BFH I. Senat
EStG § 7g Abs 3 S 1, EStG § 7g Abs 3 S 2, HGB § 249 Abs 1 S 1, FGO § 69 Abs 2
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 26. March 2012, Az: 3 V 278/12
Leitsätze
NV: Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass im Rahmen der Neuberechnung der Steuer bei Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags die Gewerbesteuerrückstellung nicht nachträglich zu erhöhen ist.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten in Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) über die Höhe der Gewerbesteuerrückstellung im Jahr der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags nach § 7g Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) ‑‑EStG 2002 n.F.‑‑. Streitjahr ist 2007.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, brachte bei der Berechnung des im Streitjahr zu versteuernden Einkommens Investitionsabzugsbeträge nach § 7g Abs. 1 EStG 2002 n.F. für die Anschaffung eines Kalibrators und eines PKW in Abzug. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ entsprechende Bescheide über die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr, die bestandskräftig geworden sind.
Nachdem die Antragstellerin innerhalb des dreijährigen Investitionszeitraums keinen Kalibrator angeschafft hatte, machte das FA den Abzug des diesbezüglichen Investitionsabzugsbetrags von 20.000 € gemäß § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 n.F. rückgängig und setzte mit Änderungsbescheiden vom Oktober 2011 die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr entsprechend herauf. Eine gegenläufige Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung nahm es dabei nicht vor. Die Antragstellerin ist demgegenüber der Auffassung, die Gewerbesteuerrückstellung sei im Zuge der Änderung zu erhöhen und erhob Einsprüche gegen die Änderungsbescheide, über die das FA noch nicht entschieden hat. Außerdem beantragte sie beim FA, die Vollziehung der Bescheide teilweise auszusetzen. Die Anträge blieben ohne Erfolg. Die nachfolgend beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, gestellten AdV-Anträge wurden vom FG mit Beschlüssen vom 27. März 2012 3 V 278/12 (Gewerbesteuermessbetrag) und 3 V 279/12 (Körperschaftsteuer) als unbegründet abgelehnt.
Hiergegen richten sich die ‑‑vom FG zugelassenen‑‑ Beschwerden der Antragstellerin.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß), die FG-Beschlüsse aufzuheben und die Vollziehung des Änderungsbescheids über den Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 145 € und des Änderungsbescheids über die Körperschaftsteuer in Höhe von 727 € auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Beschwerden sind unbegründet. Das FG hat die AdV-Anträge zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll ‑‑u.a. und soweit hier einschlägig‑‑ erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind u.a. dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 30. März 2011 I B 136/10, BFHE 232, 395, BFH/NV 2011, 1042). Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen; ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826; Senatsbeschluss vom 16. Juni 2011 I B 28/11, juris).
2. Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen im Streitfall nicht. Der Senat hält nach summarischer Prüfung die diesen zugrunde liegende Auffassung des FA, wonach es im Zuge der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags für den nicht angeschafften Kalibrator nach Maßgabe von § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. nicht zu einer gegenläufigen Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung gekommen ist, für zutreffend.
a) Steuerpflichtige können gemäß § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bis zu 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abziehen (Investitionsabzugsbetrag). Im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsguts ist der für dieses Wirtschaftsgut in Anspruch genommene Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend hinzuzurechnen (§ 7g Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.). § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. sieht vor, dass der Abzug nach Absatz 1 rückgängig zu machen ist, soweit der Investitionsabzugsbetrag nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des Abzugs folgenden Wirtschaftsjahres nach Absatz 2 hinzugerechnet wurde (Satz 1). Wurde der Gewinn des maßgebenden Wirtschaftsjahres bereits einer Steuerfestsetzung oder einer gesonderten Feststellung zugrunde gelegt, ist der entsprechende Steuer- oder Feststellungsbescheid insoweit zu ändern (Satz 2). Das gilt auch dann, wenn der Steuer- oder Feststellungsbescheid bestandskräftig geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem das dritte auf das Wirtschaftsjahr des Abzugs folgende Wirtschaftsjahr endet (Satz 3).
b) Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) ‑‑für die Gewerbesteuer i.V.m. § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes 2002‑‑ i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F. hat die Antragstellerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die handelsrechtlichen GoB ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs "Vorschriften für alle Kaufleute" der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH entweder ‑‑erstens‑‑ das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder ‑‑zweitens‑‑ die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer ‑‑ggf. zugleich auch ihrer Höhe nach noch ungewissen‑‑ Verbindlichkeit und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (vgl. Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 19/07, BFHE 222, 494, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (Senatsurteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688). Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, m.w.N.).
Für Ertragsteuern sind Rückstellungen zu bilden, wenn die Steuern nach steuerrechtlichen Vorschriften bis zum Ende des Geschäftsjahres wirtschaftlich oder rechtlich entstanden sind; soweit die Steuerschuld aufgrund einer Veranlagung rechtsverbindlich feststeht, ist sie als Verbindlichkeit auszuweisen (Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 920 "Steuern"). Nach diesen Maßgaben handelsrechtlich zu passivierende Rückstellungen oder Verbindlichkeiten, die solche Steuern betreffen, die gemäß § 10 Nr. 2 KStG 2002 steuerrechtlich nichtabziehbare Aufwendungen sind, sind der steuerrechtlichen Bemessungsgrundlage außerbilanziell wieder hinzuzurechnen (Senatsurteil in BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552).
c) Vor diesem Hintergrund beeinflusst im Streitfall die (nachträgliche) Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags für das Streitjahr gemäß § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. die Höhe der in der Bilanz zum 31. Dezember 2007 zu bildenden Rückstellung für Gewerbesteuern nicht. Denn wie ausgeführt, bestimmt sich die Höhe der zu bildenden Steuerrückstellungen auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns. § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. lässt diesen Grundsatz unberührt. Da nichts dafür ersichtlich ist ‑‑die Antragstellerin hat solches auch nicht dargetan‑‑, dass zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2007 für die Antragstellerin bereits ein greifbarer Anhalt dafür bestanden hat, dass sie den Kalibrator nicht innerhalb der Frist des § 7g Abs. 2 EStG 2002 n.F. anschaffen und der Investitionsabzugsbetrag deshalb später ‑‑mit der Folge einer nachträglichen Erhöhung des Gewerbesteuermessbetrags‑‑ rückgängig zu machen sein würde, ist die Gewerbesteuerrückstellung mithin auch im Zuge der Änderung nach § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. unter Berücksichtigung des ursprünglich geltend gemachten Investitionsabzugsbetrags zu bemessen.
Entgegen der Darstellung der Antragstellerin hat das FA mithin im Rahmen der Korrektur der Steuerfestsetzungen nach § 7g EStG 2002 n.F. die Steuern durchaus "richtig" berechnet und hat insbesondere die im Streitjahr noch bestehende Abzugsmöglichkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe beachtet. Zwar trifft es zu, dass infolge der unverändert bleibenden Höhe der Gewerbesteuerrückstellung die Antragstellerin nach der Korrektur für das Streitjahr höhere Steuern zu entrichten hat, als wenn sie den Investitionsabzugsbetrag nie beantragt hätte. Diesen Umstand hätte die Antragstellerin indes vor Geltendmachung des Investitionsabzugsbetrags bedenken können und müssen. Er kann nicht dazu führen, über die Korrekturmöglichkeit des § 7g Abs. 3 EStG 2002 n.F. die allgemeinen Grundsätze der Rückstellungsbildung außer Kraft zu setzen.