BFH II. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 79 Abs 1 S 2 Nr 6, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 18. February 2013, Az: 11 K 11266/08
Leitsätze
1. NV: Will das FG von der Vernehmung eines geladenen, aber am Erscheinen in der mündlichen Verhandlung aus terminlichen Gründen gehinderten Zeugen endgültig absehen, muss es dies für die Beteiligten unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wenn es nicht zu Recht annehmen kann, es sei aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich die Beweisaufnahme erledigt habe.
2. NV: Zur Widerlegung einer tatsächlichen Vermutung genügt es, wenn Tatsachen nachgewiesen werden, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen lassen.
Tatbestand
I. Die Sache befindet sich im II. Rechtsgang. Im I. Rechtsgang hatte das Finanzgericht (FG) die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte das Urteil des FG durch das Urteil vom 30. Juli 2008 II R 37/07 (BFH/NV 2009, 44) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Zur Begründung hatte der BFH ausgeführt, der Gegenstand des Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) sei zwar das Grundstück in dem noch zu schaffenden baureifen Zustand gewesen. Das FG habe auch die Höhe der Gegenleistung zutreffend ermittelt. Noch nicht abschließend entschieden werden könne aber, ob die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 3 GrEStG in der im Jahr 1993 geltenden Fassung in Höhe eines Teilbetrags von 40,066 % zutreffend verwehrt worden sei. Da sich die Beteiligung der Gründungsgesellschafter A und E an der … GbR (GbR), deren Gesamtrechtsnachfolgerin die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sei, innerhalb eines kurzen Zeitraums nach dem Grundstücksübergang verringert habe, bestehe die widerlegbare Vermutung, dass die Grundstücksübertragung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Veränderung der Gesellschafterstellung bereits abgesprochen gewesen sei. Der Klägerin sei Gelegenheit zu geben, diese Vermutung zu widerlegen und nachzuweisen, dass die Absprache zwischen den Gesamthändern, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen, erst nach dem Übergang des Grundstücks auf die GbR getroffen worden sei. Der BFH verwies in diesem Zusammenhang u.a. auf sein Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 72/94 (BFHE 181, 344, BStBl II 1997, 87).
Das FG lud im II. Rechtsgang auf einen Beweisantrag der Klägerin hin als Zeugen A, B, C und D und bestimmte den Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf den 19. Februar 2013. Als Gegenstand der Vernehmung wurde die Frage angegeben, wann im Jahr 1993 die Absprache zwischen den Gesamthändern der GbR getroffen wurde, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen.
Da die Zeugen A und B dem FG anzeigten, sie seien am Erscheinen zum Termin am 19. Februar 2013 verhindert, teilte ihnen das FG mit, der Termin sei durch richterliche Verfügung aufgehoben worden. Die Ladung zu dem aufgehobenen Termin sei damit gegenstandslos. Die Beteiligten erhielten hiervon Ablichtungen.
Auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2013, in der die Zeugen C und D vernommen worden waren, wies das FG die Klage erneut im Wesentlichen ab. Es führte zur Begründung aus, die Vermutung, dass die Verminderung der Beteiligung der Gründungsgesellschafter an der GbR über 50 % hinaus auch in Höhe von 40,066 % bereits bei der Grundstücksübertragung auf die GbR abgesprochen gewesen sei, habe die Klägerin nicht mit Erfolg widerlegt. Es fehlten entsprechende Nachweise.
Die Klägerin stützt ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision u.a. darauf, dass das FG nicht ohne Vernehmung von A und B als Zeugen hätte entscheiden dürfen. Die Vorentscheidung weiche zudem von näher bezeichneten Entscheidungen ab, nach denen die Widerlegung einer tatsächlichen Vermutung nicht den vollen Gegenbeweis erfordere. Vielmehr genüge es, wenn Tatsachen und Beweismittel dargelegt würden, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen ließen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Der von der Klägerin den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend geltend gemachte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor. Das FG hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, indem es ihr vor Erlass des Urteils nicht mit der erforderlichen Klarheit zu erkennen gegeben hat, dass es nicht mehr beabsichtigte, die Zeugen A und B zu vernehmen.
a) Durch einen Beweisbeschluss entsteht eine Verfahrenslage, auf welche die Beteiligten ihre Prozessführung einrichten dürfen. Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht ergehen wird, bevor der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, eine angeordnete Beweisaufnahme in vollem Umfang durchzuführen. Will es von einer Beweisaufnahme absehen, muss es aber zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vor Erlass des Urteils die von ihm durch den Beweisbeschluss geschaffene Prozesslage wieder beseitigen. Dazu hat es für die Beteiligten unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass es den Beweisbeschluss als erledigt betrachtet (BFH-Beschlüsse vom 3. Dezember 2002 X B 26/02, BFH/NV 2003, 343; vom 27. August 2010 III B 113/09, BFH/NV 2010, 2292, und vom 19. Dezember 2012 XI B 84/12, BFH/NV 2013, 745, Rz 15).
