BFH III. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, EStG § 32 Abs 6, EStG § 32a Abs 1 S 2 Nr 1, GG Art 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 6, GG Art 20 Abs 1, EStG VZ 2005
vorgehend FG Nürnberg, 25. February 2013, Az: 1 K 90/13
Leitsätze
1. NV: Macht der Beschwerdeführer mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Frage geltend, ob für volljährige Kinder unterhaltspflichtiger Eltern steuerlich das gleiche Existenzminimum anzusetzen ist wie sozialrechtlich für volljährige Hilfeempfänger, so muss er sich in seiner Beschwerdebegründung auch mit dem Umfang der dem Gesetzgeber bei der Bemessung des Existenzminimums vom Bundesverfassungsgericht zugebilligten Typisierungsbefugnis auseinandersetzen. Insoweit ist insbesondere zu erörtern, ob und inwieweit der Gesetzgeber im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis auch die wachsende Fähigkeit volljähriger Kinder, ihren Unterhalt aus eigenen Einkünften bestreiten zu können, und die Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei der Besteuerung des Kindes berücksichtigen darf.
2. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 29.09.2015 Az. 2 BvR 2788/13).
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind miteinander verheiratet und wurden im Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten insbesondere Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.
Die Kläger haben drei gemeinsame Kinder. Die 1988 und 1990 geborenen Kinder befanden sich im Streitjahr in Schulausbildung. Das 1985 geborene Kind begann nach Beendigung seiner Schulausbildung am 1. Oktober 2005 ein Studium, für das es am Studienort eine eigene Unterkunft anmietete.
Für den Unterhalt sämtlicher Kinder kamen die Kläger auf. Das studierende Kind erzielte im Streitjahr auch eigene Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn: 1.529 €) und aus Kapitalvermögen (Einnahmen: 933 €).
Im Einkommensteuerbescheid vom 12. Juli 2006 berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Kinder zum einen durch den Kinderfreibetrag und den Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf in Höhe von 5.808 € je Kind (§ 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Zum anderen setzte das FA für das auswärts untergebrachte Kind einen Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 231 € (= 3/12 von 924 €) an (§ 33a Abs. 2 EStG). Die darüber hinaus von den Klägern für den Unterhalt des auswärts untergebrachten Kindes als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 3.344 € erkannte es nicht an. Den dagegen gerichteten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2007 als unbegründet zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass die von den Klägern insbesondere für das auswärts untergebrachte Kind geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen nicht über die vom FA bereits berücksichtigten Freibeträge hinaus steuerlich anerkannt werden könnten. Der Steuergesetzgeber habe das Existenzminimum für volljährige Kinder im Jahr 2005 und die Ausbildungskosten einschließlich der Kosten auswärtiger Unterbringung ausreichend berücksichtigt.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Kläger haben Zulassungsgründe nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) der Frage zuzulassen, ob die Verfassungsmäßigkeit des Existenzminimums isoliert überprüft werden kann.
a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen sowie die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (z.B. Senatsbeschluss vom 16. August 2011 III B 155/10, BFH/NV 2012, 48).
b) aa) Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob die Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Existenzminimums isoliert von anderen Bestandteilen des steuerlichen Familienleistungsausgleichs überprüft werden kann. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass sich die Klage nicht auf die Höhe der Ausbildungsfreibeträge, sondern auf die Höhe des Existenzminimums bezogen habe, das FG indessen unter Berufung auf das Senatsurteil vom 25. November 2010 III R 111/07 (BFHE 231, 567, BStBl II 2011, 281) eine isolierte Betrachtung bestimmter Freibeträge für nicht zulässig erachtet habe. Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29. Mai 1990 1 BvL 4/86 (BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653) ergebe sich hingegen, dass eine für verfassungswidrig erachtete Rechtsposition, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergebe, grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden könne.
bb) Dieser Vortrag enthält bereits keine hinreichende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung. Das BVerfG hat in dem von den Klägern in Bezug genommenen Beschluss in BverfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653 ausgeführt, dass eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt und bei der sich deshalb der etwa bestehende verfassungsrechtliche Mangel durch eine Nachbesserung bei der einen oder der anderen Einzelregelung beheben ließe, grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur Prüfung gestellt werden kann. Hintergrund ist die aus dem Grundgedanken des Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) entwickelte Überlegung, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage, die durch die betroffene Norm mit herbeigeführt wird, nicht mit der Erwägung unterlassen werden darf, die Einzelnorm könne Bestand haben, wenn die gesetzliche Nachbesserung an anderer Stelle erfolge.
