BFH VIII. Senat
FGO § 115 Abs 2, EStG § 15, EStG § 18, BewG § 11 Abs 2 S 2
vorgehend FG Köln, 06. March 2012, Az: 5 K 4935/05
Leitsätze
1. NV: Anlageberater erzielen keine freiberuflichen, sondern gewerbliche Einkünfte (Bestätigung der Rechtsprechung) .
2. NV: Das Fehlen jeglicher schriftlicher Arbeitsnachweise kann berechtigte Zweifel daran begründen, ob die geschuldete äußerst komplexe Beratungsleistung tatsächlich erbracht worden ist .
3. NV: Die in einem anderen Verfahren protokollierte Zeugenaussage darf jedenfalls dann verwendet werden, wenn die Beteiligten ihrer Verwertung zustimmen. Der Vollsenat ist in der Würdigung frei, auch wenn er damit von der geäußerten, vorläufigen Würdigung des Berichterstatters abweicht; eines vorherigen Hinweises bedarf es nicht .
4. NV: Der Wert nicht öffentlich gehandelter Vorzugsaktien kann mangels anderer Anhaltspunkte aus dem Börsenkurs der börsennotierten Aktien desselben Unternehmens abgeleitet werden. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Finanzgericht einen Bewertungsabschlag nicht vornimmt, weil die Vorzugsaktien zeitnah in Stammaktien umgetauscht werden konnten und auch umgetauscht worden sind .
Gründe
1. Qualifikation der Einkünfte
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist geklärt, dass ein Anlageberater auch mit akademischer Ausbildung eine gewerbliche und keine freiberufliche Tätigkeit als beratender Betriebswirt und auch keinen dem beratenden Betriebswirt ähnlichen Beruf ausübt (BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 58/85, BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24; BFH-Beschluss vom 28. Mai 1998 IV B 118/97, juris). Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hält diese Sichtweise für verkürzt, weil sie unberücksichtigt lasse, dass die im Streitfall zu beurteilenden Anlageempfehlungen "unternehmerischer" und nicht vermögensverwaltender Natur gewesen seien. In die Beratung habe deshalb sehr wohl die ganze Breite betriebswirtschaftlicher Kenntnisse und Erfahrungen einfließen müssen. Mit dieser Erwägung wird indes die grundsätzliche Bedeutung der Frage nicht dargelegt, denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern dies bei anderen Anlageberatern nicht ebenfalls der Fall gewesen sein sollte. Der BFH hat hierzu (in BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24) unmissverständlich ausgeführt: "Gegenstand der ... Beratungstätigkeit war nicht betriebswirtschaftliche Grundlagenforschung, sondern die Erteilung von Anlageempfehlungen. Auf welcher Grundlage die Klägerin ihre Anlageempfehlungen getroffen hat, ist für die steuerliche Beurteilung der erbrachten Leistung grundsätzlich ohne Belang." Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies im Streitfall ‑‑auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es um die Verwaltung eines sehr großen Vermögens ging‑‑ anders zu beurteilen sein sollte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat die Einkünfte der Berufsbetreuer und Insolvenzverwalter wegen der auf die Verwaltung fremden Vermögens gerichteten Tätigkeit den Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑) zugerechnet hat (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juni 2010 VIII R 14/09, BFHE 230, 54, BStBl II 2010, 909, und vom 26. Januar 2011 VIII R 3/10, BFHE 232, 453, BStBl II 2011, 498). Daraus kann eine grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob auch Anlageberater eine sonstige selbständige Tätigkeit ausüben, nicht hergeleitet werden. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war nach seinem eigenen Vorbringen und den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) nicht die Verwaltung des Familienvermögens übertragen, sondern er hatte die beauftragten Vermögensverwalter "strategisch und konzeptionell" zu beraten. Dafür hatte er als Einzelkaufmann eine Firma zum Handelsregister angemeldet und Honorare vereinnahmt. Eine vermögensverwaltende Tätigkeit liegt danach im Streitfall gerade nicht vor.
2. Rückstellungen
Das FG hat sein Urteil in diesem Punkt alternativ begründet. Es hat zum einen ausgeführt, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten hätten nicht vorgelegen (§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs). Es habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Steuerberater S bis zu den Stichtagen Leistungen erbracht hatte, aus denen sich die Honoraransprüche ergeben könnten. Dafür hat sich das FG auch auf das Protokoll der Zeugenvernehmung des Steuerberaters S bezogen, die der Berichterstatter anstelle des Senats durchgeführt hatte. Zum andern hat das FG ausgeführt, Rückstellungen hätten schon deshalb nicht gebildet werden dürfen, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt habe und an diese Wahl gebunden sei. Die Eintragung der Einzelfirma in das Handelsregister (1999) begründe eine Pflicht zur Buchführung (und Bilanzierung) nur für die Zukunft, nicht aber für die Streitjahre 1997 und 1998.
