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Urteil vom 05. März 2014, XI R 29/12

Verwendung eines mit hälftigem Vorsteuerabzug erworbenen PKW für private Zwecke - Anwendungsbereich von § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG - Auslegung einer Ausnahmevorschrift

BFH XI. Senat

UStG § 3 Abs 9a Nr 1, UStG § 27 Abs 5 S 1, UStG § 27 Abs 5 S 2, UStG § 15 Abs 1b, UStG § 15a Abs 3 Nr 2, UStG § 15a Abs 4 S 2, EWGRL 388/77 Art 6 Abs 2, EWGRL 388/77 Art 17 Abs 2 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 26 Abs 1, EGRL 112/2006 Art 168 Buchst a, UStG VZ 2005 , UStG VZ 2006 , UStG VZ 2007 , UStG VZ 2008 , UStG VZ 2009 , UStG § 3 Abs 9a S 2

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 04. June 2012, Az: 3 K 927/11

Leitsätze

Macht ein Unternehmen in Besteuerungszeiträumen ab 2004 aus Eingangsleistungen für die Miete oder den Betrieb eines sowohl unternehmerisch als auch privat genutzten PKW, der nach dem 31. März 1999 und vor dem 1. Januar 2004 angeschafft wurde, den vollen Vorsteuerabzug geltend, ist die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nicht nach § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. ausgeschlossen .

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob die in den Jahren 2005 bis 2009 (Streitjahre) erfolgte Verwendung eines im Jahr 2001 erworbenen, dem Unternehmen zugeordneten PKW zu nichtunternehmerischen Zwecken als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliegt.

  2. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Rechtsanwalt und Steuerberater, erwarb im Jahr 2001 einen PKW, den er sowohl unternehmerisch als auch privat nutzte. Die ihm bei der Anschaffung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zog er nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/ 2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304 ‑‑UStG a.F.‑‑) nur zur Hälfte als Vorsteuer ab.

  3. In den Streitjahren fielen für den Betrieb des auch teilweise zu privaten Zwecken genutzten PKW Aufwendungen an, die jeweils mit Umsatzsteuer belastet waren. Für die Verwendung des PKW zu privaten Zwecken berücksichtigte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre keine unentgeltliche Wertabgabe, machte aber gleichzeitig den vollen Vorsteuerabzug aus den vorsteuerbelasteten Kosten geltend.

  4. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) gewährte den geltend gemachten vollen Vorsteuerabzug, unterwarf allerdings die Nutzung des PKW zu privaten Zwecken gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer. Dabei ging es von einer hälftigen Verwendung des PKW zu privaten Zwecken aus und erließ für die Streitjahre am 5. Juli 2010 entsprechende Umsatzsteuer-Änderungsbescheide.

  5. Mit den gegen diese Bescheide gerichteten Einsprüchen machte der Kläger geltend, dass die Verwendung des PKW zu privaten Zwecken aufgrund der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 5 UStG nicht als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliege. Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2011 als unbegründet zurück.

  6. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Aus § 27 Abs. 5 UStG folge, dass ab 2004 bezogene Eingangsleistungen für den Betrieb eines sowohl unternehmerisch als auch privat genutzten PKW zum vollständigen Vorsteuerabzug berechtigten. Im Gegenzug unterliege die private Nutzung des PKW als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer. Da der Kläger weder ein Fahrtenbuch geführt noch Angaben zum Umfang der nichtunternehmerischen Fahrzeugnutzung gemacht habe, könne von einer hälftigen Fahrzeugnutzung zu nichtunternehmerischen Zwecken ausgegangen werden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 471 veröffentlicht.

