BFH III. Senat
EStG § 63 Abs 1 S 1 Nr 2, GG Art 103 Abs 1, FGO § 96, FGO § 118 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend FG Nürnberg, 27. March 2011, Az: 6 K 1507/10
Leitsätze
1. NV: Die Frage, wann besondere Umstände vorliegen, die darauf schließen lassen, dass ein auswärts studierendes Kind dauerhaft vom elterlichen Haushalt getrennt ist, kann nicht allgemein in einem Revisionsverfahren geklärt werden .
2. NV: Eine Überraschungsentscheidung ist nicht darin zu sehen, dass das Gericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders einschätzt als der Kläger .
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit ihre Darlegung überhaupt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, nicht vor. Die Frage, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren ist (§ 56 FGO), kann daher offen bleiben.
1. Der Vortrag des Klägers zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO entspricht nicht den Darlegungserfordernissen.
a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist (z.B. Senatsbeschluss vom 4. März 2011 III B 166/10, BFH/NV 2011, 1007). Um den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Begründung der Beschwerde zu entsprechen, muss der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32).
b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers nicht. Er begehrt allgemein die Klärung der Frage, wann besondere Umstände im Sinne der Senatsbeschlüsse vom 18. Februar 2008 III B 69/07 (BFH/NV 2008, 948) und vom 16. April 2008 III B 36/07 (BFH/NV 2008, 1326) darauf schließen lassen, dass ein Student, der auswärts ein Studium aufgenommen hat, dauerhaft vom elterlichen Haushalt getrennt ist. Das Finanzgericht (FG) kam aufgrund einer tatsächlichen Würdigung der Umstände des Streitfalles zu dem Ergebnis, es seien derartige besondere Umstände zu bejahen. Für das FG war insbesondere das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis, das sich von universitären Studiengängen unterscheidet, ein gewichtiger Gesichtspunkt. Das FG nahm an, die Tochter des Klägers (X) habe beabsichtigt, bei einem Erfüllen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen auf Dauer in A zu bleiben. In einem Revisionsverfahren, wie es der Kläger anstrebt, ist der Bundesfinanzhof (BFH) nach § 118 Abs. 2 FGO an die Feststellungen des FG, zu denen auch Schlussfolgerungen tatsächlicher Art gehören, gebunden, sofern dagegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht werden (Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 39). Ein Revisionsverfahren böte keinen Anlass, allgemein zu der Frage Stellung zu nehmen, in welchen Fällen besondere Umstände anzunehmen sind, die zum Wegfall einer Haushaltsaufnahme i.S. von § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes führen können.
2. Auch soweit der Kläger die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), genügen seine Darlegungen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Wird als Zulassungsgrund vorgetragen, das angefochtene Urteil weiche von der BFH-Rechtsprechung ab, so muss in der Beschwerdeschrift die Entscheidung des BFH, von der das Urteil des FG divergieren soll, bezeichnet werden. Darüber hinaus muss aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz der Entscheidung des BFH im Widerspruch stehen kann. Die nach Auffassung des Klägers voneinander abweichenden Rechtssätze sind dabei gegenüberzustellen (z.B. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2011 III B 75/10, BFH/NV 2012, 586).
b) Mit dem Vortrag, das FG sei von der BFH-Rechtsprechung abgewichen, weil es zu Unrecht besondere Umstände im Sinne der Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2008, 948 und in BFH/NV 2008, 1326 angenommen habe, macht der Kläger keine Divergenz geltend. Aus seinem Vorbringen ergibt sich nicht, dass das FG einen Rechtssatz aufgestellt hat, der von den zitierten Beschlüssen abweicht. Vielmehr meint er, das FG habe die BFH-Rechtsprechung unzutreffend auf den Streitfall angewandt. Damit rügt er letztlich einen materiell-rechtlichen Fehler, der grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt (s. z.B. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2011 III B 177/10, BFH/NV 2011, 1507).
3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, das FG habe eine Überraschungsentscheidung gefällt und damit gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 FGO), liegt nicht vor.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch eine Überraschungsentscheidung verletzt, wenn das Gericht aufgrund von Gesichtspunkten entscheidet, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, ohne zuvor darauf hinzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2012, 586). Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wird, wenn sich der Verstoß auf einzelne Feststellungen bezieht, nur dann ordnungsgemäß vorgebracht, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er vorgetragen hätte, wenn sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden wäre und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags eine andere Entscheidung des FG in der Sache möglich gewesen wäre (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
b) Nach Ansicht des Klägers ist der Verfahrensfehler darin zu sehen, dass das FG der Aussage der als Zeugin vernommenen X überraschenderweise nicht gefolgt sei. Die Einschätzung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen gehört zur Beweiswürdigung und ist damit dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82). Das FG brauchte den steuerlich vertretenen Kläger nicht darüber zu informieren, ob und in welchem Umfang es der Zeugenaussage von X Glauben schenken würde. Ein Verfahrensbeteiligter kann nicht davon überrascht sein, dass das Gericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders einschätzt als er selbst. Auch hat der Kläger in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt, was er vorgetragen hätte, wenn das Gericht ihn davon unterrichtet hätte, dass es den Angaben der Zeugin nicht in vollem Umfang folgen werde.
c) Soweit der Kläger rügt, das FG habe ihn nicht mit den Widersprüchen zwischen seiner Aufstellung über die Aufenthalte von X in B einerseits und der Zeugenaussage andererseits konfrontiert, ist ebenso wenig ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs anzunehmen. Die Aufstellung war vom Kläger selbst gefertigt worden, der Kläger war in der mündlichen Verhandlung anwesend, so dass die Abweichungen für ihn erkennbar waren. Bereits deshalb brauchte das FG ihn nicht eigens darauf hinzuweisen.
d) Mit dem Vortrag, das FG habe den Sachverhalt zu Unrecht dahingehend gewürdigt, dass X beabsichtigt habe, auf Dauer in A zu bleiben, macht der Kläger keinen Verfahrensmangel geltend, vielmehr wendet er sich insoweit gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Derartige Einwendungen rechtfertigen, wie ausgeführt, nicht die Zulassung der Revision.