BFH V. Senat
UStG § 4 Nr 16 S 1 Buchst k, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, EGRL 112/2006 Art 134 Buchst a, UStG VZ 2010
vorgehend FG Hamburg, 23. November 2011, Az: 6 K 233/10
Leitsätze
1. Zur Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL:
a) Kann ein Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Ermessen zur Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter dahingehend ausüben, dass er zwar Personen anerkennt, die ihre Leistungen an Sozialkassen und Pflegekassen erbringen, nicht aber auch staatlich geprüfte Pflegekräfte, die ihre Leistungen unmittelbar an Pflegebedürftige erbringen?
b) Falls staatlich geprüfte Pflegekräfte als soziale Einrichtung anzuerkennen sind:
Ergibt sich die Anerkennung einer Zeitarbeitsfirma, die staatlich geprüfte Pflegekräfte an anerkannte Pflegeeinrichtungen (Zieleinrichtungen) verleiht, aus der Anerkennung des verliehenen Personals?
2. Zur Auslegung von Art. 134 Buchst. a MwStSystRL:
Ist die Gestellung von staatlich geprüften Pflegekräften für die Erbringung von Pflegeleistungen der Zieleinrichtung (Entleiher) als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Umsatz unerlässlich, wenn die Zieleinrichtung ohne Personal nicht tätig werden kann?
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft (OHG) ein Unternehmen, dessen Gegenstand die Arbeitnehmerüberlassung auf der Basis des Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) ist. Als Zeitarbeitsfirma verlieh sie im Streitjahr (2010) bei ihr angestellte Pflegefachkräfte (Krankenpfleger, Krankenschwestern, Altenpfleger und Altenpflegerinnen) an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen i.S. von § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG). Die Arbeitnehmer der Klägerin waren organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert. Sie führten die Pflegeleistungen im Auftrag dieser Einrichtung durch und waren insoweit weisungsgebunden. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer/-innen oblag ebenfalls der betreffenden Pflegeeinrichtung.
Mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat September 2010 vom 18. Oktober 2010 unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Umsätze der Klägerin dem Regelsteuersatz.
Die Klägerin erhob Sprungklage, der das FA zustimmte. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 12. Oktober 2011 den Umsatzsteuerjahresbescheid 2010. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Gegen das Urteil des FG wendet sich die Klägerin mit dem Rechtsmittel der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
1. Rechtlicher Rahmen
a) Unionsrecht
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer
"eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden."Art. 134 MwStSystRL lautet wie folgt:
"In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen:
a) sie sind für Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;
b) sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden".b) Nationales Recht
aa) Gemäß § 4 Nr. 16 UStG sind steuerfrei
"die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die vona) juristischen Personen des öffentlichen Rechts,
b) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch besteht,
c) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 72 oder § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch besteht oder die Leistungen zur häuslichen Pflege oder zur Heimpflege erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 44 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind,
d) Einrichtungen, die Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder Haushaltshilfe erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 32 und § 42 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind,
e) Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 111 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch besteht,
f) Einrichtungen, die nach § 142 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind,
g) Einrichtungen, soweit sie Leistungen erbringen, die landesrechtlich als niedrigschwellige Betreuungsangebote nach § 45b des Elften Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind,
h) Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch besteht,
i) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 16 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte, nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 10 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte oder nach § 143e Abs. 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch über die Gewährung von häuslicher Krankenpflege oder Haushaltshilfe, besteht,
j) Einrichtungen, die aufgrund einer Landesrahmenempfehlung nach § 2 Frühförderungsverordnung als fachlich geeignete interdisziplinäre Frühförderstellen anerkannt sind, oder
k) Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind,erbracht werden. Leistungen im Sinne des Satzes 1, die von Einrichtungen nach den Buchstaben b bis k erbracht werden, sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht".
bb) §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege (KrPflG) vom 16. Juli 2003 (BGBl I 2003, 1442) haben folgenden Wortlaut:
§ 1 Führen der Berufsbezeichnungen
"(1) Wer eine der Berufsbezeichnungen
1. 'Gesundheits- und Krankenpflegerin' oder 'Gesundheits- und Krankenpfleger' oder
2. 'Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin' oder 'Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger' führen will, bedarf der Erlaubnis. Personen mit einer Erlaubnis nach Satz 1, die über eine Ausbildung nach § 4 Abs. 7 verfügen, sind im Rahmen der ihnen in dieser Ausbildung vermittelten erweiterten Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt.(2) Krankenschwestern und Krankenpfleger, die für die allgemeine Pflege verantwortlich und Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes sind, führen die Berufsbezeichnungen nach Absatz 1 Nr. 1 im Geltungsbereich dieses Gesetzes ohne Erlaubnis, sofern sie ihre Berufstätigkeit als vorübergehende und gelegentliche Dienstleistung im Sinne des Artikels 50 des EG-Vertrages im Geltungsbereich dieses Gesetzes ausüben. Sie unterliegen jedoch der Meldepflicht nach diesem Gesetz.
