BFH VIII. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 74
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 19. July 2011, Az: 11 K 76/07
Leitsätze
1. NV: Das Unterlassen der Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO kann einen Verfahrensmangel darstellen.
2. NV: Die Aussetzung des Verfahrens ist grds. eine Ermessensentscheidung, bei der prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind.
3. NV: Einer gesonderten Feststellung freiberuflicher Einkünfte bedarf es nicht, wenn das Finanzamt, von dessen Bezirk aus die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt wird, zugleich das Wohnsitz-Finanzamt ist.
Gründe
1. Die Beschwerde ist unbegründet. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verfahrensmangel der unterlassenen Aussetzung des Verfahrens liegt nicht vor. Das gilt auch für die Rüge, das Urteil der Vorinstanz weiche von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und daher sei eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
a) Zwar kann das Unterlassen der Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Verfahrensmangel darstellen (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 103). Im Streitfall ist ein solcher indes nicht gegeben, da für das Finanzgericht (FG) keine beachtlichen Gründe gegeben waren, die eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO rechtfertigen konnten. Die Aussetzung des Verfahrens ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind (BFH-Beschluss vom 18. September 2002 XI B 126/01, BFH/NV 2003, 189). Gegen die hier getroffene Entscheidung des FG bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Das FG hat sich in seiner Entscheidung unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Problematik ausdrücklich damit befasst, ob eine gesonderte Feststellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers erforderlich war. Nach Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls ist das FG dann zu dem Schluss gelangt, eine gesonderte Feststellung sei nicht erforderlich. Dabei hat das FG nicht zuletzt auch darauf Bezug genommen, dass ‑‑auch nach der vom Kläger zitierten Entscheidung XI B 156/05 vom 16. November 2006 (BFH/NV 2007, 401, m.w.N.)‑‑ es keiner gesonderten Feststellung bedarf, wenn das Finanzamt, von dessen Bezirk aus die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt wird, zugleich das Wohnsitz-Finanzamt ist. Soweit mit der Beschwerdebegründung dagegen sinngemäß vorgebracht wird, das Urteil der Vorinstanz sei widersprüchlich und rechtsfehlerhaft, kann die Zulassung der Revision damit nicht erreicht werden. Denn Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen finanzgerichtlichen Entscheidung sind nicht geeignet, Revisionszulassungsgründe darzulegen.
b) Unbegründet ist auch die Rüge der Divergenz. Soweit der Kläger geltend macht, das Urteil des FG weiche i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO von der Rechtsprechung des BFH ab (Urteil vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822), hätte er in der Beschwerdebegründung die tragenden Rechtssätze des angefochtenen Urteils und der (angeblichen) Divergenzentscheidung so herausarbeiten und gegenüberstellen müssen, dass eine Abweichung im Grundsätzlichen erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2002 V B 51/02, BFH/NV 2003, 212; vom 7. Juli 2003 VIII B 228/02, BFH/NV 2003, 1440; vom 21. Oktober 2005 VIII B 295/04, BFH/NV 2006, 339). Daran fehlt es, denn das FG ist ersichtlich von der Rechtsauffassung des BFH zu der Frage ausgegangen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Betriebstätte oder eine regelmäßige Arbeitsstätte anzunehmen ist und hat auch darauf hingewiesen, dass es entscheidend darauf ankommt, ob sich der Steuerpflichtige in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann. Das FG hat dann unter Würdigung der Gesamtumstände, insbesondere auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten Verträge, den Schluss gezogen, die Generaldirektion Postdienst in Y sei eine regelmäßige Betriebstätte des Klägers. Lediglich in Ergänzung zu diesen Ausführungen hat das FG zusätzlich festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers auch aus einer ex post-Betrachtung dauerhaft angelegt war. Darin liegt keine Abweichung von der sowohl vom Kläger als auch vom FG in Bezug genommenen (angeblichen) Divergenzentscheidung, sondern lediglich eine Ergänzung der Argumentation des FG.
Es könnte deshalb allenfalls eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze auf die Besonderheiten des Streitfalles vorliegen. Das reicht aber grundsätzlich als Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht aus (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 6. April 1995 VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137, m.w.N.; vom 25. November 1999 I B 34/99, BFH/NV 2000, 677, unter 2.b der Gründe).
Eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall könnte allenfalls dann zur Zulassung der Revision führen, wenn dieser Fehler von erheblichem Gewicht und zudem geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen oder aber, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich ist (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 202, 204 f.; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 55 und 68). Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte.