BFH X. Senat
HGB § 240 Abs 3, EStG § 5 Abs 1 S 1, FGO § 76 Abs 2, FGO § 77 Abs 1 S 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 27. November 2011, Az: 3 K 461/10
Leitsätze
1. NV: Die Möglichkeit, in der Bilanz für bestimmte Wirtschaftsgüter Festwerte zu bilden und von einer jährlichen körperlichen Bestandsaufnahme abzusehen, gilt gemäß § 240 Abs. 3 HGB lediglich für Sachanlagevermögen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, nicht aber für Vorratsvermögen, das zum Verkauf bestimmt ist. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts bedarf es zu dieser Frage keiner Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
2. NV: Rügt der Kläger, das FG habe seinen ‑‑in den Akten nicht enthaltenen‑‑ "Beweisantrag" übergangen, Einsicht in Kalkulationstabellen zu nehmen, die in Dateiform auf den Notebook seines Prozessbevollmächtigten gespeichert seien, muss er auch vortragen, um welches Beweismittel nach §§ 371 ff. ZPO es sich bei derartigen Dateien handeln könnte und weshalb die Tabellen entgegen § 77 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht ausgedruckt und zum Gegenstand eines Schriftsatzes gemacht worden sind.
3. NV: Das FG verletzt die ihm obliegende Hinweispflicht nicht, wenn der Kläger erstmals in einem Schriftsatz, den er dem FG am Freitag-Abend nach Dienstschluss der Poststelle übermittelt, um einen Hinweis zu einer bestimmten Verfahrensfrage bittet und das FG bis zum Beginn der auf den nachfolgenden Montag Vormittag terminierten mündlichen Verhandlung keinen Hinweis erteilt.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betreibt ein Einzelunternehmen (Fuhrunternehmen und Handel mit Schüttgütern). Er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Hinsichtlich der Schüttgüter, die auf dem Hof seines Betriebsgrundstücks lagerten, führte er keine Inventur durch, sondern setzte im Jahresabschluss zum 31. Dezember des Streitjahres 2005 einen von ihm geschätzten Wert an.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erhöhte diesen Betrag im angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheid 2005, der im Anschluss an eine Außenprüfung erging, um 5.000 €. Nachdem der Kläger bereits seinen Einspruch nicht begründet hatte, setzte im anschließenden Klageverfahren der beim Finanzgericht (FG) zuständige Berichterstatter dem Kläger am 22. September 2011 eine bis zum 18. November 2011 laufende Frist nach § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), "hinsichtlich der in den Streitjahren rechnerisch im Betrieb des Klägers vorhandenen Schüttstoffe (vgl. meine Aufstellung) die Bestandszahlen zu erklären und ggf. weitere Nachweise dazu vorzulegen". Der Berichterstatter fügte eine von ihm aus Angaben des FA entwickelte Aufstellung über die geschätzten Jahresendbestände an Schüttgütern bei.
Am 16. November 2011 wies der Kläger darauf hin, dass in der Aufstellung des FG Fehler bei der Umrechnung von Tonnen in Kubikmeter enthalten seien. Ferner behauptete er, durchschnittlich höchstens 240 t an Schüttgütern vorzuhalten, deren Wert weit geringer als 5.000 € sei. Auch habe er im Jahr 2007 ‑‑zeitlich nach dem Streitjahr‑‑ aufgrund eines Hochwasserschadens Schüttgüter zur Wiederherstellung seines eigenen Betriebsgeländes einsetzen müssen. In einem weiteren, am 21. November 2011 beim FG eingegangenen Schriftsatz kündigte der Kläger an, spätestens in der mündlichen Verhandlung die Ergebnisse einer Verprobung seiner Warenein- und -ausgangsrechnungen vorzulegen.
Die mündliche Verhandlung war auf Montag, den 28. November 2011, 10:00 Uhr terminiert. Am Freitag, den 25. November 2011 um 17:58 Uhr übermittelte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem FG per Telefax einen Schriftsatz, in dem er das FG um einen telefonischen Hinweis bat, falls er die Kalkulation in Papierform und nicht lediglich elektronisch vorlegen solle.