  7. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG und § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. Mit ihrer Auslegung des § 27 Abs. 5 UStG verstoße die Vorentscheidung gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. Der durch § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. angeordnete Ausschluss der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben in Fällen der vorliegenden Art beanspruche gemäß § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG weiterhin Geltung. Denn § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG, der Ausnahmen zur Fortgeltung der in § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG genannten Vorschriften festlege, schließe nur die Fortgeltung für solche Vorschriften aus, die Regelungen zu "Vorsteuerbeträgen" enthielten. Hierunter könne aber § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. nicht fallen, weil diese Norm die Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben anordne und mithin eine Regelung zur "Umsatzsteuer" sei. Gleiches ergebe sich aus der in § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG enthaltenen Formulierung "Vorsteuerbeträge, die auf die Miete oder den Betrieb entfallen", da diese Fassung fast wörtlich § 15 Abs. 1b UStG a.F. entspreche.

  8. Diese Auslegung von § 27 Abs. 5 UStG sei das nicht mehrdeutige Ergebnis einer grammatikalischen Auslegung der Vorschrift unter Beachtung des Wortsinns und entspreche auch dem allgemeinen Grundsatz, Ausnahmevorschriften eng auszulegen. Weitere Überlegungen zum Sinn und Zweck des Gesetzes und zur Gesetzeshistorie verböten sich, weil solche Überlegungen keinen Ausdruck im Wortlaut des § 27 Abs. 5 UStG gefunden hätten.

  9. Die Ausführungen des FG zum systematischen Zusammenhang zwischen § 15 Abs. 1b UStG a.F. und § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. würden verkennen, dass dieser Zusammenhang nur bei der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Rechtslage ‑‑und nicht in den Streitjahren‑‑ gegeben sei.

  10. Nicht überzeugen könne schließlich die Argumentation des FG, § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG sei nur eine gesetzliche Klarstellung. Denn wenn § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG in Bezug auf den Vorsteuerabzug keinen eigenständigen Reglungsinhalt hätte, müsse sich der Wegfall der Vorsteuerreduzierung allein aus § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG herleiten lassen. Genau das Gegenteil sei jedoch der Fall.

  11. Der Kläger beantragt,
    das Urteil des FG, die Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für 2005 bis 2009 vom 5. Juli 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2011 aufzuheben.

  12. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

  13. Es schließt sich den Ausführungen des FG an und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Nutzung des PKW zu privaten Zwecken insoweit als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliegt, als der Kläger in den Streitjahren Eingangsleistungen für den Betrieb des PKW bezog und die darauf entfallenden Vorsteuerbeträge abziehbar waren.

  3. 1. Das FG hat ‑‑für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend‑‑ festgestellt, dass der Kläger den dem Unternehmen zugeordneten PKW in den Streitjahren auch für private Zwecke nutzte. Diese Verwendung unterliegt nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG als unentgeltliche Wertabgabe insoweit der Umsatzsteuer, als die Aufwendungen für den Betrieb des Fahrzeugs zum Vorsteuerabzug berechtigten.

  4. 2. Die Versteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe ist nicht nach § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. ausgeschlossen.

  5. a) Nach dieser Vorschrift galt die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe

    "nicht bei der Verwendung eines Fahrzeugs, bei dessen Anschaffung oder Herstellung, Einfuhr oder innergemeinschaftlichem Erwerb Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1b nur zu 50 vom Hundert abziehbar waren ...".

  6. b) Nach dem von § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. in Bezug genommenen § 15 Abs. 1b UStG a.F. waren

    "[n]ur zu 50 vom Hundert abziehbar ... Vorsteuerbeträge, die auf die Anschaffung oder Herstellung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen im Sinne des § 1b Abs. 2 entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden".

  7. c) § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. und § 15 Abs. 1b UStG a.F. standen in einem systematischen Zusammenhang (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. April 2007 V R 48/05, BFHE 217, 83, BStBl II 2007, 801, unter II.1.c). Durch deren Einführung bezweckte der Gesetzgeber eine Reduzierung des Vorsteuerabzugs auf 50 % (BTDrucks 14/23, 195, 196 und 198).