Ein Hinweis darauf, dass der Beweisbeschluss nicht oder nicht vollständig ausgeführt werde, kann allerdings entbehrlich sein. Hierfür genügt es jedoch nicht, dass die Beteiligten allgemein in Betracht ziehen müssen, das FG werde von der Beweisaufnahme absehen. Die Beteiligten können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht ergehen wird, bevor der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Abweichendes kann nur gelten, wenn das Gericht zu Recht annehmen kann, es sei auch aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich eine angeordnete Beweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfte (BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 2012 X B 4/10, BFH/NV 2012, 958, Rz 19, und in BFH/NV 2013, 745, Rz 17). Wenn Zeugen zu einem Vernehmungstermin aus terminlichen Gründen nicht erscheinen können, hat dies für sich genommen noch nicht zur Folge, dass sich ihre vom Gericht als erforderlich angesehene und deshalb durch Beweisbeschluss angeordnete Vernehmung erledigt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 745, Rz 16).
b) Gleiches gilt auch dann, wenn kein Beweisbeschluss ergangen ist, sondern ein Zeuge gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 FGO zur mündlichen Verhandlung geladen wurde. Auch in einem solchen Fall können die Beteiligten grundsätzlich annehmen, dass das Gericht die Zeugenvernehmung als erforderlich ansieht und kein Urteil erlässt, bevor diese durchgeführt wurde (BFH-Beschluss vom 2. August 2013 XI B 97/12, BFH/NV 2013, 1791). Ein Beweisbeschluss ist nach § 82 FGO i.V.m. § 358 der Zivilprozessordnung nur dann erforderlich, wenn die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren (einen besonderen Termin) erfordert. Dies ist nicht der Fall, wenn die Zeugenvernehmung im Rahmen der mündlichen Verhandlung stattfinden soll (BFH-Beschluss vom 8. November 2006 VI B 62/06, BFH/NV 2007, 468). Das bedeutet aber nicht, dass das Gericht von der Vernehmung eines Zeugen, der zwar geladen worden war, aber aus terminlichen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme erscheinen konnte, ohne weiteres, insbesondere ohne unmissverständlichen Hinweis an die Beteiligten von dessen Vernehmung absehen kann, es sei denn, das Gericht kann zu Recht annehmen, es sei auch aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich die Beweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfte (BFH-Beschluss vom 2. August 2013 XI B 97/12, BFH/NV 2013, 1791).
c) Das FG hat demnach dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es die Vorentscheidung erlassen hat, ohne die Beteiligten zuvor unmissverständlich darauf hingewiesen zu haben, dass es nicht mehr beabsichtige, die Zeugen A und B zu vernehmen. Ein solcher Hinweis lässt sich weder den Akten des FG noch der Niederschrift über die mündliche Verhandlung entnehmen. Das FG hatte die Abladung der Zeugen A und B nicht damit begründet, dass ihre Aussagen als Zeugen nicht benötigt würden, sondern mit dem (unzutreffenden) Hinweis darauf, dass der Termin vom 19. Februar 2013 durch richterliche Verfügung aufgehoben worden sei.
Ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass die Zeugen A und B nicht mehr vernommen werden sollen, war auch nicht entbehrlich. Weder aus den Akten noch aus der Sitzungsniederschrift ist ersichtlich, dass es auch aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei gewesen sei, dass sich die zunächst beabsichtigte Vernehmung der Zeugen A und B erledigt habe. Dass diese Zeugen zur mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht erschienen waren, begründete für sich genommen keine Erledigung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen. Das FG konnte auch nicht daraus, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift den Antrag auf Vernehmung der Zeugen A und B nicht ausdrücklich wiederholt hat, mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass sich deren Vernehmung aus der Sicht der Klägerin erledigt habe. Von einer solchen Erledigung hätte das FG vielmehr nur dann ausgehen dürfen, wenn es aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die nach den Ausführungen im BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 44 begründete tatsächliche Vermutung als widerlegt angesehen hätte.
Die Vorentscheidung kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen. Hätte das FG die Klägerin darauf hingewiesen, dass es die Zeugen A und B nicht mehr vernehmen wolle, hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, dem zu widersprechen und in der mündlichen Verhandlung den schriftsätzlich gestellten Beweisantrag zu wiederholen. Einer Aussage des Zeugen A könnte zudem deshalb besondere Bedeutung zukommen, weil er Gründungsgesellschafter der GbR war.
2. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die nach dem BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 44 begründete tatsächliche Vermutung, dass die Verminderung der Beteiligung der Gründungsgesellschafter an der GbR in einem Umfang von insgesamt 90,066 % und nicht lediglich von 50 % bereits bei der Einbringung des Grundstücks in die GbR abgesprochen war, nicht nur durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass die Absprache zwischen den Gesellschaftern, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen, erst nach dem Übergang des Grundstücks auf die GbR getroffen wurde. Es genügt vielmehr, wenn die Klägerin Tatsachen nachweist, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen lassen. Dies hat der BFH zwar in dem Urteil in BFH/NV 2009, 44 nicht ausdrücklich erwähnt; es ergibt sich aber aus der Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 181, 344, BStBl II 1997, 87, in dem dies in Abschn. II.1. am Ende ausgesprochen wurde.
3. Es erscheint sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen; denn im Streitfall ist von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 745, Rz 22, m.w.N.).