BFH VI. Senat
EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 8 Abs 1, EStG § 8 Abs 2 S 2, EStG § 8 Abs 2 S 3, EStG § 8 Abs 2 S 4, EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 2, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4
vorgehend FG Münster, 16. January 2012, Az: 5 K 1240/09 E
Leitsätze
1. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder doch zumindest konkludent auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
2. Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen.
3. Dies gilt auch bei angestellten Geschäftsführern einer GmbH. Auch in einem solchen Fall lässt sich kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts feststellen, dass ein Privatnutzungsverbot nur zum Schein ausgesprochen ist oder der (Allein-)Geschäftsführer ein Privatnutzungsverbot generell missachtet.
Tatbestand
I.
Streitig ist der Ansatz eines geldwerten Vorteiles wegen der privaten Nutzung eines Firmenwagens.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Sie hatten in den Streitjahren 2003 und 2004 ihren Wohnsitz in W. Der Kläger ist seit dem 1. April 2001 bei der E GmbH in F als alleiniger Geschäftsführer beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit erzielt er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger verfügte über einen Dienstwagen (Listenpreis 35.000 €), der im Wohnsitzkreis des Klägers zugelassen war. Die Nutzung des Fahrzeugs war in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag ("Car Policy") wie folgt geregelt:
"Der Geschäftsleitung der ... [E GmbH] wird bei überwiegender Außendienst-Tätigkeit ein Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt.
Die Nutzung erstreckt sich nicht auf den privaten Bereich.
Der Gesetzgeber verlangt eine Versteuerung des geldwerten Vorteils. Dieser beträgt z. Zt. 1 % des Brutto-Listenpreises des genutzten Fahrzeugs, soweit Dienstsitz des Mitarbeiters gleich Wohnsitz ist, entfällt eine Versteuerung ebenfalls für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Sollten betriebliche Notwendigkeiten eine Änderung erforderlich machen, werden diese gemäß den gesetzlichen Regelungen vorgenommen ...
Das Fahrzeug darf ausschließlich durch den Mitarbeiter genutzt werden. Im Bedarfsfall wird der Ehegatte (Lebenspartner) zugelassen ..."
Im Jahr 2005 fand bei der E GmbH eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch das Finanzamt F statt. Dabei wurde festgestellt, dass der Kläger kein Fahrtenbuch geführt hat und ein privater Nutzungsvorteil bislang nicht besteuert worden ist. Der steuerliche Berater der E GmbH teilte dem Finanzamt F hierzu mit, der Kläger habe ein Fahrtenbuch führen sollen. Da er dies nicht getan habe, solle eine Mitteilung an sein Wohnsitzfinanzamt ergehen. Der Außenprüfer nahm daraufhin einen geldwerten Vorteil aus der Fahrzeugüberlassung an und errechnete für die Privatnutzung jährlich 4.200 € (35.000 € x 1 % x 12) und für die Fahrten Wohnung/Arbeitsstätte jährlich 17.136 € (35.000 € x 0,03 % x 136 km x 12).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) machte sich die Prüfungsfeststellungen zu eigen, änderte die Einkommensteuer-Festsetzungen für die Streitjahre gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung und erhöhte die Lohneinkünfte des Klägers jeweils um 21.336 €.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1733). Das FA habe zwar dem Grunde nach zu Recht die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um den Wert der Privatnutzung des Dienstfahrzeugs und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erhöht (§ 8 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Der Ansatz für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei jedoch zu hoch. Insoweit müsse eine Einzelbewertung der Fahrten in analoger Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG erfolgen.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des FG Münster vom 17. Januar 2012 5 K 1240/09 E sowie die Einspruchsentscheidungen vom 18. März 2009 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 ‑‑jeweils‑‑ vom 13. August 2007 insoweit abzuändern, als dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit ‑‑jeweils‑‑ um 21.336 € herabgesetzt werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370; vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116; VI R 95/04, BFHE 215, 252, BStBl II 2007, 269; vom 4. April 2008 VI R 68/05, BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890; vom 28. August 2008 VI R 52/07, BFHE 223, 12, BStBl II 2009, 280; vom 21. April 2010 VI R 46/08, BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848; vom 6. Oktober 2011 VI R 56/10, BFHE 235, 383, BStBl II 2012, 362), und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den betrieblichen PKW tatsächlich privat nutzt (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 31/10, BFHE 241, 167). Der Vorteil ist nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn ‑‑wie im Streitfall mittlerweile unstreitig‑‑ kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten.
2. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder doch zumindest konkludent auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das FG hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat (BFH-Beschluss vom 13. März 1997 I B 78/96, BFH/NV 1997, 772). Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor (BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966, m.w.N.).
3. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler ist vorliegend zu beklagen. Denn die Würdigung des FG, dass dem Kläger von der E GmbH der Dienstwagen in den Streitjahren arbeitsvertraglich auch zur privaten Nutzung überlassen worden ist, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Soweit das FG diese Erkenntnis aus der vom Kläger vorgelegten "Car Policy" schöpft, ist dieser Schluss für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn dort ist gerade das Gegenteil bestimmt. Dort ist ausdrücklich geregelt, dass sich die Nutzung nicht auf den privaten Bereich erstreckt. Die Erweiterung in der "Car Policy", dass "im Bedarfsfall" statt des Mitarbeiters "der Ehegatte (Lebenspartner) zugelassen" wird, zielt ersichtlich auf die dienstliche Nutzung des PKW. Hieraus eine private Nutzungsbefugnis des Ehe- oder Lebenspartners zu lesen, ist eine ‑‑jedenfalls ohne weitere Klärung des tatsächlich gewollten Vertragsinhalts‑‑ nicht tragfähige Überinterpretation des Vertragsinhalts.
b) Darüber hinaus geht das FG fehl, wenn es allein aus einer fehlenden Überwachung dieses Nutzungsverbots auf dessen Steuerunerheblichkeit schließt.
Denn einen ‑‑auf der allgemeinen Lebenserfahrung gründenden‑‑ Erfahrungssatz, nach dem ein angestellter Alleingeschäftsführer generell arbeitsvertraglich vereinbarte Nutzungsverbote nicht achten werde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag es sein, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Arbeitnehmer ‑‑in Ermangelung einer "Kontrollinstanz"‑‑ bei einer Zuwiderhandlung keine arbeitsrechtlichen oder gar strafrechtlichen Konsequenzen zu gewärtigen hat. Gleichwohl rechtfertigt dies einen entsprechenden steuerstrafrechtlich erheblichen Generalverdacht nicht (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 46/11, BFHE 241, 175). Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht (BFH-Urteile in BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848; in BFHE 235, 383, BStBl II 2012, 362, sowie vom 21. März 2013 VI R 46/11, BFHE 241, 175).
4. Das FG wird nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze den hier streitigen Sachverhalt insbesondere dahingehend weiter aufzuklären haben, ob dem Kläger der betriebliche PKW auch zur privaten Nutzung arbeitsvertraglich oder doch mindestens auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung tatsächlich überlassen war. Diese Feststellungen kann auch bei einem Alleingeschäftsführer der Beweis des ersten Anscheins nicht ersetzen (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 46/11, BFHE 241, 175).
a) Hat sich das FG mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass dem Kläger der streitige PKW tatsächlich zur privaten Nutzung überlassen war, sind weitere Feststellungen insbesondere zu den Nutzungsverhältnissen nicht erforderlich. Der Vorteil ist unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 31/10, BFHE 241, 167).
b) Weiter weist der erkennende Senat für den zweiten Rechtsgang darauf hin, dass allein die Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte noch keine Überlassung zur privaten Nutzung i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG begründet (BFH-Urteil in BFHE 235, 383, BStBl II 2012, 362).
c) Ob der Kläger eine regelmäßige Arbeitsstätte in den Streitjahren innehatte und wo eine solche gegebenenfalls zu verorten ist, bedarf ebenfalls noch weiterer Feststellungen des FG. Denn der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit und damit die regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit. Nach diesen Rechtsgrundsätzen erfüllt eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, die der Arbeitnehmer beispielsweise lediglich zu Kontrollzwecken aufsucht, nicht die Voraussetzungen einer regelmäßigen Arbeitsstätte. Allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer den Betriebssitz oder sonstige Einrichtungen des Arbeitgebers mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht, genügt für sich betrachtet nicht, um dort den Tätigkeitsmittelpunkt eines Arbeitnehmers zu begründen. Hierfür muss der Arbeitnehmer an diesem Ort vielmehr schwerpunktmäßig tätig werden. Daran fehlt es insbesondere, wenn er ‑‑wie ein Außendienstmitarbeiter‑‑ seiner eigentlichen Tätigkeit außerhalb des Betriebssitzes nachgeht (BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34). Das FG wird deshalb zu prüfen haben, ob die E GmbH in F eine betriebliche Einrichtung (bei der Konzernmutter, vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169) vorgehalten hat und in welchem qualitativen Umfang der Kläger dort tätig geworden ist.