BFH I. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1, AO § 150 Abs 3 S 1, AO § 170 Abs 2 S 1 Nr 1
vorgehend FG München, 11. December 2011, Az: 7 K 730/10
Leitsätze
NV: Eine nicht vom Steuerpflichtigen selbst oder einem organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft unterzeichnete Steuererklärung i.S.d. § 150 Abs. 3 Satz 1 AO setzt den Fristenlauf nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht in Gang, wenn das Finanzamt die fehlende Originalunterschrift des Steuerpflichtigen oder des gesetzlichen Vertreters nicht erkannt hat bzw. nicht erkennen musste. Eine solche Steuererklärung beendet die Anlaufhemmung nicht .
Tatbestand
I. Streitig ist, ob ein Änderungsbescheid nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist.
Im Juli 2002 ging beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Steuererklärung des Streitjahres 2001 der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, ein. Die Steuererklärung war von der Prokuristin (P) der Klägerin ohne weiteren Hinweis auf eine Vertreterstellung unterschrieben worden; die Prokura der P bestand mit dem Inhalt "zusammen mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen". Das FA erließ auf der Grundlage der Steuererklärung in 2002 einen Steuerbescheid zur Körperschaftsteuer des Streitjahres, der mit einem Vorbehalt der Nachprüfung versehen war. Dieser Vorbehalt blieb auch im Zuge einer Änderung der Steuerfestsetzung (in 2003) bestehen.
In 2007 erging eine Außenprüfungsanordnung für die Jahre 2002 bis 2005, kurz darauf (ebenfalls in 2007) eine Ausweitung des Prüfungszeitraums u.a. auf das Streitjahr. Ein Prüfungsbericht folgte im Dezember 2008; unter dem 23. April 2009 erging ein Änderungsbescheid für das Streitjahr. Dabei vertrat das FA die Auffassung, dass die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sei; die Steuererklärung habe die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist nicht beendet, da P als Prokuristin zur rechtsverbindlichen Unterschrift nicht befugt gewesen sei. Gegen den Änderungsbescheid erhob die Klägerin Klage, die erfolglos blieb (Finanzgericht ‑‑FG‑‑ München, Urteil vom 12. Dezember 2011 7 K 730/10).
Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht begründet und daher zurückzuweisen. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in einem (weiteren) Revisionsverfahren (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Denn die von der Klägerin herausgestellte Rechtsfrage, ob eine nicht vom Steuerpflichtigen selbst oder einem organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft unterzeichnete Steuererklärung i.S. des § 150 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) den Fristenlauf nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Gang setzt, wenn das FA die fehlende Originalunterschrift des Steuerpflichtigen oder des gesetzlichen Vertreters nicht erkannt hat bzw. nicht erkennen musste, ist so zu beantworten, wie es das FG in der angefochtenen Entscheidung getan hat: Eine solche Steuererklärung beendet die Anlaufhemmung nicht.
a) Der Rechtsprechung des BFH lässt sich mit ausreichender Klarheit entnehmen, dass das Ende der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vor dem gesetzlich fixierten spätesten Zeitpunkt nur dann eintritt, wenn eine formell rechtswirksame Steuererklärung eingereicht wird (z.B. BFH-Urteile vom 7. November 1997 VI R 45/97, BFHE 184, 381, BStBl II 1998, 54; vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203). In diesem Zusammenhang hat der BFH hervorgehoben, dass mit dem gesetzlichen Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift (des Steuerpflichtigen) bezweckt wird, dass der Steuerpflichtige selbst die Verantwortung für seine tatsächlichen Angaben in der Erklärung übernimmt. Durch die auf dem Erklärungsvordruck geleistete Unterschrift soll sichergestellt werden, dass er sich über die Lückenlosigkeit und die Richtigkeit der ggf. von einer dritten Person, insbesondere einem steuerlichen Berater, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissern konnte und dass ihm zugleich die Bedeutung seiner Steuererklärung als Wissenserklärung bewusst werden konnte (BFH-Urteil in BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203).
b) Der BFH hat im Urteil vom 8. März 1979 IV R 75/76 (BFHE 127, 497, BStBl II 1979, 501) für die Anwendung des § 145 Abs. 2 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643) ‑‑RAO‑‑, der Vorläufervorschrift zu § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, die Unterschrift eines Dritten ausreichen lassen (s.a. den BFH-Beschluss vom 10. November 2002 V B 190/01, BFH/NV 2003, 292). Wenn der ehemalige Vermögensverwalter und jetzige Testamentsvollstrecker eines Erblassers die für die Erben als Gesamtrechtsnachfolger erstellte Steuererklärung unterzeichnet (so der Sachverhalt des Urteils in BFHE 127, 497, BStBl II 1979, 501), ist dieser Entscheidung zufolge nach dem Zweck des § 145 Abs. 2 Nr. 1 RAO ein Hinausschieben der Verjährung um drei Jahre nicht erforderlich, wenn das FA durch das Einreichen einer Steuererklärung in die Lage versetzt wird, die Veranlagung gegenüber dem Steuerschuldner durchzuführen. Eine von einem Dritten eingereichte Steuererklärung erfüllt nach dem genannten Urteil diese Voraussetzungen jedenfalls dann, wenn das FA aus der Steuererklärung die richtigen Schlüsse auf den Steuerschuldner und die zu veranlagende Steuer ziehen könne und in Kenntnis des Umstandes, dass die Steuererklärung von einem Dritten stamme, diese Steuererklärung zur Grundlage der Veranlagung mache; in einem solchen Falle bestehe kein schutzwürdiges Interesse des FA an einem weiteren Hinausschieben des Beginns der Verjährung.
c) Mit dieser Entscheidung hat der BFH die Rechtswirksamkeit der von einem Dritten geleisteten Unterschrift jedoch nicht uneingeschränkt anerkannt. Insbesondere kann aus dieser Entscheidung nicht hergeleitet werden, dass auf jedwede Versicherung der wahrheitsgemäßen Erstellung einer Erklärung (durch den Steuerpflichtigen bzw. ein zur Vertretung berechtigtes Organ) ohne Weiteres verzichtet werden könnte, wenn das FA in einer Steuerveranlagung den Angaben in einer solchen ‑‑nicht wirksam unterzeichneten‑‑ Steuererklärung gefolgt ist (s. z.B. BFH-Urteil in BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203). Denn tragend für die Entscheidung war ersichtlich, dass die Behörde in einer solchen Konstellation das (durch die Unterschrift des Testamentsvollstreckers offenbarte) Fehlen einer ordnungsgemäßen Wahrheitsversicherung im Rahmen seiner Veranlagungstätigkeit würdigen und Unsicherheiten entweder durch die Nachforderung der ordnungsgemäßen Unterschrift (im Streitfall im Hinblick auf die Gesamtrechtsnachfolger ohne praktische Relevanz) oder durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen abhelfen konnte. Hat die Behörde hingegen keine Kenntnis davon, dass es an einer Wahrheitsversicherung einer dazu befugten Person fehlt, kann sie einer Fehleinschätzung unterliegen, ob die Angaben in der Steuererklärung auf der Grundlage der Versicherung einer dazu befugten Person vollständig und richtig sind. Insoweit kann sich an die Abgabe einer solchen Steuererklärung kein ordnungsmäßiges Veranlagungsverfahren anschließen. Auf die Frage, ob ein Veranlagungssachbearbeiter Unterschriften überprüfen muss und inwieweit das gerade bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften auf der Grundlage der Handelsregisterauszüge möglich ist, kommt es nicht an (z.B. BFH-Urteil in BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203).