Von der Frage, ob eine spezielle Norm zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt und diese spezielle Norm als mit der Verfassung unvereinbar erklärt werden kann, wenn sich die Verfassungswidrigkeit aus dem Zusammenwirken mehrerer Normen ergibt, ist jedoch die Frage zu unterscheiden, auf welcher Grundlage die Verfassungsmäßigkeit der Rechtslage beurteilt wird. Insoweit hat das BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 7. September 2009 2 BvR 1966/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2009, 2068, m.w.N.) und ihm folgend der Senat (Urteile vom 20. Dezember 2012 III R 29/12, BFH/NV 2013, 723, und in BFHE 231, 567, BStBl II 2011, 281) darauf abgestellt, dass Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot "horizontaler Steuergleichheit" verlangt, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Eine verminderte Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem Kind muss danach bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz berücksichtigt werden. Da es dem Gesetzgeber dabei aber grundsätzlich freisteht, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr durch Gewährung von Kindergeld Rechnung zu tragen oder beide Möglichkeiten zu kombinieren, ist für den Fall, dass eine verfassungswidrig zu niedrige Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit aufgrund von Unterhaltszahlungen geltend gemacht wird, das gesamte betroffene Normengeflecht in den Blick zu nehmen. Ein isolierter Blick nur auf das Steuerrecht oder nur auf den Kindergeldanspruch verbietet sich, da mit diesem die tatsächliche Berücksichtigung der verminderten Leistungsfähigkeit durch den Gesetzgeber nicht hinreichend gewürdigt werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hätten die Kläger daher darauf eingehen müssen, weshalb trotz der Unzulässigkeit eines isolierten Blickes auf das Steuerrecht eine isolierte verfassungsrechtliche Betrachtung einzelner steuerrechtlicher Komponenten des Familienleistungsausgleichs zulässig sein soll und inwiefern diese Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist.
cc) Nicht hinreichend auseinandergesetzt haben sich die Kläger auch mit den von ihnen in Bezug genommenen Ausführungen des Senats im Urteil in BFHE 231, 567, BStBl II 2011, 281, wonach Aufwendungen für die Berufsausbildung von Kindern, insbesondere für deren auswärtige Unterbringung, nach der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen nicht genauso behandelt werden müssen wie Aufwendungen für die Sicherung des Existenzminimums.
Insoweit wäre darauf einzugehen gewesen, ob sich dieser Hinweis auf die von den Klägern in Betracht genommene Frage des Prüfungsrahmens bezieht oder vielmehr nur auf die Prüfung, inwieweit einzelne Aufwendungsarten im Rahmen des den Familienleistungsausgleich regelnden Normengeflechts Berücksichtigung finden müssen.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, ob für volljährige Kinder unterhaltspflichtiger Eltern das gleiche Existenzminimum wie für volljährige Sozialhilfeempfänger anzusetzen ist. Insoweit setzen sich die Kläger nicht hinreichend mit der einschlägigen Rechtsprechung und der Gesamtheit des in die Prüfung einzubeziehenden Normenkomplexes auseinander.
a) Das BVerfG (Beschluss vom 14. Juni 1994 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, unter C.II.1.c, m.w.N.) gesteht dem Gesetzgeber einerseits zu, die steuerliche Entlastung in Höhe des Existenzminimums der Kinder für alle Altersstufen und im ganzen Bundesgebiet einheitlich festzulegen, erkennt andererseits aber, dass die Leistungen der Sozialhilfe weder für alle in Betracht kommenden Altersstufen der Kinder noch in allen Bundesländern einheitlich sind. Daraus folgert es, dass für den Vergleich aus den unterschiedlichen Sätzen ein Durchschnittssatz des im Sozialhilferecht anerkannten Bedarfs gebildet werden muss. Aus einer Reihe von Beispielen folgert das BVerfG insoweit, dass sich der durchschnittliche jährliche Sozialhilfebedarf nur annäherungsweise ermitteln lässt und dass demgemäß eine solche Berechnung nur einen Richtwert, nicht aber eine strikte Vorgabe für die Bemessung des Existenzminimums darstellen kann.
b) Insoweit wäre für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Kinderfreibeträge insbesondere auf den Umfang der dem Gesetzgeber vom BVerfG zugebilligten Typisierungsbefugnis einzugehen gewesen. Zu erörtern wäre insbesondere, ob und inwieweit der Gesetzgeber auch die wachsende Fähigkeit volljähriger Kinder, ihren Unterhalt aus eigenen Einkünften bestreiten zu können, berücksichtigen durfte. So hat der Gesetzgeber bereits in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung zum Ausdruck gebracht, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des volljährigen Kindes für die Einbeziehung des Kindes in den steuerlichen Familienleistungsausgleich von Bedeutung sind. Überdies hätten sich die Kläger mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Gesetzgeber bei der Bemessung der Kinderfreibeträge auch berücksichtigen durfte, dass die eigenen Einkünfte des Kindes dem Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG unterfallen, so dass sich das Problem einer möglichen Doppelberücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums des Kindes bei der Besteuerung der Eltern und bei der Besteuerung des Kindes stellen könnte.
Schließlich enthält das Vorbringen der Kläger keine Ausführungen dazu, ob und von welcher Seite die Verfassungsmäßigkeit der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums volljähriger zu berücksichtigender Kinder in Zweifel gezogen wird.
3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), zuzulassen.
Soweit die Kläger mit ihrem Vortrag, das FG hätte im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht bei eigenen Recherchen bemerken können, dass dem Vortrag der Kläger zur Höhe der örtlichen Sozialhilfesätze ein landesweiter bzw. allgemein gültiger Maßstab zugrunde lag, eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) rügen wollten, wären die hierfür geltenden Darlegungsanforderungen jedenfalls nicht erfüllt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wären insbesondere Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Aufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern diese auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer für die Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (z.B. Senatsbeschluss vom 21. Mai 2013 III B 150/12, BFH/NV 2013, 1431).