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Urteil vom 19. März 2013, XI R 45/10

Zur Umsatzsteuerfreiheit der von einem Altenwohnheim erbrachten Leistungen

BFH XI. Senat

UStG § 4 Nr 16 Buchst d, AO § 53 Abs 2, BSHG § 68 Abs 1, SGB 12 § 61 Abs 1, EWGRL 388/77 Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g, EGRL 112/2006 Art 131, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, UStG § 4 Nr 18, UStG § 4 Nr 16 Buchst e, SGB 11 § 15

vorgehend FG München, 21. April 2010, Az: 14 K 63/07

Leitsätze

1. Die mit dem Betrieb eines von einem gewerblichen Unternehmer betriebenen Altenwohnheims eng verbundenen Umsätze sind nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG u.a. dann umsatzsteuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen Kranken und behinderten Menschen zugute gekommen sind, die in einem vom Gesetz näher bestimmten Maß der Hilfe bedürfen. Dass diesen Personen eine Pflegestufe zuerkannt wurde, ist nicht erforderlich .

2. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG darf nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden, die nicht geeignet ist, die Gleichbehandlung sämtlicher unter das Privatrecht fallenden Betreiber von Altenwohnheimen zu gewährleisten .

Tatbestand

I.

  1. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Umsätze der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus dem Betrieb eines Altenwohnheims von der Umsatzsteuer befreit sind.

  2. Die Klägerin, eine GmbH, betrieb ein als gemeinnützige Körperschaft anerkanntes Altenwohnheim ("Senioren-Wohnstift"). Sie überließ dem jeweiligen Bewohner auf der Grundlage eines Heimvertrages eine abgeschlossene unmöblierte Wohnung mit eingebauten Küchenelementen, die über eine eigene Klingel, ein Namensschild, eigenen Telefonanschluss, Briefkasten und Kelleranteil verfügte. Zu den ferner von der Klägerin erbrachten sog. Grundleistungen gehörte die Überlassung eines Telefons, eine Notruf- und Pflegebereitschaft rund um die Uhr, die regelmäßige Grundreinigung der Wohnung, die Vorhaltung der Gemeinschaftsräume und -anlagen (Bibliothek, Gymnastikraum, Kapelle, Seelsorge, Hallenbad), ein tägliches Mittagessen im Speisesaal einschließlich Bedienung sowie die Betreuung und Pflege im Krankheits- und Pflegefall bis zu einer Gesamtdauer von 14 Tagen im Jahr. Für darüber hinaus in Anspruch genommene Pflegeleistungen war ein gesondertes Entgelt zu entrichten. Die Klägerin rechnete gegenüber der Pflegekasse ab, soweit von dieser Leistungen gewährt wurden, und im Übrigen direkt mit den Bewohnern des Senioren-Wohnstifts.

  3. Im Streitjahr 2001 standen insgesamt 302 Wohnungen sowie weitere 10 Zimmer in der Pflegestation zur Verfügung. Nach den dem Gesundheitsamt als Heimaufsicht vorgelegten Meldungen wurde regelmäßig etwa 10 bis 20 Bewohnern eine Pflegestufe zuerkannt.

  4. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) war der Ansicht, dass die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, in denen jeweils eine Pflegebedürftigkeit des betreffenden Heimbewohners i.S. des § 68 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes in der im Streitjahr 2001 geltenden Fassung (BSHG) bestätigt worden war, nicht geeignet seien, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr 2001 maßgebenden Fassung (UStG) nachzuweisen.

  5. Dementsprechend behandelte das FA im Umsatzsteuerbescheid für 2001 nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) "die Pflegeerlöse einschließlich Verpflegung und diverser Nebenumsätze" als steuerpflichtig. Es unterwarf die ermittelten steuerpflichtigen Leistungen gemäß § 12 Nr. 8 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz und zog anhand der eingereichten Gewinn- und Verlustrechnung geschätzte Vorsteuer ab. Die von der Klägerin vereinnahmten Zinserträge und die Erlöse aus der Vermietung der Wohnungen behandelte das FA als steuerfrei.

  6. Das FG wies die nach im Wesentlichen erfolglosen Vorverfahren erhobene Klage der Klägerin als unbegründet ab.

  7. Es führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG seien nicht erfüllt. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen seien nicht zu mindestens 40 % den in § 68 Abs. 1 BSHG oder den in § 53 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) genannten Personen zugute gekommen.

