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Urteil vom 04. Dezember 2012, VIII R 42/09

Anscheinsbeweis und 1 %-Regelung - Klagebefugnis einer aufgelösten GbR

BFH VIII. Senat

EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 2, FGO § 48 Abs 2, FGO § 58 Abs 2

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 05. May 2009, Az: 2 K 442/02

Leitsätze

Der Beweis des ersten Anscheins, der für eine private Nutzung betrieblicher PKW spricht, ist entkräftet, wenn für private Fahrten andere Fahrzeuge zur Verfügung stehen, die dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar sind .

Tatbestand

I.

  1. Die Revisionsbeklagten, A und B, sind die ehemaligen Gesellschafter der AB GbR (GbR). A und B hatten sich zur GbR zusammengeschlossen, um im Rahmen dieser Gesellschaft ihre Anwaltstätigkeit auszuüben. Die Gesellschaft ermittelte ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Seit 2006 ist die Gesellschaft aufgelöst.

  2. Im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die GbR sowie der Umsatzsteuerfestsetzung 1999 streiten die Beteiligten über die Frage, ob für einen auf B. zugelassenen PKW Porsche 911 im Streitjahr ein privater Nutzungsanteil zu berücksichtigen ist.

  3. Mit Bescheid vom 16. August 2001 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den von der Gesellschaft im Streitjahr erzielten Gewinn auf 236.286 DM fest. Darin enthalten war u.a. ein privater Nutzungsanteil für den PKW Porsche 911 in Höhe von 21.166 DM. Das FA ging bei der Veranlagung davon aus, dass die Zulassung des zum Betriebsvermögen der Gesellschaft gehörenden PKW Porsche 911 auf B während des gesamten Kalenderjahres bestanden habe. Entsprechend verfuhr das FA bei der Festsetzung der Umsatzsteuer.

  4. Während des nach erfolglosem Einspruch eingeleiteten Klageverfahrens stellte sich heraus, dass der PKW Porsche 911 im Streitjahr nur in der Zeit vom 22. April bis zum 4. November 1999 auf B zugelassen war. Daneben war auf den Revisionsbeklagten zu 2. während des gesamten Streitjahres ein in seinem Privatvermögen befindlicher Porsche 928 S4 zugelassen; nämliches gilt für den Zeitraum 22. Juli bis 31. Dezember 1999 für einen im Privatvermögen gehaltenen Volvo V70 T5. Die fünf zum Haushalt des B und seiner Ehefrau gehörenden Kinder waren im Streitjahr minderjährig.

  5. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 2011 veröffentlichten Urteil insoweit statt, als das FA für den Zeitraum 1. Januar bis zum 21. April 1999 sowie für die Zeit vom 22. Juli bis zum 31. Dezember 1999 einen privaten Nutzungsanteil angesetzt hatte; im Übrigen wies es die Klage ab.

  6. Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Nach seiner Auffassung wird der Anscheinsbeweis für die private Nutzung des im Betriebsvermögen der GbR befindlichen PKW Porsche 911 durch das Vorhandensein anderer gleichwertiger privater PKW nicht widerlegt. Zu Bedenken sei, dass es sich um Luxusautos der Marke Porsche handle und beim Halten derartiger Luxusgüter wirtschaftliche Gründe nur eine untergeordnete Rolle spielten. Bei Luxusgütern sei die Anschaffung in der Regel stets unwirtschaftlich; wer Luxusautos fahre, mache das aus Neigung. Ob das Halten eines vergleichbaren privaten PKW bei möglicher privater Nutzung des betrieblichen PKW sinnlos sei, spiele deshalb keine Rolle.

  7. Das FA beantragt,
    das Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 6. Mai 2009  2 K 442/02 aufzuheben und die angefochtenen Bescheide dahin zu ändern, dass eine private Nutzung des PKW Porsche 911 nach der 1 %-Regel für das gesamte Streitjahr zugrunde gelegt wird.

