFR 2013, 458, UR 2013, 335, Rz 34). Will der Patient erreichen, dass eine Leistung umsatzsteuerfrei an ihn erbracht werden kann, muss er jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Grenzbereich medizinische Feststellungen von dazu befähigtem medizinischem Fachpersonal beibringen. Ob dies ‑‑wie die Klägerin behauptet‑‑ für den Patienten mit Kosten und Mühen verbunden ist, ist insoweit unerheblich.
Die zur Einstufung als Heilbehandlung erforderlichen medizinischen Feststellungen können Podologen (hier: die Gesellschafterinnen der Klägerin) nach dem Berufsbild des § 3 PodG nicht selbst treffen; denn sie sind aufgrund ihrer Ausbildung nicht dazu befähigt, die Vorerkrankungen, an denen die Patienten leiden sollen (z.B. Durchblutungsstörungen, eine laufende Chemotherapie oder Cortisonbehandlung, die Einnahme von Marcumar oder Immunsuppresiva oder eine "Bluterkrankheit"), zu diagnostizieren.
dd) Hingegen sind medizinisch indizierte podologische Behandlungen Heilbehandlungen; denn sie erfolgen unter ärztlicher Anleitung oder auf ärztliche Veranlassung. Beides setzt medizinische Feststellungen von dazu befähigtem Fachpersonal voraus.
e) Allerdings kann als Nachweis des therapeutischen Zwecks von Leistungen der Podologen nicht nur, wie das FA meint, eine ärztliche Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts dienen.
aa) Eine vorherige ärztliche Verordnung einer fußpflegerischen Leistung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts ist zwar ein tauglicher und für den Podologen äußerst sinnvoller Nachweis des therapeutischen Zwecks seiner Leistung; denn das Vorliegen oder Fehlen einer vorherigen ärztlichen Verordnung gewährt dem Podologen Rechtssicherheit, indem es ihm ermöglicht, seine umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen zu erkennen, bevor er mit dem Patienten das Geschäft abschließt, und zu diesem Zeitpunkt zu wissen, ob er die Umsatzsteuer in den Preis seiner Leistung einbeziehen muss oder nicht (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 6. September 2012 C-273/11 ‑‑Mecsek-Gabona‑‑, HFR 2012, 1121, UR 2012, 796, Rz 39, 41, m.w.N.).
bb) Indes schreibt ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ weder das nationale Recht noch das Unionsrecht einem Unternehmer mit beruflichem Befähigungsnachweis zwingend vor, wie er den Nachweis des therapeutischen Zwecks der von ihm erbrachten Leistung zu führen hat. Liegen die materiellen Voraussetzungen einer Norm (hier: der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG) zweifelsfrei vor, darf deren Anwendung grundsätzlich nicht allein aufgrund fehlender formeller Nachweise (hier: eines Kassen- oder Privatrezepts) versagt werden (vgl. allgemein zu Steuerbefreiungen EuGH-Urteile vom 27. September 2007 C-146/05 ‑‑Collée‑‑, Slg. 2007, I-7861, BStBl II 2009, 78, Rz 31; vom 27. September 2012 C-587/10 ‑‑VSTR‑‑, HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 46; zum Vorsteuerabzug s. EuGH-Urteile vom 8. Mai 2008 C-95/07 und C-96/07 ‑‑Ecotrade‑‑, Slg. 2008, I-3457, UR 2008, 512, Rz 63; vom 21. Oktober 2010 C-385/09 ‑‑Nidera Handelscompagnie‑‑, Slg. 2010, I-10385, UR 2011, 27, Rz 51 ff.; vom 1. März 2012 C-280/10 ‑‑Polski Trawertyn‑‑, HFR 2012, 461, UR 2012, 366, Rz 43; vom 6. Februar 2014 C-424/12 ‑‑Fatorie‑‑, HFR 2014, 383, Mehrwertsteuerrecht 2014, 125, Rz 34 ff.).