  8. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen enthielten keine Angaben dazu, ob und in welchem Maße Pflegeleistungen für die betreffenden Heimbewohner erforderlich gewesen seien.

  9. Zwar könne als wahr unterstellt werden, dass die Mehrheit der Bewohner des Senioren-Wohnstifts Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens in Anspruch nehmen müsse. Die von der Klägerin insoweit erbrachten üblichen Betreuungs- und Versorgungsleistungen ließen jedoch keine Schlussfolgerung dahingehend zu, dass die Personen, die diese Leistungen im Streitjahr 2001 in Anspruch genommen hätten, pflegebedürftig i.S. des § 15 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) gewesen seien.

  10. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1025 veröffentlicht.

  11. Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

  12. Sie beruft sich für die Steuerfreiheit der streitigen Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) ‑‑nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)‑‑. Die von ihr erbrachten Leistungen seien eng mit der sozialen Sicherheit verbunden und ihrer Art nach von den Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernehmbar gewesen.

  13. Die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG könne bei Beachtung des Gebots der steuerlichen Neutralität nicht deswegen versagt werden, weil der nationale Gesetzgeber ‑‑nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG‑‑ verlange, dass im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der erbrachten Leistungen den in § 68 Abs. 1 BSHG genannten Personen zugute gekommen sein müssten. Mit § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG habe der nationale Gesetzgeber für die Steuerfreiheit der Leistungen amtlich anerkannter Verbände der freien Wohlfahrtspflege und deren Mitglieder Bedingungen aufgestellt, die von denen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG maßgeblich abwichen. Sie, die Klägerin, sei nach Abschluss der im Streitfall durchgeführten Außenprüfung dem Paritätischen Wohlfahrtsverband beigetreten und habe dadurch ab 2005 die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG erreicht, obwohl sich an den von ihr erbrachten Leistungen der Art nach nichts geändert habe. Für die Jahre 2005 und 2006 habe inzwischen eine weitere Außenprüfung stattgefunden, in der die Steuerfreiheit der Umsätze nach § 4 Nr. 18 UStG geprüft und bestätigt worden sei.

  14. Die streitigen Umsätze seien darüber hinaus auch nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG steuerfrei. Die einschränkende Voraussetzung, nach der bei Altenwohnheimen im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 68 Abs. 1 BSHG genannten Personen zugute gekommen sein müssten, sei vorliegend erfüllt, weil für die Pflegebedürftigkeit nach § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG eine einfache Pflegebedürftigkeit der Betroffenen im Sinne der Pflegestufe 0 ausreiche. Auf eine gesteigerte Hilfsbedürftigkeit im Sinne der Pflegestufen nach § 15 Abs. 1 SGB XI oder der in § 68 Abs. 3 BSHG nachgewiesenen Krankheiten oder Behinderungen komme es nicht an.

  15. Nach Ergehen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. November 2012 C-174/11 ‑‑Zimmermann‑‑ (Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2013, 35, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2013, 84) bringt die Klägerin vor, dass diese Entscheidung ihre Rechtsauffassung bestätige.

  16. Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2001 vom 31. März 2008 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird, hilfsweise die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

  17. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

  18. Es tritt dem Revisionsvorbringen entgegen und führt u.a. aus, soweit die Klägerin sich unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufe, könnten danach nur diejenigen Leistungen von der Umsatzsteuer befreit sein, die eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden seien.

  19. Die Klägerin habe mit der Vermietung von Wohnraum, Bereitstellung von Gemeinschaftseinrichtungen wie Hallenbad oder Bibliothek, Gewährung eines täglichen Mittagessens in einem Restaurant, Pflegeleistungen im Krankheitsfall etc. unterschiedliche Leistungen erbracht. Das FG habe ‑‑von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht‑‑ keine Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. welche der von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen und Lieferungen die Voraussetzungen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG unter Beachtung von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt hätten.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Die Versagung der Steuerbefreiung der streitigen Umsätze verletzt § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG. Die Sache ist nicht spruchreif; es sind weitere Feststellungen zu treffen.

  3. 1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb ... der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime ... eng verbundenen Umsätze, wenn
    a) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden" ‑‑was im Streitfall ausscheidet‑‑ "oder
    ...
    d) ... im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 vom Hundert der Leistungen den in § 68 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes oder den in § 53 Nr. 2 der Abgabenordnung genannten Personen zugute gekommen sind".