In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger die Erhebung eines Sachverständigenbeweises zu der sich aus den Buchführungsunterlagen ergebenden Menge des Ein- und Verkaufs an Schüttgütern sowie zu der Möglichkeit, Schüttgüter im Gesamtwert von 11.000 € auf seinem Betriebsgelände zu lagern.
Das FG wies die Klage ab. Es vertrat die Auffassung, das FA sei dem Grunde nach wegen der fehlenden Inventur zur Schätzung des Wertes der Schüttgüter berechtigt gewesen. Der Höhe nach bewege sich der geschätzte Betrag noch innerhalb des Schätzungsrahmens. Den Beweisanträgen sei nicht nachzugehen. So lasse eine auf die Angaben in der Buchführung beschränkte Beweiserhebung keinen sicheren Rückschluss auf Menge und Wert des tatsächlich vorhandenen Warenbestands zu. Dies gelte insbesondere angesichts der Behauptung des Klägers, er habe Teile der Schüttgüter unentgeltlich erhalten, so dass die von ihm verkauften Mengen größer gewesen seien als die ‑‑allein aus der Buchführung ersichtlichen‑‑ eingekauften Mengen. Hinsichtlich der Frage der Lagerkapazität wäre es vor einer Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten zunächst Aufgabe des Klägers gewesen, selbst die maßgebenden tatsächlichen Umstände darzustellen. Die Verletzung seiner Mitwirkungspflicht könne nicht durch einen Sachverständigenbeweis übergangen werden. Hinzu komme, dass die beantragte Beweiserhebung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und daher nach § 79b Abs. 3 FGO unterbleiben dürfe.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) entsprechenden Weise dargelegt.
1. Die vom Kläger sinngemäß erhobenen Verfahrensrügen ‑‑ausdrücklich benennt er keine Vorschriften des Verfahrensrechts, die verletzt sein könnten‑‑ sind unschlüssig.
a) Soweit der Kläger behauptet, er habe in der mündlichen Verhandlung weitere Beweisanträge gestellt, die das FG übergangen habe, steht dies in Widerspruch zum Sitzungsprotokoll, dessen Berichtigung das FG trotz eines entsprechenden Antrags des Klägers abgelehnt hat. Im Sitzungsprotokoll sind lediglich zwei Anträge auf Erhebung eines Sachverständigenbeweises verzeichnet. In Bezug auf diese Anträge hat das FG im Urteil ausdrücklich begründet, weshalb es eine Beweiserhebung nicht für erforderlich hält. Hiergegen wendet sich die Beschwerde nicht.
Hinsichtlich des behaupteten "Beweisantrags", Einsicht in Kalkulationstabellen zu nehmen, die in Dateiform auf dem Notebook des Prozessbevollmächtigten des Klägers gespeichert seien, fehlt es zudem bereits an der Angabe, um welches Beweismittel nach § 82 FGO i.V.m. den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) es sich dabei handeln könnte. §§ 371 ff. ZPO sehen den Augenscheins-, Zeugen-, Sachverständigen- und Urkundenbeweis sowie den Beweis durch Parteivernehmung vor. Eine Einordnung seiner Datei in eine dieser Kategorien hat der Kläger nicht vorgenommen.
Der Kläger erklärt auch nicht schlüssig, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, die Kalkulationen auszudrucken und zum Gegenstand eines Schriftsatzes (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu machen. Seine Behauptung, die Kalkulationen seien "umfangreich" gewesen, hat er nicht näher ‑‑beispielsweise durch Angabe des Seitenumfangs‑‑ substantiiert. Angesichts der Überschaubarkeit des Sachverhalts und der eigenen Behauptung des Klägers, sein Betriebsgelände sei sehr klein gewesen, ist kaum vorstellbar, dass die Vorlage der Kalkulationen zu einem deutlichen Überschreiten dessen geführt hätte, was in einem durchschnittlichen finanzgerichtlichen Verfahren an Aktenumfang üblich ist. Der Berichterstatter des FG hat für seine eigene Kalkulation lediglich ein einziges Blatt benötigt.
