BFH I. Senat
DBA FRA Art 13 Abs 5, EStG § 20 Abs 1 Nr 7 S 3, AO § 233a, GG Art 3, GG Art 20 Abs 3, JStG 2010
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 20. March 2013, Az: 1 K 1043/12
Leitsätze
NV: Es steht der Anwendung der Grenzgänger-Regelung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nicht entgegen, wenn der Steuerpflichtige zeitweise an seinem Wohnort innerhalb der Grenzzone im Ansässigkeitsstaat arbeitet. Schädliche Nichtrückkehrtage liegen insoweit nicht vor .
Tatbestand
A. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren im Streitjahr (1999) verheiratet und erzielten u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer der A-GmbH sowie der B. Die Klägerin war bei der A angestellt.
Die Kläger reichten für das Streitjahr zunächst keine Steuererklärung ein. Daraufhin erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) am 20. Dezember 2002 einen Schätzungsbescheid zur Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Hiergegen eingelegte Rechtsbehelfe blieben erfolglos.
Im Jahr 2002 begann bei dem Kläger eine Steuerfahndungsprüfung, aufgrund derer das FA die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres änderte. Im Rahmen des ‑‑zwischenzeitlich unterbrochenen‑‑ Einspruchsverfahrens reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein, in der sie u.a. Zinseinnahmen aus die Einkommensteuer betreffenden Steuererstattungen erklärten; die Einspruchsentscheidung des FA entsprach der Erklärung nicht in vollem Umfang.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) des Saarlandes ‑‑nach Ergehen eines weiteren Änderungsbescheides‑‑ durch Urteil vom 21. März 2013 1 K 1043/12 als unbegründet ab. Es ging u.a. davon aus, dass die Kläger unbeschränkt steuerpflichtig und hinsichtlich ihrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als sog. Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343) i.d.F. vom 28. September 1989 (BGBl II 1990, 770, BStBl I 1990, 413) ‑‑DBA-Frankreich 1959/1989‑‑ anzusehen seien. Ferner seien die Erstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerpflichtig.
Mit der vom FG zugelassenen Revision machen die Kläger Verfahrensmängel sowie die Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragen, das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2013 ergangene Urteil des FG 1 K 1043/12 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
I. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor und auch die weiteren das Verfahren betreffenden Rügen sind ‑‑soweit sie in Übereinstimmung mit § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO erhoben sind‑‑ unbegründet. Insbesondere hält der Senat die erhobenen Sachaufklärungsrügen wegen unterlassener Beweiserhebung nicht für durchgreifend. Hieran vermag auch die mit Schreiben vom 30. Juni 2014 vorgelegte "Eidesstattliche Versicherung" nichts zu ändern; insofern kommt dem mit Schreiben vom 10. Juli 2014 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Bedeutung zu.
Bezüglich der verfahrensrechtlichen Rügen sieht der Senat gemäß § 126a Satz 4, § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO von einer näheren Begründung ab.
II. Das FG-Urteil ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
1. Soweit sich die Revision gegen die Einordnung der Kläger als "Beweisverderber" wendet, macht sie keinen Verfahrensfehler, sondern einen beweisrechtlichen und damit einen materiell-rechtlichen Fehler geltend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16. Dezember 1992 X R 77/91, BFH/NV 1993, 547). Ein solcher liegt jedoch nicht vor. Insofern pflichtet der Senat den Ausführungen des FG bei.
2. Das FG hat die Besteuerung der Kläger zutreffend beurteilt.
a) Insbesondere waren die Kläger ‑‑auf der Grundlage der nach § 118 Abs. 2 FGO im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des FG‑‑ aufgrund ihres Wohnsitzes im Inland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG 1997‑‑) und auch aus abkommensrechtlicher Sicht ansässig (Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 DBA-Frankreich 1959/1989).
b) Das deutsche Besteuerungsrecht war nicht nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA Frankreich 1959/1989 eingeschränkt, da die Kläger als sog. Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989 anzusehen waren.
aa) Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich nur in dem Vertragsstaate besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Gemäß Art. 13 Abs. 7 DBA-Frankreich 1959/1989 umfasst der Ausdruck "unselbständige Arbeit" in diesem Sinne insbesondere ‑‑wie im Fall des Klägers‑‑ die in einer der Körperschaftsteuer unterliegenden Gesellschaft ausgeübten Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben. Abweichend von Abs. 1 können nach Art. 13 Abs. 5 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 Einkünfte aus unselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben, nur in diesem Staat besteuert werden.
