BFH XI. Senat
UStG § 13, UStG § 17 Abs 1, UStG § 17 Abs 2 Nr 1, InsO § 22 Abs 1, InsO § 38, InsO § 55, InsO § 80 Abs 1, InsO § 96 Abs 1 Nr 1, InsO §§ 174ff, EGRL 112/2006 Art 90, FGO § 69 Abs 3 S 1, FGO § 128 Abs 3, AO § 34 Abs 3, InsO § 174, FGO § 69 Abs 2 S 2
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 17. March 2013, Az: 7 V 7279/12
Leitsätze
NV: Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Vereinnahmung des Entgelts durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter für eine vor seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter vom Insolvenzschuldner ausgeführte Leistung mit der Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet.
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (GmbH).
Mit Beschluss vom 7. Juni 2012 ordnete das Amtsgericht … (AG) über das Vermögen der GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte den Antragsteller zum sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit weiterem Beschluss vom 19. Juli 2012 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren und bestellte den Antragsteller zum Insolvenzverwalter.
Der Antragsteller vereinnahmte im Voranmeldungszeitraum Juli 2012 Entgeltzahlungen für sonstige Leistungen in Höhe von 13.241,90 €, die die GmbH vor dem 7. Juni 2012 ausgeführt hatte. Er behandelte diese Leistungsentgelte in der für die GmbH eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ (Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996) als Masseverbindlichkeit und bezog sie in Höhe von 11.127 € (= 13.241,90 € : 1,19) in die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Umsätze ein. Die Abgabe dieser Steueranmeldung für Juli 2012 stand gemäß § 168 Satz 1 der Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Der gleichzeitig mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 eingelegte Einspruch, in dem der Antragsteller geltend machte, die aus den vor dem 7. Juni 2012 erbrachten sonstigen Leistungen herrührenden Umsatzsteuerforderungen seien keine Masseverbindlichkeiten sondern Insolvenzforderungen, blieb ohne Erfolg. Über die Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids für Juli 2012 lehnte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ebenfalls ab. Das FG gab dem bei ihm gestellten Antrag auf AdV gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Beschluss vom 18. März 2013 statt. Denn die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juli 2012 erscheine nicht über jegliche Rechtmäßigkeitszweifel erhaben.
Sie entspreche zwar der neueren Rechtsprechung des V. Senats des BFH (Urteile in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996; vom 24. November 2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298). Diese Rechtsprechung sei jedoch im Schrifttum umstritten.
Eine Entscheidung des ebenfalls für Umsatzsteuerangelegenheiten zuständigen XI. Senats des BFH sei bisher nicht bekannt geworden. Der VII. Senat des BFH habe offengelassen, ob er sich der Auffassung des V. Senats anschließen könne (Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11, BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36).
Nach der Ansicht des FG sei nicht frei von Zweifeln, ob allein der Übergang der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners auf den Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) zur Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) führe. Denn bisher habe die Rechtsprechung den Wechsel der Verfügungsmacht über eine Entgeltforderung, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz zurückgehe, nicht als Anlass für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UStG genommen. Dies gelte sowohl für Fälle der Gesamtrechtsnachfolge als auch für solche der Organschaft. Denn der BFH (Urteil vom 7. Dezember 2006 V R 2/05, BFHE 216, 375, BStBl II 2007, 848) sei bisher davon ausgegangen, dass der Ausfall einer vorsteuerbelasteten Forderung, die gegenüber einer Organgesellschaft begründet und nach Ende der Organschaft uneinbringlich geworden sei, zur Vorsteuerberichtigung gegenüber der nunmehr umsatzsteuerlich selbständigen Organgesellschaft führe. Daraus sei geschlossen worden, dass in gleicher Weise die Berichtigung von Umsätzen vorzunehmen sei, dass also ein während der Organschaft erbrachter Umsatz der Organgesellschaft nach dem Ende der Organschaft von der Organgesellschaft zu berichtigen sei, wenn die Entgeltforderung nach dem Ende der Organschaft uneinbringlich werde.
Der BFH habe sich bisher nicht damit auseinandergesetzt, ob die zuvor skizzierte Besteuerungspraxis ebenfalls zu ändern sei oder ob sie in anderer Weise mit der Rechtsprechung des V. Senats des BFH vereinbar sei. Schließlich habe der BFH bislang nicht erörtert, ob die neuere Rechtsprechung des V. Senats richtlinienkonform sei (vgl. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ‑‑MwStSystRL‑‑).
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, es lägen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 vor. Es gebe keine widersprüchliche oder unterschiedliche Rechtsprechung mehrerer BFH-Senate, die "ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründen könne. Der VII. Senat und der XI. Senat des BFH hätten sich zwar der Rechtsprechung des V. Senats des BFH nicht angeschlossen, dieser aber auch nicht widersprochen.
Das FA beantragt sinngemäß,
den FG-Beschluss vom 18. März 2013 aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über die AdV nach § 69 Abs. 3 FGO ist statthaft, weil sie vom FG ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO).
2. Die Beschwerde des FA ist auch begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Antrag auf AdV des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids für Juli 2012 als unbegründet abgelehnt. Es bestehen bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschlüsse vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437; vom 25. April 2013 XI B 123/12, juris). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschlüsse in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12; vom 25. April 2013 XI B 123/12, juris, Rz 12).
Ernstliche Zweifel bestehen, wenn eine Rechtsfrage streitig ist, die von einem oder mehreren Senaten des BFH unterschiedlich oder widersprüchlich entschieden worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Februar 1986 I B 39/85, BFHE 146, 105, BStBl II 1986, 490, Leitsatz 1; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/ Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 69 FGO Rz 310).
b) Es genügt indes ‑‑entgegen der Auffassung des FG (Beschluss, Seite 5)‑‑ nicht, dass die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juli 2012 "nicht über jeglichen Rechtmäßigkeitszweifel" erhaben erscheint.
Wie unter II.2.a dargelegt, rechtfertigt nicht irgendein und nicht jeder Zweifel, sondern nur ein in seiner Bedeutung als "ernstlich" anzusehender Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids eine AdV (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 285).
3. Nach diesen Maßgaben bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids.
a) Nach den übereinstimmenden Auffassungen des Antragstellers, des FA und des FG entspricht der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juli 2012 den durch die Rechtsprechung des V. Senats des BFH aufgestellten Rechtsgrundsätzen (vgl. Urteile vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682 zur Istbesteuerung; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996; in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298).
Mit Urteil vom 9. Dezember 2010 hat der BFH (in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Leitsatz) entschieden, dass in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte steuerpflichtige Leistung vereinnahmt, die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollversteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet.
Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO seien die Verbindlichkeiten, die "durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören". Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung i.S. von § 38 InsO oder um eine Masseverbindlichkeit handele, bestimme sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei. Unerheblich sei demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen seien, richte sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach Insolvenzrecht. Komme es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handele es sich um eine Insolvenzforderung, erfolge die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liege unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor (vgl. BFH-Urteile in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1.; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 17 f.).
Zwar gelte auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz der Unternehmenseinheit, das Unternehmen bestehe jedoch nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden könnten. Zu unterscheiden seien der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden seien (§§ 174 ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen seien, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden könnten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 28 f.).
Ändere sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, habe der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Diese Vorschrift gelte gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden sei. Uneinbringlichkeit setze nach ständiger BFH-Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 20. Juli 2006 V R 13/04, BFHE 214, 471, BStBl II 2007, 22, Leitsatz 1) voraus, dass der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt werde und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen sei, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen könne. Erbringe der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt zu vereinnahmen, trete mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen Uneinbringlichkeit ein (BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 27). Denn mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über (vgl. BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 30 ff.).
Werde das Entgelt nachträglich vereinnahmt, seien Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. Diese erneute Berichtigung sei nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen. Die erste Steuerberichtigung aufgrund der Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die zweite Steuerberichtigung aufgrund der Vereinnahmung führten somit zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens. Die aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründe eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch sei erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Für dieses Ergebnis spreche auch das Erfordernis, die Besteuerungsgleichheit zwischen Ist- und Sollbesteuerung zu wahren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 31 f.).
b) Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 9. Februar 2011 XI R 35/09 (BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.2.) ‑‑mit der Rechtsprechung des V. Senats des BFH übereinstimmend‑‑ entschieden, dass sich die Beurteilung, ob "es sich bei einem Umsatzsteueranspruch des FA um eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) oder um eine Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) handelt, nach dem Zeitpunkt [bestimmt], zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist; unerheblich ist dagegen der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Kommt es umsatzsteuerrechtlich zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung, handelt es sich um eine Insolvenzforderung; erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung dagegen erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor."
Es bedurfte indes bislang keiner Stellungnahme des erkennenden Senats zu der dem BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 zugrunde liegenden Rechtsfrage, ob mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der wegfallenden Empfangszuständigkeit des Insolvenzschuldners die Uneinbringlichkeit der an ihn noch nicht entrichteten Entgelte für seine vor Verfahrenseröffnung ausgeführten Leistungen eintritt.
c) Auch der VII. Senat des BFH (Urteile in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36, Rz 15 ff.; vom 25. Juli 2012 VII R 56/09, BFH/NV 2013, 413, unter II.2.; VII R 30/11, BFH/NV 2013, 603, unter II. am Ende) folgt dem Verständnis des V. und XI. Senats darin, dass sich die "Begründung" steuerlicher Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimmt, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung "vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen" ist; nicht maßgeblich ist lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG.
