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Beschluss vom 29. November 2012, VII B 88/12

Aufrechnungserklärung des FA erfordert keine Bekanntgabe

BFH VII. Senat

AO § 122, AO § 124 Abs 1, AO § 226 Abs 1, BGB § 130 Abs 1 S 1

vorgehend FG Münster, 27. March 2012, Az: 6 K 3823/09 AO

Leitsätze

NV: Die Erklärung der Aufrechnung durch das FA gegen einen Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen ist eine rechtsgeschäftliche Erklärung, mit der ein schuldrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt wird, und kein Verwaltungsakt. Sie bedarf keiner Bekanntgabe gem. § 122 AO, sondern wird mit ihrem Zugang wirksam .

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war einer von zwei Geschäftsführern einer GmbH, die nach Durchführung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen von Amts wegen gelöscht wurde. Wegen eines von der GmbH nicht zurückgezahlten Bankdarlehens wurden die Bürgschaftsbank des Landes sowie der Bund und das Land als Rückbürgen in Anspruch genommen. Auf diese sind Bürgschaftsansprüche gegen den Kläger und den weiteren Geschäftsführer, die sich ebenfalls für den Rückzahlungsanspruch sowie den Anspruch der Bürgschaftsbank verbürgt hatten, übergegangen.

  2. Wegen geänderter Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer ergingen im August 2007 ein geänderter Einkommensteuerbescheid 1997, aus dem sich Erstattungsansprüche des Klägers ergaben, sowie im Oktober 2007 ein geänderter Einkommensteuerbescheid 1998, der eine Steuernachzahlung auswies.

  3. Mit Schreiben vom 5. September 2007 wies der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) auf den auf das Land übergegangenen Anspruch gegen den Kläger aus der Bürgschaft hin und erklärte die Aufrechnung gegen die Erstattungsansprüche aus dem Einkommensteuerbescheid 1997. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 18. September 2007 hingegen, den Erstattungsbetrag mit der zu erwartenden Nachzahlung für das Veranlagungsjahr 1998 zu verrechnen. Da zwischen den Beteiligten keine Einigkeit über die Wirkungen der Aufrechnungserklärungen erzielt wurde, erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, mit dem die Erstattungsansprüche aus der Veranlagung 1997 als durch Aufrechnung mit der Forderung des Landes erloschen festgestellt wurden.

  4. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FA habe wirksam mit der Forderung des Landes gegen die Erstattungsansprüche des Klägers aufgerechnet. Die Aufrechnungserklärung des FA sei zeitlich vor derjenigen des Klägers abgegeben worden, weshalb dessen Erklärung wegen der bereits erloschenen Erstattungsansprüche ins Leere gegangen sei. In Anbetracht des Verhaltens sowie der Angaben des Klägers während des Verfahrens sei trotz seines späten Bestreitens, die Aufrechnungserklärung des FA erhalten zu haben, davon auszugehen, dass ihm das an ihn persönlich adressierte Schreiben des FA vom 5. September 2007 zugegangen sei. Es sei auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das FA dieses Schreiben nicht dem damaligen Steuerberater des Klägers übersandt habe, denn es habe sich nicht feststellen lassen, dass dieser auch zum Empfang dieses konkreten Verwaltungsakts bevollmächtigt gewesen sei.

  5. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) stützt.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe schon nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.

  2. 1. Die schlüssige Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) erfordert Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines ‑‑insoweit maßgeblichen‑‑ Rechtsstandpunkts hätte aufdrängen müssen, obwohl der Kläger selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1999 VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93). An solchen Darlegungen der Beschwerde fehlt es im Streitfall.

  3. a) Soweit die Beschwerde die vom FG vertretene Ansicht, § 122 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) erfordere die Bekanntgabe gegenüber einem Bevollmächtigten nur, wenn dieser auch für den Empfang des konkreten Verwaltungsakts bevollmächtigt sei, für unzutreffend und für eine Fehlinterpretation dieser Vorschrift hält, bezeichnet sie keinen Verfahrensmangel, sondern macht lediglich geltend, das FG habe falsch entschieden, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

  4. b) Soweit die Beschwerde bemängelt, das FG habe "keine Nachfrage beim Beklagten gestellt, ob eine Vollmacht des Steuerberaters sich bei einer anderen Akte des Beklagten befinden könne", verkennt sie, dass es Sache des Klägers gewesen wäre, dem FG darzulegen, wann und in welcher Angelegenheit er eine seinem Steuerberater erteilte Empfangsvollmacht dem FA übersandt hat. Da er ‑‑wie den Gründen des FG-Urteils zu entnehmen ist‑‑ derartige Angaben nicht machen konnte, ist nicht erkennbar, weshalb es sich dem FG hätte aufdrängen müssen, weitere Nachforschungen ohne einen solchen konkreten Hinweis anzustellen.

  5. c) All dies kann jedoch auf sich beruhen, da der Ausgangspunkt sowohl des FG als auch der Beschwerde, die Erklärung der Aufrechnung gegen die Erstattungsansprüche des Klägers habe einer Bekanntgabe nach § 122 AO bedurft, nicht zutrifft. Die in § 122 AO enthaltenen Bekanntgabevorschriften regeln nur die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 122 AO Rz 24 f.; Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 122 AO Rz 1). Bei dem an den Kläger persönlich gerichteten Schreiben des FA vom 5. September 2007, mit dem die Aufrechnung gegen seine Erstattungsansprüche erklärt wurde, handelte es sich jedoch ‑‑anders als das FG und die Beteiligten meinen‑‑ weder der Form noch dem Inhalt nach um einen Verwaltungsakt. Die Aufrechnungserklärung (auch die der Finanzbehörde) ist eine rein rechtsgeschäftliche Erklärung, mit der ein schuldrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt, und kein Verwaltungsakt erlassen wird (Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 118 Rz 24; Klein/Rüsken, a.a.O., § 226 Rz 65, jeweils m.w.N.; Senatsurteil vom 31. August 1995 VII R 58/94, BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55).

  6. d) Eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung wie die Erklärung der Aufrechnung wird mit ihrem Zugang wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Es ist daher im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG den Zugang der Aufrechnungserklärung beim Kläger geprüft und in Anbetracht seiner im Verlauf des Verfahrens abgegebenen Erklärungen und seines diesen Erklärungen widersprechenden späten Bestreitens, die Aufrechnungserklärung seinerzeit erhalten zu haben, den Zugang des Schreibens des FA vom 5. September 2007 für nicht zweifelhaft gehalten hat. Das FG entscheidet gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Mit dem Vorbringen der Beschwerde, die vom FG aus dem Verhalten des Klägers gezogenen Folgerungen seien unzutreffend, wird kein Grund für die Zulassung der Revision dargelegt.

  7. 2. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist einer Rechtsfrage beizumessen, wenn ihre Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss der Beschwerdeführer schlüssig und substantiiert darlegen (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO). Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt. Derartige Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung des Klägers nicht einmal ansatzweise.

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