  8. Der Revisionsbeklagte A beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Die Klage ist ursprünglich von der AB GbR erhoben worden, nur diese war gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO zur Klage befugt (zur Beteiligtenfähigkeit der GbR vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18. Mai 2004 IX R 83/00, BFHE 206, 162, BStBl II 2004, 898). Während des Revisionsverfahrens hat sich jedoch herausgestellt, dass die GbR nicht mehr existiert und bereits seit dem Jahr 2006 aufgelöst ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die GbR vollbeendigt ist. Damit verliert sie sowohl ihre Beteiligtenfähigkeit als auch ihre Prozessfähigkeit (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. März 2001 VIII B 11/01, BFH/NV 2001, 1280; vom 16. Januar 1996 VIII B 128/95, BFHE 179, 239, BStBl II 1996, 426). Die Klagebefugnis gegenüber Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen steht damit wieder den i.S. von § 48 Abs. 2 FGO betroffenen Gesellschaftern zu, d.h. den Revisionsbeklagten als ehemaligen Gesellschaftern der AB GbR (Senatsurteile vom 6. März 1990 VIII R 28/84, BFHE 160, 140, BStBl II 1990, 558; vom 28. März 2000 VIII R 6/99, BFH/NV 2000, 1074; vom 23. Februar 2000 VIII R 66/98, BFH/NV 2000, 977; vom 25. April 2006 VIII R 52/04, BFHE 214, 40, BStBl II 2006, 847; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 48 FGO Rz 101, m.w.N.).

  3. Das gilt indes nur für Verfahren betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Im Übrigen besteht eine Personengesellschaft auch bei deren Auflösung so lange fort, bis alle das Gesellschaftsverhältnis betreffenden Ansprüche und Verpflichtungen, zu denen auch die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§§ 33, 37 der Abgabenordnung) zwischen der Gesellschaft und der Finanzbehörde gehören, abgewickelt sind (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 9. Dezember 1987 V B 61/85, BFH/NV 1988, 576; BFH-Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540; FG München, Urteil vom 24. Februar 2011  14 K 1715/08, juris; Steinhauff in HHSp, § 48 FGO Rz 108; Spindler in HHSp, § 57 FGO Rz 37). Dazu gehört auch die hier strittige Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 1999. Insoweit gilt die AB GbR trotz ihrer Auflösung als fortbestehend.

  4. 2. Das FG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, B habe den Beweis des ersten Anscheins, der für eine private Nutzung des betrieblichen PKW Porsche 911 spreche, entkräftet. Zum einen sei der Porsche 911 nicht während des gesamten Kalenderjahres auf B zugelassen gewesen, sondern nur für den Zeitraum 22. April bis 4. November 1999; die Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 21. April 1999 sowie vom 5. November 1999 bis zum 31. Dezember 1999 scheide damit für jegliche private Nutzung aus. Auch hätten B jedenfalls für den Zeitraum 22. Juli bis 4. November 1999 gleichwertige Fahrzeuge zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden. Der im Privatvermögen befindliche und auf den B zugelassene PKW Porsche 928 S4 sei dem betrieblich genutzten Porsche 911 in etwa geleichwertig. Da die Ehefrau des B in der zweiten Jahreshälfte 1999 über einen im Privatvermögen befindlichen PKW Volvo V70 T5 verfügen konnte, sei der Beweis des ersten Anscheins, der für eine private Nutzung des betrieblichen Kfz spreche, auch für den Zeitraum 22. Juli bis 4. November 1999 erschüttert.

  5. 3. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

  6. a) Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Diese Bewertungsregel kommt nicht zum Tragen, wenn eine private Nutzung nicht stattgefunden hat (Senatsurteil vom 19. Mai 2009 VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, m.w.N.). Das FG muss sich deshalb grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anwenden will (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2006 VI B 20/06, BFH/NV 2007, 716).

  7. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Mai 1999 VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330). Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 VI R 34/07, BFHE 224, 108, BStBl II 2009, 381). Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das FG aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat (Senatsurteil in BFH/NV 2009, 1974).

  8. Der Beweis des ersten Anscheins kann durch den sog. Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Die Revisionsbeklagten müssen also nicht beweisen, dass eine private Nutzung des Porsche 911 nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, m.w.N.). Der Anscheinsbeweis wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn lediglich behauptet wird, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2011 VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573, m.w.N.). Auch ein eingeschränktes privates Nutzungsverbot vermag den Anscheinsbeweis regelmäßig nicht zu entkräften.