Ist das Urteil auf zwei (alternative) Begründungen gestützt, die jede für sich das Urteil tragen könnte, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn Zulassungsgründe für beide Begründungen dargelegt sind und vorliegen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28, m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend.
a) Ein Zulassungsgrund ist nicht gegeben, soweit das FG entschieden hat, es habe nicht festgestellt, dass die Honoraransprüche zu den Stichtagen bereits "wirtschaftlich verursacht" gewesen seien. Die Entscheidung liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und unterliegt unter Beachtung der Bindungswirkung gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur eingeschränkt der Revision.
aa) Eine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 8. September 2011 IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122) ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass das FG im Streitfall die wirtschaftliche Verursachung verneint hat. Es ist damit nicht etwa ‑‑auch nicht unbewusst‑‑ von einem abstrakten Rechtssatz abgewichen, sondern allenfalls könnte ein Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts vorliegen, der grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt.
bb) Der Frage, ob das FG im Streitfall die wirtschaftliche Verursachung hätte annehmen müssen, kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Klägerin ist zuzugeben, dass der vom Unternehmer veranlasste betriebliche Aufwand einer gerichtlichen Angemessenheitskontrolle im Regelfall nicht unterliegt und dass es auch keinen Grundsatz gibt, wonach besonders hoch entlohnte Dienstleistungen stets (mindestens) schriftlich erbracht werden müssten. Selbst wenn man die Argumentation des FG deshalb als zweifelhaft ansehen wollte, ergibt sich daraus jedoch keine Rechtsfrage, die über den Einzelfall hinausweist. Insbesondere bedarf es keiner grundsätzlichen Stellungnahme zur Bedeutung der "Schriftlichkeit" bei der indiziellen Feststellung, ob tatsächlich Leistungen erbracht worden sind. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn aus dem Fehlen jeglicher schriftlicher Arbeitsnachweise der Schluss gezogen wird, dass die tatsächliche Erbringung der Leistungen zweifelhaft ist, sofern ‑‑wie im Streitfall‑‑ eine äußerst komplexe Beratungsleistung in Rede steht. Das gilt auch, wenn zwischen den Vertragspartnern eine schriftliche Ausarbeitung nicht vereinbart war. Es widerspricht nicht der Lebenserfahrung, dass der Leistungserbringer mindestens zu seiner eigenen Vorbereitung irgendwelche schriftlichen Unterlagen erstellt und auch aufbewahrt.
cc) Der gerügte Verfahrensmangel einer unzulässigen Würdigung der schriftlichen Zeugenaussage liegt nicht vor.
(1) Gegen die Verwertung der schriftlichen Zeugenaussage kann sich die Klägerin dem Grunde nach nicht zur Wehr setzen, da sie ihr zugestimmt hat (Protokoll in der Parallelsache 5 K 4934/05, die vor dem FG zeitgleich verhandelt worden ist).
(2) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass der Vollsenat die schriftliche Zeugenaussage anders gewürdigt hat als zuvor der Berichterstatter. Die Zulässigkeit der Verwertung der schriftlichen Zeugenaussage schließt die Möglichkeit ein, sie in alle Richtungen neu zu würdigen. An eine vorläufige Würdigung des Berichterstatters ist der Senat nicht gebunden, selbst wenn sie protokolliert worden ist. Es bedarf in diesem Zusammenhang auch keines vorherigen Hinweises auf die Möglichkeit einer abweichenden Würdigung. Mit dieser Möglichkeit muss ein fachkundig vertretener Prozessbeteiligter stets rechnen. Es kann auch nicht darauf hingewiesen werden, wie der Senat eine schriftliche Zeugenaussage (voraussichtlich) würdigen wird, denn dies würde das Beratungsergebnis vorwegnehmen. Schließlich hat das FG auch nicht verfahrensfehlerhaft davon abgesehen, den Zeugen noch einmal durch den Senat zu vernehmen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern es auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen für die Entscheidung ankam. Das FG hat die Angaben des Zeugen als wahr, aber zu wenig konkret gewürdigt. Dafür kam es auf die Glaubwürdigkeit der Person nicht an.
(3) Die Klägerin kann die Beweiswürdigung durch das FG auch nicht mit der Erwägung zu Fall bringen, dass ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vorliege. Die Würdigung des FG, dass das unstreitig erst 2003 bezifferte und 2005 an den Steuerberater S gezahlte Honorar nicht sicher durch bereits 1997 und 1998 erbrachte Leistungen verursacht war, ist zumindest möglich und würde den BFH auch im Revisionsverfahren binden (§ 118 Abs. 2 FGO).
b) Nach allem kann offenbleiben, ob hinsichtlich der alternativen Begründung (keine Rückstellung wegen bindender Wahl der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG für die Vergangenheit) ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund gegeben ist.
3. Anteilsbewertung
a) Das FG ist nicht von dem BFH-Urteil vom 9. März 1994 II R 39/90 (BFHE 173, 561, BStBl II 1994, 394) abgewichen. Es hat insbesondere nicht den Satz aufgestellt, dass der Kurswert von (nicht an der Börse gehandelten) Vorzugsaktien generell mit dem Börsenkurs von Stammaktien desselben Unternehmens übereinstimmt, sondern es ist auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Wert nicht öffentlich gehandelter Aktien (mangels anderer Anhaltspunkte) aus dem Börsenkurs der börsenfähigen Aktien desselben Unternehmens abgeleitet werden kann. Es hat sodann im Einzelnen umfangreich und nachvollziehbar begründet, weshalb es entgegen dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten im Streitfall Bewertungsabschläge nicht für gerechtfertigt hielt, insbesondere weil die Vorzugsaktien zeitnah in Stammaktien umgetauscht werden konnten und auch umgetauscht worden sind.
b) Die Bewertung der Vorzugsaktien durch das FG wirft auch keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Allein der Umstand, dass eine Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist, genügt nicht für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung.
c) Soweit die Klägerin schließlich meint, das FG könnte gegen das Freundschaftsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA verstoßen haben, indem es dem von der Klägerin beigebrachten (in den USA erstellten) Bewertungsgutachten im Ergebnis nicht gefolgt ist, ist eine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung nicht erkennbar.