BFH VI. Senat
EStG § 33, FGO § 11, EStG VZ 2008
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 09. October 2011, Az: 6 K 1880/10
Leitsätze
Dem Großen Senat wird gemäß § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist ein Senat, der von einer Entscheidung eines anderen Senats des BFH abweichen will, auch dann verpflichtet, gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO bei diesem anzufragen, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, und für den Fall, dass der angefragte Senat der Änderung der Rechtsprechung nicht zustimmt, die streitige Rechtsfrage dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 FGO vorzulegen, wenn der erkennende Senat aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans für die streitige Rechtsfrage ‑‑hier außergewöhnliche Belastungen‑‑ zuständig geworden ist, wenn "nur diese streitig" ist, der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, jedoch weiterhin mit einer derartigen Rechtsfrage befasst werden kann .
Tatbestand
I.
Der VI. Senat ist seit 2009 gemäß A. VI. Senat Nr. 1 Buchst. d des Geschäftsverteilungsplans des Bundesfinanzhofs (BFH) für das Jahr 2013 und der entsprechenden Regelungen für die Vorjahre für außergewöhnliche Belastungen i.S. der §§ 33 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zuständig, wenn nur diese streitig sind. Bis zum Jahr 2008 war hierfür der III. Senat des BFH zuständig. Der III. Senat hat mit Urteilen vom 13. März 1987 III R 301/84 (BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495) und vom 20. März 1987 III R 150/86 (BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596) entschieden, dass Aufwendungen für eine Adoption nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG abgezogen werden können.
Nach der derzeitigen Geschäftsverteilung des BFH ist der III. Senat u.a. für Einkommensteuer zuständig (vgl. A. III. Senat Nrn. 1 und 2 des Geschäftsverteilungsplans für 2013). Er kann damit mit Fragen der Anwendung der §§ 33 ff. EStG befasst werden, wenn nicht nur diese streitig sind.
Entscheidungsgründe
II.
Der Anrufung des Großen Senats liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie Aufwendungen für die Adoption eines in Äthiopien geborenen Kindes, die erst in den Folgejahren vollzogen werden konnte, in Höhe von 8.560,68 € als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG geltend. Die Kosten setzen sich aus einer Vermittlungsgebühr in Höhe von insgesamt 7.000 € sowie aus Aufwendungen für Fahrten und Literatur zusammen. Wegen Zeugungsunfähigkeit des Klägers haben die Kläger keine eigenen Kinder. Künstliche Befruchtungsmethoden lehnen sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte die für das Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung, weil sie nicht zwangsläufig entstanden seien. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage, die das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 414 veröffentlichten Gründen als unbegründet abwies.
Mit der Revision machen die Kläger geltend, die streitigen Aufwendungen seien einer heterologen Insemination gleichzustellen und daher als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Der Ehemann sei im Sinne eines pathologischen Zustands erkrankt. Sähen sich Steuerpflichtige aus ethisch-religiösen Gründen nicht zu einer heterologen Insemination in der Lage, sei die Adoption die einzige Möglichkeit der Familiengründung.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. Oktober 2011 6 K 1880/10 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 24. Juni 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 16. April 2010 dahingehend zu ändern, dass nach Abzug der zumutbaren Belastung außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 393 € anerkannt werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es vertritt die Auffassung, der Entschluss zu einer Adoption beruhe auf einer freien Willensentscheidung des Steuerpflichtigen. Die Kläger hätten sich zur Adoption entschlossen, obwohl sie auch zwischen einer künstlichen Befruchtung und einem Leben ohne Kinder hätten wählen können. Zwar könne Kinderlosigkeit ihre Ursache in einer Krankheit haben. Die Adoption sei jedoch keine notwendige Folge dieser Krankheit und daher auch nicht als medizinisch notwendige auf den Betroffenen abgestimmte Heilbehandlung anzusehen.
III.
