BFH III. Senat
EStG § 1 Abs 3, EStG §§ 62ff, FGO § 96 Abs 1 S 2, FGO § 121, EWGV 1408/71 Art 1 Buchst a, EWGV 1408/71 Art 2 Abs 1, EWGV 1408/71 Art 13ff, FGO § 120, EStG § 62 Abs 1 Nr 2 Buchst b, EStG § 63 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 63 Abs 1 S 3, EStG § 65 Abs 1 S 1 Nr 2, EWGV 1408/71 Art 13, EStG VZ 2006
vorgehend FG Düsseldorf, 12. July 2011, Az: 15 K 1404/08 Kg
Leitsätze
1. NV: Eine sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG ergebende Kindergeldberechtigung entfällt nicht dadurch, dass der Anspruchsberechtigte gemäß Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 nicht den deutschen Rechtsvorschriften, sondern nur den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt (vgl. auch Senatsurteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BFH/NV 2013, 1698).
2.NV: Eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG liegt nur dann vor, wenn das FA in dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid dem entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen hat. Lässt sich eine solche Behandlung dem Steuerbescheid nicht eindeutig entnehmen, ist maßgeblich auf seinen durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog) zu ermittelnden Erklärungsinhalt abzustellen (Konkretisierung des Senatsurteils vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2002, 897).
Tatbestand
I. Im Revisionsverfahren ist streitig, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer polnischen Staatsangehörigen, Kindergeld für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 (Streitzeitraum) für ihre minderjährigen, in Polen wohnenden Töchter (im Folgenden: A, B und C) unter Anrechnung der in Polen bezogenen Familienleistungen zusteht.
Die Klägerin arbeitete in der Zeit vom 7. März 2005 bis 2. Juli 2005 und vom 13. März 2006 bis 12. Juli 2006 in Deutschland als Saisonkraft in einer Gärtnerei. Während ihres ersten Inlandsaufenthalts entrichtete sie in Deutschland Beiträge zur Sozialversicherung. Dagegen war sie während ihres zweiten Inlandsaufenthalts in Polen sozialversichert. In der Zeit von Mai 2004 bis August 2006 bezog die Klägerin für ihre drei Töchter Familienleistungen in Polen. Die Klägerin stellte mit der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 2005 und 2006 jeweils einen Antrag nach § 1 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie wurde für 2005 und 2006 zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Kindergeldantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Januar 2008 ab, weil die Klägerin von einer Stelle außerhalb Deutschlands dem Kindergeld vergleichbare Leistungen beziehe. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin Kindergeld für ihre drei Töchter für die Zeiträume März 2005 bis Juli 2005 und März 2006 bis Juli 2006 in Höhe von 4.620 € (= 154 € x 10 Monate x 3 Kinder). Die Klage war teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für die Kinder A, B und C für den Zeitraum März 2005 bis Juli 2005 in Höhe von 2.310 € festzusetzen. Für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 wies es hingegen die Klage als unbegründet ab. Die Klägerin sei zwar auch für diese Monate nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG kindergeldberechtigt gewesen. Der Klägerin stehe aber kein Kindergeld zu, weil ihr Kindergeldanspruch entweder nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG oder bereits mangels Anwendbarkeit der deutschen Kindergeldvorschriften ausgeschlossen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1811 veröffentlichte Urteil verwiesen.