  9. Über die Frage, ob der für eine Privatnutzung sprechende Beweis des ersten Anscheins erschüttert ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei hat es nicht nur den von den Revisionsbeklagten vorgebrachten Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Unter Umständen muss das FG auch zusätzliche, für die Privatnutzung sprechende Umstände aufklären und berücksichtigen. An die Würdigung des FG ist der BFH revisionsrechtlich gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungsgrundsätzen beeinflusst ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2009, 1974; Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2012, 573; vom 22. Februar 2012 VIII B 66/11, BFH/NV 2012, 988; vom 18. Oktober 2007 VIII B 212/06, BFH/NV 2008, 210).

  10. b) Im Streitfall hat das FG seiner Entscheidung die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung zugrunde gelegt und nach gründlicher Abwägung der Umstände des Streitfalls den Schluss gezogen, der Anscheinsbeweis für eine Privatnutzung des PKW Porsche 911 sei für den hier in Frage stehenden Zeitraum 1. Januar bis zum 21. April 1999 sowie für die Zeit vom 22. Juli bis zum 31. Dezember 1999 erschüttert. An diese Würdigung ist der Senat gebunden, denn sie ist verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und weder durch Denkfehler noch durch die Verletzung von Erfahrungsgrundsätzen beeinflusst.

  11. aa) Angesichts der Tatsache, dass hinsichtlich des Fahrzeugs Porsche 911 ein an B gerichteter Bescheid über Kraftfahrzeugsteuer vom 26. November 1999 existiert, aus dem eine Steuerfestsetzung nur für den Zeitraum 22. April bis 4. November 1999 ersichtlich ist, hat das FG zu Recht gefolgert, dass dieser PKW nur während des genannten Zeitraums auf B zugelassen war. Eine etwaige private Nutzung kam ‑‑wie vom FG zutreffend erkannt‑‑ damit nur während dieses Zeitraums in Betracht, nicht aber während des gesamten Kalenderjahres.

  12. Was den verbleibenden Zeitraum 22. April bis 4. November 1999 betrifft, so ist davon auszugehen, dass B jedenfalls ab dem 22. Juli 1999 vergleichbare Fahrzeuge zur Verfügung standen. Das gilt zunächst für den im Privatvermögen des B befindlichen und im gesamten Streitjahr auf diesen zugelassenen Porsche 928 S4, ein Fahrzeug, welches mit einer Motorleistung von unstreitig 235 kW, einem Hubraum von 4 898 ccm und einer Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h dem im Betriebsvermögen befindlichen Porsche 911 sowohl in Ausstattung, Fahrleistung und unter Prestigegesichtspunkten in etwa vergleichbar war. Die Folgerung des FG, bei Gleichwertigkeit beider Fahrzeuge sei keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für Privatfahrten das dienstliche bzw. betriebliche Fahrzeug zu nutzen, ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zur Erschütterung des Anscheinsbeweises bei Gleichwertigkeit von Dienst- und Privatfahrzeug Senatsurteil in BFH/NV 2009, 1974).

  13. bb) Gegen eine private Nutzung des Porsche 911 nach dem 21. Juli 1999 sprechen auch die familiären Verhältnisse des B und der Umstand, dass auf ihn ab Juli 1999 bis zum 31. Dezember des Jahres noch ein Kombi Volvo V70 T5 zugelassen war, ein ebenfalls relativ stark motorisiertes und gut ausgestattetes Fahrzeug. Zwar hatte theoretisch auch die Ehefrau des B die Möglichkeit, für private Fahrten den Porsche 911 neben dem auf ihren Ehemann zugelassenen Porsche 928 S4 bzw. den Volvo V70 T5 zu nutzen. Zu berücksichtigen ist indes, dass B mit seiner Ehefrau fünf minderjährige Kinder hatte, die im Streitjahr elf bis vier Jahre alt waren. Nach allgemeiner Lebenserfahrung müssen Eltern kleinerer Kinder des Öfteren Transportaufgaben oder größere Einkäufe erledigen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass für derartige Aufgaben eher ein Auto mit größerem Platzangebot und großem Kofferraum, wie zum Beispiel ein Kombi Volvo V70 T5, gewählt wird als ein Sportwagen.

  14. cc) Angesichts der beiden privat zur Verfügung stehenden Fahrzeuge Porsche 928 S4 und Volvo V70 T5 ist der Anscheinsbeweis für die private Nutzung des Porsche 911 erschüttert. Es wäre daher Aufgabe des FA gewesen, die private Nutzung des PKW Porsche 911 durch B im fraglichen Zeitraum zu beweisen. Diesen Beweis hat das FA nicht erbracht.

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