Der vorlegende Senat möchte unter Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteile in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495, und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596) Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG anerkennen. Er hat durch Beschluss vom 13. November 2012 beim III. Senat des BFH ‑‑vorbehaltlich der Frage, ob dies überhaupt gesetzlich geboten ist‑‑ angefragt, ob er an seiner Rechtsauffassung in den genannten Urteilen festhält. Der III. Senat hat am 31. Januar 2013 beschlossen, einer Änderung der Rechtsprechung nicht zuzustimmen.
IV.
Der Große Senat wird zur Klärung der im Leitsatz bezeichneten Frage angerufen, weil diese im Streitfall entscheidungserheblich ist und zugleich grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat. Hilfsweise erfolgt die Anrufung des Großen Senats zur erneuten Klärung der genannten Rechtsfrage, weil der Senat aus den unter V. dargelegten Gründen beabsichtigt, von den Entscheidungen des Großen Senats vom 28. November 1988 GrS 1/87 (BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164), vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84 (BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207) und vom 15. November 1971 GrS 1/71 (BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68) abzuweichen (§ 11 Abs. 2 FGO).
1. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. Der Senat teilt die Auffassung der Kläger, dass die streitgegenständlichen Aufwendungen für die Adoption des Kindes als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind. Die Revision der Kläger wäre danach begründet, das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben. Wäre dagegen trotz Übergangs der Zuständigkeit für außergewöhnliche Belastungen auf den vorlegenden Senat eine Änderung der Rechtsprechung nur mit Zustimmung des bisher für die Materie zuständigen III. Senats möglich, könnte der Senat nicht durcherkennen. Er müsste vielmehr, da der III. Senat der Änderung seiner Rechtsprechung nicht zugestimmt hat, dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 FGO zunächst die Frage vorlegen, ob Kosten für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
2. Grundsätzliche Bedeutung der Vorlagefrage
Der sonach entscheidungserheblichen Frage misst der vorlegende Senat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 11 Abs. 4 FGO bei.
a) Die Frage, ob eine Pflicht zur Anfrage bei dem Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, für den nunmehr primär zuständigen Senat auch dann besteht, wenn der erkennende Senat ‑‑wie hier‑‑ für die streitige Rechtsfrage zuständig geworden ist, "wenn nur diese streitig" ist, stellt sich nicht nur bei den außergewöhnlichen Belastungen, sondern auch bei anderen Materien des Ertragsteuerrechts. So ist z.B. nach A. III. Senat Nr. 4 des Geschäftsverteilungsplans 2013 der III. Senat des BFH für Einkommensteuer betreffend Tariffragen, Entlastungsbetrag und Kinderbetreuungskosten zuständig, wenn "nur diese Fragen streitig sind". Der X. Senat ist u.a. gemäß A. X. Senat Nr. 3 Buchst. a des Geschäftsverteilungsplans 2013 für Sonderausgaben zuständig. Auch wenn hier der Zusatz fehlt, dass diese Zuständigkeit begründet ist, wenn "nur diese Fragen streitig sind", können sich Fragen des Sonderausgabenabzugs auch bei anderen für Ertragsteuern zuständigen Senaten des BFH stellen, wenn daneben weitere Punkte streitig sind oder der Sonderausgabenabzug nur hilfsweise anstelle des Abzugs als Betriebsausgaben oder Werbungskosten begehrt wird. Auch hier ist zweifelhaft, ob in Fällen, in denen ein anderer Senat des BFH eine Rechtsfrage des Sonderausgabenabzugs in bestimmter Weise entschieden hat (vgl. z.B. das Urteil vom 20. November 2012 VIII R 29/10, BFHE 239, 417, BStBl II 2013, 344), der X. Senat, wenn er von diesem Urteil abweichen will, bei dem Senat anfragen muss, der als erster mit der streitigen Frage befasst war.
b) Die Rechtsfrage ist klärungsbedürftig. Sie ist insbesondere noch nicht entschieden.
aa) Der Große Senat des BFH hat allerdings mit Beschluss in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 u.a. entschieden, dass eine Abweichung i.S. von § 11 Abs. 3 FGO auch dann vorliege, wenn zwar eine Änderung in der Geschäftsverteilung eingetreten sei, der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden solle, aber trotz des Wechsels in der Zuständigkeit jederzeit in die Lage kommen könne, über die Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen (so schon BFH-Beschlüsse in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, Rz 29 f.; in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, Rz 15).