(3) Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, die Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes sind, führen die Berufsbezeichnungen nach Absatz 1 Nr. 2 im Geltungsbereich dieses Gesetzes ohne Erlaubnis, sofern sie ihre Berufstätigkeit als vorübergehende und gelegentliche Dienstleistung im Sinne des Artikels 50 des EG-Vertrages im Geltungsbereich dieses Gesetzes ausüben. Sie unterliegen jedoch der Meldepflicht und Nachprüfung nach diesem Gesetz.
(4) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für Drittstaaten und Drittstaatsangehörige, soweit sich hinsichtlich der Diplomanerkennung nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften eine Gleichstellung ergibt.
§ 2 Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis
(1) Eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 ist auf Antrag zu erteilen, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller
1. die durch dieses Gesetz vorgeschriebene Ausbildungszeit abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden hat,
2. sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3. nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4. über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.
..."cc) Das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG) vom 17. November 2000 (BGBl I 2000, 1513), neugefasst durch Bekanntmachung vom 25. August 2003 (BGBl I 2003, 1690), geändert durch Art. 30 Nr. 2 des Gesetzes vom 2. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 2686, 2742) und Art. 16 Nr. 1 des Gesetzes vom 28. Mai 2008 (BGBl I 2008, 874, 904), regelt in § 1 und § 2:
"§ 1
Die Berufsbezeichnungen 'Altenpflegerin' oder 'Altenpfleger' dürfen nur Personen führen, denen die Erlaubnis dazu erteilt worden ist. Personen mit einer Erlaubnis nach Satz 1, die über eine Ausbildung nach § 4 Abs. 7 verfügen, sind im Rahmen der ihnen in dieser Ausbildung vermittelten erweiterten Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt.
..."§ 2
(1) Die Erlaubnis nach § 1 ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person
1. die durch dieses Gesetz vorgeschriebene Ausbildung abgeleistet und die jeweils vorgeschriebene Prüfung bestanden hat,
2. sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3. nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4. über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.
..."§ 12 AÜG (BGBl I 1995, 158) lautet in der im Streitjahr geltenden Fassung von 23. Dezember 2003 wie folgt:
"(1) Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher bedarf der Schriftform. In der Urkunde hat der Verleiher zu erklären, ob er die Erlaubnis nach § 1 besitzt. Der Entleiher hat in der Urkunde anzugeben, welche besonderen Merkmale die für den Leiharbeitnehmer vorgesehene Tätigkeit hat und welche berufliche Qualifikation dafür erforderlich ist sowie welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten; Letzteres gilt nicht, soweit die Voraussetzungen der in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 genannten Ausnahme vorliegen.
(2) Der Verleiher hat den Entleiher unverzüglich über den Zeitpunkt des Wegfalls der Erlaubnis zu unterrichten. In den Fällen der Nichtverlängerung (§ 2 Abs. 4 Satz 3), der Rücknahme (§ 4) oder des Widerrufs (§ 5) hat er ihn ferner auf das voraussichtliche Ende der Abwicklung (§ 2 Abs. 4 Satz 4) und die gesetzliche Abwicklungsfrist (§ 2 Abs. 4 Satz 4 letzter Halbsatz) hinzuweisen."
2. Vorbemerkungen zur Rechtslage nach nationalem Recht und zum Streitfall
Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG nicht erfüllt.
Die Klägerin ist eine OHG, die auf der Grundlage des AÜG Pflegefachkräfte an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen i.S. von § 4 Nr. 16 UStG verleiht. Die Arbeitnehmer der Klägerin sind organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert. Sie führen die Pflegeleistungen im Auftrag dieser Einrichtung durch und sind insoweit weisungsgebunden. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer/-innen obliegt ebenfalls der betreffenden Pflegeeinrichtung.