Mit der Revision macht die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), verpflichte die Behörden des Beschäftigungsstaats, den dort tätigen Wanderarbeitnehmern Familienleistungen zu gewähren. Seien danach in Deutschland als Beschäftigungsstaat die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach dem EStG gegeben, müsse Deutschland Kindergeld zahlen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Diese Vorschrift hätte das FG nicht anwenden dürfen, da sie unionsrechtswidrig sei. Die Unionsrechtswidrigkeit ergebe sich insbesondere daraus, dass sie den Kindergeldanspruch vollständig ausschließe, wenn im Ausland dem Kindergeld vergleichbare Leistungen gezahlt würden. Ferner sei die genannte Norm verfassungswidrig. Jedenfalls hätte in der Vorinstanz eine Festsetzung von Kindergeld nach dem EStG unter Abzug der in Polen bezogenen Familienleistungen (Differenzkindergeld) erfolgen müssen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben, soweit die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A, B und C für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 unter Anrechnung der in Polen bezogenen Familienleistungen abgelehnt wurde, und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder A, B und C für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 unter Anrechnung der in Polen bezogenen Familienleistungen festzusetzen.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 unter Anrechnung der in Polen bezogenen Familienleistungen streitig (dazu 2.). Die vom FG angeführte Begründung, mit der es einen ‑‑seiner Auffassung nach‑‑ für diesen Zeitraum gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG bestehenden Kindergeldanspruch (insgesamt) ausgeschlossen hat, ist rechtsfehlerhaft (dazu 3.). Im Übrigen reichen die Feststellungen des FG nicht aus, um die Frage abschließend zu beantworten, ob der Klägerin der noch streitige Kindergeldanspruch zusteht (dazu 4.).
1. Die Familienkasse … der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzumwandlungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit … ‑‑Familienkasse‑‑ eingetreten (s. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, unter II.1.).
2. Der Streitgegenstand des Revisionsverfahrens wird durch den Revisionsantrag im Zusammenhang mit dem Revisionsbegehren bestimmt (BFH-Urteil vom 25. Juni 2002 IX R 47/98, BFHE 199, 361, BStBl II 2002, 756). Die Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom 11. August 2011 unbeschränkt Revision eingelegt. In der Revisionsbegründung vom 14. Oktober 2011 wurde indes das u.a. in erster Instanz noch verfolgte Begehren, die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für den Zeitraum März 2006 bis Juli 2006 in ungekürzter Höhe festzusetzen, nicht mehr aufrechterhalten. Vielmehr hat die Klägerin hierin ‑‑für den Senat bindend (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO)‑‑ das Revisionsbegehren zulässigerweise auf die Gewährung von Differenzkindergeld begrenzt.
Aus der in der Kindergeldakte befindlichen Bescheinigung der polnischen Behörde vom 16. Mai 2007 ergibt sich, dass die Klägerin für ihre drei Töchter im Streitzeitraum pro Monat insgesamt polnische Familienleistungen in Höhe von 189 PLN bezogen hat. Danach ist die Vorentscheidung, soweit die Kindergeldfestsetzung in entsprechender Höhe abgelehnt wurde, rechtskräftig geworden. In der durch die Revisionsbegründung erfolgten Einschränkung des Revisionsbegehrens ist keine teilweise Rücknahme der Revision zu sehen (BFH-Urteil in BFHE 199, 361, BStBl II 2002, 756).
3. Die vom FG zum vollständigen Ausschluss eines ‑‑seiner Auffassung nach‑‑ gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG bestehenden Kindergeldanspruchs alternativ angeführten Begründungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) So trifft die vom FG herangezogene Begründungsalternative, wonach die den Kindergeldanspruch ausschließende nationale Kollisionsnorm des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG deshalb anwendbar sei, weil der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 mangels Erfüllung der in Anhang I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 genannten Voraussetzungen in der im Streitzeitraum geltenden Fassung nicht eröffnet sei, nicht zu.
Vielmehr ist für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist, unabhängig davon, ob die im Anhang genannten Voraussetzungen erfüllt sind (dazu ausführlich Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, unter II.2.c).
b) Ferner hat das FG die Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG alternativ damit begründet, dass vorrangig die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu prüfen seien, während der Anhang I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 nur die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Familienleistungen einschränke.
