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Beschluss vom 23. September 2013, VIII B 40/13

Vorzeitige Kündigung einer Kapitallebensversicherung

BFH VIII. Senat

EStG § 20 Abs 1 Nr 6, EStG § 9 Abs 1 S 1, GG Art 3, EStG VZ 2006

vorgehend FG Dessau-Roßlau, 12. December 2012, Az: 6 K 1169/08

Leitsätze

NV: Der Verlust aus der vorzeitigen Kündigung einer Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall ist nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Gesetzesfassung nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar.

Tatbestand

  1. I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hat vor dem 1. Januar 2005 eine Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen und diese vor Ablauf von zwölf Jahren seit dem Vertragsabschluss gekündigt. Die in dem Gesamtrückkaufswert enthaltenen Kapitalerträge legte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) der Einkommensteuerfestsetzung für 2006 zugrunde.

  2. Im Einspruchsverfahren machten die Kläger erfolglos geltend, dass die Differenz zwischen den insgesamt geleisteten Beiträgen zur Lebensversicherung und dem Rückkaufswert abzüglich der Zinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sei. Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 866 veröffentlichten Urteil abgewiesen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die zulässige Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

  2. 1. Die Frage, ob bei einer vor dem 31. Dezember 2004 abgeschlossenen Kapitallebensversicherung der Anteil der Versicherungsbeiträge, der von dem Versicherungsunternehmen für die Erwirtschaftung von Kapitalerträgen von dem Versicherungsnehmer vereinnahmt wurde, als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu berücksichtigen ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es ist auch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

  3. a) An der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache fehlt es regelmäßig, wenn die zu klärende Rechtsfrage ‑‑wie im Fall des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung‑‑ ausgelaufenes Recht betrifft. In einem solchen Fall müssen besondere Gründe vorliegen, die ausnahmsweise eine Abweichung von dieser Regel rechtfertigen, etwa wenn die Rechtsfrage sich entweder mit Blick auf eine Nachfolgeregelung oder in einer nicht ganz unerheblichen Zahl noch anhängiger Verfahren stellt (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2012 X B 211/11, BFH/NV 2013, 546, m.w.N.).

  4. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung wird von der mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage nicht berührt, weil nunmehr der Unterschiedsbetrag zwischen den Versicherungsleistungen und der Summe der geleisteten Versicherungsbeiträge zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehört. Es kann offenbleiben, ob für eine größere Zahl von vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen Lebensversicherungen die hier aufgeworfene Rechtsfrage Gegenstand von anhängigen Verfahren ist. Jedenfalls ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus den nachfolgenden Gründen zu verneinen.

  5. b) Der Senat hat bereits entschieden, dass bei Lebensversicherungsverträgen die in den Versicherungsbeiträgen enthaltenen Abschlusskosten und Verwaltungskostenanteile nicht als Werbungskosten abzugsfähig, sondern Anschaffungsnebenkosten für den Erwerb einer Kapitalanlage i.S. von § 20 EStG sind (vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 2009 VIII B 186/09, BFH/NV 2010, 235, m.w.N.).

  6. c) Auch die Rechtsprechung des BFH zum Werbungskostenabzug bei Kapitalanlagen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

  7. aa) Danach sind Aufwendungen auf Kapitalanlagen nur dann uneingeschränkt als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar, wenn bei der jeweiligen Kapitalanlage die Absicht zur Erzielung steuerfreier Vermögensvorteile nicht im Vordergrund steht, d.h. nur mitursächlich für die Anschaffung der ertragsbringenden Kapitalanlage ist (Senatsurteil vom 24. November 2009 VIII R 30/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 1033, www.bundesfinanzhof.de/entscheidungen).

