BFH IX. Senat
AO § 165
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 26. October 2011, Az: 9 K 9182/07
Leitsätze
NV: Ist die Änderung einer Vorläufigkeitsregelung dahingehend auszulegen, dass das FA den Umfang der Vorläufigkeit umfassend neu bestimmt, so bleibt auch eine im Änderungsbescheid nicht genannte bisherige Teilregelung zur Vorläufigkeit nicht aufrechterhalten .
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gehört zur A-Unternehmensgruppe und erzielt Einkünfte aus der Vermietung eines Grundstücks. Mit der am 17. April 2000 beim Finanzamt C (FA C) eingegangenen Feststellungserklärung 1997 machte die Klägerin negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 4.338.829 DM geltend, die danach auf mehr als 80 Gesellschafter zu verteilen waren. Mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid vom 9. August 2000 folgt das FA C im Wesentlichen der Erklärung und stellte negative Vermietungseinkünfte in Höhe von 4.337.144,82 DM fest.
Am 6. November 2000 begann das FA C mit einer Außenprüfung bei der Klägerin betreffend die Feststellungseinkünfte 1995 bis 1997. Lt. Bericht vom 5. Juni 2001 sowie Ergänzungsbericht vom 1. September 2005 endete die Prüfung mit Unterbrechungen erst am 22. März 2005. Unter Tz. 21 führte der Prüfer in den Berichten für 1997 12 Gesellschafter auf, bei denen eine Kürzung der Sonderwerbungskosten vorzunehmen war, u.a. auch die Beigeladenen. Die Höhe der gekürzten Sonderwerbungskosten entspricht dabei dem im Klageverfahren geltend gemachten Änderungsantrag. Nach Tz. 24 des Ergänzungsberichts sollte der Bescheid hinsichtlich der Feststellungen der auf Gesellschaftsebene erzielten Werbungskostenüberschüsse vorläufig ergehen, da ungewiss sei, ob nicht doch antragsgemäß die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Behandlung von Provisionsnachlässen des Kapitalvertriebs an Anleger geschlossener Fonds auf Gesellschafterebene anzuwenden sei. Mit Bestandskraft der Feststellung auf Gesellschafterebene sei die Vorläufigkeit aufzuheben.
Mit Bescheid vom 25. April 2003 änderte der zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die ursprüngliche gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 9. August 2000 betreffend 1997 (Streitjahr) für die Klägerin aufgrund nachgemeldeter Sonderwerbungskosten der Eheleute H (1.208,33 DM statt 0 DM). Der Bescheid erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf die Anwendung von § 32c des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Änderungen im Hinblick auf die Außenprüfung erfolgten nicht. Es ergaben sich negative Vermietungseinkünfte von 4.338.353,15 DM.
Am 10. Dezember 2004 erließ das FA einen Bescheid, mit dem es hinsichtlich sämtlicher Fondsgesellschaften der A-Unternehmensgruppe, im Einzelnen genau bezeichnete Steuerbescheide nach § 164 AO änderte und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie die Sonderwerbungskosten ohne Angabe von Beträgen mit der Begründung vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO festsetzte, dass ein allgemeiner Klärungsbedarf bestehe und eine abschließende Bearbeitung derzeit nicht möglich sei. In der Auflistung der hiervon betroffenen Bescheide war auch der an die Klägerin gerichtete Bescheid vom 25. April 2003 enthalten. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Am 7. November 2005 erließ das FA einen weiteren Änderungsbescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO, der nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig war. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob das FA auf. In den Erläuterungen führte es aus, dass der Bescheid den Bescheid vom 25. April 2003 ändere. Ferner ergehe der Bescheid vorläufig hinsichtlich der im Prüfungsbericht unter der Tz. 24 genannten Gründe. Weiterhin war der Bescheid vorläufig hinsichtlich der Anwendung des § 32c EStG und der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben von Bundestagsabgeordneten. Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrugen danach 6.307.373 DM.
Mit Schriftsatz vom 9. November 2006, dem FA zugegangen am 14. November 2006, beantragte die Klägerin die Änderung dieses Feststellungsbescheides für 1997 gemäß § 165 Abs. 2 AO wegen der Berücksichtigung weiterer Sonderwerbungskosten für die acht beigeladenen Gesellschafter. Dies lehnte das FA mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 unter Hinweis auf die mit Bescheid vom 7. November 2005 erfolgte Änderung gemäß § 164 Abs. 2 und 3 AO, die damit auch den Umfang der Vorläufigkeit gemäß § 165 AO neu bestimmte, ab.