  8. Diese Reduzierung des Vorsteuerabzugs wurde dadurch erreicht, dass § 15 Abs. 1b UStG a.F. bei gemischt genutzten Fahrzeugen im Wege gesetzlicher Typisierung von einer 50%igen Fahrzeugnutzung zu nichtunternehmerischen Zwecken ausging und dafür bereits den Vorsteuerabzug in entsprechender Höhe ausschloss. Einer Korrektur dieses Vorsteuerabzugs wegen der Verwendung des Fahrzeugs zu unternehmensfremden Zwecken über § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG bedurfte es demzufolge nicht mehr; sie war durch die Reduzierung des Vorsteuerabzugs um 50 % abgegolten (BFH-Urteil in BFHE 217, 83, BStBl II 2007, 801, unter II.1.c, m.w.N.).

  9. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere auch die Bestimmungen zur Vorsteuerberichtigung ‑‑§ 15a Abs. 3 Nr. 2 und § 15a Abs. 4 Satz 2 UStG jeweils a.F.‑‑ geändert, um aus der Reduzierung des Vorsteuerabzugs folgende Steuervorteile bzw. Steuerkumulationen zu vermeiden (BTDrucks 14/443, 39).

  10. 3. Hinsichtlich dieser Regelungen trifft der durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) neu gefasste § 27 Abs. 5 UStG folgende Übergangsregelung:

  11. "§ 3 Abs. 9a Satz 2, § 15 Abs. 1b, § 15a Abs. 3 Nr. 2 und § 15a Abs. 4 Satz 2 in der jeweils bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sind auf Fahrzeuge anzuwenden, die nach dem 31. März 1999 und vor dem 1. Januar 2004 angeschafft oder hergestellt, eingeführt, innergemeinschaftlich erworben oder gemietet worden sind und für die der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b vorgenommen worden ist. Dies gilt nicht für nach dem 1. Januar 2004 anfallende Vorsteuerbeträge, die auf die Miete oder den Betrieb dieser Fahrzeuge entfallen."

  12. a) Den nach § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG auch über den 31. Dezember 2003 hinaus fortgeltenden Bestimmungen ist gemein, dass sie ‑‑wie bereits unter II.2.c ausgeführt‑‑ zur Reduzierung des Vorsteuerabzugs eingeführt wurden und daher im Wege gesetzlicher Typisierung von einer 50%igen Fahrzeugnutzung auszugehen ist, die durch einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs in entsprechender Höhe ohne Korrekturbedarf durch die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe erreicht wurde.

  13. Dies wird durch § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG ‑‑und abweichend von § 15 Abs. 1, § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG‑‑ über den 31. Dezember 2003 für "Altfahrzeuge" fortgeführt. § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG stellt insoweit eine Ausnahme zu dem Grundsatz dar, dass der Unternehmer in Besteuerungszeiträumen ab 2004 ‑‑wie vor der Einführung der in § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG genannten Vorschriften‑‑ entweder den Vorsteuerabzug aus den laufenden Betriebskosten des gemischt genutzten Fahrzeugs (z.B. aus dem Entgelt für die Lieferung von Treibstoff oder für die Reparatur und Wartung des Fahrzeugs) aufgrund entsprechender Zuordnung nur zu dem unternehmerisch genutzten Anteil geltend machen kann oder dass er eine vollständige Zuordnung vornehmen und dementsprechend den Vorsteuerabzug zunächst in vollem Umfang in Anspruch nehmen kann und dann in Höhe der nichtunternehmerischen Verwendung eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. März 1999 V R 78/98, BFHE 188, 160, BFH/NV 1999, 1178, unter II.1.).

  14. b) Von dieser Ausnahme sieht § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG jedoch eine Rückausnahme ("Dies gilt nicht...") vor: Dies ‑‑d.h., die Ausnahme vom Regelfall‑‑ gilt nicht für Vorsteuerbeträge, die auf den Betrieb dieser Fahrzeuge entfallen. Für diese Vorsteuerbeträge gilt in Besteuerungszeiträumen ab 2004 wieder die Rechtslage wie vor Einführung der in § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG genannten Vorschriften.