Im damaligen Streitfall hatte der vorlegende III. Senat des BFH, der aufgrund einer Änderung der Geschäftsverteilung für außergewöhnliche Belastungen zuständig geworden war, wenn nur diese streitig waren, beim Großen Senat des BFH angefragt, ob Unterhaltsleistungen eines Ehegatten an den von ihm nicht dauernd getrennt lebenden, nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen anderen Ehegatten als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs. 1 EStG abziehbar seien. Der III. Senat hatte die Anfrage auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage gestützt, obwohl der VI. Senat hierzu in einem früheren Urteil eine andere Auffassung vertreten hatte.
Entgegen dieser Auffassung kam der Große Senat des BFH in seiner Entscheidung in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 zu der Überzeugung, dass eine Abweichung bestehe, weil der VI. Senat trotz der seit 1985 eingetretenen Änderung in der Geschäftsverteilung jederzeit in die Lage kommen könne, über die hier streitbefangene Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen.
bb) Der Große Senat hat mit dieser Entscheidung und den BFH-Beschlüssen in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 die hier vorgelegte Rechtsfrage noch nicht abschließend entschieden.
aaa) Dies folgt zum einen daraus, dass sich diese Entscheidung in erster Linie mit der Frage beschäftigt, welchem Senat des BFH ein Entsendungsrecht an den Großen Senat zusteht (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FGO in der Fassung vom 6. Oktober 1965 ‑‑FGO a.F.‑‑). Zum anderen hatte der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Großen Senats noch gültige § 11 FGO a.F. einen von dem derzeit gültigen § 11 FGO in der Fassung des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl I 1990, 2847, BStBl I 1991, 3) abweichenden Wortlaut. So bestimmte § 11 Abs. 3 FGO a.F. nur:
"Will in einer Rechtsfrage ein Senat des Bundesfinanzhofs von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen, so entscheidet der Große Senat."
Die weiteren heute in § 11 Abs. 3 FGO enthaltenen Sätze fehlten. Die Pflicht zur Anfrage bei dem Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden sollte, ergab sich nur aus § 2 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung des BFH.
bbb) Gestützt wird diese Sicht des vorlegenden Senats durch Entscheidungen anderer Senate des BFH im Anschluss an die BFH-Beschlüsse in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, in denen in vergleichbaren Fällen ebenfalls der Große Senat nicht angerufen wurde.
(1) Mit Urteil vom 19. Mai 1999 XI R 87/95 (BFH/NV 2000, 942) entschied der XI. Senat zu der gemäß § 10 Abs. 5 EStG 1990 erhobenen Nachsteuer abweichend von der Entscheidung des X. Senats vom 1. Juni 1994 X R 90/91 (BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849). Der XI. Senat sah eine Anfrage beim X. Senat nicht als erforderlich an, weil der XI. Senat seit dem 1. Januar 1999 für Einkommensteuer betreffend Sonderausgaben gemäß § 10 EStG ‑‑von nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen‑‑ zuständig sei (vgl. Rz 13 des Urteils in BFH/NV 2000, 942).
Zwar ergab sich aus A. XI. Senat Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans 1999 eine Zuständigkeit des XI. Senats für Sonderausgaben gemäß §§ 10, 10b, 10c EStG, mit Ausnahme von Streitigkeiten, die nur § 10 Abs. 1 Nr. 1a oder Nr. 7 EStG oder nur Tarifvorschriften der §§ 32 bis 32b EStG betreffen. Jedoch konnte der X. Senat nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans 1999 im Falle einer Streitigkeit mit mehreren Streitpunkten erneut in die Lage kommen, über die Streitfrage entscheiden zu müssen, nämlich dann, wenn in einem Rechtsstreit auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb einer natürlichen Person mit den Anfangsbuchstaben A bis K streitig waren (Ergänzende Regelungen, II. Nr. 1 Buchst. c i.V.m. A. X. Senat Nr. 1 des Geschäftsverteilungsplans 1999).