  4. a) Gemäß § 68 Abs. 1 BSHG ‑‑nunmehr § 61 Abs. 1 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch‑‑ ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu gewähren (§ 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Hilfe zur Pflege ist auch Kranken und behinderten Menschen zu gewähren, die voraussichtlich für weniger als sechs Monate der Pflege bedürfen oder einen geringeren Hilfebedarf als nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG haben oder die der Hilfe für andere Verrichtungen als nach § 68 Abs. 5 BSHG bedürfen; für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung gilt dies nur, wenn es nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich ist, insbesondere ambulante oder teilstationäre Hilfen nicht zumutbar sind oder nicht ausreichen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG).

  5. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen i.S. des § 68 Abs. 1 BSHG sind gemäß § 68 Abs. 5 BSHG:

    "1    

    im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung,

    2.    

    im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,

    3.    

    im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,

    4.    

    im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen."

  6. b) Die ferner von § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG in Bezug genommene Vorschrift des § 53 Nr. 2 AO nennt in der im Streitjahr geltenden Fassung Personen, deren Bezüge nicht höher sind als das Vierfache des Regelsatzes der Sozialhilfe i.S. des § 22 BSHG; beim Alleinstehenden oder Haushaltsvorstand tritt an die Stelle des Vierfachen das Fünffache des Regelsatzes.

  7. 2. § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG, der mit den Nachfolgebestimmungen in Art. 131 und Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL identisch ist. Danach befreien unbeschadet sonstiger Vorschriften "die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
    ...
    g) die eng mit der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen".

  8. Die Mitgliedstaaten können nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ‑‑nunmehr Art. 133 MwStSystRL‑‑ die Gewährung der u.a. unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer näher bezeichneter Bedingungen abhängig machen.

  9. 3. Die Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG i.V.m. § 68 Abs. 1 BSHG durch das FG hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

  10. a) Das FG hat insoweit ausgeführt, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG seien nicht gegeben, weil unstreitig weniger als 40 % der Bewohner des von der Klägerin betriebenen Seniorenstifts vom Medizinischen Dienst eine Pflegestufe zuerkannt worden sei.

  11. Auch die Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG lägen nicht vor, weil eine Kostenübernahme des Sozialversicherungsträgers für die Pflege dieses Personenkreises, also von Kranken und behinderten Menschen, die für weniger als sechs Monate der Pflege bedürfen oder einen geringeren Hilfebedarf als nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG haben oder die der Hilfe für andere Verrichtungen als nach § 68 Abs. 5 BSHG bedürfen, nicht erfolgt sei. Die Vorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG setze jedoch voraus, dass eine Kostenübernahme des Sozialversicherungsträgers stattgefunden habe.

  12. b) Diese Begründung des FG verletzt § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG.

  13. Die Vorschrift setzt ‑‑anders als etwa § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG‑‑ gerade keine Kostenübernahme des Sozialversicherungsträgers voraus (zutreffend FG Nürnberg, Urteil vom 30. März 2010  2 K 1743/2008, EFG 2011, 391, rkr., unter 3.b), sondern stellt lediglich auf einen bestimmten Personenkreis ab, dem die Leistungen zugute gekommen sein müssen, nämlich Personen, die entweder körperlich hilfsbedürftig sind (§ 68 Abs. 1 BSHG) oder die ‑‑was im Streitfall ausscheidet‑‑ wirtschaftlich hilfsbedürftig sind (§ 53 Nr. 2 AO).

  14. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) betrifft die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG Leistungen, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind. Sie bezweckt die Entlastung der Sozialversicherungsträger als Kostenträger für ihre Versicherten und ‑‑insoweit entsprechend‑‑ aber auch die Entlastung der selbst zahlenden Privatpatienten von der Umsatzsteuer (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 2003 V R 24/00, BFHE 203, 523, BStBl II 2004, 89, unter II.2.a).

  15. Mit diesem (doppelten) Zweck der Vorschrift ist die ausnahmslos auf die Notwendigkeit einer Kostenübernahme durch den Sozialversicherungsträger abstellende Auffassung des FG nicht zu vereinbaren.

  16. 4. Der Senat kann aufgrund der bisher vom FG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG i.V.m. § 68 Abs. 1 BSHG im Streitfall vorliegen.

  17. a) Fraglich ist, ob und in welchem Umfang die Bewohner des Senioren-Wohnstifts der Klägerin körperlich hilfsbedürftig i.S. des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG waren.