Einspruch und Klage waren erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1986 veröffentlichten Urteil, die Änderung des Bescheides vom 7. November 2005 scheitere an dessen Bestandskraft. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 165 Abs. 2 AO lägen hinsichtlich der geltend gemachten Sonderwerbungskosten der Beigeladenen nicht vor. Mit Bescheid vom 7. November 2005 habe das FA den Umfang der Vorläufigkeit für die Adressaten des Feststellungsbescheides erkennbar eingeschränkt. Durch den nach Abschluss der Betriebsprüfung ergangenen Bescheid sei nämlich klar zum Ausdruck gekommen, dass der Vorläufigkeitsvermerk betreffend die Sonderwerbungskosten nicht mehr gelten solle.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Vorläufigkeit hinsichtlich der Sonderwerbungskosten gemäß § 165 Abs. 1 AO aus dem Bescheid vom 10. Dezember 2004 habe weiterhin Bestand. Die Änderung in dem nachfolgenden Bescheid vom 7. November 2005 sei lediglich nach § 164 Abs. 2 AO und nicht nach § 165 Abs. 2 AO erfolgt; diesem Bescheid sei auch keine Erklärung beigegeben, mit welcher die Vorläufigkeit hinsichtlich der Sonderwerbungskosten für endgültig erklärt worden wäre. Vor allem aber sei in dem Änderungsbescheid vom 7. November 2005 überhaupt nicht auf den Bescheid vom 10. Dezember 2004 und dem dort aufgeführten Vorläufigkeitsvermerk Bezug genommen. Der stattdessen in Bezug genommene Bescheid vom 25. April 2003 hingegen sei seinerzeit ebenso vorläufig nur nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO ergangen, weshalb eine Einschränkung bzw. Ersetzung des Vorläufigkeitsvermerks aus dem Bescheid vom 10. Dezember 2004 nicht ersichtlich und deshalb auch nicht erfolgt sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zutreffend hat das FG die begehrte Änderung des Feststellungsbescheides vom 7. November 2005 abgelehnt und diesen Bescheid dahingehend ausgelegt, dass die Vorläufigkeit hinsichtlich der streitigen Sonderwerbungskosten (§ 165 Abs. 1 AO) aufgehoben werden sollte.
1. Zwar kann eine vorläufige Steuerfestsetzung gemäß § 165 AO nur durch ausdrückliche Erklärung endgültig i.S. von § 165 Abs. 2 AO werden. Ein Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 AO bleibt auch dann wirksam, wenn er in einem nachfolgenden, auf eine andere Änderungsvorschrift gestützten Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt wird. Eine vorläufige Steuerfestsetzung wird jedoch gemäß § 165 Abs. 2 AO geändert, wenn das FA einen nachfolgenden Änderungsbescheid mit einem gegenüber dem Erstbescheid inhaltlich eingeschränkten Vorläufigkeitsvermerk versieht; denn ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle eines bereits im Erstbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist.
Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO wird ein Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt in gleicher Weise wie der Verwaltungsakt selbst mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Für den Regelungsinhalt der Nebenbestimmung ist entscheidend, wie der Adressat ihren materiellen Gehalt nach seinem "objektiven Verständnishorizont" verstehen konnte. Da Umfang und Grund der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO anzugeben sind, muss der Steuerpflichtige den in einem Änderungsbescheid enthaltenen ‑‑geänderten‑‑ Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282, m.w.N.).
2. Danach ist die Auslegung des Feststellungsbescheides vom 7. November 2005 seitens des FG dahingehend, dass er die Vorläufigkeit hinsichtlich der streitigen Sonderwerbungskosten aufhob, zutreffend.
Der Bescheid vom 10. Dezember 2004 ersetzte den vom 25. April 2003 nicht umfassend, sondern ergänzte ihn ‑‑als einen der Bescheide sämtlicher Gesellschafter der A-Unternehmensgruppe‑‑ lediglich um den Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie der Sonderwerbungskosten ohne Angabe von Beträgen wegen eines allgemeinen Klärungsbedarfs. Danach konnte das FA mit dem Bescheid vom 7. November 2005 den Bescheid vom 25. April 2003 nur in der Gestalt erneut ändern, die er durch den Bescheid vom 10. Dezember 2004 erfahren hatte. Das FA hat dabei die im ursprünglichen Bescheid vom 25. April 2003 enthaltene Vorläufigkeit zu § 32c EStG und die mit dem Bescheid vom 10. Dezember 2004 hinzugefügte zwar nicht explizit aufgehoben, jedoch selbst den Umfang der Vorläufigkeit neu festgelegt. Schon daraus, dass der Bescheid vom 7. November 2005 die Vorläufigkeit zu § 32c EStG erneut nennt, obwohl sie schon im Bescheid vom 25. April 2003 enthalten war, folgt, dass der neuerliche Vorläufigkeits- vermerk an die Stelle des bisherigen treten sollte. Mit dem FG ist danach davon auszugehen, dass das FA den Umfang der Vorläufigkeit mit dem Bescheid vom 7. November 2005 umfassend neu festlegen wollte. Für den Umstand, dass der Vorläufigkeits- vermerk des Bescheides vom 10. Dezember 2004 nicht aufrechterhalten werden sollte, spricht weiter, dass er nicht betragsmäßig bestimmt war, während der Bescheid vom 7. November 2005 mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ‑‑nach Beendigung der Außenprüfung‑‑ zeigt, dass das FA von einer abschließenden Prüfung ausging.