BFH II. Senat
GrEStG § 16 Abs 1 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2
vorgehend FG Nürnberg, 25. April 2012, Az: 4 K 1836/10
Leitsätze
NV: Hat der Rücktrittsberechtigte sein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht aufgrund Fristablaufs endgültig verloren und ändern die Vertragsparteien anschließend im Einvernehmen die ursprünglichen Vertragsbestimmungen, kann auch ein gesetzliches Rücktrittsrecht, das wegen der Nichterfüllung der geänderten Vertragsbestimmungen neu entsteht, ebenso wie ein neues vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht nicht mehr zur Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG führen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision liegen, soweit sie entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt wurden, nicht vor.
1. Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.
a) Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher wie dieser die Darlegung und das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. Januar 2012 III B 153/11, BFH/NV 2012, 705, m.w.N.).
b) Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sieht als klärungsbedürftig an, in welchem Umfang gesetzliche Rücktrittsrechte im Rahmen des Steueraufhebungstatbestandes des § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) zu berücksichtigen seien und ob ein Rücktrittsrecht, welches auf der Grundlage einer durch eine Änderungsvereinbarung modifizierten Regelung ausgeübt werde, zur Rückabwicklung des gesamten Vertragsverhältnisses einschließlich des Grundvertrags und sämtlicher ihn betreffender Änderungsvereinbarungen berechtige. Die Rechtsfragen seien auch im Allgemeininteresse klärungsbedürftig, weil der BFH bisher noch nicht mit dem Verhältnis zwischen vertraglichen und gesetzlichen Rücktrittsrechten und deren Konkurrenzverhältnis im Rahmen des § 16 GrEStG befasst gewesen sei. Es kann dahinstehen, ob die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfragen hinreichend dargelegt ist, weil Ausführungen dazu fehlen, inwiefern diese Fragen in Rechtsprechung und/oder Schrifttum umstritten sind.
Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig. Durch die Rechtsprechung des BFH ist ‑‑wie auch die Klägerin einräumt‑‑ bereits geklärt, dass sowohl vertragliche als auch gesetzliche Rücktrittsrechte zu einer Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG führen können (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juni 1988 II R 90/86, BFH/NV 1989, 728, und vom 18. November 2009 II R 11/08, BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498). Ist ein Rücktrittsrecht vom nachträglichen Eintritt bestimmter Ereignisse abhängig, unterfällt die Ausübung bei vollständiger Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs dem § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG; das gilt sowohl für vertraglich vereinbarte als auch für gesetzliche Rücktrittsrechte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498).
Die Entscheidung des BFH (in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498) betrifft ‑‑wie der Streitfall‑‑ einen Sachverhalt, in dem ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht nicht bis zu der im ursprünglichen Vertrag bestimmten Frist ausgeübt und ‑‑nach einer Vertragsänderung‑‑ der Rücktritt vom Vertrag erklärt bzw. die Aufhebung des Vertrags vereinbart wurde. Der maßgebende Sachverhalt unterscheidet sich nur insoweit von dem des Streitfalls, als in dem vom BFH entschiedenen Fall der Grundstückskaufvertrag nach mehrfachen Verlängerungen der Rücktrittsfristen wegen eines "vertraglichen" Rücktrittsrechts rückabgewickelt wurde, während im Streitfall der Erbbaurechtsvertrag wegen eines "gesetzlichen" Rücktrittsrechts aufgrund der geänderten Vertragsbestimmungen aufgehoben worden sein soll. Die vom BFH (in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498) aufgestellten Grundsätze sind auch im Streitfall heranzuziehen; weiterer Klärungsbedarf besteht nicht.
Danach bleibt § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG nur anwendbar, wenn eine bis zur vollständigen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs reichende lückenlose Kette von jeweils noch innerhalb der Frist vereinbarten Fristverlängerungen vorliegt und der zum Rücktritt Berechtigte jeweils einen Anspruch auf Fristverlängerung hatte. Ist die ursprünglich vereinbarte Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts einmal verstrichen, ohne vorher einvernehmlich verlängert worden zu sein, hat der zum Rücktritt Berechtigte sein Recht zum Rücktritt endgültig verloren, mit der Folge, dass eine nachträgliche Fristverlängerung ein "neues" Rücktrittsrecht begründet. Das Absehen von der Zwei-Jahres-Frist des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und die Zuordnung zum Tatbestand des Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift bei vereinbarten Rücktrittsrechten, die von Umständen abhängen, die der Berechtigte nicht selbst beeinflussen kann, ist somit beschränkt auf Rücktrittsrechte, die "bei Abschluss des Grundstücksgeschäfts" vorbehalten worden sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498, unter II.4.d).
Hat der Rücktrittsberechtigte sein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht aufgrund Fristablaufs endgültig verloren und ändern die Vertragsparteien anschließend im Einvernehmen die ursprünglichen Vertragsbestimmungen, kann auch ein gesetzliches Rücktrittsrecht, das wegen der Nichterfüllung der geänderten Vertragsbestimmungen neu entsteht, ebenso wie ein neues vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht nicht mehr zur Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG führen. Die Klägerin hat keine Gründe dargelegt, die insoweit eine unterschiedliche Behandlung eines vertraglichen und eines gesetzlichen Rücktrittsrechts rechtfertigen könnten, obwohl beide Rücktrittsrechte auf den geänderten Vereinbarungen der Vertragsparteien beruhen und zivilrechtlich jeweils die Rückabwicklung des gesamten Vertrags in seiner geänderten Form auslösen.
c) Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch das erforderliche Allgemeininteresse (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Oktober 2010 II B 111/10, BFH/NV 2011, 73, unter Rz 9, m.w.N.). Die Klärung von Rechtsfragen ist darüber hinaus nicht im allgemeinen Interesse, wenn die Entscheidung ‑‑wie im Streitfall‑‑ maßgeblich von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls abhängt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. September 2011 XI B 24/11, BFH/NV 2012, 277, unter Rz 24). Das gilt im Streitfall vor allem für die Frage, ob ein Rechtsanspruch des Grundstückseigentümers auf Rückgängigmachung des Erbbaurechtsvertrags bestand.
2. Aus den gleichen Gründen kommt auch eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht in Betracht.
3. Ein Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht vor. Das Finanzgericht (FG) hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) nicht verletzt.
a) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht indes nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Beschluss vom 13. Juli 2012 IX B 3/12, BFH/NV 2012, 1635).
b) Im Streitfall hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG verneint, weil der Klägerin kein Rechtsanspruch auf Rückabwicklung des Erbbaurechtsvertrags zugestanden habe; insbesondere habe kein gesetzliches Rücktrittsrecht bestanden. Im Hinblick darauf musste sich die im Klageverfahren rechtskundig vertretene Klägerin darauf einstellen, dass das FG darüber entscheiden wird, ob Rechtsansprüche bestehen und diese kausal für die Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG sind.