BFH VI. Senat
FGO § 56 Abs 1 S 1, FGO § 56 Abs 1 S 2, FGO § 120 Abs 2 S 1
vorgehend FG Münster, 30. March 2014, Az: 1 K 3818/13 E
Leitsätze
1. NV: Eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten stellt nur dann eine unverschuldete Verhinderung dar, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwerwiegend ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen .
2. NV: Ein schlüssiger Wiedereinsetzungsantrag erfordert daher auch die Darlegung einer geeigneten Notfall-Vorsorge, die auch bei einer unvorhersehbaren Verhinderung die Funktionsfähigkeit des Büros, insbesondere die Überwachung von Fristsachen, gewährleistet .
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 2012 mit Urteil vom 31. März 2014 ab. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 2. Juni 2014 zugestellt. Mit am 25. Juni 2014 (Telefax) beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schreiben haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten Revision eingelegt. Die Vorsitzende des VI. Senats gab dem in dem Schreiben enthaltenen Antrag, die Revisionsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 2. September 2014 zu verlängern, statt. Mit am 3. September 2014 beim BFH eingegangenem Schreiben (Telefax) hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und eine weitere Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 17. September 2014 beantragt.
Mit Schreiben vom 4. September 2014 wies die Senatsvorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf einen vor Fristablauf gestellten Antrag hin verlängert werden könne. Da der Fristverlängerungsantrag am 3. September 2014, mithin nach Fristablauf am 2. September 2014, eingegangen sei, könne dem Antrag nicht entsprochen werden.
Mit am 15. September 2014 (Telefax) beim BFH eingegangenem Schreiben beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist. Im selben Schreiben begründete er die Revision.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte er aus, er sei der alleinige Sachbearbeiter und habe sich ab Mitte August mehrmals wöchentlich in ärztliche und therapeutische Behandlung begeben müssen. Deshalb habe er nur sporadisch drei bis vier Tage in der Woche für allenfalls zwei bis drei Stunden nachmittags die Kanzlei aufsuchen können. Zwar habe er mit dem Entwurf der Revisionsbegründung bereits am Freitag, dem 8. August 2014, begonnen und die Akten auf seinem Schreibtisch liegen gehabt. Wegen der Erkrankung seien aber in den nächsten drei Wochen umfangreiche Untersuchungen und Behandlungen erforderlich gewesen, die den Unterzeichner psychisch und physisch stark belastet hätten. Zudem habe er noch am 27. August 2014 einen annähernd zwei Stunden dauernden Hauptverhandlungstermin wahrnehmen müssen, aufgrund dessen eine umfangreiche Vorbereitung und Besprechung am 28. August 2014 erforderlich gewesen sei. Wegen der Erkrankung, des damit verbundenen Stresses und der Tatsache, dass er gleichwohl versucht habe, die anfallende Arbeit zu erledigen, sei ihm der Fristablauf durchgegangen. Erst bei Durchsicht der auf dem Schreibtisch befindlichen Akten habe er am 3. September 2014 festgestellt, dass die Revisionsbegründungsfrist am Vortag abgelaufen sei.
Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags fügte der Prozessbevollmächtigte eine von ihm unterschriebene eidesstattliche Versicherung bei.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Münster vom 31. März 2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 17. Juni 2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2013 dahingehend zu ändern, dass Einkünfte in Höhe von 14.079 € nicht der Besteuerung unterworfen werden.Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist als unzulässig zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Kläger haben die Revision nicht rechtzeitig begründet. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kann nicht entsprochen werden.
1. Die Revisionsbegründung ist verspätet beim BFH eingegangen.
Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Frist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Die erst am 15. September 2014 beim BFH eingegangene Revisionsbegründung war verspätet. Das angefochtene Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 2. Juni 2014 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist wurde auf den vor Ablauf der gesetzlichen Revisionsbegründungsfrist gestellten Antrag hin durch die Vorsitzende um einen Monat bis zum Dienstag, dem 2. September 2014, verlängert. Eine weitere Verlängerung kam nicht in Betracht, weil der zweite Fristverlängerungsantrag nach Ablauf der Revisionsbegründungfrist gestellt wurde. Die Revisionsbegründung vom 15. September 2014 ging damit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ein.