bb) Die Kläger erfüllen im Streitjahr die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989. Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO den Senat bindenden Feststellungen des FG befanden sich im Streitjahr die ständige Wohnstätte, der Familienwohnsitz und Lebensmittelpunkt der Kläger im Inland innerhalb der Grenzzone i.S. des Art. 13 Abs. 5 Buchst. b DBA-Frankreich 1959/1989. Die Unternehmen A sowie B, die Arbeitgeber der Kläger, waren in Frankreich und ebenfalls innerhalb der Grenzzone ansässig. Das FG konnte auch nicht feststellen, dass die Kläger an mehr als 45 Tagen außerhalb des Grenzgebietes gearbeitet hätten, sodass insofern keine schädlichen Nichtrückkehrtage (vgl. etwa Senatsurteil vom 17. März 2010 I R 69/08, BFH/NV 2010, 1634) vorliegen. Der Anwendung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989 steht schließlich nicht entgegen, dass das FG im Rahmen der Begründung zum Umstand einer gemeinsamen Familienwohnung der Kläger in Deutschland ausführt, es hindere die Annahme eines Familienwohnsitzes im Inland nicht, dass die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung nur für 85 bis 90 Tage statt typischerweise ca. 230 Tage Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angegeben hätten. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass die Kläger an den übrigen Tagen dort gearbeitet hätten. Hierin ist kein Widerspruch zu der Aussage zu sehen, die Kläger seien regelmäßig arbeitstäglich zu ihrem Wohnsitz zurückgekehrt. Vielmehr kam es dem FG erkennbar nur darauf an, auszuführen, dass die Kläger an allen Arbeitstagen, an denen sie ihrer Tätigkeit in Frankreich nachgegangen sind, zu ihrem Wohnsitz im Inland zurückgekehrt sind, nicht aber, dass sie tatsächlich arbeitstäglich ihren Wohnort verlassen haben. Zwar ist damit nicht festgestellt, dass die Kläger ‑‑über die in der Steuererklärung erklärten Fahrten hinaus‑‑ an jedem Arbeitstag zum Arbeiten nach Frankreich gependelt sind. Dies ist aber für die Anwendung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989 auch nicht erforderlich. Denn es stünde der Anwendung der Grenzgänger-Regelung nicht entgegen, wenn die Kläger nur im Umfang der erklärten Fahrten in Frankreich und im Übrigen an ihrem Wohnort im Inland gearbeitet hätten, da sie jedenfalls an keinem Arbeitstag nicht aus Frankreich zum Wohnsitz zurückgekehrt oder außerhalb der Grenzzone tätig geworden sind.
aaa) Der Wortlaut der Abkommensbestimmung ("in der Regel jeden Tag zurückkehren") ließe sich zwar so lesen, dass die ständige Wohnstätte zunächst überhaupt verlassen werden muss, um sie nach Ausübung der Tätigkeit wieder aufzusuchen. In diese Richtung deutet auch die Rechtsprechung des Senats, dass die ‑‑regelmäßige‑‑ arbeitstägliche zweimalige Grenzüberschreitung als wesentliches Merkmal der Grenzgänger-Eigenschaft anzusehen ist (so etwa Senatsurteil vom 11. November 2009 I R 84/08, BFHE 227, 410, BStBl II 2010, 390, unter II.2.b cc der Entscheidungsgründe; Senatsurteil vom 21. August 1996 I R 80/95, BFHE 181, 415, BStBl II 1997, 134 zum Begriff des "Grenzgängers" im DBA-Schweiz) und der Grenzgänger von Arbeitnehmern abzugrenzen ist, die nur gelegentlich grenzüberschreitend von der Wohnung zu einer ausländischen Arbeitsstätte pendeln (Senatsbeschluss vom 16. März 1994 I B 186/93, BFHE 174, 338, BStBl II 1994, 696, ebenfalls zum DBA-Schweiz).
