BFH IV. Senat
FGO § 76 Abs 1 S 1, FGO § 96 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, GG Art 103 Abs 1
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 25. May 2011, Az: 4 K 1595/08
Leitsätze
1. NV: Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und damit ein Verfahrensfehler kann gegeben sein, wenn das FG bei seiner Entscheidung den in den Verfahrensakten enthaltenen Vortrag eines Beteiligten nicht berücksichtigt .
2. NV: Die schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, setzt voraus, dass die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen ‑‑ihre Richtigkeit unterstellt‑‑ eine solchen Verfahrensmangel ergeben .
3. NV: Zur Darlegung einer Divergenz müssen abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG herausgearbeitet und tragenden Rechtssätzen einer zu gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt ergangenen anderen Entscheidung gegenüber gestellt werden, so dass die behauptete Abweichung erkennbar wird .
4. NV: Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist .
5. NV: Rechtsfragen, die ausgelaufenes Recht betreffen, kommt nur in Ausnahmefällen noch grundsätzliche Bedeutung zu .
6. NV: Die Zulassung der Revision wegen "greifbarer Gesetzwidrigkeit" setzt voraus, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte .
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. des § 115 Abs. 2 FGO.
1. Dies gilt zunächst für die Rüge, das angegriffene Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhe auf Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
a) Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und damit ein Verfahrensfehler kann gegeben sein, wenn das FG bei seiner Entscheidung den in den Verfahrensakten enthaltenen Vortrag eines Beteiligten nicht berücksichtigt. Zur schlüssigen Rüge eines solchen Verfahrensfehlers müssen die (angeblich) vom FG übergangenen Akten, Aktenteile oder Schriftsätze genau bezeichnet werden. Ferner muss dargelegt werden, welche Schlussfolgerungen sich dem FG ausgehend von dessen materiell-rechtlichem Standpunkt aufgrund dieser Tatsachen hätten aufdrängen müssen. Schließlich muss die Erheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels dargetan werden (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12. November 2008 X B 112/08, BFH/NV 2009, 161, und vom 11. November 2008 X B 190/07, BFH/NV 2009, 198, jeweils m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Sie hat schon nicht dargelegt, welchen konkreten Akteninhalt bzw. Vortrag das FG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt haben soll.
b) Die schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen, setzt voraus, dass die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen ‑‑ihre Richtigkeit unterstellt‑‑ einen solchen Verfahrensmangel ergeben. Wird geltend gemacht, das FG hätte unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag der Klägerin den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären müssen, sind die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergibt, dass sich dem FG eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Auch sind die (angeblich) aufklärungsbedürftigen Tatsachen anzugeben. Ferner bedarf es Ausführungen dazu, inwiefern eine weitere Sachaufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 161). Entsprechende Darlegungen lassen sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen.
2. Zur Darlegung einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) wäre es erforderlich gewesen, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG herauszuarbeiten und tragenden Rechtssätzen einer zu gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt ergangenen anderen Entscheidung gegenüberzustellen, so dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (z.B. BFH-Beschluss vom 27. Juni 2008 II B 19/07, BFH/NV 2008, 1519). Auch diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen der Klägerin nicht. Die Klägerin benennt zwar Entscheidungen des BFH und entnimmt diesen ‑‑jedenfalls teilweise‑‑ auch abstrakte Rechtssätze. Sie hat aber weder dargelegt, dass diese Entscheidungen zu einem dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt ergangen sind, noch hat sie aus dem angefochtenen Urteil des FG abstrakte Rechtssätze herausgearbeitet und diese den tragenden Rechtssätzen der vermeintlichen Divergenzentscheidungen gegenübergestellt.
3. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der Rechtsprechung des BFH und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen. Insbesondere sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist. Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklung sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (z.B. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2008 II B 74/08, BFH/NV 2009, 125, m.w.N.).
Auch diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. So fehlt schon die Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage. Darüber hinaus liegt zu der Frage "der Notwendigkeit einer verbindlichen Bestellung zur hinreichenden Konkretisierung der Investition" im Rahmen des § 7g des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2004 noch anzuwendenden Fassung (EStG a.F.) eine ständige Rechtsprechung des BFH vor (vgl. z.B. die Nachweise in den BFH-Urteilen vom 15. September 2010 X R 16/08, BFH/NV 2011, 33, und X R 21/08, BFH/NV 2011, 235), die das FG seiner Entscheidung auch ausdrücklich zu Grunde gelegt hat. An dieser Rechtsprechung hat der BFH, wie sich z.B. aus dem BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 33 (dort unter II.2.c) ergibt, auch gerade im Hinblick auf die von der Klägerin nun angeführte abweichende Literaturmeinung ausdrücklich festgehalten. Abgesehen davon handelt es sich bei Fragen zu den Anforderungen an die hinreichende Konkretisierung der Investitionsabsicht im Rahmen des § 7g EStG a.F. um Rechtsfragen, die ausgelaufenes Recht betreffen und denen daher regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt. In einem solchen Fall müssen zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde besondere Gründe geltend gemacht werden und vorliegen, die ausnahmsweise eine Abweichung von dieser Regel rechtfertigen (z.B. BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 IV B 106/10, BFH/NV 2012, 166, m.w.N.). Derartige besondere Gründe hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
4. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) ist die Revision zwar auch dann zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte. Diese Voraussetzung kann etwa vorliegen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat, das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Unterhalb dieser Schwelle liegende erhebliche Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (z.B. BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 IV B 96/10, BFH/NV 2012, 285, m.w.N.).
Im Streitfall hat die Klägerin einen entsprechend qualifizierten Rechtsanwendungsfehler weder dargelegt noch ist ein solcher ersichtlich. Das FG hat vielmehr ausführlich und nachvollziehbar und unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des BFH dargelegt, weshalb es aufgrund der Würdigung der Umstände des konkreten Falles zu der Entscheidung gekommen ist, dass die Klägerin zum maßgeblichen Bilanzstichtag, dem 31. Dezember 2005, ihre Betriebseröffnung noch nicht vollendet hatte und deshalb der Prognoseentscheidung über ihr künftiges Investitionsverhalten die vom BFH für die Bildung einer Ansparabschreibung für einen noch zu eröffnenden Betrieb aufgestellten strengeren Kriterien zugrunde zu legen sind. Es hat ferner ausgeführt, dass sie diese Kriterien aber nicht erfüllt hat, weil sie bis zum 31. Dezember 2005 die wesentlichen Betriebsgrundlagen ‑‑die …‑‑ noch nicht verbindlich bestellt hatte. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass die in der Phase der Betriebseröffnung geltenden strengeren Kriterien unabhängig davon anzuwenden sind, ob die Person, die den Betrieb eröffnet, die Voraussetzungen eines Existenzgründers i.S. des § 7g Abs. 7 Satz 2 EStG a.F. erfüllt oder nicht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. November 2004 X R 38/02, BFH/NV 2005, 846, und vom 19. April 2007 IV R 28/05, BFHE 218, 75, BStBl II 2007, 704). Da es für die Prognoseentscheidung über künftiges Investitionsverhalten auf die Sicht des Bilanzstichtags ankommt, ist es auch unerheblich, ob es in der Folgezeit tatsächlich zu einer Bestellung und Anschaffung der Wirtschaftsgüter kommt (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 33).
Das Beschwerdevorbringen der Klägerin erschöpft sich letztlich in der Behauptung, das FG habe den Rechtsstreit fehlerhaft entschieden. Damit kann jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, BFH/NV 2008, 1510, und vom 26. Oktober 2011 IV B 139/10, BFH/NV 2012, 263).