BFH III. Senat
AO § 46 Abs 2, AO § 46 Abs 3, EStG § 32 Abs 1 Nr 2, EStG § 64 Abs 2 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 139 Abs 4
vorgehend FG München, 07. August 2011, Az: 7 K 1429/10
Leitsätze
1. NV: Für die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses ist es in der Regel erforderlich, dass das noch nicht schulpflichtige Kind mindestens ein Jahr lang keinen für die Wahrung des Obhutsverhältnisses und Pflegeverhältnisses ausreichenden Kontakt zu den leiblichen Eltern mehr hat, das bereits schulpflichtige Kind mindestens zwei Jahre .
2. NV: Eine privatrechtliche Abmachung zwischen Pflegeeltern einerseits und leiblichen Eltern oder Adoptiveltern andererseits über die Kindergeldberechtigung ist für den öffentlich-rechtlichen Kindergeldanspruch ohne Bedeutung .
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sowie ihr Ehemann waren zeitweise mit der Pflege der im November 2001 geborenen M betraut. Der Beigeladene ist der Vater von M, seine Ehefrau ist ihre Adoptivmutter. Der Beigeladene bezog für M seit September 2003 Kindergeld. Aufgrund einer Vereinbarung vom 14. Januar 2010 zwischen dem Beigeladenen und dessen Ehefrau einerseits sowie der Klägerin und deren Ehemann andererseits übernahmen Letztere die Pflege von M. In der Vereinbarung ist auch geregelt, dass die Pflegeeltern das Recht haben sollten, das Kindergeld zu beziehen, solange M bei ihnen in Pflege sei. M lebte ab dem 28. Dezember 2009 im Haushalt der Klägerin und ihres Ehemannes, seit dem 31. Juli 2011 wohnt sie wieder bei den Eltern.
Im März 2010 hatte die Klägerin Kindergeld für M beantragt. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte eine Festsetzung ab, die anschließend erhobene Klage, mit welcher die Klägerin das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses geltend gemacht hatte, wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, M habe ca. 19 Monate bei den Pflegeeltern gewohnt, somit keine zwei Jahre. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die es rechtfertigten, bereits nach einem kürzeren Zeitraum als zwei Jahre von einem Abbruch des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den Eltern zu sprechen. In den letzten Monaten vor der Rückkehr der M hätten die Kontakte zu den Eltern wieder zugenommen. An die Vereinbarung, wonach das Kindergeld den Pflegeeltern zustehen solle, solange M bei diesen lebe, sei die Familienkasse nicht gebunden. Eine aus dem Pflegevertrag abzuleitende Abtretung des Kindergeldanspruchs an die Klägerin wäre unwirksam. Eine Bindung der Familienkasse an eine vom Jugendamt ausgestellte Bescheinigung, wonach das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr bestanden habe, sei zu verneinen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Es sei die Rechtsfrage zu klären, ob ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen einem schulpflichtigen, bei den Pflegeeltern lebenden Kind und den leiblichen Eltern in der Regel nach bereits einem Jahr nicht mehr bestehe, wenn das Kind erkrankt sei. Gerade bei einer Erkrankung des Kindes träten besondere Belastungen auf. Es sei noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob das Vorliegen von Erkrankungen zu einer besonderen Konstellation führe, die auch bei der Zeitraumberechnung in Bezug auf das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu beachten sei.
Weiterhin sei die Frage grundsätzlich bedeutsam, ob die Familienkasse bei der Festsetzung von Kindergeld an eine Vereinbarung gebunden sei, wonach das Kindergeld den Pflegeeltern zustehen solle. Diese Rechtsfrage sei, soweit ersichtlich, bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt worden.
Auch sei die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Vereinbarung über die Anspruchsberechtigung als Abtretung des Kindergeldanspruchs anzusehen sei, die von der Familienkasse zu beachten sei.
Schließlich sei die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, wie zu verfahren sei, wenn von einer Behörde festgestellt worden sei, dass ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht mehr bestehe. Der Rechtsstreit werfe die grundsätzlich zu klärende Frage auf, ob die Familienkasse an eine Bescheinigung des Jugendamts in Bezug auf die Beurteilung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses gebunden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und wird deshalb durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entspricht nicht den Erfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sind substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage erforderlich, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46). Es sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (z.B. BFH-Beschluss vom 22. Januar 2008 X B 185/07, BFH/NV 2008, 603). Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 46, m.w.N.).
2. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.
a) Die Klägerin hat ‑‑sinngemäß‑‑ die Rechtsfrage aufgeworfen, ob bei einem schulpflichtigen, unter einer Krankheit leidenden Kind (hier: ADHS) eine Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch dann anzunehmen ist, wenn es weniger als zwei Jahre bei den Pflegeeltern gelebt hat.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwischen den Pflegeeltern und dem Pflegekind ein auf längere Dauer berechnetes familienähnliches Band nicht angenommen werden, wenn der Kontakt des Kindes zu den leiblichen Eltern nur vorübergehend unterbrochen ist. Ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern besteht in der Regel nicht mehr, wenn diese zu nicht schulpflichtigen Kindern mindestens ein Jahr (Senatsurteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BFHE 177, 359, BStBl II 1995, 582) und zu schulpflichtigen Kindern mehr als zwei Jahre (Senatsurteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BFHE 179, 54, BStBl II 1996, 63) "keine für die Wahrung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichenden Kontakte" mehr haben. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass bei kleinen, noch nicht schulpflichtigen Kindern das bisherige Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern früher beendet wird als bei schon älteren. Das FG hat im angefochtenen Urteil eine Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses auch deshalb verneint, weil die Kontakte zwischen M und ihren Eltern in den letzten Monaten vor der Rückkehr wieder zugenommen hatten. Von einem Abbruch der Kontakte kann im Streitfall nicht gesprochen werden, so dass sich die von der Klägerin herausgestellte Rechtsfrage ohnehin nicht stellt. Im Übrigen geht aus ihrem Vorbringen auch nicht hervor, weshalb bei einem bereits schulpflichtigen, jedoch kranken Kind ebenso wie bei einem noch nicht schulpflichtigen Kind in der Regel davon auszugehen sein sollte, dass das Pflege- und Obhutsverhältnis zu den Eltern bereits nach weniger als zwei Jahren nicht mehr besteht.
b) Auch soweit die Klägerin die Klärung der Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren anstrebt, ob eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen Eltern und Pflegepersonen über die Berechtigung zum Bezug von Kindergeld für die Familienkassen bindend ist, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungserfordernissen. Aus dem Vorbringen der Klägerin geht nicht hervor, weshalb die gesetzlich geregelten Voraussetzungen über die Inanspruchnahme von Kindergeld durch privatrechtliche Abmachungen überlagert werden sollten. Aus der Rechtsprechung des BFH ergibt sich, dass die Regelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt wird, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, durch privatrechtliche Abmachungen nicht außer Kraft gesetzt werden kann (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00, BFH/NV 2002, 1425). Entsprechendes gilt für die Kindergeldberechtigung im Verhältnis zwischen Pflegeeltern sowie leiblichen Eltern oder Adoptiveltern.
c) Unzulässig ist die Beschwerde auch insoweit, als sie auf die Klärung der Rechtsfrage abzielt, ob eine Vereinbarung über die Anspruchsberechtigung als Abtretung des Kindergeldanspruchs angesehen werden könne. Das FG hat sich im angefochtenen Urteil ausführlich mit der Frage befasst und sie verneint. Es hat eine wirksame Abtretung bereits deshalb ausgeschlossen, weil die hierfür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen nach § 46 Abs. 2 und Abs. 3 der Abgabenordnung nicht erfüllt waren. Darauf ist die Klägerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht eingegangen. Der BFH hätte in einem Revisionsverfahren keinen Anlass, zu der Frage Stellung zu nehmen, wann eine zivilrechtliche Vereinbarung über die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Kindergeld als Abtretung des Kindergeldanspruchs auszulegen ist.
d) Schließlich ist die Beschwerde auch insoweit unzulässig, als die Klägerin die Klärung der Rechtsfrage begehrt, ob die Familienkasse an eine Bescheinigung des Jugendamts gebunden sei, der zufolge das Pflege- und Obhutsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern nicht mehr bestehe. Auch insoweit hat sich die Klägerin darauf beschränkt, die Rechtsfrage zu formulieren. Ausführungen dazu, weshalb eine inhaltlich unzutreffende Bescheinigung des Jugendamts über die Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses für die Familienkassen bindend sein sollte, fehlen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO. Etwaige Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 139 Abs. 4 FGO). Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin etwaige außergerichtliche Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen. Dieser hat keine Sachanträge gestellt oder anderweitig das Verfahren gefördert.