(2) Diese Ausführungen gelten für das Urteil des XI. Senats vom 15. Dezember 1999 XI R 53/99 (BFHE 190, 481, BStBl II 2000, 292) entsprechend (zur Abweichung vom Urteil des X. Senats in BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849, vgl. Rz 14 des Urteils in BFHE 190, 481, BStBl II 2000, 292).
(3) Mit Urteil vom 31. März 2004 X R 18/03 (BFHE 206, 68, BStBl II 2004, 1047) entschied der X. Senat über die Steuerbarkeit von Unterhaltsleistungen nach § 22 Nr. 1 EStG abweichend vom Urteil des VIII. Senats vom 27. September 1973 VIII R 77/69 (BFHE 111, 37, BStBl II 1974, 103). Der X. Senat begründete seine Auffassung, einer Anfrage beim VIII. Senat bedürfe es nicht, zum einen damit, dass der Gesetzgeber durch Einfügung des § 22 Nr. 1a EStG eine neue Rechtslage geschaffen habe und die Entscheidung des Senats darauf beruhe. Zudem führte der X. Senat aus, der VIII. Senat könne wegen der zwischenzeitlichen Änderung des Geschäftsverteilungsplans des BFH grundsätzlich nicht mehr mit der im Streitfall zu entscheidenden Rechtsfrage befasst werden. Denn der X. Senat sei nach A. X. Senat Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans 2004 nunmehr für Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuständig (vgl. Rz 40, 41 des Urteils in BFHE 206, 68, BStBl II 2004, 1047). Auch für Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1a EStG sei nicht der VIII., sondern der XI. Senat zuständig (A. XI. Senat Nr. 1 Buchst. e des Geschäftsverteilungsplans 2004).
Zwar ist der X. Senat mit Änderung des Geschäftsverteilungsplans nach A. X. Senat Nr. 2 für Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuständig geworden. Jedoch könnte der VIII. Senat nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans 2004 dann in die Lage kommen, über Fragen der Anwendung des § 22 Nr. 1 EStG entscheiden zu müssen, wenn eine Streitigkeit mit mehreren Streitpunkten vorliegt und einer von mehreren Streitpunkten die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns betrifft (Ergänzende Regelungen, II. Nr. 1 Buchst. d i.V.m. A. VIII. Senat Nr. 1 Buchst. b und c).
Aus diesen Entscheidungen ist ersichtlich, dass offenbar auch andere Senate des BFH der Auffassung sind, dass denjenigen Senat, der primär für ein Rechtsgebiet zuständig ist, keine Pflicht zur Anfrage wegen Divergenz an den Großen Senat trifft, wenn er von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, der nach wie vor im Zusammenhang mit anderen Streitpunkten mit der streitgegenständlichen Rechtsfrage befasst werden kann. Den Entscheidungen des Großen Senats in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 wird demnach für die heute geltende Fassung des § 11 FGO keine Bedeutung beigemessen.
3. Hilfsweise erneute Anrufung des Großen Senats
Sollte demgegenüber der Große Senat der Auffassung sein, durch die Beschlüsse des Großen Senats in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 sei auch für die jetzige Fassung des § 11 FGO entschieden, dass eine Divergenz zur Entscheidung eines anderen Senats des BFH auch dann vorliege, wenn ein Senat zwar für ein Rechtsgebiet zuständig geworden sei, der andere Senat aber nach wie vor mit der Frage befasst werden könne, legt der Senat die im Leitsatz bezeichnete Frage dem Großen Senat zur erneuten Klärung vor. Denn der vorlegende Senat möchte aus den unter V. dargelegten Gründen von den Beschlüssen des Großen Senats in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 abweichen (§ 11 Abs. 2 FGO) und die im Ausgangsverfahren streitige Frage, ob Kosten für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind, nicht dem Großen Senat des BFH vorlegen.