Der VII. Senat des BFH (in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36, Rz 16) "hält nicht länger an seiner Rechtsansicht fest, dass eine aufgrund Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 UStG entstehende steuerliche Forderung bereits mit Begründung der zu berichtigenden Steuerforderung im insolvenzrechtlichen Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet ist. Dafür ist vor allem das Bestreben maßgeblich, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren bzw. wiederherzustellen, womit es nur schwer vereinbar wäre, wenn § 38 InsO im umsatzsteuerlichen Festsetzungsverfahren anders ausgelegt und angewendet würde als § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei der Erhebung der Umsatzsteuer. Denn beide Vorschriften beruhen auf demselben Rechtsgedanken: unter einem Vermögensanspruch, der gegen das Finanzamt zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war (§ 38 InsO), kann unbeschadet der unterschiedlichen Wortwahl des Gesetzes nichts anderes verstanden werden als etwas, was das Finanzamt nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Dass letztere Vorschrift vor allem im Erhebungsverfahren zum Zuge kommt, nämlich bei einer Aufrechnung, während erstere die Zuordnung von Ansprüchen zu den Insolvenzforderungen ‑‑im Unterschied zu den Masseverbindlichkeiten (§§ 53 bis 55 InsO)‑‑ betrifft, die zumindest in erster Linie für das Steuerfestsetzungsverfahren bedeutsam ist, ist insofern belanglos und ändert an der rechtslogischen Notwendigkeit nichts, die beiden vorgenannten Vorschriften gleich auszulegen."
Es liegt daher keine unterschiedliche oder widersprüchliche Rechtsprechung des BFH vor, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids begründen könnte.
d) Der dargelegten Rechtsprechung des V. Senats (in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996) folgt das Bundesministerium der Finanzen (Schreiben vom 9. Dezember 2011 IV D 2-S 7330/09/10001:001, BStBl I 2011, 1273) für alle Insolvenzverfahren, die ‑‑wie im Streitfall‑‑ nach dem 31. Dezember 2011 eröffnet wurden.
e) Im Schrifttum hat die dargelegte Rechtsprechung des V. Senats (in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996) zum Teil Zustimmung (z.B. Wäger, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2011, 1925; Widmann, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2011, 555) und zum Teil Ablehnung (z.B. Kahlert, DStR 2011, 921, und DStR 2011, 1973; Welte/ Friedrich-Vache, UR 2012, 740) hervorgerufen.
Diese Kritik begründet jedoch bei der gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel, weil der V. Senat des BFH im Urteil in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 16 ff. und 54 die Gegenargumente bereits im Wesentlichen verbeschieden hat (vgl. dazu Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 313). Er hat sich in dieser Entscheidung mit der Kritik von Kahlert (DStR 2011, 921, 925 f., und DStR 2011, 1973 ff., 1978) auseinandergesetzt und ‑‑auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 19. Juli 2007 IX ZR 81/06 (UR 2007, 742, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 206, unter II.2.c)‑‑ festgestellt, dass die dargelegte Rechtsprechung nicht insolvenzrechtlichen Wertungen widerspricht. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der erkennende Senat insoweit auf die dortige Begründung des V. Senats (in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 16 ff. und 54). Mit der Entscheidung vom 24. November 2011 hält der V. Senat des BFH (in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 54) ausdrücklich ‑‑trotz der Kritik‑‑ an seinem Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 fest.
f) Soweit das FG gegen die dargelegte Rechtsprechung des V. Senats des BFH einwendet, dass der Wechsel der Verfügungsmacht über eine Entgeltforderung, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz zurückgehe, z.B. in Fällen der Gesamtrechtsnachfolge, bislang kein Anlass für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UStG gewesen sei und die Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung durch den V. Senat auf solche Fälle ungeklärt seien, kann der erkennende Senat diese Rechtsfrage im Aussetzungsverfahren offenlassen. Denn das summarische Beschlussverfahren ist schon deshalb nicht geeignet, diese Rechtsfrage zu klären, weil eine Gesamtrechtsnachfolge dem Streitfall nicht zugrunde liegt und diese Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist. Dasselbe gilt für den vom FG ferner angeführten Fall einer Organschaft.
g) Auch der allgemeine Hinweis des FG, dass der V. Senat des BFH nicht die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit Art. 90 MwStSystRL erörtert habe, begründet bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids.
Denn das FG nennt weder einen konkreten Grund, der für eine Unvereinbarkeit der Rechtsprechung mit Art. 90 MwStSystRL sprechen könnte, noch bringt das FG zum Ausdruck, dass nach seiner Auffassung ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der dargelegten Rechtsprechung des V. Senats mit Unionsrecht bestünden.
Die Klärung dieser Rechtsfrage kann im Hauptsacheverfahren erfolgen. Sofern die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen, ist ggf. im Urteil des FG die Revision zuzulassen.