  18. aa) Das FG hat insoweit die von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen der Ärzte nicht ausreichen lassen, weil es der Auffassung war, es müsse bei den Bewohnern eine "Pflegebedürftigkeit nach § 15 SGB XI" ‑‑also eine der drei dort genannten Pflegestufen‑‑ vorliegen.

  19. Nach § 15 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftige Personen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen:

  20. "1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

  21. 2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

  22. 3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen."

  23. bb) Diese Auffassung des FG entspricht nicht der Rechtslage, weil weder § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG noch § 68 Abs. 1 BSHG auf § 15 SGB XI verweist.

  24. Es reicht für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG vielmehr eine (einfache) Pflegebedürftigkeit i.S. von § 68 Abs. 1 BSHG bei dem entsprechenden Personenkreis aus; sie kann auch vorliegen, wenn keine Pflegestufe i.S. von § 15 SGB XI nachgewiesen wurde (zutreffend FG Nürnberg, Urteil in EFG 2011, 391, unter 3.d, m.w.N.).

  25. Auch nach den im Streitjahr 2001 geltenden Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) war für die Annahme einer Pflegebedürftigkeit i.S. des § 68 Abs. 1 BSHG das Vorliegen einer Pflegestufe nicht erforderlich (vgl. Abschn. 99 Abs. 3 und 4 UStR 2000).

  26. cc) Der Senat kann als Revisionsgericht die entsprechende Prüfung der Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht selbst vornehmen, weil das FG die ärztlichen Bescheinigungen nicht in Bezug genommen hat (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 37; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 83; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 217 f.) und deren Inhalt nur pauschal wiedergegeben hat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

  27. Das FG hat zwar ausgeführt, "die Mehrheit der Bewohner" müsse "sicherlich infolge ihres Alters und Gesundheitszustandes Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, beispielsweise im Bereich der Körperpflege und bei Einschränkungen der Mobilität (vgl. § 68 Abs. 5 BSHG) in Anspruch nehmen." Das Gericht habe diesen Vortrag der Klägerin als wahr unterstellen können und habe "deswegen von der Einvernahme der im Schriftsatz vom 3. April 2010 angebotenen Zeugen zur Beweiskraft der ärztlichen Bescheinigungen sowie Art und Umfang der indizierten und ausgeführten Pflegeleistungen abgesehen."

  28. Der Senat neigt dazu, diese Wahrunterstellung des FG nicht als Feststellung i.S. von § 118 Abs. 2 FGO anzusehen, aus der sich mit hinreichender Klarheit ergibt, dass bei mindestens 40 % der Bewohner des Senioren-Wohnstifts der Klägerin die Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 BSHG vorgelegen hätten. Jedenfalls besteht auch unabhängig davon im Streitfall aus nachfolgenden Gründen weiterer Feststellungsbedarf.

  29. b) Sollten ‑‑was dem Senat naheliegend erscheint‑‑ die Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG bei den Bewohnern des Senioren-Wohnstifts der Klägerin vorgelegen haben und mindestens 40 % der Leistungen der Klägerin diesem Personenkreis zugute gekommen sein, ist es nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG erforderlich, dass diese Bedingung in dem Kalenderjahr, das dem Streitjahr 2001 vorausging ‑‑also im Jahr 2000‑‑ erfüllt war.

  30. Jedenfalls zu den danach maßgebenden Verhältnissen des Vorjahres (vgl. dazu EuGH-Urteil ‑‑Zimmermann‑‑ in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 38 bis 41) fehlen Feststellungen des FG.

  31. c) Zudem muss das FG prüfen, ob sämtliche der streitigen Leistungen, für die die Klägerin die Steuerbefreiung begehrt, unter § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG fallen.

  32. Die Feststellung des FG hierzu, im Streitfall gehe es um die "Pflegeerlöse einschließlich Verpflegung und diverser Nebenumsätze" ist unklar. Weitere Feststellungen dazu hat das FG nicht getroffen - entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht durch eine wirksame Bezugnahme.

  33. Bei der vorzunehmenden Prüfung ist davon auszugehen, dass "eng verbunden" i.S. des Eingangssatzes zu § 4 Nr. 16 UStG jede Leistung ist, die für die Pflege und Versorgung dieses Personenkreises unerlässlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 2008 XI R 61/07, BFHE 222, 134, BStBl II 2009, 68, unter II.1.b, m.w.N.).