Die vom FG auf der Grundlage dieser Auffassung vorgenommene Subsumtion, wonach deutsches Recht gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 anwendbar sei, weil die Klägerin im Inland als Arbeitnehmerin unselbständig tätig gewesen sei, ist rechtsfehlerhaft. Bei der Auslegung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 ist nämlich nur an diejenige(n) Tätigkeit(en) anzuknüpfen, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt (Senatsurteile in BFHE 234, 316, unter II.3.a; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, BFHE 238, 87, unter II.3.a und b). Das FG hat jedoch nicht festgestellt, ob und hinsichtlich welcher Tätigkeit(en) die Klägerin als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Es hat lediglich festgestellt, dass sie während ihres zweiten Inlandsaufenthalts in Polen sozialversichert gewesen ist. Diese Feststellung allein ermöglicht jedoch keine Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71.
c) Schließlich kann auch nicht der vom FG herangezogenen Begründungsalternative zugestimmt werden, wonach die deutschen Kindergeldvorschriften (§§ 62 ff. EStG) zur Gänze nicht anwendbar seien, weil die Klägerin als Angehörige des polnischen Sozialversicherungssystems nach dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71 geregelten Ausschließlichkeitsprinzip nur dem polnischen Recht unterliege.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11 (BFHE 241, 511, BFH/NV 2013, 1698) entschieden hat, entfällt eine sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ergebende Anspruchsberechtigung nicht dadurch, dass eine Person gemäß den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 nicht den deutschen Rechtsvorschriften, sondern nur den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt. Das deutsche Recht bleibt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in einem solchen Fall gleichwohl anwendbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die genannte Entscheidung.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann auf der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen nicht abschließend prüfen, ob der Klägerin das noch streitige Kindergeld zusteht. Für das weitere Vorgehen im zweiten Rechtsgang weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Ausgangspunkt der Prüfung ist die Frage, ob die Klägerin im Streitzeitraum die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 ff. EStG erfüllt hat. Das FG hat zwar für den Senat bindend festgestellt (s. § 118 Abs. 2 FGO), dass ihre drei in Polen lebenden minderjährigen Kinder nach § 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1, Abs. 3 EStG berücksichtigungsfähig sind. Anhand der vom FG getroffenen Feststellungen lässt sich aber nicht beurteilen, ob die Klägerin nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG kindergeldberechtigt ist.
aa) Für Kinder i.S. des § 63 EStG hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anspruch auf Kindergeld, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Diesbezüglich hat das FG im Ausgangspunkt zu Recht entschieden, dass der Klägerin hiernach ein Anspruch auf Kindergeld nur für diejenigen Kalendermonate zustehen kann, in denen sie als unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 EStG inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat. Der V. Senat des BFH hat mit Urteil vom 24. Oktober 2012 V R 43/11 (BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491) entschieden, dass eine solche Kindergeldberechtigung nicht stets für das gesamte Kalenderjahr, sondern nur für diejenigen Monate des Kalenderjahrs besteht, in denen der Anspruchsteller inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt. Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen in dem BFH-Urteil in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491 verwiesen, denen sich der erkennende Senat im Ergebnis anschließt.
bb) Weiter hat der Senat zur Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG entschieden, dass das Gesetz diese Kindergeldberechtigung ‑‑anders als die nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG‑‑ von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers abhängig macht.
Eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt daher voraus, dass der Anspruchsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom zuständigen Finanzamt (FA) nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (Senatsurteil vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897). Eine solche Behandlung liegt nur vor, wenn das FA in dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid dem Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen und ihn demnach gemäß § 1 Abs. 3 EStG veranlagt hat. Allein die Tatsache, dass beispielsweise bei einem ausländischen Saisonarbeiter im Einkommensteuerbescheid von einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht ausgegangen wurde, besagt daher nicht notwendigerweise, dass eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG gegeben ist. Es kann auch eine ‑‑für die Familienkasse und das FG nicht bindende‑‑ unzutreffende Bejahung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 EStG erfolgt sein. Lässt sich daher eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG dem Steuerbescheid nicht eindeutig entnehmen, ist maßgebend auf seinen durch Auslegung (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches analog) zu ermittelnden objektiven Erklärungsinhalt abzustellen. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber dem Betroffenen mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung). Bei der Auslegung sind der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte, entscheidend (Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 119 Rz 5, m.w.N.). Es können auch außerhalb des Bescheids liegende Umstände zu berücksichtigen sein.