Diese Umsätze der Klägerin sind nach nationalem Recht nicht gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG von der Steuer befreit. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen dieser Regelung nicht, weil sie keine Einrichtung zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen betreibt, sondern einen ‑‑wenn auch auf Pflegefachkräfte beschränkten‑‑ Arbeitnehmerverleih auf Zeit.
Die Klägerin kann sich aber möglicherweise unmittelbar auf die unionsrechtliche Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.
3. Vorbemerkung zu den Vorlagefragen
Art. 132 Abs. 1 Buchst. g setzt voraus:
Es muss sich um "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin "eng verbundene" Leistungen i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erbracht hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Richtlinie 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, zwar eng auszulegen; weil die Auslegung aber mit den mit den Befreiungen verfolgten Zielen im Einklang stehen und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen müssen, dürfen sie nicht in einer Weise ausgelegt werden, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (EuGH-Urteil vom 15. November 2012 C-174/11, Zimmermann, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2013, 35, Rdnr. 22; vgl. in diesem Sinne auch EuGH-Urteile vom 14. Juni 2007 C-445/05, Haderer, Slg. 2007, I-4841 Rdnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung; vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C-461/08, Slg. 2009, I-11079, Rdnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 10. Juni 2010, CopyGene, C-262/08, Slg. 2010, I-5053 Rdnr. 26).
b) Der EuGH hat bereits anerkannt, dass Leistungen, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von ambulanten Pflegediensten erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG darstellen (EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnr. 24; vgl. auch EuGH-Urteil vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, Slg. 2002, I-6833 Rdnrn. 8, 17, 44 und 61).
c) Eng verbundene Leistungen können auch vorliegen bei Gestellung von Personal für die Erbringung einer Hauptleistung an eine Einrichtung (Entleiher), wenn diese ‑‑wie im Streitfall die stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen‑‑ selbst steuerbefreite Leistungen (hier nach § 4 Nr. 16 UStG) erbringt.
aa) So hat der EuGH zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG (ab 1. Januar 2007 Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) bereits entschieden, dass die entgeltliche Gestellung eines Lehrers an eine Lehreinrichtung, in der dieser Lehrer dann vorübergehend unter der Verantwortung der genannten Einrichtung Unterricht erteilt, eine von der Mehrwertsteuer befreite Tätigkeit in Form von im Sinne dieser Vorschrift mit dem Unterricht "eng verbundene" Dienstleistung sein kann, wenn diese Gestellung das Mittel darstellt, um unter den bestmöglichen Bedingungen in den Genuss des als Hauptleistung angesehenen Unterrichts zu kommen, und ‑‑was das vorlegende Gericht zu prüfen hat‑‑ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– Sowohl die Hauptleistung als auch die mit ihr eng verbundene Gestellung werden von in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG genannten Einrichtungen erbracht, wobei gegebenenfalls eventuell vom betreffenden Mitgliedstaat aufgrund von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG aufgestellte Bedingungen zu berücksichtigen sind.
– Die genannte Gestellung ist von solcher Art oder Qualität, dass ohne Rückgriff auf eine derartige Dienstleistung keine Gleichwertigkeit des Unterrichts der Zieleinrichtung und damit des ihren Studierenden erteilten Unterrichts gewährleistet wäre.
– Eine derartige Gestellung ist nicht im Wesentlichen dazu bestimmt, zusätzliche Einnahmen durch eine Tätigkeit zu erzielen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt wird (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-434/05, Horizon College, Slg. 2007, I-4793, Leitsatz 2).bb) Dabei ist nicht erforderlich, dass eine Leistung, um "eng verbunden" zu sein, innerhalb desselben Erbringer/Empfänger-Verhältnisses erfolgt. Vielmehr ist ‑‑wie der EuGH ausdrücklich unter Hinweis auf sein Urteil vom 9. Februar 2006 C-415/04 Stichting Kinderopvang Enschede (Slg. 2006, I-1385 Rdnr. 22) betont‑‑ eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung nur dann nicht von der Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn die Haupttätigkeit (also vermittelte Tätigkeit selbst bzw. die mit Hilfe des Personals ausgeführte Tätigkeit des Entleihers), mit der diese Lieferung oder Dienstleistung eng verbunden ist, auch selbst eine befreite Tätigkeit ist (EuGH-Urteil Horizon College in Slg. 2007, I-4793 Rdnr. 36). Diese Beurteilung lässt sich, wie der Senat dem EuGH-Urteil vom 25. März 2010 C-79/09, Euregio (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2010, Nr. C 134, 8, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 780) entnimmt, auch auf die Arbeitnehmerüberlassung im Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL übertragen.
cc) Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin nicht nur eigene, bei ihr fest angestellte Pflegefachkräfte verleiht, sondern auch bei ihr nicht fest angestellte Arbeitnehmer vermittelt. Für die Annahme, dass dies für die Beurteilung keinen wesentlichen Unterschied macht, könnte die Entscheidung des EuGH im Urteil Stichting Kinderopvang Enschede in Slg. 2006, I-1385 Rdnr. 22 sprechen.