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht entsprochen werden.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten, und den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt sowie die zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO). Der Revisionskläger muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑).
Verschuldet ist die Fristversäumnis, wenn die gebotene und den Umständen nach zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Jedes Verschulden ‑‑also auch einfache Fahrlässigkeit‑‑ schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z.B. BFH-Beschluss vom 22. Juni 1994 II R 104/93, BFH/NV 1995, 134). Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind durch präsente Beweismittel (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO) glaubhaft zu machen.
b) Aus dem Vorbringen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich im Streitfall nicht, dass eine unverschuldete Fristversäumnis vorliegt.
aa) Eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten stellt nur dann eine unverschuldete Verhinderung dar, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwerwiegend ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen (BFH-Beschlüsse vom 16. März 2005 X R 8/04, BFH/NV 2005, 1341; vom 24. März 2005 XI B 62/04, BFH/NV 2005, 1347; vom 13. Oktober 2006 XI R 4/06, BFH/NV 2007, 253; vom 10. Mai 2013 II R 5/13, BFH/NV 2013, 1428). Ein schlüssiger Wiedereinsetzungsantrag erfordert auch die Darlegung einer geeigneten Notfall-Vorsorge, die auch bei einer unvorhersehbaren Verhinderung die Funktionsfähigkeit des Büros, insbesondere die Überwachung von Fristsachen, gewährleistet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen, wenn ein Prozessbevollmächtigter, der Mitglied einer Sozietät und für die Bearbeitung des Falls zuständig ist, erkrankt, die ebenfalls beauftragten übrigen Mitglieder der Sozietät es jedoch unterlassen, die erforderlichen fristwahrenden Maßnahmen zu ergreifen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 253; in BFH/NV 2013, 1428). Aus dem erforderlichen schlüssigen Vortrag eines Wiedereinsetzungsgrunds muss sich auch ergeben, dass die Fristversäumnis nicht auf einem Organisationsmangel beruht (BFH-Urteil vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BFHE 246, 1).
bb) Im Streitfall ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten der Kläger ab Mitte August für die Fristversäumnis ursächlich war. Es ist gerade nicht vorgetragen, dass sie so plötzlich und so schwer auftrat, dass jegliche Tätigkeit eingestellt werden musste und auch kein Vertreter bestellt werden konnte. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte sogar vorgetragen, dass er weiter ‑‑wenn auch zeitlich eingeschränkt‑‑ tätig war und sogar einen umfangreichen Verhandlungs- und Besprechungstermin wahrgenommen hat. Angesichts dessen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es dem Prozessbevollmächtigten aufgrund seiner Erkrankung nicht einmal möglich gewesen ist, rechtzeitig einen weiteren Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist zu stellen. Auch fehlt es an Angaben dazu, ob und ggf. weshalb kein Vertreter bestellt wurde und welche Vorkehrungen zur Fristwahrung im Falle einer Erkrankung getroffen worden sind.
Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, dass die Fristversäumnis auch auf einem grundlegenden Organisationsmangel beruhen könnte. Denn die Erledigung eines fristwahrenden Schriftsatzes muss organisatorisch bis zu seiner Absendung (Ausgangskontrolle) überwacht werden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, BStBl II 1987, 441). Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte nicht einmal dargelegt, dass ein Fristenkontrollbuch geführt wurde. Durch eine ordnungsgemäße Fristenüberwachung anhand eines Fristenkontrollbuchs hätte auch im Falle gesundheitlicher Beeinträchtigung des Sachbearbeiters verhindert werden können, dass Akten bis zum Fristablauf "auf dem Schreibtisch liegen bleiben".
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.