  34. Dabei ist vom FG ggf. zu prüfen, ob die streitigen Leistungen der Klägerin an die Bewohner des Senioren-Wohnstifts umsatzsteuerrechtlich als eine einheitliche Leistung zu qualifizieren sind (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 20. August 2009 V R 21/08, BFH/NV 2010, 473, unter II.1.a; vom 8. Juni 2011 XI R 22/09, BFHE 234, 448, Rz 29 ff.).

  35. 5. Soweit danach die streitigen Umsätze nicht schon nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG i.V.m. § 68 Abs. 1 BSHG steuerfrei sind, wird das FG unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils ‑‑Zimmermann‑‑ (UR 2013, 35, HFR 2013, 84) prüfen müssen, ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG eine Steuerfreiheit rechtfertigt.

  36. a) Ein Steuerpflichtiger kann sich auf die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung vor einem nationalen Gericht berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist (vgl. EuGH-Urteil ‑‑Zimmermann‑‑ in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 32, m.w.N.).

  37. Ficht ein Steuerpflichtiger ‑‑wie hier die Klägerin‑‑ die Nichtanerkennung der Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG an, haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen in diesem Artikel eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, einschließlich insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt (vgl. EuGH-Urteil ‑‑Zimmermann‑‑ in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 33, m.w.N.).

  38. b) Wie der EuGH in der Rechtssache ‑‑Zimmermann‑‑ (UR 2013, 35, HFR 2013, 84) zu einem ambulanten Pflegedienst bezogen auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG entschieden hat, "darf die nationale Regelung im Rahmen der Umsetzung der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen" (Rz 58). Folglich stehe Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG, lege man ihn im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität aus, einer Grenze wie der Zwei-Drittel-Grenze (in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG) entgegen, "soweit sie im Zusammenhang mit Leistungen, die im Wesentlichen identisch sind, im Hinblick auf die Anerkennung des 'sozialen Charakters' im Sinne dieser Vorschrift auf bestimmte unter das Privatrecht fallende Steuerpflichtige angewandt wird, auf andere aber nicht" (Rz 59).

  39. c) Ob dies im Streitjahr 2001 auch auf die Steuerbefreiung für Altenwohnheime in § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG zutraf, weil von der Finanzverwaltung bei gleichen Leistungen unterschiedliche Anerkennungsvoraussetzungen angewendet wurden, muss das FG prüfen - entsprechende Feststellungen sind im Streitfall noch nicht getroffen worden.

  40. Für die Praktizierung unterschiedlicher Anerkennungsvoraussetzungen spricht, dass die Klägerin ‑‑wie sie unwidersprochen vorbringt‑‑ nachdem sie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband beigetreten war, ab 2005 die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 18 UStG erreicht hat, obwohl sich an den von ihr erbrachten Leistungen der Art nach nichts geändert habe.

  41. d) Das FG muss ferner ggf. prüfen, ob die streitigen Leistungen (ganz oder zum Teil) "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen [oder] Lieferungen von Gegenständen" sind (vgl. dazu EuGH-Urteil ‑‑Zimmermann‑‑ in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 22 bis 24, m.w.N.; Senatsurteil vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08, BFHE 232, 232, m.w.N.).

  42. e) Soweit die Klägerin eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen oder Lieferungen von Gegenständen erbracht hat, wird das FG im zweiten Rechtsgang auch Feststellungen zur Anerkennung der Klägerin als soziale Einrichtung i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG treffen müssen - falls entsprechend den vorstehenden Darlegungen die in § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG aufgestellten Anerkennungsvoraussetzungen wegen Verstoßes gegen den Neutralitätsgrundsatz nicht anwendbar sein sollten.

  43. Nach der EuGH-Rechtsprechung sind hierbei mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können zählen (vgl. EuGH-Urteil   Zimmermann   in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 31, m.w.N.)

    -       

    das Bestehen spezifischer Vorschriften   seien es nationale oder regionale, Rechts  oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit  ,

    -       

    das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,

    -       

    die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und

    -       

    der Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.

  44. f) Schließlich hat das FG im zweiten Rechtsgang die Anforderungen von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG zu berücksichtigen (vgl. EuGH-Urteil   Zimmermann   in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 60 bis 62).

  45. Danach ist die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn

    -       

    die betreffenden Lieferungen oder Dienstleistungen zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten nicht unerlässlich sind (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG) oder

    -       

    sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG).

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