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Beschluss vom 06. März 2014, VII S 47/13 (PKH)

Zuordnung von Einkommensteuererstattungsansprüchen zum insolvenzfreien Vermögen

BFH VII. Senat

InsO § 35 Abs 2, InsO § 96 Abs 1 Nr 1, AO § 37 Abs 2

vorgehend FG Münster, 26. September 2013, Az: 14 K 1917/12 AO

Leitsätze

NV: Ein Einkommensteuererstattungsanspruch, der auf Vorauszahlungen beruht, bei deren Berechnung nur die Einkünfte aus einer freigegebenen Tätigkeit zu Grunde gelegt worden sind, wird von der vom Insolvenzverwalter erklärten Freigabe der selbstständigen gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners erfasst.

Tatbestand

  1. I. Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn (X). Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gab er die selbständige Tätigkeit des X (Montagearbeiten, sonstige Tätigkeiten und Arbeiten für andere Unternehmen) gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) aus der Insolvenzmasse frei. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einkünfte aus der freigegebenen gewerblichen Tätigkeit setzte der Beklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit Bescheid für das I. bis III. Quartal 2010 jeweils Einkommensteuer-Vorauszahlungen in Höhe von 278 € gegenüber X und seiner mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehefrau fest. Die Vorauszahlungen bezahlte X aus seinem insolvenzfreien Vermögen.

  2. Nach Festsetzung der Einkommensteuer 2010 ergab sich unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen und Säumniszuschläge ein Steuererstattungsanspruch in Höhe von 816 €, gegen den das FA mit Einkommensteuerrückständen 2009 der Eheleute X aufrechnete. Den Antrag des Antragstellers auf Auszahlung des Einkommensteuerguthabens 2010 zur Insolvenzmasse lehnte das FA mit dem streitigen Abrechnungsbescheid ab, weil der Erstattungsanspruch dem insolvenzfreien Vermögen zuzurechnen sei. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab.

  3. Für die vom FG zugelassene, noch einzulegende Revision, die der Antragsteller im Wesentlichen damit zu begründen beabsichtigt, dass es sich bei einem Einkommensteuererstattungsanspruch nicht um von ihm freigegebenes "Vermögen aus einer Tätigkeit" des X, sondern um einen in die Insolvenzmasse fallenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis handele, beantragt der Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH).

Entscheidungsgründe

  1. II. Gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung setzt die Bewilligung von PKH voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21. Juli 1999 V S 6/99, BFH/NV 2000, 193).

  2. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Schon bei der gebotenen überschlägigen Beurteilung erweist sich die Rechtsauffassung des FG, dass der Einkommensteuererstattungsanspruch, soweit er anteilig auf X entfällt, seinem insolvenzfreien Vermögen zuzurechnen ist und deshalb nicht unter das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO fällt, als zutreffend.

  3. Anders als der Antragsteller meint, ist der Einkommensteuererstattungsanspruch, um den es im Streitfall geht, von der erklärten Freigabe der selbständigen gewerblichen Tätigkeit des X erfasst. Das FG bezieht sich zu Recht auf Entscheidungen des beschließenden Senats, wonach Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners, welche dieser im Zusammenhang mit einer aus dem Insolvenzbeschlag freigegebenen selbständigen Tätigkeit erworben hat, nicht in die Insolvenzmasse fallen und somit keine insolvenzrechtlichen Verbote einer vom FA erklärten Aufrechnung gegen solche Ansprüche mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen entgegenstehen (Senatsbeschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336; vom 23. August 2011 VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115). Diese Rechtsprechung zu einem durch die freigegebene Tätigkeit erworbenen Umsatzsteuervergütungsanspruch ist sinngemäß auch auf einen Einkommensteuererstattungsanspruch anzuwenden, der auf Vorauszahlungen beruht, bei deren Berechnung nur die Einkünfte aus der freigegebenen Tätigkeit zu Grunde gelegt worden sind.

  4. Die Einwendungen, die der Antragsteller gegen die Ausführungen des FG erhebt, begründen keine diesbezüglichen Zweifel. Es bleibt unklar, worin der Antragsteller den ‑‑für die Frage der Massezugehörigkeit der Erstattung und damit des Aufrechnungsverbots nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO‑‑ maßgeblichen Unterschied zur Umsatzsteuervergütung sieht. Seine schon im Klageverfahren vertretene Auffassung, bei diesem Erstattungsanspruch handele es sich nicht um Vermögen "aus" der freigegebenen Tätigkeit, erläutert er nicht näher. Er setzt sich auch nicht mit der Ansicht des FG auseinander, dass bei einer unbeschränkten Freigabe durch den Insolvenzverwalter alle Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, freigegeben sind, also auch die Steuererstattungsansprüche, die sich durch eine Überzahlung der durch die insolvenzfreie Tätigkeit ausgelösten Steuern ergeben. Insbesondere begründet er nicht nachvollziehbar, weshalb der Einkommensteuererstattungsanspruch ‑‑anders als der Umsatzsteuervergütungsanspruch‑‑ nicht unmittelbar in der selbständigen Tätigkeit des X begründet sein soll.

  5. Entscheidend für das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist allein, ob das FA den Erstattungsanspruch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Aus § 35 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit, d.h. der gesamte Neuerwerb aus der Tätigkeit, nicht zur Insolvenzmasse gehört (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 2011 II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 18).

  6. Wenn Einkommensteuervorauszahlungen ausschließlich im Hinblick auf eine selbständige Tätigkeit festgesetzt und geleistet worden sind ‑‑wie im Streitfall vom FG revisionsrechtlich bindend festgestellt‑‑, kann es nicht zweifelhaft sein, dass sich diese Steuerforderungen aus dem erwarteten "Vermögen aus dieser Tätigkeit" ergeben. Das ergibt sich schon aus dem BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04 (BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848), wonach Steuerschulden, die aus einer insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners herrühren, keine Masseverbindlichkeiten sind. Entsprechend umgekehrt kann ein Erstattungsanspruch des Schuldners keine Masseforderung sein. Denn der Erstattungsanspruch ist die Umkehr des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43, unter II.2.b). Die geleisteten Beträge sind in das insolvenzfreie Vermögen zu erstatten.

  7. Aus dem Senatsbeschluss vom 29. Januar 2010 VII B 192/09 (BFH/NV 2010, 1856) ist nichts Gegenteiliges abzuleiten. Zwar bestätigt der Senat in dieser Entscheidung, dass Steuererstattungsansprüche, für die nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden ist, als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen werden. Ausdrücklich nimmt er aber die "offensichtlich nicht zu berücksichtigenden Fälle der Freigabe eines solchen Anspruchs durch den Insolvenzverwalter" aus.

  8. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

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