  8. bb) Dies ist bei dem Abschluss einer Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall nicht der Fall. Diese unterscheidet sich von den der Rechtsprechung des BFH zugrunde liegenden Kapitalanlagen dadurch, dass sie das Risiko des Versterbens des Kapitalanlegers mit absichert. In diesem Fall wird die Versicherungssumme vorzeitig in voller Höhe und nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG steuerfrei ausgezahlt. Die Erzielung dieses Vermögensvorteils bei Eintritt des Versicherungsfalles ist nicht nur mitursächlich, sondern wesentlicher Grund für den Abschluss einer Lebensversicherung als Kapitalanlage. Die Minderung des Rückkaufswerts, die nach den Vertragsbedingungen nicht nur auf den Abschlusskosten und Kosten der Vermögensverwaltung, sondern im Wesentlichen auch darauf beruht, dass die Versicherung sofort nach Vertragsabschluss den vollen Versicherungsschutz übernommen hat, ist danach Aufwand für eine Kapitalanlage, bei der die Erzielung von steuerfreien Vermögensvorteilen im Vordergrund steht.

  9. cc) Der von dem Kläger geltend gemachte Verlust wurde danach nicht durch die erzielten Kapitalerträge veranlasst, sondern dadurch, dass er den Vertrag über die Lebensversicherung zu einem Zeitpunkt gekündigt hat, zu dem der Rückkaufswert unter den bereits eingezahlten Beiträgen lag. Es handelt sich um einen Verlust in der privaten Vermögenssphäre, der bei der Einkommensteuerfestsetzung nicht als Werbungskosten gemäß § 9 EStG berücksichtigt werden kann.

  10. d) Eine Berücksichtigung des geltend gemachten Aufwands ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten.

  11. aa) Die Besteuerung der Zinsen ohne Berücksichtigung des Verlusts der eingezahlten Sparanteile widerspricht nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Vielmehr ist ihr Ergebnis (kein Abzug der Aufwendungen auf den Vermögensstamm bei dessen Verlust) die folgerichtige Ausprägung der Systematik der im Streitfall anwendbaren bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (vgl. BFH-Beschluss vom 24. April 2012 IX B 154/10, BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454).

  12. bb) Eine steuerliche Berücksichtigung des geltend gemachten Verlusts würde zu einer Durchbrechung des Systems der Einkünfteermittlung führen, nach dem Aufwendungen für den Erwerb nicht abnutzbarer Wirtschaftsgüter, die der Erzielung von Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 bis 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) dienen, die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer grundsätzlich nicht mindern. Eine solche wäre nur statthaft, wenn auch Wertveränderungen des eingezahlten Vermögens bei der Ermittlung der Einkünfte, die aus einer Lebensversicherung erzielt werden, berücksichtigt würden (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 1970  1 BvL 17/67, BVerfGE 28, 227, BStBl II 1970, 579).

  13. Diese Grundentscheidung hat der Gesetzgeber jedoch erst mit der Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) geschaffen, nach der der Unterschiedsbetrag zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge zu versteuern ist. Die Vorschrift findet nach der Anwendungsregelung in § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG in der Fassung des Streitjahres (2006) indes nur Anwendung bei Versicherungsverträgen, die ‑‑anders als im Streitfall‑‑ nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurden. Eine planwidrige Gesetzeslücke, die Anlass für eine Analogie sein könnte, liegt nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 2011 VIII R 46/09, BFHE 234, 49, BStBl II 2011, 920).

  14. 2. Auch der von den Klägern geltend gemachte Verfahrensverstoß (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) führt nicht zur Zulassung der Revision. Das angefochtene Urteil leidet nicht an dem gerügten Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO).

  15. a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO), muss jedoch von den Beteiligten angebotene Beweise grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar ist oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen (z.B. BFH-Beschluss vom 7. November 2012 I B 172/11, BFH/NV 2013, 561).

  16. b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Erhebung des von den Klägern beantragten Beweises zu Recht versagt, da es auf die Frage, in welchem Umfang die Minderung des Rückkaufswerts auf die Kosten der Vermögensverwaltung entfiel, nicht entscheidungserheblich ankam.

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