cc) Soweit die Mitgliedstaaten gemäß Art. 131 der MwStSystRL Bedingungen zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festlegen dürfen, ist dies zwar grundsätzlich zu berücksichtigen (EuGH-Urteil ‑‑PFC Clinic‑‑ in HFR 2013, 458, UR 2013, 335, Rz 38); jedoch dürfen sich solche Maßnahmen nicht auf die Definition des Inhalts der vorgesehenen Befreiungen erstrecken (vgl. EuGH-Urteile vom 19. Januar 1982 8/81 ‑‑Becker‑‑, Slg. 1982, 53, UR 1982, 70, Rz 32; vom 14. Dezember 2006 C-401/05 ‑‑VDP Dental Laboratory‑‑, Slg. 2006, I-12121, UR 2007, 104, Rz 26; vom 15. November 2012 C-174/11 ‑‑Zimmermann‑‑, HFR 2013, 84, UR 2013, 35, Rz 39).
dd) Dem kann das FA nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ein Podologe mit Leistungen, die nicht auf einer ärztlichen Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts beruhen, außerhalb seines Berufsbilds tätig sei, das der Mitgliedstaat definieren dürfe; denn das nationale Berufsrecht der Podologen enthält die vom FA gesehene Begrenzung des Berufsbilds nicht. Für medizinisch indizierte Leistungen, zu denen Podologen ebenfalls befähigt sind, lässt § 3 Alt. 3 PodG eine ärztliche Veranlassung genügen und verlangt keine ärztliche Verordnung in Form eines Privat- oder Kassenrezepts, die das FA als einzig mögliche Nachweise gelten lassen will.
ee) Unter den genannten Voraussetzungen können Podologen deshalb den Nachweis des therapeutischen Zwecks einer Leistung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO mit allen zulässigen Beweismitteln, die diesbezüglich eine vergleichbare Aussagekraft wie eine ärztliche Verordnung haben, führen, müssen dabei aber gewärtigen, dass es zu diesem Nachweis medizinischer Feststellungen am Patienten durch medizinisch dazu befähigtes Fachpersonal bedarf.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG § 3 PodG und damit den Umstand nicht beachtet hat, dass fußpflegerische Leistungen durch Podologen auch anderen als therapeutischen Zwecken dienen können und deshalb in jedem Einzelfall entsprechende medizinische Feststellungen von dazu befähigtem Fachpersonal zu treffen sind.
5. Die Sache ist insoweit nicht spruchreif.
a) Die Klägerin hat zwar bereits vor Erlass der angefochtenen Bescheide vorgetragen, dass in der Patientenkartei das Krankheitsbild, die Grundbeschwerden und die jeweilige Behandlung des Patienten dokumentiert seien, und im Klageverfahren zum Beweis dem FG die Vorlage der Patientenkartei angeboten, worauf das FA verzichtet hat. Allerdings reicht dies für eine Steuerbefreiung nicht aus, weil sich daraus nicht ergibt, wer das Krankheitsbild und die Grundbeschwerden diagnostiziert hat.
b) Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, das Krankheitsbild sei "aufgrund ärztlicher Diagnose" festgestellt und die Patienten verfügten über einen "vom Arzt ausgestellten Krankheitsausweis", der in Kopie in der jeweiligen Patientenkartei aufbewahrt werde, fehlen entsprechende tatsächliche Feststellungen des FG. Diesen Nachweis wird die Klägerin deshalb im zweiten Rechtsgang für jeden einzelnen Patienten zu erbringen haben.
c) Da von Podologen behandelte Zustände nicht zwingend chronisch sind, muss die Klägerin außerdem nachweisen, dass die medizinischen Feststellungen von dem dazu qualifizierten Fachpersonal in den medizinisch gebotenen zeitlichen Abständen erneuert wurden, damit ersichtlich ist, dass der ursprünglich vorhandene therapeutische Zweck trotz der mittlerweile erfolgten Behandlungen immer noch fortbestand.
d) Verbleibende Zweifel am therapeutischen Zweck (etwa deshalb, weil der therapeutische Zweck im Zeitpunkt der Behandlung im Nachhinein nicht mehr mit dem für eine richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Grad an Gewissheit festgestellt werden kann) gehen zu Lasten der Klägerin, die insoweit in besonderem Maße darlegungspflichtig ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1643, Rz 17).