Im Streitfall hat das FG zwar festgestellt, dass die Klägerin mit Abgabe der Einkommensteuererklärung 2006 den Antrag nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG gestellt hat. Die Vorentscheidung enthält aber keine Feststellungen zur Frage, ob das FA in dem Einkommensteuerbescheid für 2006 dem Antrag der Klägerin nach § 1 Abs. 3 EStG entsprochen oder sie möglicherweise nach § 1 Abs. 1 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig veranlagt hat. Das FG führt lediglich aus, dass die Klägerin zur Einkommensteuer veranlagt wurde. Es wird daher im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob dem Antrag der Klägerin entsprochen wurde. Sollte der Einkommensteuerbescheid für 2006 in diesem Punkt auslegungsbedürftig sein, ist ‑‑ggf. unter Rückgriff auf die Veranlagungsakten‑‑ zu klären, wie die Klägerin den Einkommensteuerbescheid für 2006 verstehen konnte.
cc) Sollten die noch nachzuholenden Feststellungen eine Behandlung der Klägerin nach § 1 Abs. 3 EStG ergeben, bliebe weiter festzustellen, in welchen Monaten des Jahres 2006 die Klägerin die inländischen Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat. Hierbei handelt es sich um diejenigen Monate, in denen die Einkünfte der Klägerin nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 11 EStG zeitlich zu erfassen sind (s. dazu bereits BFH-Urteil in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491, unter II.4.).
b) Soweit sich danach das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ergibt, wäre weiter zu prüfen, wie eine Konkurrenz zu den in Polen bezogenen Familienleistungen aufzulösen ist.
aa) Ist der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet (s. zu dieser Frage im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 234, 316, unter II.2.c), muss geprüft werden, ob Deutschland nach den Art. 13 ff. dieser Verordnung der zuständige oder unzuständige Mitgliedstaat ist (s. zu dieser Frage im Einzelnen Senatsurteile in BFHE 234, 316, unter II.3.; vom 15. März 2012 III R 52/08, BFHE 237, 412, unter II.3., und in BFHE 238, 87, unter II.3.).
Ob im Streitfall der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, lässt sich den bisherigen Feststellungen des FG nicht zweifelsfrei entnehmen. Das FG hat zwar in der Vorentscheidung ausgeführt, dass die Klägerin während ihres zweiten Aufenthalts in Polen sozialversichert gewesen ist. Hieraus ergibt sich aber nicht zwangsläufig, dass die Klägerin in Polen als Arbeitnehmerin oder Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Denn die VO Nr. 1408/71 knüpft in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten System der sozialen Sicherheit, oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3) versichert ist (Senatsurteil in BFHE 234, 316, unter II.2.c dd). Deshalb wären ggf. auch insoweit noch weitere Feststellungen erforderlich.
bb) Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet, Deutschland nach den Art. 13 ff. dieser Verordnung aber der unzuständige Mitgliedstaat sein (z.B. dann möglich, wenn Art. 14a Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 zur Anwendung käme, weil die Klägerin in Polen als Selbständige sozialversichert war (s. EuGH-Urteil vom 30. März 2000 C-178/97, Banks u.a., Slg. 2000, I-2005), so ist der dann anwendbare § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unter Beachtung der Anforderungen des Primärrechts der Union auf dem Gebiet der Arbeitnehmerfreizügigkeit auszulegen (Senatsurteil in BFHE 241, 511, BFH/NV 2013, 1698). Es läge dann eine dem EuGH-Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10 Hudzinski und Wawrzyniak (Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht 2012, 475) vergleichbare Konstellation vor.