  15. c) Dagegen lässt sich § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG nicht entnehmen, dass der Ausschluss der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben auch auf Eingangsleistungen für die Miete oder den Betrieb eines Fahrzeugs Anwendung findet, aus denen der zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer den vollen Vorsteuerabzug vornimmt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG sowie dem dargelegten systematischen Zusammenhang zwischen § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG und § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG. Bestätigt wird dies durch eine historische, teleologische und richtlinienkonforme Auslegung, weil es sonst zu einem ‑‑nationalrechtlich und unionsrechtlich nicht gewollten‑‑ unversteuerten Endverbrauch käme.

  16. aa) Entgegen dem rechtskräftigen Urteil des Niedersächsischen FG vom 15. Dezember 2011  5 K 180/11 (EFG 2012, 563, unter I.) und der Ansicht des Klägers liegt es bereits innerhalb des möglichen Wortsinns des § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG, dass der Ausschluss der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben über den 31. Dezember 2003 hinaus insoweit keine Anwendung findet, als in Besteuerungszeiträumen ab 2004 aus Eingangsleistungen für die Miete oder den Betrieb dieses Fahrzeugs der volle Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde.

  17. (1) Denn § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG nimmt durch die Formulierung "Dies gilt nicht" auf § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG insgesamt und damit auf alle dort genannten Bestimmungen des § 3 Abs. 9a Satz 2, § 15 Abs. 1b, § 15a Abs. 3 Nr. 2 und § 15a Abs. 4 Satz 2 UStG a.F. Bezug und bestimmt, dass diese bei dem Bezug von Eingangsleistungen für die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen in Besteuerungszeiträumen ab 2004 insgesamt nicht mehr anwendbar sind.

  18. (2) Dass es in § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG heißt, dies gelte nicht "für nach dem 1. Januar 2004 anfallende Vorsteuerbeträge ...", bedeutet entgegen der Auffassung des Klägers nicht, dass sich diese Regelung nur auf diejenigen in § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG genannten Vorschriften bezieht, die Regelungen zu Vorsteuerbeträgen treffen (§ 15 Abs. 1b, § 15a Abs. 3 Nr. 2 und § 15a Abs. 4 Satz 2 UStG a.F.) und mithin nicht auf § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F.

  19. Denn da ‑‑wie unter II.2.c dargelegt‑‑ § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. lediglich eine Folgeänderung der durch § 15 Abs. 1b UStG a.F. eingeführten Beschränkung der Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen bei gemischt genutzten Fahrzeugen ist, erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG bei verständiger Würdigung auch auf § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F.

  20. bb) Auch die historische Auslegung gebietet den Ausschluss der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben nur insoweit, als der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG a.F. vorzunehmen war.

  21. Die Einschränkung des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1b UStG a.F. bei gleichzeitigem Ausschluss der (an sich) nach § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG a.F. eintretenden Besteuerung durch § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. beruhte auf Art. 2 Abs. 1 der Entscheidung 2000/186/EG des Rates der Europäischen Union vom 28. Februar 2000 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2000 Nr. L 59/12), wonach die Bundesrepublik Deutschland nicht nur dazu ermächtigt wurde, den Abzug der Mehrwertsteuer für gemischt genutzte Fahrzeuge zu beschränken, sondern gleichzeitig auch dazu, die Verwendung des Fahrzeugs zu unternehmensfremden Zwecken nicht mehr der Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichzustellen.

  22. Bereits daraus wird ersichtlich, dass die typisierende Reduzierung des Vorsteuerabzugs durch § 15 Abs. 1b UStG a.F. und die Nichtversteuerung unentgeltlicher Wertabgaben gemäß § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. sowohl unionsrechtlich als auch nach nationalem Recht in einem inneren Sachzusammenhang standen und sich bedingten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 217, 83, BStBl II 2007, 801, unter II.1.c).

  23. cc) Die Beschränkung des Ausschlusses der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben auf solche Eingangsleistungen, für die der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG a.F. vorgenommen worden ist, entspricht auch der Auslegung nach dem § 27 Abs. 5 UStG prägenden Regelungszweck (teleologische Auslegung).