Die Vorlage ‑‑unterstellt, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 FGO lägen vor‑‑ ist nicht deshalb unzulässig, weil der Große Senat bereits über die aufgeworfene Rechtsfrage entschieden hat. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Großen Senats eine erneute Vorlage derselben Rechtsfrage an ihn nur zulässig, falls in der Zwischenzeit neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten sind, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnten, und/oder neue Rechtserkenntnisse eine andere Beurteilung der entschiedenen Rechtsfrage rechtfertigen könnten (BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1971 GrS 4/70, BFHE 101, 13, BStBl II 1971, 207; vom 24. Juni 1985 GrS 1/84, BFHE 144, 124, BStBl II 1985, 587).
Ungeachtet der gegen diese Auffassung vorgebrachten Einwände (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Februar 2013 GrS 1/12, BStBl II 2013, 441), die der Senat für durchgreifend hält, ist eine erneute Entscheidung des Großen Senats deshalb erforderlich, weil sich seither § 11 FGO seinem Wortlaut nach geändert hat, erhebliche Zeit verstrichen ist und ‑‑wie aufgezeigt‑‑ andere Senate des BFH offenbar der Auffassung sind, dass die Gründe der Entscheidungen des BFH in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 nicht auf die derzeit gültige Fassung des § 11 FGO übertragbar sind.
V.
Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist die Vorlagefrage zu verneinen. Der Senat, der aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans primär für ein bestimmtes Rechtsgebiet zuständig geworden ist, kann ohne vorherige Anfrage beim zuvor zuständigen Senat oder einem anderen Senat des BFH von deren bisheriger Rechtsprechung abweichen. Eine Pflicht zur Vorlage an den Großen Senat besteht nicht.
1. Der Große Senat dient neben der Rechtsfortbildung (so insbesondere in Fällen des § 11 Abs. 4 FGO) der Einheitlichkeit der Rechtsprechung innerhalb des BFH. Es sollen einander widersprechende Entscheidungen verhindert werden. Daher entscheidet gemäß § 11 Abs. 2 FGO der Große Senat, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Eine Vorlage an den Großen Senat ist jedoch nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO). Schließt sich der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, der Meinung des anfragenden Senats an, erfordert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Großen Senats des BFH nicht mehr.
2. Die Pflicht, den Großen Senat im Fall einer Abweichung von der Entscheidung eines anderen Senats des BFH anzurufen, entfällt auch dann, wenn der erkennende Senat aufgrund einer Änderung in der Geschäftsverteilung ausschließlich für die streitige Rechtsfrage zuständig geworden ist (allgemeine Auffassung, z.B. BFH-Urteile vom 15. Juni 2010 VIII R 10/09, BFHE 230, 47, BStBl II 2010, 906, Rz 34; vom 19. Dezember 2002 IV R 47/01, BFHE 201, 241, BStBl II 2003, 507; vom 9. Oktober 2001 VIII R 77/98, BFHE 197, 43, BStBl II 2002, 460, Rz 28; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 13. Februar 1968 GrS 5/67, BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365, Rz 11). Die Gefahr einander widerstreitender Urteile besteht dann künftig nicht mehr. Dies gilt auch dann, wenn der bisherige Senat oder andere Senate durch die Änderung der Geschäftsverteilung künftig nur noch gelegentlich in die Lage kommen können, über die Rechtsfrage entscheiden zu müssen, weil die Zuständigkeit, soweit nur diese Rechtsfrage streitig ist, auf einen anderen Senat übergegangen ist (gl. A. BFH-Urteile in BFHE 190, 481, BStBl II 2000, 292, Rz 14; in BFH/NV 2000, 942, Rz 13; wohl auch BFH-Urteil in BFHE 206, 68, BStBl II 2004, 1047, Rz 41; a.A. BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732, Rz 30; BFH-Beschluss vom 29. März 2000 I R 76/99, BFHE 191, 353, BStBl II 2000, 622; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 11 FGO Rz 42, 60 ff., 66 ff.; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz 5; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO, § 11 Rz 10; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 9; Pust, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 1084; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, unter C. VIII., wohl auch Kempermann, Finanz-Rundschau 2002, 154 a.E.).
