BFH XI. Senat
FGO § 56 Abs 1, FGO § 56 Abs 2, FGO § 116 Abs 3
vorgehend FG Nürnberg, 07. May 2012, Az: 2 K 1122/2009
Leitsätze
1. NV: Schöpft der Beteiligte eine gesetzliche Frist bis zur letzten Minute aus, hat er bzw. sein Prozessbevollmächtigter wegen des erfahrungsgemäß damit verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.
2. NV: Verlässt sich der Prozessbevollmächtigte bei der Übersendung von fristwahrenden Schriftstücken quasi in letzter Minute auf ein Telefaxgerät, so muss er dessen Funktionieren so rechtzeitig sicherstellen, dass er bei einer eventuellen Störung der Telefaxverbindung andere noch mögliche und zumutbare Maßnahmen für einen sicheren Zugang des fristwahrenden Schriftsatzes beim zuständigen Gericht ergreifen kann.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der (verlängerten) Frist des § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet worden ist und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 56 Abs. 1 FGO nicht gegeben sind.
1. Das Urteil des Finanzgerichts ist der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) am 11. Mai 2012 zugestellt worden. Die Frist zur Begründung der am 11. Juni 2012 fristgerecht erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) lief am 11. Juli 2012 ab. Sie wurde vom Vorsitzenden des erkennenden Senats bis zum 13. August 2012 verlängert (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO). Am 13. August 2012 sind lt. dem maschinellen Empfangsbericht des Telefaxgerätes beim Bundesfinanzhof (BFH) um 23:59 Uhr die ersten 4 Seiten der Beschwerdebegründung von insgesamt 21 Seiten eingegangen. Die vollständige Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist per Telefax am 14. August 2012 um 0:12 Uhr beim BFH eingetroffen. Die Frist ist daher versäumt. Denn eine Frist ist nur gewahrt, wenn die gesendeten Signale vom Telefaxgerät noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vollständig empfangen werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24. April 2008 IX B 164/07, BFH/NV 2008, 1349, und Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20 Stichwort "Telefax", m.w.N.).
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist kann nicht gewährt werden.
a) Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen bzw. bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. § 56 Abs. 2 FGO; ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1349, unter 2.a, m.w.N., und BFH-Beschluss vom 1. April 2009 XI B 10/08, Zeitschrift für Steuern & Recht 2009, R635). Hiernach schließt jedes Verschulden ‑‑also auch eine einfache Fahrlässigkeit‑‑ die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
b) Danach kommt die beantragte Wiedereinsetzung nicht in Betracht.
aa) Zwar dürfen die Beteiligten gesetzliche Fristen grundsätzlich bis zur letzten Minute ausschöpfen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 2010 VIII B 88/09, BFH/NV 2010, 919, und vom 9. Januar 2012 I B 66/11, BFH/NV 2012, 957). Allerdings hat ein Prozessbevollmächtigter, der die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels in dieser Weise in Anspruch nimmt, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt daher nicht in Betracht, wenn der Prozessbevollmächtigte nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (vgl. z.B. Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ‑‑BayVwGH‑‑ vom 12. Januar 2012 10 CE 11. 2687, nicht veröffentlicht ‑‑n.v.‑‑, juris). Will der Prozessbevollmächtigte den Begründungsschriftsatz erst kurz vor Ablauf der Frist per Telefax übermitteln, muss er besonders darauf achten, dass bei der Übertragung keine Fehler passieren. Zum Schutz des Mandanten muss er hierbei den sichersten Weg wählen (vgl. z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 3. Mai 2011 XI ZB 24/10, BRAK-Mitteilungen 2011, 238, juris, unter II.2.b, m.w.N.).
Zwar dürfen die technischen Risiken der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze durch Telefax nicht auf den Nutzer des Mediums abgewälzt werden, wenn die technische Störung im Bereich des Telefaxempfangsgerätes liegt (z.B. BGH-Beschluss vom 12. Dezember 1990 XII ZB 64/90, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1991, 548). Im Streitfall lag die technische Störung der Telefaxverbindung aber auf Seiten der Klägerin und daher in deren Sphäre. Verlässt sich der Prozessbevollmächtigte bei der Fertigstellung und Übersendung von fristwahrenden Schriftstücken an das Gericht quasi in letzter Minute auf ein Telefaxgerät, so muss er dessen Funktionieren so rechtzeitig sicherstellen, dass er bei einer eventuellen Störung der Telefaxverbindung andere noch mögliche und zumutbare Maßnahmen für einen sicheren Zugang des fristwahrenden Schriftsatzes beim zuständigen Gericht ergreifen kann (vgl. BayVwGH-Beschluss vom 12. Januar 2012 10 CE 11. 2687, n.v., juris).
bb) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass dies im Streitfall in hinreichender Weise geschehen ist.
Er hat zwar ausgeführt und durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, dass er sich drei Tage vor der beabsichtigten Inanspruchnahme des Telefaxgerätes der Klägerin für die Übermittlung der über 20-seitigen Beschwerdebegründung nach der Einsatzfähigkeit des im Lokal der Klägerin befindlichen Gerätes erkundigt habe und dass die Klägerin dessen Zustand als "normal" bezeichnet habe. Dies war aber unzureichend. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb es dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht möglich und zumutbar war, ersatzweise ein anderes in der näheren Umgebung befindliches funktionsfähiges Telefaxgerät für die beabsichtigte Übertragung des Schriftsatzes zu verwenden.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat insoweit selbst ausgeführt, dass sein eigenes Büro lediglich 50 m vom Geschäftslokal der Klägerin entfernt lag. Ein Einsatz eines etwaigen Telefaxgerätes im Büro des Prozessbevollmächtigten hätte bei normalem Verlauf auch noch um 23:45 Uhr zu einer rechtzeitigen Übertragung des Schriftsatzes geführt. Ausgehend von der Schilderung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wäre der verbleibende Zeitraum nach der ersten fehlgeschlagenen Übermittlung der Beschwerdebegründung zwischen 23:15 Uhr und 23:30 Uhr lang genug gewesen, das Büro des Prozessbevollmächtigten ggf. zu Fuß aufzusuchen und ein dort befindliches Telefaxgerät einzusetzen. Davon, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin über kein eigenes Telefaxgerät in seinem Büro verfügte, ist nicht auszugehen. Jedenfalls ist dies weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.