Auf eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht kann der Kläger sich in diesem Zusammenhang nicht berufen. Er konnte nicht ernsthaft damit rechnen, dass das Gericht ihm noch vor Beginn der auf einen Montag Vormittag terminierten mündlichen Verhandlung einen Hinweis auf den erforderlichen Papierausdruck erteilen würde, wenn er erstmals in einem am vorangehenden Freitag um 17:58 Uhr übermittelten Schriftsatz die Mitnahme eines Notebooks zur mündlichen Verhandlung ankündigt. Im Übrigen ergibt sich die Notwendigkeit, Schriftsätze samt Abschriften für den Prozessgegner vorzulegen, bereits aus § 77 FGO. Diese Vorschrift musste zumindest dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein, so dass ein nochmaliger gerichtlicher Hinweis ‑‑jedenfalls so kurz vor der mündlichen Verhandlung‑‑ entbehrlich war.
b) Soweit der Kläger behauptet, zur mündlichen Verhandlung sämtliche Belegunterlagen sowie einen "Mitarbeiter" als präsente Beweismittel gestellt zu haben, fehlt es ausweislich des Sitzungsprotokolls ebenfalls an entsprechenden Beweisanträgen.
Eine schlüssige Verfahrensrüge hätte zudem vorausgesetzt, dass der Kläger angegeben hätte, was das voraussichtliche Ergebnis der vom FG angeblich unterlassenen Beweisaufnahme gewesen wäre (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 14. Februar 2006 II B 30/05, BFH/NV 2006, 1056, unter II.2.f, m.w.N.). Daran fehlt es.
c) Unverständlich bleibt die Behauptung des Klägers, es sei "ebenso nicht korrekt", "dass für das Streitjahr 2005 unstreitig keine Bestandsaufnahmen für Schüttgüter vorgenommen wurden". Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens eine Inventurliste der am 31. Dezember 2005 vorhandenen Schüttgüter vorgelegt oder auch nur behauptet, über eine solche Inventurliste zu verfügen. Im Gegenteil hat er im Schriftsatz vom 16. November 2011 ausdrücklich erklärt: "Die Schüttgüter sind in Menge und Gegenwert für den Betrieb von untergeordneter Bedeutung, weshalb bisher Bestandsaufnahmen nicht gefertigt wurden." Weshalb das FG angesichts dieser eigenen Erklärung des Klägers nicht davon ausgehen durfte, dass keine Inventur stattgefunden hatte, hätte der Kläger zur Erhebung einer schlüssigen Verfahrensrüge näher darlegen müssen.
2. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen sei.
Der Kläger behauptet insoweit ‑‑ohne nähere Erläuterungen‑‑, es sei "in der h.M. anerkannt", dass für Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens, die von untergeordneter Bedeutung seien, gemäß § 240 Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB) eine jährliche Bestandsaufnahme unterbleiben könne. "Nach eindeutigen Feststellungen des Gerichts" sei die Menge der lagerfähigen Schüttgüter mit 240 t von untergeordneter Bedeutung.
Keine dieser Behauptungen trifft zu. Das FG hat zur Menge der Schüttgüter gerade keine Feststellung treffen können, weil der Kläger nicht an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt hat. Die Angabe einer Kapazität von 240 t entspricht vielmehr der eigenen ‑‑nicht näher substantiierten‑‑ Behauptung des Klägers.
Auch gilt die Vorschrift des § 240 Abs. 3 HGB nach ihrem klaren Wortlaut lediglich für Sachanlagevermögen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, nicht aber für Vorratsvermögen, das ‑‑wie die Schüttgüter des Klägers‑‑ zum Verkauf bestimmt ist (vgl. hierzu Schmidt/Kulosa, EStG, 31. Aufl., § 6 Rz 614). Im Übrigen würde die genannte Vorschrift selbst dann, wenn ihr sachlicher Anwendungsbereich eröffnet wäre, nicht etwa zum vollständigen Unterlassen der Inventur berechtigen; vielmehr wäre in der Regel alle drei Jahre eine körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen (§ 240 Abs. 3 Satz 2 HGB).
3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.