BFH III. Senat
GG Art 2 Abs 1, GG Art 20 Abs 3, FGO § 76 Abs 1, FGO § 93 Abs 1
vorgehend FG Hamburg, 15. December 2010, Az: 5 K 271/09
Leitsätze
NV: Das FG verletzt nicht das allgemeine Prozessgrundrecht des Klägers auf ein faires Verfahren, indem es dessen Erscheinen zum Termin anregt, ohne zugleich anzukündigen, dass und zu welchen Fragen der Kläger persönlich angehört werden soll. Einer derartigen Ankündigung bedarf es nicht .
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bezog Kindergeld für seinen im Juli 1987 geborenen Sohn, der sich von August 2004 bis Juli 2007 in einer Ausbildung befand. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob die Festsetzung für die Monate August 2005 bis September 2007 auf, nachdem keine Nachweise über die Ausbildung vorgelegt worden waren. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid wurde am 28. Februar 2008 mit einfacher Post übersandt.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 15. Mai 2008 Einspruch ein und gab an, er habe den Bescheid erst am 13. Mai 2008 zum Lesen erhalten. Der Bescheid sei wohl von seinen Kindern aus dem Briefkasten entnommen worden und dann versehentlich im Altpapier gelandet, wo er ihn erst jetzt gefunden habe. Die Familienkasse verwarf den Einspruch als unzulässig; Wiedereinsetzungsgründe seien nicht gegeben.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, der Kläger habe die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger seiner Verpflichtung zur Kontrolle des in seinen Machtbereich gelangten Posteingangs nachgekommen sei. Ein Fehlverhalten der Kinder könne ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde trägt der Kläger vor, die Revision sei wegen Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) sowie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. Ein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann, ist nicht gegeben. Das FG hat nicht gegen das allgemeine Prozessgrundrecht des Klägers auf ein faires Verfahren (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 III B 209/11, BFH/NV 2012, 1477) verstoßen, indem es anregte, dass der Kläger zum Termin erscheine, ohne zugleich anzukündigen, dass und zu welchen Fragen der Kläger persönlich angehört werden sollte. Einer derartigen Ankündigung bedarf es nicht. Es liegt zudem für einen Beteiligten, der persönlich zur mündlichen Verhandlung erscheint, ohne Weiteres nahe, dass das Gericht im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage (§ 93 Abs. 1 FGO) zur weiteren Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) auch Fragen an ihn richten könnte. Der von seinem Prozessbevollmächtigten begleitete Kläger hat den Sachverhalt zudem offenbar aus freien Stücken ausführlich geschildert, ohne das Vorgehen des FG zu beanstanden.
2. Soweit der Kläger rügt, dass das FG zu strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung der schuldlosen Versäumung der Einspruchsfrist stelle, seine ‑‑des Klägers‑‑ Äußerungen in der mündlichen Verhandlung "aus dem Zusammenhang reiße" und die allgemeine Lebenserfahrung missachte, dass eingehende Post in einer Familie mit mehreren Kindern von diesen verlegt werde, wendet er sich letztlich im Stil einer Revisionsbegründung gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Hiermit lässt sich jedoch die Zulassung der Revision nicht erreichen (Senatsbeschluss vom 4. März 2011 III B 166/10, BFH/NV 2011, 1007).
3. Soweit der Kläger hinsichtlich des Zeitpunktes der Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen auf vermeintliche Divergenzen zwischen den Urteilen des FG München vom 30. März 2006 15 K 405/05 (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2006, 1086) und des FG Hamburg vom 14. März 2006 I 108/05 (EFG 2006, 1087, mit Anmerkungen von Hoffmann in EFG 2006, 1090) hinweist, ist ein Revisionszulassungsgrund weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Das angefochtene Urteil widerspricht den beiden vorstehenden Entscheidungen nicht, und die Frage, bis wann Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht werden können, wäre in einem Revisionsverfahren unerheblich.