4. Zu den Vorlagefragen
Nach Auffassung des erkennenden Senats stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erforderliche Anerkennung durch den Mitgliedstaat auch staatlich geprüfte Pflegekräfte umfasst, die ihre Leistungen unmittelbar an Pflegebedürftige erbringen, ohne dass die Kosten von Sozialversicherungsträgern getragen werden, und die Einschränkung im nationalen Recht daher nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Vorlagefrage Leitsatz 1. Buchst. a).
Kann daher eine staatlich geprüfte Pflegefachkraft, die selbst Pflegeleistungen an andere anerkannte Einrichtungen erbringt, eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sein, stellt sich die Frage, ob die Klägerin diese Anerkennung für sich in Anspruch nehmen kann (Vorlagefrage Leitsatz 1. Buchst. b).a) Zu Vorlagefrage Leitsatz 1. Buchst. a
Das nationale Recht macht die Anerkennung von Einrichtungen mit sozialem Charakter entweder davon abhängig, dass der Unternehmer einen Vertrag mit einer Sozial- oder Pflegekasse abgeschlossen hat und Leistungen erbringt, die ihrer Art nach vom Gegenstand des Vertrages erfasst werden (vgl. Umsatzsteueranwendungserlass 4.16.1. Abs. 8) oder von den in § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG genannten Trägern der Sozialversicherung ganz oder zum Teil vergütet werden.
Die Mitgliedstaaten verfügen hinsichtlich der Anerkennung zwar über ein Ermessen (EuGH-Urteile Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnrn. 27 ff.; vom 26. Mai 2005 C-498/03 Kingscrest Associates und Montecello, Slg. 2005, I-4427 Rdnrn. 49 und 51; Kügler in Slg. 2002, I-6833 Rdnr. 54; Stichting Kinderopvang Enschede in Slg. 2006, I-1385 Rdnr. 23). Als für die Anerkennung maßgebliche Gesichtspunkte sind nach der Rechtsprechung des EuGH u.a. aber auch das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, zu berücksichtigen sowie das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnr. 31). Dabei ist insbesondere auch der Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, zu beachten (EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnrn. 32 f.).
Fraglich ist aber, ob der nationale Gesetzgeber sein Ermessen dadurch fehlerhaft ausgeübt hat, dass Berufsregelungen für Pflegeberufe für die Anerkennung unerheblich sind. So sind nach nationalem Recht z.B. Gesundheits- und Krankenpfleger i.S. des KrPflG nicht anerkannt, während ein Gesundheits- und Krankenpfleger, der einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen i.S. des § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch abgeschlossen hat, als anerkannt angesehen wird. Damit differenziert das nationale Recht für die Frage der Anerkennung nach einem Umstand, der im Hinblick auf die Qualität der Leistung unter Berücksichtigung der Ausbildung des betreffenden Dienstleistungserbringers unerheblich ist (EuGH–Urteil vom 8. Juni 2006 C-106/05, LuP GmbH, Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 36).
Für Gesundheits- und Krankenpfleger könnte sich die erforderliche staatliche Anerkennung aus dem KrPflG und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) vom 10. November 2003 (BGBl I 2003, 2263), zuletzt geändert durch Art. 36 des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2515) ergeben. Für Altenpfleger könnte sich die Anerkennung nach Auffassung des erkennenden Senats aus dem AltPflG herleiten lassen. Hierfür spricht auch das mit den Tätigkeiten der Kranken- und Altenpflege verbundene Gemeinwohlinteresse, sowie die Tatsache, dass Pflegeeinrichtungen mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und dass die Kosten der fraglichen Leistungen ihrer Art nach zum großen Teil durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden und gegenüber den Pflegeeinrichtungen, an die die Klägerin die Pflegekräfte entleiht und die mit deren Hilfe Pflegeleistungen an Patienten erbringen, auch getragen werden.
