BFH IX. Senat
GG Art 103 Abs 1, AO § 173, AO § 179 Abs 3, EStG § 22 Nr 2, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 34 Abs 3, EStG § 34 Abs 2 Nr 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 02. April 2012, Az: 5 K 5306/09
Leitsätze
NV: Ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann aus der ausschließlich auf Veräußerungsgewinne i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG beschränkten Tarifermäßigung des § 34 Abs. 3 EStG für seine Besteuerung keine verfassungsrechtlichen Zweifel aus Art. 3 Abs. 1 GG herleiten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Das Finanzgericht (FG) hat nicht verfahrensfehlerhaft entschieden.
a) Indem die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zunächst eingehend darlegen, dass nach ihrer Auffassung keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gegeben ist, machen sie keinen Verfahrensfehler, sondern im Kern geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einer (vermeintlich) unzutreffenden Tatsachenwürdigung und fehlerhaften Rechtsanwendung; damit kann jedoch die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln nicht erreicht werden (vgl. die ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. Februar 2012 IX B 126/11, BFH/NV 2012, 741, m.w.N.).
b) Die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) liegt nicht vor. So hat das FG den Streitstoff, z.B. das Notarschreiben, ersichtlich zur Kenntnis genommen, daraus aber andere Schlüsse in Bezug auf das nachträgliche Bekanntwerden des Veräußerungsgewinns gezogen (s. zu a). So verhält es sich auch mit den von den Klägern genannten Beweisanzeichen, von denen sie meinen, das FG hätte sie anders würdigen müssen (s. zur Indizienwürdigung auch BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 IX R 46/08, BFHE 225, 112, BStBl II 2011, 24, m.w.N.; zur Abgrenzung BFH-Beschluss vom 19. Mai 2011 IX B 40/11, BFH/NV 2011, 1388).
Das FG hat nicht für die Kläger überraschend entschieden. Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör liegt nur vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 18. Juli 2011 IX B 39/11, BFH/NV 2011, 1917). Dies ist aber selbst nach dem eigenen Vortrag der Kläger nicht der Fall; hat der Vorsitzende doch in der mündlichen Verhandlung die Problematik des § 173 AO ausdrücklich angesprochen.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Kläger legen ‑‑was die Problematik des § 173 AO anbelangt‑‑ keine Rechtsfrage von allgemeinem Interesse dar, die im Streitfall klärbar und klärungsbedürftig wäre.
Die herausgehobene Frage nach der Anwendbarkeit von § 34 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) ist nicht grundsätzlich bedeutsam, weil sie offenbar so zu beantworten ist, wie es das FG mit Bezug auf den Wortlaut des Gesetzes getan hat. Die Kläger können aus der ausschließlich auf Veräußerungsgewinne i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG beschränkten Tarifermäßigung des § 34 Abs. 3 EStG für ihre Besteuerung keine verfassungsrechtlichen Zweifel aus Art. 3 Abs. 1 GG herleiten. Will der Gesetzgeber mit der Sozialzwecknorm insbesondere die mittelständische Wirtschaft steuerlich entlasten (vgl. BTDrucks 14/4217, unter I. Allgemeiner Teil), so ist die Situation der Kläger mit ihren im Privatvermögen erzielten Wertsteigerungen damit nicht vergleichbar (eingehend zum Zweck des Gesetzes und zum Verhältnis der dort begünstigten Veräußerungsgewinne BFH-Urteil vom 20. Oktober 2010 IX R 56/09, BFHE 231, 173, BStBl II 2011, 409).
3. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Eine Entscheidung des BFH ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Zur Fortbildung des Rechts gilt das zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache Ausgeführte (s. zu 2.).
Die Vorentscheidung weicht nicht von Entscheidungen des BFH ab. Insofern folgt der Senat den zutreffenden Ausführungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) in seiner Beschwerdeerwiderung, auf die er, um Wiederholungen zu vermeiden, verweist. Insbesondere divergiert die Vorentscheidung nicht mit dem BFH-Urteil vom 3. März 2011 IV R 8/08 (BFH/NV 2011, 1649). Wenn dort die Feststellung eines Veräußerungsgewinns mittels eines Ergänzungsbescheids nach § 179 Abs. 3 AO abgelehnt wird, wenn der Feststellungsbescheid im Rahmen einer Mitunternehmerschaft zugleich die negative Feststellung enthält, dass nicht noch zusätzlich ein Veräußerungsgewinn entstanden ist, so geht es im Streitfall nicht um die Nachholung einer Feststellung, sondern darum, ob der Feststellungsbescheid selbst nach § 173 AO durch die Feststellung eines Veräußerungsgewinns geändert werden kann.
Das angefochtene Urteil leidet auch nicht an gravierenden Rechtsfehlern, so dass aus diesem Grunde eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten wäre. Die von den Klägern insbesondere in Nr. 7 der Beschwerdebegründung hervorgehobenen Beanstandungen vermögen derartige Rechtsfehler nicht zu begründen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Kläger im hier streitigen Feststellungsverfahren einen Veräußerungsgewinn oder –verlust nicht erklärt haben. Selbst wenn Umstände in den Anlagen zur Feststellungserklärung auf eine Veräußerung hindeuten, besagt das nichts über die allein bedeutsame ‑‑und erst nachträglich bekannt gewordene‑‑ Tatsache der im Streitjahr erzielten Einnahmen aus dem Veräußerungsgeschäft. Auch wenn eine andere Entscheidung und Würdigung der Tatsachen möglich gewesen wäre, ist die angefochtene Entscheidung nicht "greifbar gesetzwidrig" und mithin nicht in einem solchen Maße fehlerhaft, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (vgl. zu den Voraussetzungen BFH-Beschluss vom 12. Mai 2011 IX B 121/10, BFH/NV 2011, 1391).