  24. Denn auch nach den Gesetzesmaterialien zum Steueränderungsgesetz 2003 besteht ein materiell-rechtlicher Zusammenhang zwischen dem Wegfall von § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. und der Aufhebung von § 15 Abs. 1b UStG a.F. Danach ist zu dem Wegfall von § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. ausgeführt (BTDrucks 15/1562, 43):

  25. "Folgeänderung aus der Aufhebung des § 15 Abs. 1b UStG [a.F.] (beschränkter Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Fahrzeugen). Nach der Aufhebung des § 15 Abs. 1b UStG [a.F.] ist die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeugs als unentgeltliche Wertabgabe der Besteuerung zu unterwerfen. § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG [a.F.] schloss dies bisher aus."

  26. Gleiches ergibt sich aus der Entwurfsbegründung zu § 27 Abs. 5 UStG (BTDrucks 15/1562, 53):

  27. "Im Gegenzug [zum Wegfall des § 15 Abs. 1b UStG a.F.] ist die private Nutzung nach § 3 Abs. 9a UStG der Besteuerung zu unterwerfen. Für Fahrzeuge, die nach dem 1. Januar 2004 angeschafft werden, kann der volle Vorsteuersteuerabzug unter den Voraussetzungen des § 15 UStG gewährt werden. Für ab dem 1. Januar 2004 fällige Miet- und Leasingraten von Fahrzeugen, die vor dem 1. Januar 2004 dem Unternehmen zugeordnet wurden, gilt das Gleiche."

  28. dd) Dass die Verwendung eines Fahrzeugs zu unternehmensfremden Zwecken insoweit als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliegt, als ab dem Jahr 2004 zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangsleistungen bezogen werden, ergibt sich schließlich auch aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 27 Abs. 5 UStG.

  29. (1) Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‑‑Richtlinie 77/388/EWG‑‑ (seit dem 1. Januar 2007 Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ‑‑MwStSystRL‑‑) bezweckt, den Steuerpflichtigen, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand verwendet oder eine Dienstleistung erbringt, und den Endverbraucher, der einen Gegenstand oder eine Dienstleistung gleicher Art erwirbt, gleich zu behandeln. Um dieses Ziel zu erreichen, lässt es Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem 1. Januar 2007 Art. 26 Abs. 1 Buchst. a der MwStSystRL) nicht zu, dass ein Steuerpflichtiger, der beim Kauf eines seinem Unternehmen zugeordneten Gegenstands die Mehrwertsteuer abziehen konnte, der Zahlung der Mehrwertsteuer entgeht, wenn er diesen Gegenstand für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals verwendet, und daher gegenüber dem Endverbraucher, der den Gegenstand unter Zahlung von Mehrwertsteuer erwirbt, ungerechtfertigte Vorteile genießt. Ebenso wenig erlaubt es Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem 1. Januar 2007 Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der MwStSystRL), dass ein Steuerpflichtiger oder Angehörige seines Personals Dienstleistungen des Steuerpflichtigen, für die eine Privatperson Mehrwertsteuer hätte zahlen müssen, steuerfrei erhalten (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ vom 16. Oktober 1997 C-258/95 ‑‑Fillibeck‑‑, Slg. 1997, I-5577, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 1998, 61, Rz 25; vom 20. Januar 2005 C-412/03 ‑‑Hotel Scandic Gåsabäck‑‑, Slg. 2005, I-743, UR 2005, 98, Rz 23; BFH-Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 17/10, BFHE 232, 243, BStBl II 2012, 53, Rz 21).

  30. (2) Da die Richtlinie 77/388/EWG bzw. die MwStSystRL die Gleichbehandlung des Unternehmers und des Endverbrauchers bezweckt, gilt die durch § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. bewirkte Suspendierung der Versteuerung unentgeltlicher Wertabgaben bei richtlinienkonformer Auslegung des § 27 Abs. 5 UStG insoweit nicht, als in den Besteuerungszeiträumen ab 2004 Eingangsleistungen für die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen bezogen werden, für die der Vorsteuerabzug nicht mehr nach § 15 Abs. 1b UStG a.F. vorzunehmen ist. Denn soweit der Vorsteuerabzug für diese Eingangsleistungen nicht um die Hälfte zu reduzieren ist, bedarf es nach der durch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem 1. Januar 2007 Art. 26 Abs. 1 der MwStSystRL) bezweckten Gleichbehandlung des Unternehmers und des Endverbrauchers einer Besteuerung der Fahrzeugnutzung zu unternehmensfremden Zwecken, um einen unversteuerten Endverbrauch zu vermeiden.