b) Zu Vorlagefrage zu Leitsatz 1. Buchst. b
Sollte die Vorlagefrage zu Leitsatz 1. Buchst. a zu verneinen sein und die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erforderliche Anerkennung aufgrund der staatlichen Prüfung des verliehenen Personals vorliegen, stellt sich die Frage, ob die Klägerin diese Anerkennung für sich in Anspruch nehmen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Verträgen nach dem AÜG vereinbart sein muss, "welche besonderen Merkmale die für den Leiharbeitnehmer vorgesehene Tätigkeit hat und welche berufliche Qualifikation dafür erforderlich ist sowie welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten". Wenn nach den Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem Entleiher, der selbst steuerbefreite Leistungen nach § 4 Nr. 16 UStG erbringt, die gestellte Pflegefachkraft nur für die entsprechenden Pflegeleistungen eingesetzt werden kann, spricht dies gegen eine unterschiedliche Behandlung je nachdem, ob ein Steuerpflichtiger mit Hilfe seiner angestellten staatlich geprüften Pflegekräfte selbst Pflegeleistungen erbringt, oder diese einer anderen Einrichtung vorübergehend zur Erbringung von Pflegeleistungen entleiht. Für eine aus der Anerkennung ihres Personals abgeleitete Anerkennung der Klägerin spricht unter Berücksichtigung der EuGH-Urteile Kügler in Slg. 2002, I-6833 und LuP GmbH in Slg. 2006, I-5123, dass Heilbehandlungsleistungen einer Personengesellschaft steuerfrei sind, wenn zwar nicht die Gesellschafter, aber die Angestellten der Personengesellschaft über die für eine Heilbehandlung erforderliche Qualifikation verfügen (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. September 2007 V R 54/05, BFHE 219, 241, BStBl II 2008, 262, Rz 11 und 12). Dies folgt ‑‑wie der EuGH in den genannten Urteilen betont‑‑ aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität.
c) Zu Vorlagefrage 2 (Leitsatz)
Der EuGH hat im Urteil Horizon College in Slg. 2007, I-4793 die Steuerfreiheit der Personalgestellung als eng verbundene Dienstleistung von drei Voraussetzungen abhängig gemacht (Rdnrn. 34 ff.).aa) Der Senat geht davon aus, dass die erste Voraussetzung erfüllt ist (s. oben II.3.c bb).
bb) Die zweite Vorlagefrage bezieht sich auf die zweite Voraussetzung dieses Urteils, wonach die genannte Gestellung von solcher Art oder Qualität ist, dass ohne Rückgriff auf eine derartige Dienstleistung keine Gleichwertigkeit der befreiten Leistung der Zieleinrichtung gewährleistet ist.
Bei der vorübergehenden Überlassung von staatlich geprüften Pflegekräften ist hinsichtlich der Qualität das gleiche Niveau der befreiten Tätigkeit der Zieleinrichtung gewährleistet. Zweifelhaft ist, ob es für die Unerlässlichkeit bereits ausreicht, dass die Zieleinrichtung ohne qualifiziertes Pflegepersonal nicht tätig werden kann. Hierbei ist von Bedeutung, ob die Vermittlung von staatlich geprüften Pflegekräften an Einrichtungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL als "als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung" beurteilt werden kann. Ist das nicht der Fall, steht die Überlassung von Personal mit gewerblichen Vermittlern im Wettbewerb. Ist die kurzfristige Vermittlung von Pflegekräften möglich, wofür sprechen könnte, dass die Klägerin möglicherweise auch nur kurzfristig Pflegekräfte vermittelt hat, kommt eine Befreiung nur bei Bejahung der zweiten Vorlagefrage in Betracht.
cc) Der Senat geht davon aus, dass auch die dritte Voraussetzung des EuGH-Urteils Horizon College Slg. 2007 I-4793 Rdnr. 42 erfüllt ist.
dd) Der nationale Gesetzgeber hat von der ihm in Art. 133 MwStSystRL eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
5. Die dem EuGH vorgelegten Fragen sind entscheidungserheblich.
Sollte § 4 Nr. 16 UStG unionsrechtskonform sein, soweit er die Anerkennung von Einrichtungen mit sozialem Charakter entweder davon abhängig macht, dass diese ihre Leistungen an Sozial- und Pflegekassen erbringen (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b bis j UStG) oder von den in § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG genannten Trägern der Sozialversicherung vergütet werden, und sollte auch die zweite Vorlagefrage zu verneinen sein, so wäre die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Andernfalls könnte sich die Klägerin mit Erfolg für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.
6. Die Einleitung des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
7. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.