Die zitierten Entscheidungen betrafen allerdings ‑‑im Gegensatz zum Streitfall‑‑ die Frage der maximal zulässigen Anzahl an Nichtrückkehrtagen, also Tagen der tatsächlichen Nichtrückkehr zum Wohnsitz oder der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone. Ein solcher schädlicher "Nichtrückkehrtag" ist allerdings gerade nicht anzunehmen, wenn die ständige Wohnstätte zugleich auch zeitweise Ort der Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist und deshalb gar nicht erst verlassen wird. Denn angesichts der Zwecksetzung der Grenzgänger-Regelung ist Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989 dahin auszulegen, dass eine regelmäßige Rückkehr vom Tätigkeitsort zur ständigen Wohnstätte nur auf solche Arbeitstage zu beziehen ist, an denen der Wohnort überhaupt verlassen wird. Demnach reicht es für die Anwendung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/1989 aus, wenn ein Arbeitnehmer, der seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit auch von seinem Wohnsitz aus nachgeht, an den Tagen, an denen er arbeitsbedingt den anderen Vertragsstaat (hier: Frankreich) aufsucht, regelmäßig zu seiner ständigen Wohnstätte zurückkehrt. Das mit der Grenzgänger-Regelung verbundene ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates soll nämlich dem Umstand Rechnung tragen, dass die Grenzgänger aufgrund der regelmäßigen Rückkehr an ihren Wohnsitz den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in diesem Staat haben und im Tätigkeitsstaat hingegen ‑‑ohne engere Bindungen an diesen Staat‑‑ lediglich ihrer Berufstätigkeit nachgehen (vgl. ‑‑zum DBA-Schweiz‑‑ Senatsurteil vom 11. November 2009 I R 15/09, BFHE 227, 419, BStBl II 2010, 602; vgl. auch Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, DBA, MA Art. 15 Rz 160a). Die Grenzgänger-Regelung bezieht sich damit auf Arbeitnehmer, die zwar mit ihrer Tätigkeit in die Arbeitswelt des Tätigkeitsstaates integriert sind, aber in den Lebenskreis am Wohnort im Ansässigkeitsstaat wie dort tätige Arbeitnehmer eingegliedert bleiben (BFH-Urteil in BFHE 227, 419, BStBl II 2010, 602). Diese Erwägungen treffen auf die Kläger zu, die nach den Feststellungen des FG zumindest im Umfang der erklärten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gependelt sind, im Übrigen aber auch am Ort ihrer ständigen Wohnstätte gearbeitet haben können.
bbb) Diesem Ergebnis entspricht zudem, dass der Senat die persönliche Bindung des Arbeitnehmers nicht an den Ansässigkeitsstaat als solchen, sondern an seinen Wohnort als Normzweck der Grenzgänger-Regelung ansieht (vgl. ‑‑zum DBA-Schweiz‑‑ Senatsurteil in BFHE 227, 419, BStBl II 2010, 602). Für das DBA-Frankreich 1959/1989 hat der Senat unter Anschluss an Tz. 3 der insoweit maßgebenden Verständigungsvereinbarung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 3. April 2006, BStBl I 2006, 304) daher ausgeführt, dass Tätigkeiten im Ansässigkeitsstaat nur insoweit nicht zu den Nichtrückkehrtagen zählen, als sie vom Arbeitnehmer innerhalb der dortigen Grenzzone ausgeübt worden sind (Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1634). Hieran anknüpfend ist kein Grund ersichtlich, danach zu unterscheiden, ob der Steuerpflichtige von seinem Wohnort innerhalb der Grenzzone aus oder an einem anderen Ort im Inland innerhalb der Grenzzone tätig wird.
ccc) Auf die Frage, ob die Höchstgrenze von 45 Nichtrückkehrtagen (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1634) in derartigen Fällen zu modifizieren ist, braucht im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden, da nach den bindenden Feststellungen des FG keine Nichtrückkehrtage vorgelegen haben.
c) Die im Streitjahr bezogenen Erstattungszinsen nach § 233a AO waren als steuerpflichtige Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG 2009 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) zu erfassen, da die Vorschrift weder einschränkend auszulegen ist noch gegen das Grundgesetz verstößt. Der Senat schließt sich diesbezüglich den BFH-Urteilen vom 12. November 2013 VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) und VIII R 1/11 (BFH/NV 2014, 830) an (ebenso BFH-Urteil vom 10. April 2014 III R 20/13, BFHE 244, 530).
3. Schließlich ist dem FG auch darin beizupflichten, dass das FA im Streitfall für die Besteuerung der Kläger zuständig war. Die Kläger haben im Revisionsverfahren nichts vorgetragen, das diese Beurteilung der Zuständigkeit in Frage stellen könnte, sodass es weiterer Ausführungen zur Anwendung von § 127 AO nicht bedarf.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 FGO.