  31. ee) Die vom Senat gefundene Auslegung zu § 27 Abs. 5 UStG entspricht im Übrigen auch der überwiegenden Auffassung in der Literatur sowie der Ansicht der Finanzverwaltung (vgl. Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 260 Rz 249; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 27 UStG Rz 28; Nieskens in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 27 Rz 26; Langer in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, vor § 27 Abs. 5; Berndt, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2004, 181, 183; Küffner/Zugmaier, Deutsches Steuerrecht 2004, 864, 865; Zugmaier, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ‑‑Inf‑‑ 2004, 222, 225; Küffner/Zugmaier, Inf 2004, 742, 746; Sikorski, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 7, 6525, 6531 f.; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. August 2004 IV B 7-S 7300-70/04, BStBl I 2004, 864, UR 2004, 551, unter Tz. 6.3).

  32. d) Die vom Kläger hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

  33. aa) Anders als der Kläger meint, ist für die Auslegung einer Norm nicht nur auf deren Wortlaut abzustellen.

  34. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden ‑‑wie hier unter II.3.c‑‑ gleichzeitig und nebeneinander bedienen (vgl. BFH-Urteil vom 25. September 2013 XI R 41/12, BFHE 243, 69, BStBl II 2014, 135, Rz 23, m.w.N.).

  35. bb) Entgegen der Ansicht des Klägers gebietet auch der Gedanke der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften hier kein anderes Auslegungsergebnis.

  36. Zwar ist eine Abweichung oder Ausnahme von einer allgemeinen Regel nach der Rechtsprechung des EuGH restriktiv auszulegen (EuGH-Urteil vom 19. September 2013 C-15/12 P ‑‑Dashiqiao‑‑, juris, Rz 17, m.w.N.; vgl. auch EuGH-Urteile vom 10. März 2011 C-540/09 ‑‑Skandinaviska Enskilda Banken‑‑, Slg. 2011, I-1509, UR 2011, 751, Rz 20, zu Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG; vom 13. Juni 2013 C-125/12 ‑‑Promociones y Construcciones BJ 200‑‑, UR 2013, 510, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 758, Rz 31, zu Art. 199 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL; vgl. z.B. auch Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 XI R 34/11, BFHE 243, 435, BFH/NV 2014, 460, Rz 39, zu Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG).

  37. Allerdings stellen § 3 Abs. 9a Satz 2 und § 15 Abs. 1b UStG a.F. ihrerseits eine Ausnahme von der nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem 1. Januar 2007 Art. 26 Abs. 1 und Art. 168 Buchst. a der MwStSystRL) bestehenden allgemeinen Regel dar, wonach das Recht auf den sofortigen Abzug der vollständigen Vorsteuerbeträge mit der Verpflichtung zur Besteuerung der unternehmensfremden Verwendung eines Gegenstandes korrespondiert. Diese Ausnahmebestimmungen setzt § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG für die dort genannten Eingangsleistungen, die in Besteuerungszeiträumen ab 2004 bezogen werden, außer Kraft (vgl. unter II.3.b).

  38. 4. Nach den vorgenannten Grundsätzen unterliegt die hier streitbefangene Fahrzeugnutzung zu nichtunternehmerischen Zwecken insoweit der Umsatzsteuer, als in den Streitjahren vorsteuerbelastete Eingangsleistungen für den Betrieb des Fahrzeugs bezogen wurden.

  39. Sonstige Rechtsfehler der angefochtenen Bescheide oder der Vorentscheidung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

  40. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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