a) Durch die Zuweisung eines Rechtsgebiets an einen bestimmten Senat wird diesem Senat die Rechtsfortbildung hierfür übertragen. Auch wenn der bislang zuständige Senat in seltenen Fällen weiterhin mit Rechtsfragen aus diesem Rechtsgebiet befasst werden kann, wird er sich nach dem Zuständigkeitswechsel mit fortschreitender Zeit von der Rechtsmaterie entfernen. Dies spricht dafür, die Entscheidung über Streitfragen demjenigen Senat zuzuweisen, der vornehmlich für dieses Rechtsgebiet zuständig geworden ist. Die Gefahr widerstreitender Urteile ist gering, weil ein Senat, der sich nur gelegentlich mit der Materie eines anderen Senats befassen muss, in aller Regel der Rechtsprechung dieses Senats folgen wird.
Nach der seit 2009 geltenden Geschäftsverteilung liegt die Zuständigkeit für außergewöhnliche Belastungen schwerpunktmäßig beim vorlegenden Senat. Er ist damit in erster Linie für die Auslegung der §§ 33 ff. EStG und damit für die Fortbildung des Rechts auf diesem Gebiet und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung berufen. Die dem (vorlegenden) Senat für das Rechtsgebiet der außergewöhnlichen Belastungen zugewiesene Aufgabe der Rechtsfortbildung und das Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, das durch die Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat in den gesetzlich vorgesehenen Fällen gewahrt werden soll (vgl. unter V.1.), stehen insoweit in einem Spannungsverhältnis. Müsste der VI. Senat in jedem Fall, in dem er von der Rechtsprechung der anderen Ertragsteuersenate des BFH auf dem Gebiet der außergewöhnlichen Belastung abweichen will, bei dem vormals zuständigen III. Senat oder einem anderen Ertragsteuersenat des BFH anfragen, ob dieser der Rechtsprechungsänderung zustimmt, so würde dies dem Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auch in den Fällen den Vorrang einräumen, in denen der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, eine früher bestehende schwerpunktmäßige Zuständigkeit verloren hat. Dem für die betreffenden Rechtsfragen nunmehr in erster Linie zuständigen Senat hingegen würde die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Bereich der Rechtsentwicklung und Fortbildung des Rechts deutlich erschwert (vgl. auch Sunder-Plassmann in HHSp, § 11 FGO Rz 60a). In den Fällen des Übergangs der primären Zuständigkeit erscheint dies unangemessen, so dass keine Pflicht zur Anfrage und auch keine Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat anzunehmen ist.
b) Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO steht diesem Regelungsverständnis nicht entgegen, denn er ist mehrdeutig. Die Formulierung "Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden,..." in § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO könnte zwar dafür sprechen, dass eine Anfrage nur dann zu unterbleiben hat, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, überhaupt nicht mehr mit der Frage befasst werden kann. Der weitere Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO, nach dem bei dem Senat angefragt werden muss, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre, lässt jedoch auch die gegenteilige Deutung zu. Wäre für die Entscheidung des Falles, von dem abgewichen werden soll, nunmehr ein anderer Senat zuständig, ist bei diesem anzufragen. Da in Fällen, in denen nur außergewöhnliche Belastungen streitig sind, seit 2009 ausschließlich der VI. Senat zuständig ist, müssten demnach in allen Entscheidungen, in denen der III. Senat über außergewöhnliche Belastungen entschieden hat und nur diese Fragen streitig waren, andere Senate des BFH, die von Entscheidungen des III. Senats zu außergewöhnlichen Belastungen abweichen wollen, beim VI. Senat anfragen, ob dieser der Abweichung zustimmt. Der vorlegende Senat wäre demnach auch für die Sachverhalte, die den Urteilen des III. Senats in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 zugrunde lagen und die nur außergewöhnliche Belastungen betrafen, der Senat geworden, der nach der gegenwärtigen Geschäftsverteilung für die Fälle zuständig wäre und bei dem gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO anzufragen ist. Eine Zustimmung des III. Senats ist damit nicht mehr erforderlich.